Uschi zurück in der Keksdose (*)

5. Januar 2022 3 Von Holger Stümpel

Der Greenwashing-Versuch der EU-Kommission bezüglich AKWs und Gaskraftwerken zeigt uns allen einmal mehr deutlich, als was für ein Spielball sich die Kommission, im Hinblick auf staatliche und wirtschaftliche Lobbyisten, darstellt. Die Taxonomieentscheidung lässt für uns alle erstmalig einen Ausblick darauf zu, was Ursula von der Leyen mit ihrem großspurig verkündeten „Green Deal“, eigentlich genau inhaltlich so gemeint hat. Hinterzimmergeschacher zu Lasten der Nachhaltigkeit wird flugs ins Gegenteil umschwadroniert und gleichzeitig die Grundlage dafür geschaffen, Frankreichs maroden staatlichen Strommonopolisten Electricité de France (EDF) mit ausreichenden – staatlichen und privaten – Euromitteln zu alimentieren, um seine Sanierung – als Europas größter AKW-Betreiber – zu erleichtern. Deutschland braucht jetzt auch nicht mehr so ein schlechtes Gewissen – wegen der bösen Russengaspipeline Northstream 2 – zu haben, wird doch Erdgas gleichzeitig ebenfalls das Label nachhaltig verliehen. Da erleben wir doch staunend das zügige Comeback eines fossilen Brennstoffs mit allen seinen Klimafolgen. Aber der Reihe nach.

Die Qualifizierung von Atomstrom und Strom aus Gaskraftwerken als nachhaltig, ist aus mehreren Gründen inhaltlich blödsinnig. Bei Atomstrom ist die weltweit vollständig ungelöste Endlagerfrage schon rein logisch, das denkbare Gegenteil eines nachhaltigen Gedankens. Stoffe die zwischen Zehntausenden und Millionen Jahren weiterstrahlen und wo schon bei dem jetzigen Atommüll eine Zwischenlagerung auf die andere folgt, sind sicherlich die höchste Hypothek für Umwelt und nachfolgende Genrationen, die denkbar ist. Hier von Nachhaltigkeit zu reden,  erreicht – bezogen auf Wahrhaftigkeit und innewohnende Intelligenz – solch lichte Höhen, dass hier jede Trump-Kampagne damit geschmückt werden könnte.

Gaskraftwerke sind sicherlich im Übergang sinnvoll, da sie schnell angefahren werden können und bis zum erfolgten Endausbau der erneuerbaren Energien, Lückenfüller- und Spitzenlastaufgaben im europäischen Energieverbund wahrnehmen können. Nachhaltig wird diese Energie aber darüber auch nicht, sondern sie bleibt ein fossiler Brennstoff mit relevantem CO²-Ausstoß und Mittel zum Zweck für eine Übergangsphase. Die geostrategischen Überlegungen zu Northstream 2, will ich dabei erst einmal außer Acht lassen.

Frankreich und Deutschland haben – mit Hilfe der EU-Kommission – in der Taxonomieentscheidung ein Beispiel vorgelegt, welches die schlimmsten Vorbehalte gegen die Validität von EU-Beschlüssen rechtfertigt, das gesamte Verfahren als abseitiges Kamelmarktgeschacher der „EU-Bürokraten“ darstellt und insgesamt die ökologische Reputation der EU herabsetzt.

Wie konnte es dazu kommen?

Nun Emmanuel Macron ist im Wahlkampf mit ungewissen Ausgang. Er promotet gern die Atomkraft als angeblich saubere Energieform und hat zuhause aber einen Koloss auf tönernen Füßen zu beatmen. Die Electricité de France ist ökonomisch fragil aufgestellt, hat aktuell 15 AKWs wegen verschiedenster Baumängel nicht am Netz und ist bei AKW-Neubauten oft mit 10-12 Jahren hinter den Planungen. Die durchschnittliche Zeitdauer eines AKW-Neubaus inklusive Planungen beläuft sich auf nahezu 30 Jahre. Schon aus diesen Grund ist augenfällig, dass der Atomstrom zur aktuellen Klimadebatte gar keinen Beitrag leisten könnte, sollen die Beschlüsse von Glasgow irgendeine Relevanz aufweisen. Darum geht es auch nicht. Es geht ausschließlich um die Erhaltung des Alleinstellungsmerkmals von EDF als AKW-Kraftwerksbauer in Europa, das Abstreiten der Notwendigkeit eines verschärften Ausbaus erneuerbarer Energien in Frankreich und zuallererst um die Erzeugung externer Kapitalzuflüsse zur Sanierung von EDF. Hier hat sich nun Macron die EU und in deren Folge eine lange Reihe privater Investoren ausgeguckt. Dazu hätte er jetzt auch gern ein grünfunkelnd Nachhaltigkeitslabel. Das werden wir ihm doch wohl nicht abschlagen wollen ? Natürlich nicht, bekommen doch die Deutschen auch ihr greenwashing verpasst.

 Erdgaskraftwerke sind jetzt auch nachhaltig und nicht etwa nur nachhaltig umweltschädlich. Über Erdgaskraftwerke als Übergangslösung (s.o.) lässt sich sicherlich reden, aber dadurch werden sie ja nun auch nicht im ökologischen Sinne nachhaltig. Nachhaltig werden sie höchstens dann, wenn sie perspektivisch technisch ebenfalls in der Lage sind Wasserstoff und zukünftige synthetische Gase – zur Erzeugung von Strom und Wärme – CO²-frei zu verbrennen.

Die reine Erdgasnutzung ist einfach nur Nutzung fossiler Brennstoffe mit entsprechenden CO²-Emissionen. Bessere Filter sind natürlich besser, aber nachhaltig wird es dadurch auch nicht. Für deutsche Gaskraftwerke muss deshalb auch obige Doppelnutzungsmöglichkeit die Bedingung sein. Grundsätzlich ist die gesamte Gasinfrastruktur (inkl. aller Speicher, Verteilungs- und Leitungssysteme bis in die Haushalte) auch als Möglichkeit zu sehen, durch Wasserstoff und synthetische Gase genutzt zu werden und deshalb für die Energiewende durchaus eine Ressource. Dieses gilt sogar auch für Northstream 2.

Eine weitere große Unverschämtheit des Greenwashing von Atomkraft- und Erdgaskraftwerken jeder Art durch die EU-Kommission, besteht aber auch darin, dass hier – über die Ausbringung des Nachhaltigkeitslabels – eine konzertierte Verbrauchertäuschung vorgenommen wird. Durch das Label sollen ja auch und gerade private Investitionen angestoßen werden, bei denen es aber sehr fraglich ist, ob sie die Hoffnungen (in der Regel Renditen) der privaten Investoren überhaupt erfüllen können. Atomkraftwerke gelten als komplett unrentierlich, da der erzeugte Atomstrom preislich auf keinem Fall konkurrenzfähig wäre zu den erneuerbaren Energien. Auch herkömmliche Gaskraftwerke (ohne implantierte Doppelfunktion der späteren Nutzung mit nicht kohlenstoffbasierten Gasen) sind allein schon durch Zwecksetzung als Übergangslösung zeitlich limitiert und es ist sehr fraglich, ob sie sich in dem realistischen Zeitraum (ca.20-25 Jahre) überhaupt amortisieren können. Insofern sind beide Kraftwerksarten für Investoren eigentlich gar nicht interessant und drohen  – wie es die Energie-Ökonomin Claudia Kemfert (vom deutschen Institut für Wirtschaftsforschung) nennt, zu „stranded investments“ zu werden.

Dies ist nur dadurch zu verhindern, dass entweder alle Energiearten mit Nachhaltigkeitslabel in entsprechenden Fonds gemischt werden, oder die EU das Investment stark subventioniert oder beides (was sicherlich der Wunsch von Emmanuel Macron wäre). Für die Grünen gilt es, dies unbedingt zu verhindern. Nicht nur aus Prinzip (dies sicherlich auch), sondern weil die so fehlinvestierten Mittel der wirklichen Energiewende entzogen werden und nur diese „spezielle Form“ von Green Deal gesponsert wird.

Wo wir dabei sind, noch ein Wort zu Ursula von der Leyen. Da ihr ja niemand die Brisanz von Inhalt und Vorgehen (schnell vor Neujahr losschicken, vielleicht sind viele noch besoffen) erklären muss, ist hier von Mutwillen auszugehen. Ob mit Scholz abgesprochen oder nicht, sollten die Grünen im Europaparlament sich dafür einsetzen, das Vorhaben wenn möglich zu stoppen und gleichzeitig Frau von der Leyen unmissverständlich klarmachen, dass die Grünen sich dafür entschieden haben, dass ihre zu Ende gehende Amtszeit ein Solitär bleibt. So ein dysfunktionales Hinterhofgeschacher kann niemand brauchen.

* Ohne jetzt politischer Sippenhaft das Wort reden zu wollen, schließt sich hier doch ein interessanter inhaltlich-familiärer Kreis. Ursula von der Leyens Vater war der ehemalige niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht, der – neben vielen anderen fragwürdigen Initiativen – Erfinder des Atomendlagers Gorleben – entgegen jedes wissenschaftlichen Rats – war. Zusätzlich wollte er damals auch noch eine Wiederaufbereitungsanlage dort bauen, die aber sowohl im Wendland als auch später im oberpfälzischen Wackersdorf vom massiven Widerstand verhindert wurde. Ernst Albrecht war vor seiner politischen Zeit Manager beim Butterkeksmagnaten Bahlsen. Er wurde deshalb im wendländischem Atomwiderstand gern „der Keks“ genannt. So kam es zur Überschrift.