Der Kampf um die Mitte ist neu eröffnet.

11. Januar 2022 1 Von Uli Gierse

Bei der Europawahl 2019 wurden die Grünen zweitstärkste Kraft (20,5%) hinter der Union ( 29,9%), die CDU verlor 7,5%, die SPD erzielte ihr schlechtestes Ergebnis mit 15,8%.

Die Ausgangslage zur Bundestagswahl 2021 war für Die Grünen also sehr gut, im April 2021 wurden sogar 28% für Grün in den Umfragen prognostiziert.  Die Klimakrise rückte zudem im Juli mit der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal wieder ins Bewusstsein.

Noch Ende Juli 2021 hatte daher außer Olaf Scholz und seinen engsten Freunden niemand an einen SPD-Kanzler geglaubt. Die SPD hing bei ca. 15-16% fest, die Union stand bei ca. 28-30 %. Die Grünen bei ungefähr 19-21%, trotz dem schlechten Start von Annalena Baerbock.  Also das Ergebnis der Europawahl schien sich mindestens zu wiederholen.

Die Grünen wollten die jungen Friday for Future – Wählerinnen, die Merkelanhängerinnen aus der CDU, umweltorientierte SPD-  und realpolitische Linkswählerinnen  gewinnen. Die Grünen sollten so zumindest fast gleichauf mit der Union die zweite bürgerliche Kraft werden, um dann eine schwarz-grüne Koalition abzuschließen.

Entscheidend für den Wahlsieg von Scholz/SPD war dann jedoch das Verhalten von ehemaligen Unionswählerinnen. Die sind in Scharen am Ende des Wahlkampfs zur SPD übergelaufen, 1,5 Millionen Stimmen. Aber auch 640.000 Wählerinnen der Linken, 260.000 kamen von der AfD und von der FDP 180.000 Stimmen. Die stärksten Zuwächse erzielte die SPD in Ostdeutschland, bei den Älteren und hier besonders bei den Frauen.

Eine Ursache war der desolate Zustand der Union, ein sich lächerlich machender Kanzlerkandidat wurde durch ständige Sticheleien aus München zusätzlich demontiert. Vor allem aber hatte die Union kein ernstzunehmendes Programm, das hatte sie zwar noch nie, nun aber gab es keinen Kanzlerbonus. Das wurde den schwankenden Merkelwählerinnen zunehmend klar und diese entschieden sich für die Wahl des Status Quo und der hieß Olaf Scholz und nicht Armin Laschet.

Die Grünen kamen im September 2021 als Alternative auch nicht in Frage, da die Peinlichkeiten um das Baerbock-Buch und ihre geschönte Biografie sie für bürgerliche Wählerinnen unwählbar machten. Zum anderen hatte der Fehlstart von Annalena Baerbock aber auch eine Änderung der Wahlkampfstrategie zur Folge, die Grünen konzentrierten sich auf die Stabilisierung des eigenen Lagers und wechselten auf den Modus Klimawahlkampf. So kamen immerhin dann noch 14,8 % raus. Es war aber eine dicke Niederlage, weil die Möglichkeit über 20% zu kommen durch eine falsche Spitzenkandidatin nicht realisiert werden konnte. Annalena Baerbock hat dann zwar noch bewundernswert gekämpft, aber sie konnte ihre Fähigkeit, locker und frech zu agieren, nicht  aktivieren.

Der Sieger hieß dann Olaf Scholz, der gewann, weil die Konkurrenz zu schwach war. Das heißt aber nicht, dass die SPD diese Zugewinne nun schon in der Tasche hätte. Selbst ein Friedrich Merz wird einem Scheinriesen wie Olaf Scholz das Leben noch schwer machen können. Zumal wenn er schlau ist und die soziale Karte neu entdeckt. Gekoppelt mit dem Eindruck, dass es mit der Führungsstärke von Scholz nicht weit her ist, könnte das das Rennen um die bürgerliche Mitte neu eröffnen. Denn auch Christian Lindner ist zwar wie ein Tiger gesprungen, wird aber als Bettvorleger enden, wenn die Lage finanziell kritisch wird und Haushaltstricks nicht weiter helfen. Und dann ist ja auch der moderne Don Quichotte, Robert Habeck,  wieder auf dem Spielfeld; er wird die anderen und vor allem auch in Landesregierungen mit Windkrafträdern vor sich her treiben oder untergehen. Erstes Casting für neue Mehrheiten in der Breite der Gesellschaft, in Deutschland auch Mitte genannt, in den Landtagswahlen ab März.