Die Durststrecke der Rezession ist schon da und währt vielleicht 2 Jahre

9. Oktober 2022 0 Von Thomas Ertl

BIP berechnet Wohlstandsverlust (Wachstum) falsch

Der Ökonom Gabriel Felbermayr hat in einem Twitter-Beitrag[1] auf das Problem verzerrter BIP-Berechnungen hingewiesen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Summe aller inländischen Wertschöpfungen nimmt folgerichtig die im Inland gefertigten Exporte in die Rechnung auf, während Importe außen vor bleiben, da nicht inländisch erwirtschaftet. Die Preissteigerungen der inländischen Wertschöpfungen bilden den BIP-Deflator, um das „reale BIP“ zu errechnen. Das offizielle „reale BIP“ bietet in Relation zur Reallohnentwicklung ein Bild, das eine steigende Umverteilung zuungunsten der Löhne suggeriert. Abbildung 1 basiert auf unterschiedlichen Integrationen der Inflation in diese Berechnung, denn nur im Reallohn-Index ist auch die importierte Inflation/Deflation Bestandteil. Bis zur Covid-19-Pandemie sind Real-BIP und Reallohn gekoppelt. Danach kommt es zur Entkopplung, weil die importierte Inflation einen höheren Effekt auslöst als die inländische.


Das reale BIP der offiziellen Statistik taugt nur dann, wenn die Preise für Importe relativ stabil sind. Steigen die Exportpreise zu den Import-Preisen relativ geringer, entsteht ein negativer „Terms-of-Trade“. Das kann auch durch Verlust an Konkurrenzfähigkeit verursacht werden wie bei z. B. bei elektronischen Devices. Aktuell sind z. B. Photovoltaik-Elemente zu nennen. Deutschland zahlt für chinesische Elektronik relativ viel mehr als chinesische Importeure für deutsche Automobile. Der Trend ist seit einigen Jahren sichtbar, was in erster Linie an den Rohstoffpreisen und den hohen Frachtraten im Schiffsverkehr liegt. Neueren Datums ist der negative Terms-of-Trade bei importierten Lebensmitteln und Energie-Ressourcen. Das gründet auf der Knappheit dieser Güter und an monopolistischen Strukturen der Märkte. Die Anbieter setzen den Preis aufgrund unelastischer Nachfrage fest oder verkaufen qua Auktion an den Höchstbietenden. Das kennen wir auch vom deutschen Wohnungsmarkt.

Die importierten Preise finden aber keinen Widerhall in der Berechnung des BIP, das nach Prognosen auch für das Jahr 2022 ein kleines Plus von 1,6 % ausweisen wird.[2]


Abbildung 2 zeigt, dass das BIP real nicht steigen wird, denn bei Einbeziehung der Importe, die bei den Haushalten und Unternehmen landen, ergibt sich schon für 2022 eine höhere Inflation als das nominale BIP-Wachstum. Bereits im 2. Quartal steigen die Preise unter Einbeziehung der Importe mit 1,69 % über das prognostizierte BIP von 1,6 %. Die technische Rezession von 2 defizitären Quartalen ist erfüllt. Die Verbraucherpreise enthalten die importierte Inflation und geben somit den korrekten Wert wieder. Das Jahr 2022 wird ein negatives Wachstum hervorbringen und das Jahr danach wird noch düsterer. Erst die Lösung der Energie-Probleme[3] wird Licht in den Tunnel bringen. Die Prognosen gehen vom Jahr 2024 aus.[4]

Die von Felbermayr angesprochene Implikation dieser Erkenntnis liegt im Umgang mit den veröffentlichten Zahlen. Bei einem wenn auch schwachen Wachstum denkt sich der Normalverbraucher, dass die Krise vielleicht herbeigeredet würde. Ok, der Blick auf die Energie-Rechnungen wird ihn eines Besseren belehren, aber das ließe sich mit einer geschmeidigen Lohnerhöhung und/oder Sonderzahlungen kompensieren. Nur welche Unternehmen können das leisten, wenn die Wirtschaftsleistung im Durchschnitt negativ ist. Es werden wohl wieder nur die größeren Unternehmen mit entsprechenden Tarifverträgen dazu in der Lage sein. Entweder sind sie auch noch jetzt in der Krise rentabel, oder die Substanz ist so gut, dass auch 2 Jahre mit moderaten Defiziten hinnehmbar wären. Es wird folglich wieder die kleinen und mittleren Unternehmen und die tarif-ungebundenen Mitarbeiter treffen. Die Schere wird weiter auseinandergehen und etliche kleinere Unternehmen werden schon die aktuellen Energiepreise nicht stemmen können, wenn der Staat nicht bald mit signifikanten Entlastungen daherkommt.

Mit anderen Worten: Es gibt aktuell nichts zu verteilen, sondern nur allgemeinen Wohlstandsverlust auszutarieren. Das ist noch nicht bei allen angekommen und sollte auch bei den Gewerkschaften, Piloten etc. Gehör finden.  Urban Priol hat das mal damit beschrieben, dass der Deutsche reflexartig bei Wohlstandsgefahr mit „und was ist mit Urlaub“ reagiert. Der könnte mal ausfallen oder in der Anzahl reduziert werden. Da müssen mal alle tapfer sein. Wir sind in einem „Krieg“ mit Russland, auch wenn sich der Begriff nur mühsam über die Lippen quält. Rein völkerrechtlich sind wir zwar keine Kriegspartei, aber unser Staat beliefert die Ukraine mit Waffen und lässt sich nicht mehr mit günstigen Gas-Preisen locken.  Das alles kostet Geld und das generiert unsere Volkswirtschaft nicht zum Null-Tarif. Irgendwer produziert die Waffen und wird dafür Geld verlangen; und Gas, Öl und elektrische Energie werden auch mit harter Währung bezahlt. Diese Aufwendungen minimieren den Wohlstand. Der Staat hat die Aufgabe, den Schwachen zu helfen. Das gilt für Haushalte und Unternehmen.

Wir können froh sein, dass unsere Institutionen wie das Kieler Weltwirtschaftswirtschaftsinstitut auf diese Problematiken aufmerksam machen und Ökonomen wie Felbermayr dazu twittern. Die Süddeutsche Zeitung hat das Thema in der Samstags-Ausgabe vom 8. Oktober 2022 aufgenommen. Es soll Staaten geben, wo solche Recherchen und Analysen nicht an die Öffentlichkeit gelangen.

Ein Nachsatz:

In der BIP-Version der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung sind im Übrigen auch keine Natur-Werte enthalten wie die Leerfischung von Meeren und Dünger-Verseuchung von Landflächen. Selbstverständlich sind auch alle anderen Umweltschäden wie das Fischsterben in der Oder nicht Teil der VGR. Eher ist es so, dass Versiegelungen von Naturflächen als Wertschöpfung der Bauindustrie Eingang finden, ebenso deren Rückbau, sollte es dazu kommen. Das BIP ist nicht mehr als eine kritisch zu hinterfragende Kennziffer der Volkswirtschaft, die ständig Wachstum hervorbringen soll.  Das Wachstum wird besonders von Neoliberalen angebetet. Ob damit Umweltzerstörung einhergeht, interessiert diese Schul-Ökonomik erst, wenn wie in der Ahrweiler-Flut die Kosten sichtbar werden. Vorher werden Flächen versiegelt und Flüsse begradigt, so dass die Wassermassen barrierefrei urbane Ziele treffen können. Der ungebremste CO2-Ausstoß durch Verbrennen fossiler Energien hat die Voraussetzung für das Verharren der Wetterverhältnisse – hier Tiefgebiete – herbeigeführt. Auch das wird von den Neoliberalen seit Jahrzehnten geleugnet bzw. ignoriert. Die statistische Daten-Aufbereitung benötigt neue Ansätze, ausgerichtet nach menschlichen Bedürfnissen und weniger nach technisch machbaren Überschüssen. Das wäre mal eine hehre Aufgabe für ein Wirtschaftsministerium. Dann könnte ich auch die murksige Gaspreis-Umlage verzeihen.


[1] https://twitter.com/GFelbermayr/status/1540249139988013056. (08.10.2022)

[2]https://www.ifo.de/prognosen/ifo-konjunkturprognose. (08.10.20229)

[3] Bis dahin muss die Infrastruktur für LNG-Gas aufgebaut und der Ausbau der erneuerbaren Energie wird erst dann wirksam werden

[4] https://www.sueddeutsche.de/panorama/bundesnetzagentur-gaspreisdeckel-bis-sommer-2024-noetig-1.5667488. (08.10.2022)