
Ukrainische Nationalisten
Von Bandera zu einer demokratischen Ukraine. Mitnichten.
In den letzten Wochen, ist über die Äußerungen des ukrainischen Botschafters Andrij Melnyk ein Name zunehmend in der öffentlichen Diskussion aufgetaucht, der seit langem einen großen Streitpunkt zwischen Ukrainern und Russen, aber auch Ukrainern und Polen darstellt. Es handelt sich um Stepan Bandera einen der Anführer der OUN (Organisation Ukrainischer Nationalisten) in der Zeit zwischen 1930 und Banderas Tod 1959. Banderas Bild wird von ukrainischer als auch russischer Seite instrumentalisiert ihre jeweiligen Narrative zu „unterfüttern“.
Für viele Ukrainer und Unkrainerinnen (zumindest in der Westukraine) ist Bandera eine Art unkrainischer Freiheitskämpfer, der sich stets für die Unabhängigkeit der Ukraine von Russland, Polen und Deutschland eingesetzt hat. Diese Sichtweise wurde – außerhalb der Westukraine – hauptsächlich durch die ukrainische Diaspora in Europa und Nordamerika und durch den OUN-Veteranen Petro Mirtschuk verbreitet.
Für die Russen ist Bandera der finale „Beweis“, jedes nationale ukrainische Freiheitsstreben als faschistisch zu bezeichnen und das absurde „Entnazifizierungsgeschwätz“ zu popularisieren.
Auch andere Länder hatten und haben durchaus ihre Meinung zu Stepan Bandera. Für die Polen ist Bandera ein politischer Massenmörder an polnischstämmigen Bewohnern der Westukraine und persönlich beteiligt an der Ermordung des polnischen Innenministers Bronislaw Pieracki 1934.
Für Israel ist Bandera ein Holocausttäter der seine Organisation (OUN) dazu anhielt und vorbereitete, die Nationalsozialisten bei der Ermordung von 800.000 ukrainischer Juden aktiv zu unterstützen.
Was tat er tatsächlich ?
Bandera wurde 1909 in einem kleinen Dorf im – damals noch zum k.u.k.-Kaiserreich gehörenden – Galizien geboren. Bandera studierte ab 1928 am Polytechnikum in Lwiw (damals noch Lemberg) schloss sich der OUN unter Andrij Melnyk (hieß tatsächlich so wie der Botschafter) an und gehörte schon 1930 zu deren Führungskadern. 1
Bandera hat nicht nachweislich persönlich Menschen ermordet, hat sich aber Zeit seines politisches Lebens immer wieder zu Morden (auch Massenmorden) zum Zwecke der Realisierung seiner politischen Ziele bekannt. Sein Ziel war ein ethnisch homogener ukrainischer Staat. Juden, Polen und Russen mussten verschwinden oder ermordet werden. 1940/41 waren politische Massenmorde teil der Pläne zur Errichtung eines ukrainischen Staates. Bandera strebte die unmittelbare Initiierung eines ukrainisch-faschistischen Staates an, der sich in ein von Hitler und Mussolini geprägtes Europa einfügen sollte.2 1940 spaltete sich die OUN, u.a. an der Faschismusfrage. Es entstand die rechtskonservative OUN/M unter Andrij Melnyk und die profaschistische und radikal antisemitische OUN/B unter Stepan Bandera 3.
Der Staat Ukraine wurde dann am 30.06.1941 in Lemberg durch Banderas Stellvertreter Jaroslaw Stezko proklamiert. Bandera-Milizen übernahmen die Polizeigewalt und bereiteten durch Verhaftungen die Erschießung von 3000 Juden durch das Einsatzkommando C der deutschen Sicherheitspolizei (übrigens mit tätiger Hilfe abgeordneter Hamburger Polizeibeamter) am 05.07.1941 in Lemberg vor. 4
Bandera war zu diesem Tagen in Krakau unterwegs. Der Hinweis seiner Anhänger – er hätte nichts gewusst – ist allerdings komplett unglaubwürdig, da Planung und Durchführung Wochen in Anspruch nahmen.
Die Staatsgründung der Ukraine scheiterte an einem relativ erwartbarem Umstand. Die Nationalsozialisten und Hitler waren aus geopolitischen Gründen gegen die Verselbstständigung faschistischer Satellitenstaaten aus dem „Untermenschenbereich“. Sie hatten in Weißrussland und Litauen ähnliche Versuche faschistischer Gruppierungen schon rigoros unterbunden. Sie passten nicht in die Vorstellungen Hitlers von einem herrenrassengeprägten Kriegsregime nationalsozialistischer Provenienz. Der für die Ukraine zuständige Reichskommisar Erich Koch hat den Sachverhalt aus seiner Sicht wie folgt zusammengefasst: „Es gibt keine freie Ukraine. Das Ziel unserer Arbeit muss sein, dass die Ukrainer für Deutschland arbeiten und nicht, dass wir das Volk hier beglücken. Die Ukraine hat das zu liefern, was Deutschland fehlt. Diese Aufgabe muss ohne Rücksicht auf Verluste durchgeführt werden … Für die … Deutschen im Reichskommissariat ist … maßgebend, dass wir es mit einem Volk zu tun haben, das in jeder Hinsicht minderwertig ist.“5 Wie bekannt uns dies aus aktuellen Monologen ist.
Folglich wurde das westukrainische Nationalstaatsgebilde der OUN/B von den Deutschen nicht anerkannt, Stepan Bandera verhaftet und in das KZ Sachsenhausen überführt, wo er u.a. mit dem ehemaligen Österreichischen Kanzler Kurt Schuschnigg festgehalten wurde. Bandera selbst genoss in Sachsenhausen einen Sonderstatus als so genannter Ehrenhäftling. So bewohnte er eine größere möblierte Zelle mit getrenntem Schlaf- und Wohnbereich, Bildern an den Wänden und Teppich auf dem Boden. 6
Der Banderaforscher Rossolinski-Liebe weist Bandera sowohl eine verursachende moralische Mitschuld an der Kollaboration bei der Judenverfolgung und -ermordung der 800.000 ukrainischen Juden zu, als auch an den Massakern von Wolhynien und Ostgalizien, denen ca. 100.000 Polen und 10.000 nicht kooperationswillige Ukrainer zum Opfer fielen. Die Massaker wurden von Ukrainisch Aufständischen Armee (UPA) durchgeführt, welche der militärische Arm der Banderaorganisation OUN/B war. Trotzdem Bandera zur Zeit der Massaker in Sachsenhausen saß, ist ihm die Mitschuld und Vorbereiterschaft nicht abzusprechen. Er selbst hat die massenhafte Ermordung von Russen, Juden, Polen und „verräterischen“ Ukrainern, zur Herstellung eines ideologisch und ethnisch homogenen Staatsvolks mehrfach ausführlich „theoretisiert“.
„Vor dem Krieg machte er (Bandera) kein Geheimnis daraus, dass ‚nicht nur Hunderte, sondern Tausende Menschenleben geopfert werden müssen‘, damit die OUN ihre Ziele realisieren und ein ukrainischer Staat entstehen könne. Die Massengewalt beziehungsweise die ‚Säuberung‘ der Ukraine von Juden, Polen, Russen und anderen ‚Feinden‘ der Organisation war ein zentraler Bestandteil seiner Ziele.“ 7 Stepan Banderas politisches Wirken, kann einen nur mit Grauen erfüllen. Er war ein sehr gutes Stück weit, moralisch „Fleisch aus dem Fleische der nazideutschen Unmenschen“ und alles andere, als ein Freiheitsheld.
Daran ändert auch sein gewaltsames Ende nichts. Am 15.10.1959 wurden Stepan Bandera in seinem Treppenhaus in München von einem KGB-Agenten vergiftet. Dorthin war er im Herbst 1946 über Österreich geflüchtet. Er lebte dort, in ständiger Angst, die meiste Zeit unter dem falschen Namen Stefan Popel. Auch wenn ein solches Ende natürlich bedauerlich ist, eigentlich hätte er in einen Gerichtssaal gehört. Sein wesentlicher nachhaltiger Effekt ist, dass mit Verweis auf ihn aktuell alle demokratisch gewählten Politikerinnen und Politiker in der Ukraine versucht werden, als Nazis zu denunzieren. Stepan Bandera ist ein Menetekel für die moderne Ukraine und keinesfalls ein Baustein für ein demokratisches Nationbuilding.
1Danilo Chaykovskiy „Stepan Bandera. His Life and Struggle“.
2Grzegorz Rossolinski-Liebe Interview in Berliner Zeitung 02.07.2022
3Frank Golczewski Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Band 5: Organisationen, Institutionen, Bewegungen. De Gruyter Saur, Berlin 2012 S.469
4Hannes Heer: Blutige Ouvertüre. In: Die Zeit. Nr. 26, 21. Juni 2001
5Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine. 6. Auflage. C. H. Beck, München 2022, S. 218
6Johannes Edelhoff, John Goetz, Johannes Jolmes, Jan Liebold, Andrej Reisin: Hitlers Helfer: Wie Nationalisten die Ukraine weiter spalten. In: Panorama. 8. Mai 2014
7Grzegorz Rossoliński-Liebe: Verflochtene Geschichten: Stepan Bandera, der ukrainische Nationalismus und der transnationale Faschismus. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. 13. Oktober 2017
Nationalistische “Feiheitskämpfer” sind meistens keine guten Vorbilder für demokratische Staaten, denn ihre politische Ausrichtung und ihre “der Zweck heiliogt die Mittel” Praxis ist meistens nicht demokratie-kompatibel.
Das gilt auch für die deutschen Helden des 20. Juni. Ihr Mut und ihr Einsatz 1944 (!) ist zwar ehrwürdig, ihre politrischen Einstellungen und ihre Teilnahme am verbrecherischen Krieg waren aber auch nicht demokratie-kompatibel. Das Thema Bandera ist ein Punkt, der wesentlich die Ukrainer angeht. Sie müsssen nach der Beendigung des Krieges ihre Hausaufgaben machen, wenn der EU -Beitritt schnell gehen soll. Wir müssen unsere machen. Und die sind auch immer noch gewaltig, was die Aufarbeitung der Nazigräuel angeht.
Moin Uli, nichts gegen deinen Wunsch die gebeutelte Ukraine gegen Kritik in Schutz zu nehmen. Aber ich denke, so wie du es angehst, ist es dann aber doch ein wenig zuviel Gesundbeterei. Bandera ist keine “Privatsache” der Ukrainerinnen und Ukrainer, sondern er war Teil des faschistischen europäischen Gesamtplots der 30er und 40er Jahre, mit ihren unglaublichen Gräueln und beispiellosen Menschenverachtung. Wenn er “gedurft” hätte, hätte er sich daran garantiert noch umfänglicher beteiligt. Der Ukraine hilft aus meiner Sicht am besten, wenn wir diejenigen unterstützen, die hier klare Trennlinien ziehen wollen. Da Banderas Taten in der Westukraine in einem Gebiet stattfanden, das über Jahrhunderte von einer sehr gemischten ethnischen und religiösen Bevölkerungsstruktur bewohnt war (Ukrainer, Russen, Polen, Deutsche, Österreicher und nicht zuletzt Juden all dieser Nationalitäten), sind ethnische Säuberer und Homogenisierer hier ein besonderer Grund für Gräuel und Massenmord gewesen. Stepan Bandera hat daran einen sehr aktiven Anteil gehabt und romatisierende Rückblicke aktueller ukrainischer Politiker sind schlicht komplett inakzeptabel. Andrij Melnyk, für dessen “punkiges Auftreten” gegenüber deutschen Offiziellen ich auch immer einiges an Sympathie entwickelt hatte, hat zum wiederholten Male versucht von Bandera ein Bild zu zeichnen, das einfach der Wahrheit nicht gerecht wird. Es ist daher richtig, dass er abberufen wurde. Es handelt sich bei dieser Frage um keine Petitesse, sondern um die Beurteilung eines überzeugten Faschisten und Antisemiten, der Massen von Toten auf dem Gewissen hat. Es hilft dabei garnichts, dass dies angeblich zur Befreiung der Ukraine getan wurde. Im Gegenteil, der Kampf um eine freie Ukraine wird von seinem Tun beschmutzt.
Lieber Holger, über die Bewertung Banderas habe ich gar keine andere Meinung als du. Er war ein ukrainischer Nationalist, der dafür stand, alles Nicht-Ukrainische durch ethnische Säuberungen auszusondern. Progrome wurden dabei billigend in Kauf genommen. Und du hast Recht, dieser Aspekt ist aktuell der wichtigste, denn das ist genau das Programm der Rechten hier bei uns, in Frankreich, Italien oder Ungarn. Man sollte daher wünschen, dass die kleine Zahl ukrainischer Rechtsradikaler im Zuge des Krieges nicht auch an Bedeutung gewinnt. Anderseits gibt es die russische Propaganda der “Entnazifizierung” der Ukraine und ich finde man muss aufpassen – du tust das – dass die eigene Kritik nicht Teil des russischen Narrativs wird. Das einzige, was ich in meinem Kommentar deutlich machen wollte, dass letztlich die Aufarbeitung des ukrainischen Nationalismus während des Zweiten Weltkriegs Sache der Ukraine ist, denn wenn wir auf die Ukraine zeigen, zeigen leider immer auch vier Finger zurück auf die deutsche Verantwortung für die Shoah und die Millionen Tote auch auf dem Gebiet der heutigen Ukraine. Insofern, ja, Bandera und andere sind Teil des faschistischen “Plots” der 30er und 40er Jahre in Europa und müssen da auch historisch analysiert und kritisiert werden. Ich würde mich allerdings persönlich da nicht in der ersten Reihe der Kritiker sehen, sondern mich aus Scham vor den Gräuel meiner Elterngeneration etwas zurückhalten.