Bidens IRA (1) und Chip-Act sind illegitimer Protektionismus in Schaf-Gestalt

Bidens IRA (1) und Chip-Act sind illegitimer Protektionismus in Schaf-Gestalt

6. Januar 2023 0 Von Thomas Ertl

[1] Inflation Reduction Act of 2022; eine Fortsetzung des Build Back Better Act aus dem Jahr 2021 gegen die Auswirkungen der Covid-19.Pandemie, des Klimawandels und Benachteiligung von finanzschwachen Familien.

——————————————————-

IRA und Chip-Act werden neue Fabriken für Mikrochips, Anlagen „grüner“ Energie, Wärmepumpen und Bau von Passiv-Gebäuden hervorbringen. Die Volkswirtschaft in den USA wird in Schwung kommen und einen Beitrag zur Dekarbonisierung leisten. So ist der Plan.

Die sozialen Schäden an der amerikanischen Gesellschaft lassen sich damit aber nicht einmal mittelfristig beseitigen. Das Herauswachsen der Probleme wird bei optimistischer Sicht mehr als eine Generation andauern. Die soziale und politische Spaltung mit der latenten Gefahr eines Rechtsrutsches ala Trump sind das Hauptproblem. Der Lobbyismus von ökonomisch Mächtigen ist strukturell verankert, denn ohne Milliarden US-Dollar sind politische Kampagnen wirkungslos. Das Wahlrecht ist anachronistisch mit Wahlmänner-System des 19. Jahrhunderts. Es ist offen für Manipulationen, denn die Wahlkreise können von den Herrschenden nach eigenem Gusto neu definiert werden.

Dennoch sind die USA in einer privilegierten Lage gegenüber Europa und den südostasiatischen Demokratien. Die Fakten:

  • Die USA verfügen über immense Bodenressourcen, sind ein Staat mit über 320 Millionen englisch-sprechenden Menschen und militärisch eine Atom-Supermacht.
  • Die USA sind weltmarktführend in der IT-Industrie und über die US-Internet-Konzerne der GAFAM[2] ökonomisch überdimensional und global aufgestellt.
  • Ebenso verfügen die USA mit der „Wallstreet“ über den stärksten und größten globalen Finanzplatz, der die US-Wirtschaft mit Liquidität versorgen kann. Wenn es zu Krisen wie 2008/2009 kommt, ist die FED in der Lage, die globale Wirtschaft mit Liquidität zu versorgen, ohne dass der US-Dollar ins Wanken gerät.
  • Die USA interpretieren die liberale Demokratie mit präsidialer Entscheidungsgewalt, die nur durch das Capitol blockiert werden kann.
  • Die USA sind seit dem 2. Weltkrieg der wichtigste Sicherheitspartner für die Kontinente Europa, Australien und die größten Volkswirtschaften Asiens außerhalb Chinas und Indiens.
  • Die ökonomische Potenz der USA ist überragend, das BIP pro Kopf ist deutlich höher als das der EU.

Die EU ist vergleichsweise schwach, weil uneins, zerstritten, überbürokratisiert und langsam in den Entscheidungen. Auch militärisch ist die EU vom Atlantik-Partner abhängig. Das US-Engagement im Abwehrkrieg der Ukraine gegen Russland hat der Welt wieder gezeigt, dass diese Weltmacht nach wie vor eine ist, aber eben nicht mehr allein. Mit dem Freihandel und dessen Betriebssystem WTO wurde der Spaltung der US-amerikanischen Gesellschaft Vorschub geleistet. China wurde soweit gestärkt, dass es zu BRICS und Multi-Verblockung gekommen ist.

Der eingeschlagene Weg von IRA und Chip-Act ist ein Ansatz zur Überwindung der nationalen Spaltung durch Re-Industrialisierung, aber aktuell auch ein internationaler Spaltpilz. Das könnte noch repariert werden. Auch könnten die globalen Kräfteverhältnisse zuungunsten Chinas verschoben werden, wenn der Westen technologisch zusammenarbeitet und China – soweit es geht – außen vor lässt. Die Hoffnung liegt dann darin begründet, dass disruptive Innovationen in einem freien Land eher gedeihen als unter repressiven Regimen. Wie sollen IRA und Chip-Sciences-Act umgesetzt werden?

China ist gemeint und die EU düpiert

Joe Biden versteckt sich geschickt hinter einem Anschein der Bonhomie. Tatsächlich übertrifft er den stets polternden und bellenden Vorgänger Donald Trump an Wirksamkeit und Härte. Wie weiter unten erörtert wird, ist die langfristige Wirkung des IRA noch nicht vorhersehbar, aber bei einer Weiterverfolgung dieser wirtschaftspolitischen Linie wäre es die Umkehr dessen, was unter Führung und Dominanz der USA nach dem zweiten Weltkrieg handelspolitisch kreiert wurde. Es geht schlicht um die Abschaffung des freien internationalen Handels und Kapitalverkehrs. Damit einher wird die bereits aktuell entzahnte World Trade Organization (WTO) zum Schafott geführt. Wer sollte sich an Abmachungen zu Zoll und Freihandel halten, wenn der Leader und Gründer aus dem System aussteigt?! Der renommierte Wirtschaftshistoriker Adam Tooze spricht gar von einem – mal wieder – „Neuen Washington Konsensus“,[3] der nun endgültig die neoliberale Agenda der 1990er Jahre ablösen wird.

Neoliberalismus und Industriepolitik

Die Überlassung wirtschaftlicher Prozesse an private Interessen ist einfach nicht mehr haltbar. Das sieht selbst das Sprachrohr der Finanzmärkte, die Financial Times, nicht anders. Das Blatt fordert gar das Abtreten des Neoliberalismus und ein starkes Engagement des Staates.[4] Die externen Effekte des Klimawandels in Gestalt von Naturkatastrophen wie Überflutungen und Dürren werden ohne (staatliche) gesellschaftliche Anstrengungen nicht mehr zu kompensieren sein. Der IRA ist so ein staatlicher Eingriff in die ungelenkten ökonomischen Fehlentwicklungen. Das ist ein globaler positiver externer Effekt. Der nationale Effekt liegt in der Stärkung der US-Industrie. Plötzlich erlebt Industriepolitik eine Renaissance in „grüner“ Erscheinung. Hatten sich doch einige „Experten“ schon festgelegt, dass Dienstleistungen das Aushängeschild entwickelter nationaler Volkswirtschaften sein werden: Forschung und Entwicklung im Norden/Westen („Brainshops“) und Fertigung („Sweatshops“) im Süden/Osten. Es wurde regelrecht ein Wettrennen um den größten Dienstleistungssektor eröffnet und Statistiken zur De-Industrialisierung gefeiert. Frankreich wurde gelobt und Deutschland kritisiert.[5] UK wurde als Negativ-Beispiel dann eher verschwiegen.

Auch Adam Tooze wirft Deutschland einen „Industrie-Fetisch“ vor.[6] Eine Antwort auf die Frage, wer dann in Zukunft die industriellen Produkte fertigen soll, finden wir nicht. Der Hinweis auf das nun nicht mehr zur Verfügung stehende billige Gas aus Russland müsste nach diesen „Experten“ zur gewünschten De-Industrialisierung führen. Tooze empfiehlt folgerichtig einen effizienteren Einsatz der knappen Ressourcen wie Energie und Fachkräfte und kritisiert das Festhalten an Stahl-Kochen und Montage von Kraftfahrzeugen. Die Beschäftigung in der Stahlbranche hat sich aber seit dem Fall der Mauer 1989 fast halbiert[7] und die Beschäftigung in der Automobilbranche ist seit einigen Jahren rückläufig. Daran kann es nicht liegen. Wer bremste bis zum Jahr 2021 den Umbau der Wirtschaft auf Nutzung erneuerbare Energien? Das ist ein industrielles Projekt, das auf Forschung und Entwicklung basiert. Dazu zählen letztlich auch hochmoderne Produktionsanlagen wie Halbleiterfabriken (Fabs). Es ist eine wirtschaftspolitische Frage, die der US-Präsident erkannt hat, nachdem Deutschland und die EU den Weg eines „New Green Deal“ eingeschlagen haben. Die USA kopieren die EU mit dem IRA und garnieren das Menu mit Protektionismus.        

Biden hat sich den irreführenden Namen (IRA)[8] für dieses Gesetz einfallen lassen, denn mit Inflation hat das Gesetz wenig zu tun, sondern vielmehr mit Re-Industrialisierungsversuchen der USA. Die Inflation wird eher zunehmen, wenn die „billigen“ Importe verhindert werden. Die im Gesetz in Aussicht gestellte Umstellung auf „grüne“ Energie könnte langfristig die hohen Kosten für fossile Träger und Atomreaktoren vermeiden; aber bis dahin wird es ein sehr langer Weg sein. Was ist der Kern des Pakets?

  1. Es geht um die historisch größte Einzelinvestition der USA von 369 Mrd. USD in Klima und Energie – gestreckt auf 10 Jahre.
  2. Angestrebt wird eine zusätzliche Reduzierung der Treibhausgase um 31 bis 44 % bis zum Jahr 2030, womit der aktuelle Pfad von 24 – 35 % Reduzierung erheblich ausgebaut wird.[9]
  3. Es werden Anreize über Boni, Rabatte, Steuergutschriften und verbesserte Kreditbedingungen geschaffen. Das gilt für Produzenten und Haushalte, die in „grüne“ Energie investieren.
  4. Während des Act-Zeitstrahls werden die Anforderungen an inländische Montage und Produkt-Inputs immer mehr in Richtung Inland gesteigert.
  5. Importe – auch Inputs wie Mineralien – aus Regionen, die kein Freihandelsabkommen mit den USA geschlossen haben, bleiben bei Subventionen und Anreizen außen vor: America first.

Die ersten drei Elemente decken sich in etwa mit dem Vorhaben der EU rsp.  Green Deal. Die Punkte 4) und 5) sind hingegen der aktuelle Streitpunkt zwischen den USA und dem Rest der Welt, ausgenommen die Staaten Kanada und Mexiko aus dem United States-Mexico-Canada Agreement (USMCA).  Anzumerken bleibt, dass die EU ein Drittel der 1,8 Billionen EUR des sieben-jährigen Haushaltsplans für den Ausbau erneuerbarer Energie ausgeben will.[10] Das ist ca. 2,5 so viel wie das Vorhaben der USA. Außerdem ist das BIP der USA mit 22 Billionen US-Dollar im Jahr 2021 ca. 50 % höher als das der EU.

Damit relativiert sich die Ausgabe deutlich. Sie wurde medial mit viel Begleitmusik „aufgeblasen“. Es ist für die USA ein guter und wichtiger Schritt in Richtung Dekarbonisierung, aber noch nicht das Umlegen eines Hebels in Richtung Re-Industrialisierung. Es werden andere Arbeitsplätze geschaffen, die nicht jene des Rust-Belts (Pittsburgh etc.)  und der Automobilindustrie (Detroit etc.) ersetzen werden. Dazu braucht es mehr.

Die USA glauben auch hier an die Macht der Märkte, die mit kleinen Anreizen große Investitionen in die erneuerbaren Energien erleben werden. Die Dekarbonisierung würde so profitabel sein, dass ein kleiner Anschub ausreichen würde. Es wird dabei übersehen, dass es nach wie vor und noch für lange Zeit sehr rentabel sein wird, fossile Rohstoffe zu verbrennen. Und diese Industrien sind in den USA noch sehr stark, auch politisch. 32 US-Bundesstaaten unter Führung Texas fördern Öl, ganze fünf fördern fast 70 % des gesamten Volumens.[11] Beim Erdgas sind es über auch über 25 Bundesstaaten, die nennenswerte Mengen aus dem Boden holen.[12] Und der IRA geht sanft mit diesen Industrien um, denn er verschont die CO2-Emittenten mit einer Abgabe wie es innerhalb der EU durchgesetzt wurde. Der IRA vergibt nur Zuckerbrot und lässt die Peitsche beiseite. Der Verzicht auf das Lenkungsinstrument einer CO2-Sanktionierung entzweit die Strategien von USA und EU.  Vielleicht war das der Durchbruch im Zustandekommen des IRA in einem gespaltenen Land, wo das Verbrennen von Kohlenstoff noch hoch im Kurs steht. Der Energiewende würde ein Instrumentenmix aufgrund der drängenden Probleme besser zu Gesicht stehen. Die US-Administration geht notgedrungen mit der Zeitschiene und den Öl-Gas-Konzernen großzügig um. Unter den „Demokraten“ ist die Sympathie für Erträge aus dem fossilen Geschäft noch groß.[13]Es ist wohl der gleiche Personenkreis, der sinophobisch das „kommunistische China“ für die Probleme der USA verantwortlich macht.[14] Mit dieser Parole wird seit einigen Perioden Wahlkampf gemacht.

Grüne Energie schlägt fossile Träger in punkto Kosten zunehmend

Der Anreiz „grüner“ Investitionen ist richtig und bedeutend, denn die Gestehungskosten werden bis zum Jahr 2040 auf unter 2 Cent/KWh fallen, was einer Senkung gegenüber fossilen Angeboten von mindestens 75 % entspricht. Aktuell hat das Frauenhofer Institut einen Wert von 3 Cent/KWh für industrielle PV-Anlagen ermittelt.[15] In den Vereinigten Arabischen Emiraten, Saudi-Arabien und Portugal bestehen bereits Anlagen, die einen Gestehungspreis in der Nähe eines Euro-Cents/KWh ermöglichen. Das wird auch die „fossile“ US-Industrie zu spüren bekommen. Darin liegt die Hoffnung. Genügend Brach-Flächen mit viel Sonneneinstrahlung sind bekanntlich vorhanden. Die Abnehmer werden zugreifen, wenn das günstigere „grüne“ Angebot publik wird.

Nur das allein wird nicht ausreichen; und so wird der Kreis zum Widererstarken der US-Industrie geschlossen. Es müssen entsprechende Groß-Anlagen und Heizsysteme wie Wärmepumpen und Brennstoffzellen für Wasserstoff hergestellt, Kraftfahrzeuge müssen auf erneuerbare Energien umgestellt werden. Für viele technische Produkte werden Batterien/Speicher benötigt. Das alles wird ähnlich zu EU und Deutschland mit Zuschüssen und Steuererleichterungen versüßt. Der Unterschied zur EU und damit der neueste Handels-Zankapfel ist die Beschränkung auf Produktion und Herkunft der Inputs: America first.

Der „Chips and Science Act“

280 Milliarden US-Dollar umfasst das Chip-Science-Act-Paket der USA. 52 Milliarden US-Dollar sollen in den nächsten 5 Jahren für Bau von Chip-Fabriken (Fabs) als Zuschüsse fließen.

Die Differenz von 228 Mrd. US-Dollar geht in Forschung und Entwicklung der Künstlichen Intelligenz und/oder Quanten-Computern, aber auch in MINT[16]-Bildung. Es ist als Reaktion auf die überwiegende Fertigung (75% der globalen Fertigung) in Südostasien (China, Taiwan und Südkorea) zu verstehen. In erster Linie soll auch mit diesem Act China als System-Rivale getroffen werden, aber auch die eigene vernachlässigte High-Tech-Hardware-Industrie gepusht werden.[17]

Mikro-Chips sind nach Raffiniertem Öl, Flugzeugen und Rohöl das viertgrößte Exportgut der USA mit 62 Mrd. US-Dollar in 2021.[18] In dieser Rechnung sind nicht die Offshore-Chips aus südostasiatischer Fremdfertigung enthalten. Viel Fantasie muss nicht aufgebracht werden, um die Wachstumspotenziale dieser Güter zu bewerten: Die Zukunft sind Chips bzw. Halbleiter. Kaum ein technisches Gerät ist ohne diese Bauteile denkbar. Das gilt auch für die technische Ausrichtung zur erneuerbaren Energie: Ohne Chips keine Klimawende, ohne „eigene“ Chips keine sichere Zukunft.

 “The era where the world is at peace, and it doesn’t matter who supplies our semiconductors, is over.” (Kazumi Nishikawa, a director at Japan’s Ministry of Economy, Trade and Industry)[19]

Die USA wollen die führende Chip-Industrie verteidigen, ausbauen und re-nationalisieren

Die neue Industriestrategie konnte unter Präsident Biden im ersten Amtsjahr bereits Erfolge erzielen: Seit 2021 wurden 642.000 neue Arbeitsplätze geschaffen und der Bau neuer Produktionsanlagen steigerte sich zum Vorjahr um 116 Prozent.[20] Nun geht es ganz konkret um Zukunftstechnologie.

In dem 1.000-seitigen Chip-Act-Mammutdokument aus dem Sommer 2022 wird den US-Chipherstellern für 10 Jahre untersagt, in neue fortschrittliche Chipkapazitäten in China oder anderen „bedenklichen Ländern“ zu investieren, wenn eine Förderung durch die US-Regierung in Anspruch genommen wird.[21]

Am 7. Oktober folgten erweiterte Exportkontrollen für „fortgeschrittene integrierte Schaltkreise“ (Chips), Computerartikel, die Chips enthalten, und bestimmte Halbleiterherstellungsartikel. Darüber hinaus setzte das Bureau of Industry and Security 31 chinesische Institutionen und Unternehmen auf eine „schwarze“ Liste. Von den Beschränkungen sind alle US-Bürger betroffen, die ohne Genehmigung Entwicklung oder Produktion von Chips in China unterstützen.[22]

Die Reaktion aus Peking ließ nicht lange auf sich warten. Neben den Hinweisen auf „china-feindliche“ Formulierungen im Chip-Act wurde ein 144 Mrd. US-Dollar-Paket geschnürt, um die Anstrengungen für Chips und neue Fabs zu beschleunigen. Das ist fast das 3-fache der US-Zuschüsse und stellt auch den EU-Chip-Act (Februar 2022)  von 43 Mrd. EURO in den Schatten.[23] Hier wird in den Führungsanspruch investiert, wobei die USA technologisch einen Schritt weiter sind, weil die US-Chips auf weniger Nanometer ausgelegt sind.[24] Die große Masse wird inzwischen nicht mehr in den USA oder in Japan gefertigt, obgleich die Chips (Halbleiter) in den USA entwickelt wurden und Japan lange Zeit die zweite Geige spielte, tlw. sogar Weltmarktführer bei hochentwickelten Chips war.   

Der US-Exportstopp der modernsten Bauart hat in China bereits Spuren hinterlassen, da viele große Tech-Firmen wie BYD, Didi, Alibaba, Tencent, Baidu und Xpeng Nvidias-Chips aus den USA einsetzten.[25] China hat als Folge seinerseits einen Exportstopp für spezielle Chips veranlasst, was wiederum Russland als begierigen Abnehmer im Raketen-Krieg gegen die Ukraine behindert.[26] Vielleicht ist das auch ein Grund für den Kauf der wesentlich schwächeren Kamikaze-Drohnen aus dem Iran.

Die Bedeutung der Chip-Fertigung ist inzwischen überall angekommen; und in einer Welt des Unfriedens war es nur eine Frage der Zeit, wann es zu Restriktionen kommt. Für die USA ist es fast eine glückliche Fügung, unter diesen Bedingungen China als Partner Russlands auszugrenzen. Und es ist auch die Sorge um Taiwan, die den US-Verantwortlichen zu den diversen Acts trieb.

Der taiwanesische Chip-Konzern TSMC hat über 50 % Marktanteil an den globalen Fertigungen und bildet aktuell das größte geo-ökonomischen Risiko. Die USA beziehen 90 Prozent der High-Tech-Chips vom TSMC-Konzern, der als sogenannter Auftragsfertiger so stark spezialisiert und optimiert ist, dass der Konkurrenz eine Adaption schwer fällt. Auch Japan als global drittgrößte Volkswirtschaft hat erkannt, dass der Rückgang der Chips-Marktanteile – ausgelöst durch 20-jährige Untätigkeit – zu eklatanten Engpässen und Stillständen jedweder Fertigung technischer Produkte führte.[28] Japanische Automobilproduzenten mussten Anfang 2021 nacheinander die Fertigungen stoppen. Abbildung 1 zeigt, dass Japan ganz anders als in der 1980er Jahren hohe Marktanteile verloren hat, insbesondere an Südkorea und Taiwan.

Japan opfert nationalistisches Dogma

Japan setzt darüber hinaus auf engere Zusammenarbeit mit TSMC, um aus der Unterversorgung herauszukommen. Ein Joint-Venture mit Sony und Denso wird angestrebt. Japans Staat subventioniert mit 3,5 Mrd. US-Dollar in die neue Fab, die 8,6 Mrd. US-Dollar kosten soll. Insgesamt werden von einer eingesetzten Studiengruppe 78 Mrd. US-Dollar empfohlen, um Japan wieder in die Erfolgsspur zu verhelfen.[29]

Japan gibt sogar das Credo seines früher zelebrierten wirtschaftlichen Nationalismus auf. Das Land geht eine Koalition mit Verbündeten wie den USA und der EU ein, um eine Chip-Lieferkette zu entwickeln. Die geografische Streuung soll gegen Katastrophen und geopolitische Instabilitäten schützen. In den USA wurden Fabs durch winterliche Eiseskälte behindert und das Damoklesschwert „Taiwan“ ist zum Schrecken der Auftragsgeber sehr präsent.

Ende Juli 2022 kündigten Japan und die USA den Bau eins gemeinsamen Forschungszentrums für fortschrittliche Chips an, an dem sich „gleichgesinnte“ Nationen beteiligen können. Der Wettbewerb wird hintangestellt, die staatlichen Forschungsausgaben werden gebündelt. Das ist augenscheinlich kein Wettbewerb von Unternehmen, nicht mal von Nationen, sondern von geopolitischen Blöcken. Und dieser Wettbewerb ist alle andere als „frei“, auch wenn die liberale Freiheit dadurch gestärkt werden soll. Es ist Kriegswirtschaft mit friedlichen Mitteln.

Der Staat ist nicht mehr Akteur, der Markversagen korrigiert, sondern der Akteur, der das Marktversagen gar nicht erst zulassen soll. Der Markt kann nur noch ein untergeordneter Baustein liberal-demokratischer Gesellschaften sein, wo die fundamentalen Strukturen nicht gefährdet werden könnten. Damit ist auch die Funktion der (entfesselten) Finanzmärkte auf den Prüfstand zu stellen. Aktuell stellt sich die Frage einer globalen Entzerrung und Diversifizierung, um der fatalen Abhängigkeit von autokratischen Staaten zu entkommen. Dazu zählen auch die Investitionen in Fabs und Forschung. Das Sperrfeuer der multiplen Krisen hat die Schwachstellen des dominanten internationalen Betriebssystems offengelegt. Die Rufe nach De-Industrialisierung sind ein Zeichen dafür, dass die Gleichung ignoriert wird, dass ein Abbau der Industrie an einem Ort den Aufbau derselben an einem anderen Ort bedeutet. Wird in geopolitischen Blöcken gedacht, sollte dann zumindest dieser andere Ort ein „freundlicher“ sein; oder es sollte eine gleichmäßige Abhängigkeit hergestellt werden, um einer Erpressung widerstehen zu können. De-Industrialisierung als „Heilmittel“ verkennt den Vorteil von Autonomie und Sicherheit. Russlands Ukraine-Krieg hat das Risiko einer bedingungslosen internationalen Wertschöpfungskette bewiesen.  

Das Problem der Kapazitäten

Aber das ist nur der eine Aspekt. Wer nicht selbst produziert, muss unter ungünstigen Umständen wie in der Aufholbewegung nach der ersten Schockwelle der Covid-19-Pandemie geduldig sein, bis der beauftragte Lieferant wie TSMC wieder freie Kapazitäten hat. Und Taiwan ist (noch) ein befreundeter Staat. Der Ausbau von Chip-Produktionen und damit auch die Errichtung neuer Fabs ist das Gebot der Stunde. Es wird allerorten geplant und gebaut, nicht nur in den USA und Südostasien, sondern auch in Europa. In Deutschland sind Magdeburg und Dresden in die engere Wahl der Investoren – hier Intel – aufgenommen worden. Der Bau einer Chip-Fabrik dauert mehrere Jahre; und eine Chip- bzw. Halbleiterproduktion ist der komplizierteste industrielle Prozess – mit ca. 1.200 Arbeitsschritten – überhaupt.[30] Die komplette Wertschöpfungskette kann aktuell von keinem Land abgedeckt werden. Die Niederlande (ASML) liefern als temporärer Monopolist für die anspruchsvollsten Chips die feinsten Lithographie-Maschinen, die mit deutschen Produkten der Unternehmen Zeiss (Optik) und Trumpf (Laser) bestückt sind.[31]Die USA oder andere Staaten entwickeln die entsprechenden Schaltkreise für die gewünschten Anwendungen. Die Kette ließe sich fortsetzen. Andere weniger wertige Halbleiter werden auch von China gefertigt. Aber auch die aktuellen chinesischen Kapazitäten reichen nicht aus. Mit anderen Worten: China muss selbst viele Chips importieren, so dass der US-Exportstopp mehr als eine Kampfansage ist.  

Chinas Ambitionen bezüglich Taiwan könnte der Weltwirtschaft eine der wichtigsten Komponenten entziehen. Ein EU-Experte schätzt diese ökonomische Gefahr als 10 Mal größer als den Ausfall russischer Gaslieferungen ein.[32] Der „Chip-Krieg“ und der IRA haben mit Freihandel nichts mehr zu tun. Es geht um Hegemonie, die nicht mehr in der Form der Prä-Globalisierung zurückkehren wird. China und die BRICS-Staaten als Pendant zur G7-Gruppe[33] sind eine unumstößliche Realität. Daran ändert auch der moderat schwelende Indien-China-Konflikt[34] nicht viel, denn auch die G7 sind sich nicht immer einig. Der Streit um den IRA belegt diese Einschätzung.

USA düpieren die Partner mit dem IRA

Der IRA widerspricht den Regeln der WTO[35], die schon unter Trump lautstark geschnitten wurde. Präsident Biden macht die Rückkehr zur Industriellen Fertigung unter protektionistischen Prämissen zur nationalen Sicherheitsfrage, die selbstverständlich nicht dem Panel der WTO unterliegen kann. So die Argumentation, als die erhobenen Zölle für Stahl und Aluminium gegenüber der WTO verteidigt wurden.[36] China ist das eigentliche Ziel dieser Außenhandelspolitik. Der Kollateralschaden: Diese Zölle und auch der IRA treffen die EU, Japan und Südkorea, was angesichts der neuen geopolitischen Verblockung ein Eigentor bedeutet. Die Reaktion der EU war dann auch mehr als eine Verschnupftheit. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nannte das Vorgehen „superaggressiv“ und verwies auf die „Fragmentierung des Westens“.[37] Ende 2022 reagierte der EU-Handelskommissar Valdis Dombrovski mit der Schlussfolgerung, dass die USA, die bei Batterien und E-Autos der EU Entgegenkommen signalisierte, bei allen anderen Produkten die EU näher an China drängen würde.[38]

Es ließe sich eine ganze Liste von internationalen US-Einzelgängen angefangen vom Irak-Krieg, Afghanistan-Rückzug über U-Boot-Deal – gegen Frankreichs Interessen – mit Australien aufzählen. Die Situation ist aber eine andere geworden: Die Blockbildung von China-Russland, dazu deren befreundetes und ambitioniertes Terror-Regime im Iran, ein wankelmütiges Indien, eine EU ohne Durchschlagskraft und eine USA, die eine scheinbar zementierte Hegemonie eingebüßt hat.

Diese Melange ruft nach einer westlichen Einheit und nicht nach Handelskrieg im westlichen Lager. Biden hat bislang lediglich eine Nachbesserung in Aussicht gestellt, um die Verbündeten zu besänftigen. Eine effektive Umsetzung blieb bislang aus. Die EU könnte nun ihrerseits protektionistisch vorgehen und damit Japan und Südkorea verprellen; sie könnte aber auch ein Freihandelsabkommen mit eben diesen und anderen Staaten auf ähnlicher Wertebasis in Angriff nehmen. Am Ende wären die USA und der restliche Westen in einem Handelskrieg und die WTO wäre das, was sie jetzt schon ist: wirkungslos. China und Russland wären dem Ziel der Spaltung des Westens ein Stück näher gekommen.

Die Biden-Administration kann den IRA nicht beschönigen und so tun, als wäre dies eine Folge rascher Gesetzschreibung mit „Macken“, wie Biden es ausdrückt.[39] Die Verantwortlichen werden es sich gut überlegt haben und auch ausnutzen, dass die EU ohne die USA im Konflikt mit Russland extrem geschwächt wäre. Die EU kann zurzeit nur beklagen, was der „große Freund“ auf der anderen Atlantikseite eigenmächtig ausheckt. Tesla wird in der EU auch dann gefördert, wenn die Produktion in den USA stattfindet; und die EU bleibt auf dem amerikanischen Markt außen vor, sobald die betroffenen Produkte nicht in den USA gefertigt werden und/oder Bestandteile wie Seltene Erden oder Komponenten aus China verbaut sind.

China wird angezogen und abgestoßen

Der Aufschrei besonders in Deutschland war nicht zu überhören, denn Wertschöpfungsketten ohne Inputs aus China sind momentan kaum denkbar. Die Biden-Administration möchte genau das: Die komplette Wertschöpfungskette von Rohstoffen, deren Aufbereitung, Fertigung von Komponenten bis hin zum fertigen Erzeugnis und dessen Recycling soll in den USA abgedeckt werden.[40] Das gelang bereits vor der Globalisierung der 1990er Jahre, als die USA sogar Weltmarktführer auch bei Seltenen Erden waren[41]. Die USA sind mit Ressourcen gesegnet und viel autonomer als Deutschland, das nur im Rahmen der EU – bei allen Zwistigkeiten – auf ähnliche Vorkommen zugreifen könnte. Die USA haben strategische Boden-Ressourcen, militärische Macht incl. nuklearer Waffensysteme und den US-Dollar als hegemoniale Leitwährung. Allein die teilweise de-industrialisierte Volkswirtschaft und die Spaltung der Gesellschaft machen ihnen zu schaffen. Mit dem IRA und dem Chip-Act wird die US-Zeitenwende eingeläutet. Und die US-Re-Industrialisierung zieht damit Industrien in China und auch bei den „Verbündeten“ ab. Selbst unter den US-Bundesstaaten werden Finanzmittel locker gemacht, um z.B. Intel ins „geschundene“ Ohio zu bewegen. Es läuft nur noch mit Lockangeboten aus Steuergeldern.

Das alte Globalisierungs-Geschäftsmodell, von dem die USA am meisten profitierten, hat seine Grundlage verloren.

Die WTO dient den USA nicht mehr, sondern den Wettbewerbern aus Asien und Europa

Die WTO war solange gut wie US-Unternehmen die Welt eroberten, günstig importierten und mit Direktinvestitionen günstige Löhne und niedrigschwellige Umwelt- und Arbeitsbedingungen nutzen konnten. Diese enorme Sogwirkung auf US-Kapital führte indes zu einer Vernachlässigung der nationalen Industrien. Das Problem ist nicht neu und es ploppte spätestens dann auf, wenn US-Wahlen anstanden, denn viele Bürger/Wähler haben inzwischen die klassischen Industriearbeitsplätze verloren und/oder gegen deutlich niedriger entlohnte Tätigkeiten wie in Amazon-Logistik-Zentren eintauschen müssen. Bestenfalls sank der Lebensstandard, schlimmstenfalls konnte der Kapitaldienst für Hypotheken nicht mehr geleistet werden. Die Betroffenen fragten zurecht nach Schuld und Ursache. „China“ wurde in diesem Kontext oft genannt und zwischen „Demokraten“ und „Republikanern“ besteht Einigkeit, dass China an diesem Zustand schuld sei. Das ging soweit, dass Donald Trump das Covid-19-Virus als „China-Virus“ bezeichnete und eine Hetzkampagne im Land gegen alles „Asiatische“ auslöste, körperliche Attacken und 8 Tötungen inbegriffen.[42] Erinnerungen an Nazi-Deutschland wurden wach.

China wurde von den USA und anderen westlichen Industriestaaten auserkoren, als verlängerte Werkbank zu funktionieren. Aber die chinesische Führung war auch schon vor Xi Jinping clever genug, diese Einbahnstraße zu durchkreuzen und einen technologischen Transfer durch Joint Ventures und Bildungsoffensiven in China herbeizuführen. Darüber hinaus wurde ein reger internationaler universitärer und außer-universitärer Wissenschaftsaustausch mit dem Westen betrieben,[43] was das technische und Management-Know-How enorm verbesserte. Der freie Kapital- und Technologie-Verkehr sorgte im Westen für günstige Produkte und in China für das notwendige Wissen um Produktion und Forschung/Entwicklung. Das Land, dass erst Textilien und Low-Tech fertigte, fertigt inzwischen global Textilien und exportiert High-Tech in Form von Notebooks, Smartphones und 5G-Technologie.

Das setzt aber einen strategisch starken Staat voraus, den China in einer autokratischen Form bietet. Ähnliches konnte in Indonesien oder den Philippinen nicht entstehen, da die politischen Verhältnisse nicht stabil sind/waren und die Staaten keine vorwärts gerichtete Industriepolitik verfolgen. Auch Indien musste zusehen, wie der Nachbarstaat geradezu ökonomisch explodierte. Inzwischen steht Indien in den Startlöchern mit guten Wachstumsraten für eine ähnliche Erfolgsgeschichte. In einem friedlichen Miteinander wäre dieses „freie Konzept“ der WTO eine Win-Win-Konstellation. In einer Welt mehr oder weniger unversöhnlicher Polit-Blöcke verkehrt sich dieser freie Kapital- und Wissensfluss in ein Dilemma schwerwiegender Abhängigkeiten gegenüber „bedenklichen Staaten“. Dazu zählen auch einige Regime im Nahen Osten wie Saudi-Arabien und Katar. Wohl oder übel müssen diese Abhängigkeiten zurückgefahren werden und damit das scheinbare Win-Win-Spiel unterbrochen oder gar beendet wird. Das wird die Inflationen im Westen befeuern, die globale Spaltung vertiefen und die Wachstumsphantasien der VR China entzaubern. Im folgenden Abschnitt wird der „stille“ Übergang in die partielle Entmachtung der USA beschrieben.

Die Auslandsinvestitionen (Foreign Direct Investments) der USA nahmen deutlich zu

Die Auslandsaktivitäten der vier größten Volkswirtschaften sind in der folgenden Grafik erkennbar. Die USA unterscheiden sich von den anderen drei Staaten signifikant. Zum einen nahm seit Ende der 1980er Jahre das Ausmaß der FDI relativ stärker zu. Zum anderen sorgten in den Jahren 2005 und 2018 Steuererleichterungen für repatriierte[44] Gewinne der USA, allerdings ohne einen echten Effekt auf die inländische US-Wirtschaft. Die Steuer-Geschenke verhalfen nicht zur Re-Industrialisierung.

Beim zweiten Versuch im Jahr 2018 wollte Donald Trump diese Offshore-Gelder erneut in die USA zurückführen. Stattdessen profitierten die Unternehmen doppelt von der Steuerreform: Die Gelder wurden in den USA legal „gewaschen“ und lagen nicht mehr nutzlos auf den Offshore-Konten der Steueroasen wie den Bermudainseln, der Schweiz und den Niederlanden. Der Vorgang galt offiziell als Reinvestition und blieb steuerfrei, wenn in den USA investiert würde. Gesellschaftsrechtlich wurden dafür Holding-Strukturen in den USA genutzt[45] und die neue inländische Liquidität wurde als Portfolioinvestitionen (Wertpapiere) profitabel auf internationale Handelsplätze gelenkt. Es ging von der rechten Tasche in die linke ohne Effekte auf die Realwirtschaft.[46] Die Belebung der US-Wirtschaft über diese Steuerumgehungen und Senkung der allgemeinen Körperschaftssteuersätze von 35 auf 21 % erwies sich somit als Flop. Als Resultat blieb eine höhere Staatsverschuldung.[47]Auf Grundlage neoliberaler Strukturen lassen sich Kapitalströme nicht lenken. Es hätte eines staatlichen Zugriffs auf die Offshore-Gewinne bedurft, was aber mit der „Freiheit“ von Märkten und Privateigentum unvereinbar scheint. Neben einigen Zollerhebungen gegen chinesische Waren und Drohungen gegenüber der EU war die Steuerreform der Trump-Administration ein Teil des neuen US-amerikanischen Protektionismus: Das Interesse am „Freien Handel“ wurde zusehends kleiner. Besonders China als aufstrebende Wirtschaftsmacht wurde in diesem Kontext adressiert.

Die USA selbst bedienten sich inländisch an den günstigen Produkten aus Südostasien und wurden als Markt für ausländische Investoren zusehends uninteressanter. Das ist insofern beachtenswert, weil der Verlust an attraktiven Arbeitsplätzen durch den Exodus US-amerikanischer Unternehmen nach China, Mexiko etc. nicht durch Anwerben ausländischer Firmen ausgeglichen werden konnte. Ausnahmen wie das größte BMW-Werk in Spartenburg belegen, dass bestimmte Produkte eben doch von traditionellen Industrienationen wie Deutschland, Japan und Südkorea in den USA gefertigt werden konnten; aber eben nicht hinreichend, um die Globalisierungslücke zu schließen. Die Grafik zu den FDI-Inflows als Greenfield-Investitionen zeigt die Entwicklung.

Die USA sind als Absatzmarkt interessant und bei hohen Logistikkosten wie das Verschiffen von KFZ’ s und den (angedrohten) Zöllen seit 2018 lohnt auch eine Fertigung auf dem Kontinent. Darüber hinaus ist die Attraktivität für ausländische Investitionen als gering einzuschätzen, denn die „Greenfield-Investments“ sind innerhalb von 7 Jahren bis 2021 um über 75 % gefallen, ausgehend von den 1990er Jahren gar um 90 %.[49] Daran konnte auch die Steuersenkung aus dem Jahr 2017 von 35 auf 21 Prozent nicht viel ändern.[50] Die US-Regierung hat die Steuer inzwischen wieder angehoben in der Erkenntnis, dass lediglich die Staatsschulden zugunsten reicher US-Amerikaner gestiegen sind. Herausstechen kann nur der hohe Wert an Übernahmen und Beteiligungen. Es lässt sich feststellen, dass die bloßen Statistiken zu den FDI wertlos sind, wenn die Typen des Kapitalflusses nicht identifizierbar sind.

Die USA profitieren von ausländischen Investoren, schaffen es aber nicht, das „Twin-Deficit“ von Auslands- und Staatsschulden abzubauen. Also müssen noch mehr Anreize für emigriertes Kapital und ausländische Unternehmen geschaffen werden: Protektionismus, Subventionen und Steuererleichterungen.

Der Weg aus dem Dilemma der Export-Schwäche in der Globalisierung

Die USA müssen Exportüberschüsse erzielen, was nur mit einer starken Waren- und Dienstleitungsindustrie im Inland möglich ist. IRA und Chip-Act könnten dabei helfen, das aktuelle Leistungsbilanz-Defizit im Jahr 2022 von minus 3,8 % vom US-BIP[51]zu senken. Jeder BMW aus dem Werk in Spartenburg würde bei Grenzüberschreitung dabei helfen. Auch deshalb werden ausländische Unternehmen in die USA gelockt. Die schwedische Akku-Fabrik Northvolt prüft gerade, ob die höheren Subventionen in den USA den Vorzug gegenüber dem geplanten Standort in Schleswig-Holstein begründen könnten. Es werden auch die Energiepreise als Grund angegeben, was ein struktureller Vorteil der USA auch auf lange Sicht sein wird[52]. Allerdings spricht der chronisch überbewertete US-Dollar gegen einen Exportvorteil. Für die Fertigung in den USA macht es Sinn, für die Lieferung von Akkus zu VW, die 20%-Anteile besitzen, wäre es kein Vorteil. Die schroffe Standortkonkurrenz mit Wettlauf um Subventionen und Steuererleichterungen kennt keine „Verbündeten“. Es geht um Wettbewerbsvorteile aus Sicht der Unternehmen, denen die Staaten folgen.

Für China läuft es seit fast 20 Jahren in die gewünschte Richtung einer unabhängigen Volkswirtschaft bei weniger Engagement durch das Ausland. Für China ist es auch ein Symptom für den Ausbau der nationalen Industrie bei nationalem Konsum. Das Interesse an ausländischem Kapital wurde in dem Maß geringer, wie sich die eigene Wirtschaft entwickelte und das Know-How des Westens adaptiert wurde.

Die spezielle Rivalität zwischen den USA und China wird durch die nächste Grafik deutlich.

Die für beide Nationen fruchtbare Zusammenarbeit endet erkennbar mit den Jahren ab 2010 im Ausfluss der Finanzkrise 2007-2009. Das BIP Chinas nach Kaufkraft-Relation, also um den Währungseffekt des unterbewerteten Yuan und überwerteten US-Dollar bereinigt, liegt seit 2014 über dem der USA. Das stellt eine Kränkung dar. Das Verhältnis drehte sich und immer mehr chinesische Bürger und der chinesische Staat legten die nicht konsumierten Einnahmen/Entgelte in den sicheren US-Dollar-Hafen in den USA an.

Die US-Unternehmen begannen in den 1990er Jahren mit dem Aufbau von neuen Fabriken auf den „grünen Wiesen“. Die USA haben in der Zeitspanne bis zum Jahr 2020 67 Prozent Greenfield- und 33 Prozent M&A-Investitionen durchgeführt. Anders China: 8 Prozent der FDI waren Greenfield-Investitionen, demnach entfielen 92 Prozent auf Merger & Acquisitions, also Übernahmen, Beteiligungen und Wertpapiere (FPI). Das gefiel den US-Regierungen, egal ob „demokratisch“ oder „republikanisch“ geführt, überhaupt nicht. Besonders die neue Konkurrenz im IT-Bereich mit Übernahme-Ambitionen US-amerikanischer Unternehmen stieß auf Widerstand, so dass außer den Trump’schen Zöllen auch die bekannten Behinderungen von Huawei und TikTok dazu kamen. Die vorläufig endgültige Zwietracht sind der oben beschriebene IRA, der Chip-Act und die Export-Beschränkungen gegenüber China.

Detroit versus Shenzhen

Noch einmal zurück zum Globalisierungsbeginn. Die De-Industrialisierung der USA, die sich im Rust-Belt manifestiert, setzt voraus, dass die Produkte der Region woanders hergestellt werden. Das ist/war zu einem großen Teil China (vor allem Stahl), aber auch Deutschland und Japan haben Marktanteile der US-Automobilindustrie übernommen; und zwar auch durch Greenfield-Direktinvestition in den USA. Zur selben Zeit werden in Mexiko und China US-amerikanische Automobilfabriken hochgezogen. Der Buick Envision von GM und Focus von Ford sind einige dieser Best-Seller, die fortan in China gefertigt und die USA exportiert wurden.[53]Das Ford-Modell Focus wurde aufgrund der 25 % US-Zölle später nicht mehr in den USA verkauft. Aber dem Rust-Belt konnte nicht mehr geholfen werden.

Die diversen ausländischen Produzenten suchten sich nicht das einst von Ford mit dem T-Modell gewachsene Detroit für neue Fabriken aus. Detroit war heruntergekommen und „depressiv“. Die ehemalige Automobil-Metropole Detroit (Motown) mit den höchsten Pro-Kopf-Einkommen der 1960er Jahre hat von 1,8 Mio. Einwohnern 2/3 verloren hatte und im Tiefpunkt 1/3 der Stadtfläche (ca. 4.000 Gebäude) unbewohnt zurückgelassen. Es war die Folge eines Massensterbens industrieller Arbeitsplätze und eines regelrechten Exodus der weißen Mittelschicht in die Vororte. Verlust an Wohlstand und erodierende Bildungsmöglichkeiten begleiteten diesen Prozess. Gleichzeitig wuchs die Finanzindustrie der Wallstreet auf allen erdenklichen Ebenen. [54]

Während die USA und andere Nationen fleißig in China investierten, konnte China aufgrund des geschickten Technologie-Transfers einige Metropolen wie Shanghai und Shenzhen nach modernsten und ökologischen Richtlinien der KP Chinas entwickeln. Im Schatten der US-amerikanischen De-Industrialisierung entstand in Shenzhen die modernste Smart-City der Welt.[55]

Das Problem liegt in der zerstörten Arbeitskultur

Schon unter Donald Trump wurde von der Re-Industrialisierung geträumt und auch die aktuelle US-Regierung unter Joe Biden geht davon aus, dass die diversen Pushs und Protektionen ausreichen werden, um die USA in eine neue industrielle Macht zu transformieren. Das wird mehrere Generationen in Anspruch nehmen, denn die ehemals im Rust-Belt beschäftigen Bürger sind für diese Phase nicht mehr einsetzbar.

Die taiwanesischen Elektronikriesen TSMC und Foxconn sowie die südkoreanischen Konzerne SK Hynix und Samsung sind den steuerfinanzierten Produktionsanreizen gefolgt, um in Texas, im Mittleren Westen und im Südwesten Fuß zu fassen. Sie folgtem dem „sanften“ Druck Washingtons. Aber es wird nicht der gewünschte Umkehreffekt sein. Wo sollen plötzlich die Menschen herkommen, denen die qualifizierten Arbeitsplätze genommen wurden. Wenn sie nicht im Ruhestand sind, werden sie möglicherweise bei den großen Arbeitgebern Amazon oder Walmart beschäftigt sein. In den Regionen des Rust-Belts sind teilweise Gefängnisse und Krankenhäuser die größten Arbeitgeber.[56] Industriearbeit qua Fließband ist ein Blick in die Vergangenheit und konnte in China als Ausweg aus einer nationalen Armut Erfolg haben. Es sind aber auch gestrige Tätigkeiten, die von Roboter-Technologie ersetzt oder zumindest ergänz werden. Das Wolfsburger VW-Werk hat nicht mehr viel mit der „fordistischen“ Fließbandarbeit zu tun. Ganz anders stellt sich das deutsche Rust-Belt oder besser gesagt Coal-Belt (Kohle/Stahl) in NRW dar. Duisburg und Gelsenkirchen ähneln mehr Detroit als Shenzhen. Ähnlich sieht es auch in Bremerhaven aus, wo der Schiffbau seine besten Zeiten lange hinter sich hat. Die Stadt halbierte sich in der Einwohnerzahl, die Jungen gingen und das Stadtbild war so düster, dass die Stadt einige inzwischen unbewohnte Hochhäuser wegsprengte. Diese Orte leiden mit diesen Strukturen unter schwindender Konkurrenzfähigkeit, die sich statistisch gar nicht genau messen lässt. Das braucht schon profunde Sozialwissenschaft. Nicht ohne Grund entstehen neue Chip-Fabs[57] und ähnliche Produktionen in Dresden, einer Stadt im Aufstreben und gut entwickelter Kultur und Universität. TSMC und Intel prüfen ebenfalls, ob Silicon Saxony (Dresden) als EU-Standort favorisiert wird.[58]

Gerade der Automobilbau jenseits von Tesla zeigt auch den Verlust der Wettbewerbsfähigkeit, wenn Branchen aus dem Fokus von Forschung und Entwicklung geraten. Diese Nachteile mit Zöllen und Subventionen aufzuwiegen ist naiv. Es ist auch naiv zu glauben, dass die gesamte Restwelt mit Zöllen belegt werden kann. Die US-Zölle auf chinesische Solarmodule haben lediglich dazu geführt, dass Vietnam und Malaysia diesen Part übernommen haben. Der Marktanteil der beiden Exporteure liegt bei 80 % in den USA. Diese Staaten haben effiziente Wertschöpfungsketten mit motivierten Arbeitskräften entwickelt.[59] Und das braucht seine Zeit. Der Westen ist den anderen Weg der De-Industrialisierung gegangen und hat die Ausbildungsziele ganz anders, nämlich auf Dienstleistung, gesetzt.

Und nun heißt es: Vorwärts, wir müssen zurück. Und den Freihandel gibt es nur noch selektiv.

(erschienen in www.feininger.eu) [1] Inflation Reduction Act of 2022; eine For


[1] Inflation Reduction Act of 2022; eine Fortsetzung des Build Back Better Act aus dem Jahr 2021 gegen die Auswirkungen der Covid-19.Pandemie, des Klimawandels und Benachteiligung von finanzschwachen Familien.

[2] GAFAM= Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft.

[3]Tooze 2022; o.S

[4] Foroohar 2022; o.S.

[5] Brinkmann 2022; o.S.

[6] Olk 2022; o.S.:

[7] Stahl-online 2020; o.S.

[8] Die Rheinische Post nennt es gar „Freundlichen Protektionismus“; Höning 2022; o.S.

[9] Barbanell 2022; o.S.

[10] Europäische Kommission 2019; o.S.

[11] Worldpopulationreview 2022; o.S.

[12] EIA 2022; o.S.

[13] Wettengel; o.S.

[14] Bade 2021; o.S.

[15] Kost et al 2021; S.2-5

[16] MINT steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik

[17] Bork 2022; o.S.

[18] SIA 2022a; S.22

[19] Hafke 2022; o.S.

[20] The White House 2022; o.S.

[21] Bork 2022; ebenda

[22] Wong-Leung 2022; o.S.

[23] Rißka 2022; o.S.

[24] Die Technologie ist nur in der niederländischen ASML vorhanden. Taiwans TSMC wird beliefert, China nicht.

[25] Sander 2022; o.S.

[26] Sharwood 2022; o.S.

[27] SIA 2022b; S.3

[28] Dooley/ Ueno 2022; o.S.

[29] Dooley/ Ueno 2022; ebenda

[30]Ertl 2022; o.S.

[31] Hänßler 2020; o.S.

[32] Hesse/Sauga/Rosenbach 2022; o.S.

[33] Die G7 bestehend aus Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, Kanada, die USA und UK dominieren  u.a. die Weltorganisationen IWF, Weltbank und NATO.

[34] Musch-Borowska 2021; o.S.; Es sind Grenzstreitigkeiten im Ladakh-Gebirge und im Indischen Ozean.  

[35] Glania/Matthes; S.84ff; es ist das Meistbegünstigungsprinzip, das einen Ausschluss von Vorteilen für bestimmte Nationen ausschließt. Allerdings lässt die WTO bestimmte Freihandelsabkommen zu, die zumeist als regionale Vereinbarungen dem Konzept eines allgemeinen freien Handels entgegenstehen. Die WTO ist blockiert.

[36] Lange 2022; o.S.

[37] Sauga 2022; o.S.

[38] Flaming/Bounds 2022; o.S.

[39] Roth 2022; S.2.

[40] Becker et al 2022; o.S.

[41] Bartolini 2020; o.S.

[42] Findling et al 2021; o.S.

[43] Handelszeitung 2017; o.S.

[44] Ins Staatsgebiet zurückgeführt

[45] Hentze/Jung 2018; S.2

[46] War es vorher eine FDI (Foreign Direct Investment) in Form von Liquidität der ausländischen Tochter, so wurde es in Gestalt von Wertpapieren zu ausländischen Portfolio-Investitionen (FPI), die laut UNCTAD eine Beteiligung von 10 % an Unternehmen nicht übersteigen. FDI steht für Kontrolle von Unternehmen, FPI für eine Beteiligung ohne Einfluss auf das Unternehmen.

[47] Zöttl 2019; o.S.

[48] BEA 2022; o.S.

[49] Clay 2022; o.S.

[50] Jörg 2022; o.S.

[51] Statista 2022; o.S.

[52] Riering 2022; o.S.

[53] Steve 2022; o.S.

[54] Peick 2017; o.S.

[55] Hirn 2020; S.13 ff

[56] Kim 2022; o.S.

[57] Bosch und Infineon haben schon Fabs in Dresden errichtet

[58] Silocon Saxony 2023; o.S.

[59] Gang 2021; o.S.

Quellen-Verzeichnis