Die Berliner Nachwahl und ihre möglichen Folgerungen
Die Berliner Nachwahl und ihre möglichen Folgerungen
Die Berliner Wahl vom 12.02. hat eine Reihe von Problemlagen offenbart, die sich – bei etwas gelassener Betrachtung – als nicht im Ansatz so dramatisch darstellen, wie eine doch recht alarmistisch gestrickte öffentliche Debatte vielleicht vermuten lässt.
Die CDU hat ca. 10 Prozentpunkte dazugewonnen. OK, aber von welcher Basis aus ? Von den ca. 18 % Wählerinnenstimmen, die jetzt Grüne und SPD aktuell bevölkern. Gehört dies vielleicht mittlerweile dazu ? Zumal in den lagermäßig höchst indifferenten großstädtischen Wahlmilieus ? Sicher. Trotz allem aber, ist ein so großer prozentualer Zugewinn auch immer auf Ursachen zurück-zuführen. Nach meiner Beobachtung, bricht sich bei den Landtagswahlen ein Trend Raum, in dem entweder Persönlichkeiten gewählt werden (Rehlinger, Weil, Wüst, Günther), die den Menschen eine Mischung aus Sicherheit, Identität und Tatenlust vermitteln, oder wo aktuelle Ereignisse – von mehr oder weniger politischer Essenz – einen Wettkampf der Narrative auslösen.
In Berlin war sicher das Zweite ausschlaggebend, schon allein durch den eklatanten Mangel an überzeugenden Persönlichkeiten. Der Aufstieg der CDU hatte mit ihrer Erzählung zu tun, sie wäre der letzte Rettungsanker der autofahrenden Berlinerinnen und Berliner und sowieso die einzige Kraft, die sich sicherheitspolitisch erfolgreich einem randalierendem Mob in den Weg werfen könnte. Eine zweimal kurzzeitig gesperrte Friedrichstraße und Statements der grünen Spitzenkandidatin bezüglich der Abschaffung der Hälfte der Parkplätze reichten, einen Hype auszulösen, der viel über Verunsicherung aber wenig über Verkehrspolitik aussagt1. Die Sylvesterkrawalle – mit ihren absolut inakzeptablen Exzessen – bildeten den zweiten Aufreger mit der Fragestellung, inwieweit rot-grün-rot überhaupt Willens und in der Lage sei die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten und ob die Randalierer sich nicht ziemlich homogen aus einem Feld von nicht Biodeutschen rekrutieren2.
Weiter war die dysfunktionale Berliner Verwaltungswirklichkeit ein wichtiger Punkt der öffentlichen Debatte während des Wahlkampfes. Die Zustände sind so eklatant, dass auch von dieser Seite die Staatlichkeit zunehmend als desperat wahrgenommen wird.
Die Koalition war nur bedingt in der Lage dem positive Entwicklungsbilder einer modernen großstädtischen Entwicklung entgegenzusetzen bzw. die Law and Order- Debatte rational zu entschärfen. Gleichzeitig bleibt aber schlicht zu konstatieren: Die Koalition ist von der Berlinerinnen und Berlinern wiedergewählt worden. Rot-grün-rot verfügt über eine stärkere Mehrheit als jede andere realistische Regierungskonstellation (schwarz-grün oder schwarz-rot).
Auf dieser Grundlage erscheint das massive Getröte über Regierungsauftrag und Abwahl der Koalition seltsam surreal, wenn auch aus Sicht der CDU verständlich. Auch der Wunsch aus dem Wahlergebnis einen Ruf nach Kai Wegner zu destillieren, erscheint bei der Betrachtung der Fakten einigermaßen vermessen. OK, 28.2% sind etwas mehr als jeder Vierte, der oder die ihr Kreuz bei Wegner/CDU gemacht haben. Bezogen auf die Wahlberechtigten schnurrt dies auf 17,79% zusammen. Ein Schrei der Berliner Bevölkerung nach Wegner/CDU ist nicht wirklich zu hören.
Was ist aber mit der regierenden Koalition ? Die SPD hat vielen enttäuschenden Wahlergebnissen ein weiteres hinzugefügt. Die Bürgermeisterin wurde als nicht überzeugend wahrgenommen. Ihr politisches Schicksal steht – unabhängig von 150 Stimmen mehr oder weniger – Spitz auf Knopf. Ihr Vorteil eine Frau aus dem Osten zu sein, hat gerade in diesen Bereichen zu keinerlei Erfolg geführt.
Die Grünen haben ein bestenfalls mittelmäßiges Ergebnis eingefahren. Sie haben sich durch die Schwerpunktsetzung auf Verkehr wesentlich ihrer innerstädtische Kernanhängerschaft versichert, ohne in anderen Fragen der sozialen Entwicklung einer modernen Metropole in der Klimakrise besonders auffällig zu werden. Hier vor allen die sozialen Aspekte nicht hauptsächlich den jetzigen Koalitionspartnern zu überlassen, ist definitiv die Anforderung an Großstadtgrüne, nicht nur in Berlin.
Die Linke hat sich in Berlin einigermaßen stabilisiert. Wer den jammerhaften Zustand der Partei, spätestens seit Beginn des Überfalls auf die Ukraine, beobachtet, muss dieses Ergebnis als recht gut wahrnehmen. Offensichtlich hat die Linke in Berlin von der Regierungsbeteiligung profitiert.
Insgesamt wird es darauf ankommen, ob es den drei Parteien der Koalition gelingt nicht nur ein gemeinsames Projekt klimakriseangemessener und sozialer Großstadtpolitik zu entwickeln und ob sie Personen hervorbringt, die dies auch angemessen symbolisieren.
Die Frage der inneren Sicherheit ist für diese Koalition sicherlich nicht einfach zu handeln, aber letztlich ist die Einsicht vonnöten, dass ständig öffentlich zur Schau gestelltes Testosteronposing, gepaart mit offensichtlicher Gemeinwesenverachtung, ganz schlicht nicht tolerabel ist. Gerade Menschen mit geringem Einkommen und oftmals prekäreren Lebensverhältnissen, haben ein verdammtes Anrecht darauf, dass der Staat dafür sorgt, die öffentliche Ordnung verlässlich und kalkulierbar zu sichern. Die Diskussion darüber in Großbritannien der Nullerjahre, hatte für Labour zumindest den Erkenntniseffekt, die staatlichen Sicherheitsorgane nicht ausschließlich als Helfer der Konservierung der Privilegien der Oberschicht wahrzunehmen, sondern auch als Garanten für eine menschenwürdige öffentliche Sphäre. Gerade Alte, Kranke, Kinder und Frauen haben ein Recht darauf, sich angstfrei im öffentlichen Raum bewegen zu können. Die Debatte darüber führte der damals amtierende Prime Minister Tony Blair mit dem Slogan „law and order is a social issue“ 3. An dieser Erkenntnis gilt es anzuknüpfen, auch wenn es für viele Grüne (und auch für mich) schon einen gewissen Paradigmenwechsel darstellt.
Die Reform der öffentlichen Verwaltung in Berlin ist sicherlich eine Mammutaufgabe. Gleichwohl gibt es keine Alternative dazu, das Problem jetzt endlich anzugehen. Problematisch ist vor allem, die Rolle der Berliner Bezirke so zu verändern, dass ein vertrauensvolles und gedeihliches Zusammenarbeiten der einzelnen Ebenen überhaupt ermöglicht wird. Hier werden sicherlich nicht alle alten Zöpfe am Kopf bleiben können.
Irgendetwas fehlt doch noch. Richtig. Die außerparlamentarische Opposition. Die FDP hat erneut verstochen. Ihr ständiger Versuch mit „mehr vom Gleichen“ aus der Krise zu kommen, führt erwartungsgemäß nicht aus der Krise, sondern perpetuiert sie. Wer eine „Modernisierungskoalition“ ausruft, um sich dann zentral dafür einzusetzen, dass Atomkraftwerke angeschaltet bleiben, eher mehr als weniger fossile Brennstoffe gefördert werden (Fracking), Verbrennerautos weiter unbegrenzt gebaut werden können und weiterhin den Vorrangsausbau von Fernstraßen betreibt, wird schnell zur eigenen Karikatur. Tempolimit, Soliumbau, Einwanderungs- und Staatsbürgerrechtsreform, Mieterschutz bezüglich Indexmieten, nichts funktioniert wirklich mit der FDP. Dinge, die im Koalitionsvertrag verabredet sind, werden nicht umgesetzt (Beispiel: Indexmieten), selbsteingebrachte Koalitionsvertragsbereiche (Beispiel: Cannabislegalisierung und Reform des Einwanderungs- und Staatsbürgerrechts) werden nicht umgesetzt und offen sabotiert. Die FDP sichert zunehmend hauptsächlich Privilegien ihrer Klientel (Dienstwagen) und ist ansonsten staatsskeptisch-neoliberal so ideologisch unterwegs, wie keine der anderen Ampelparteien. Dazu ist sie auch noch mit teils desolaten Personal am Start. Volker Wissing setzt die Reihe der Fehlbesetzungen im Bundesverkehrsministerium so nahtlos fort, dass ich schon ernsthaft überlegt habe, ob er nicht eigentlich aus der CSU kommt. Kollegin Stark-Watzinger gilt auch als eher überfordert, aber auf jeden Fall unsichtbar. Justizminister Buschmann entwickelt eine infantile Freude an der Streitkultur mit anderen Ministerien und lässt ansonsten viele verabredete Punkte schleifen oder liegen. Ja und Christian Lindner empfindet sich als Nebenwirtschafts-, Nebenklima- und Nebenverkehrsminister, alles auch ganz unabhängig von finanziellen Fragestellungen.
Für die Ampel bedeutet dies: Entweder die FDP erkennt, dass sie als Privilegienwächter und Opposition/Blockierer in der Regierung ihren eigenen Untergang herbeiführt, oder sie konzentriert sich darauf die von ihr ausgerufene „Modernisierungskoalition“ endlich zum Erfolg führen zu wollen und damit auch wieder selbst an Zustimmung zulegen zu können. Als Fossil, dass sich an den sozialen Verhältnissen der Bonner Republik orientiert und ansonsten neoliberale Allgemeinplätze absondert wird ihr kein Turnaround gelingen. Als Neuauflage des „Anachronistischen Zuges“ wird sie sicherlich nicht gebraucht werden. Nur der Erfolg der Ampel bietet ihr einen Notausgang aus der verfahrenen Situation.
1Ich war in diesem Moment doch recht froh in Hamburg zu wohnen, wo nach der endgültigen Sperrung des Jungfernstieges für den Individualverkehr, wenig schnappatmende Springprozessionen autofahrender Kampfspießer festgestellt wurden.
2Der Versuch der CDU die Vornamen der Festgenommenen zu erhalten ist nur so zu interpretieren.
3Basierend auf den Erkenntnissen und dem Aufsatz des ehemaligen Professors der Universität Leeds Zygmunt Baumann „Social issues of law and order (Corrected title: Social Uses of Law and Order) Frühjahr 2000 Oxford University Press