Die schlechte Nachricht: Kein Staatsbankrott Russlands in Sicht

20. April 2022 2 Von Thomas Ertl

Sanktionen sind wirksam, wenn auch nicht hinreichend

EU-Chefin von der Leyen verteidigte die wohl-dosierten Sanktionen gegen Russland gegenüber der „Bild“ mit der Annahme, dass Russlands Staatsbankrott nur eine Frage der Zeit sei. „Bankrott“ klingt nach Kapitulation, die man sich sehnlichst wünscht, damit der Krieg ein Ende findet. Auch die Feststellung, dass der russische Import um 70 % eingebrochen ist, Flugzeuge aufgrund fehlender Ersatzteile und Software-Updates den Boden nicht mehr verlassen und das BIP um ca. 10 % fallen wird, nährt in diesem Zusammengang lediglich falsche Hoffnungen.[1]

Die westlichen Sanktionen würden Zahlungsausfälle bei russischen Schulden provozieren, weil russische Guthaben bei Zentralbanken eingefroren sind. Das als Bankrott hinzustellen ist Wunschdenken. Russland hat zuletzt in Rubel zurückgezahlt, obgleich USD vereinbart waren. Die Korrespondenzbank, die den Zugang zu den anderen Notenbanken hält, hat den Umtausch gegen USD auf Geheiß der US-Notenbank (FED) abgelehnt. So what. Die Ratingagenturen werden nach der üblichen Gnadenfrist von 30 Tagen Russland noch weiter „ab-raten“, was Putin nicht nur nicht um den Schlaf bringt, sondern so auch geplant hat, denn selbst unter den Sanktions-Voraussetzungen wären noch ausreichend USD in der russischen Schatulle. Putin wollte nicht. Was ist „unrechtmäßiger“: Vermögen einfrieren oder in Rubel anstatt in USD zu zahlen? Da sich Putin nicht um das Völkerrecht schert, wirkt die Rüge nach Verweigerung der Zahlung in USD ohnmächtig.

Mit Kaufmanns-Moral wird das russische Treiben nicht adäquat eingeordnet. Die meisten Wirtschaft-Journalisten sind sich einig, dass es sich, wenn überhaupt, um eine „technische Insolvenz“ handelt. Es wird kein Insolvenzverwalter kommen und Russland abwickeln. Auch wird kein IWF und/oder eine Weltbank eingreifen müssen. Russland ist nicht Argentinien[2]: Die Auslandsschulden sind niedriger als die Währungsreserven und Russland darf sogar die „eingefrorenen“ Devisen für Gläubiger nutzen. Eine Volkswirtschaft mit eigener Notenbank bei Leistungsbilanzüberschüssen und geringen Auslandschulden ist kein Fall für die internationale Finanz-Feuerwehr. Die Feuerwehr wäre in diesem Fall auch der Brandstifter.  

Auch besteht Einigkeit, dass Russland über genügend Landwirtschaft verfügt, um das eigene Volk zu versorgen; und die Militär-Industrie ist auf Importe (noch) nicht angewiesen. Russland verfügt über große eigene Ressourcen[3] und ist seit der Krim-Annexion im Umgang mit westlichen Sanktionen geübt.

Die technologische Achillesverse

Es ist lediglich die Frage unbeantwortet, ob Russlands Volkswirtschaft und besonders das Militär von westlichen Technologie-Produkten (Halbleiter-Chips) abhängig ist. Westliche Chips sind momentan State of Art und die Blockade der westlichen Hersteller-Staaten[4] wird Russland mittelfristig treffen. China könnte mit geringerer Qualität helfen, steht aber auch unter den beobachtenden Argusaugen der USA. Chinesische Unternehmen wie Lenovo und Xiaomi halten sich daher aktuell bedeckt.[5]

Allerdings ist es kaum möglich, weniger moderne Chips aus dem unkontrollierten Handel herauszufiltern. Die Geschäfte preisgünstiger Standard-Chips laufen über diverse Zwischenhändler unterschiedlichster Nationalitäten. Von knapp 580 Mrd. Chips p. a. entfallen fast 2/3 auf diese „Commodity-Chips“, deren Spuren sich verlaufen. Und diese Chips sind natürlich auch in Drohnen, Lenkraketen, Hubschraubern, Kampfflugzeugen und anderen Geräten zur elektronischen Kriegsführung verbaut. Immer wieder wurden in Trümmern Chip-Bauteile gefunden, die einen westlichen Markennamen trugen und über Zwischenhändler an Russland oder andere Aggressoren geliefert wurden. Es ist ähnlich dem Drogengeschäft: Nutzung von Schwarzmärkten ist üblich. [6]   

Ob der Import durch Drittstaaten grundsätzlich unterbunden werden kann, bleibt auch offen. Und die Währung ist dabei das letzte Problem. Hier geht es um Kontrolle von Sanktionen. Es könnte auch ein Sack voller Flöhe sein: BRICS, arabische und afrikanische Staaten. Die Frage lässt sich noch nicht abschließend beantworten. Russland selbst hat in diversen Doktrinen zur IT-Sicherheit die technologische Unterlegenheit eingeräumt und dennoch einen eher isolationistischen Kurs eingeschlagen, um die Abhängigkeit vom Westen zu verringern. Russland-Expertin Alena Epifanova (Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V.) sieht darin eine Fixierung des technologischen Abstands zum Westen, der sich durch den Aderlass auswandernder IT-Fachkräfte noch verfestigen könnte.[7] Für den aktuellen Krieg wird das leider keine großen Auswirkungen haben.

Der Rubel ist nicht das Problem

Im Binnenland Russlands wird mit Rubel gezahlt und Rubel könnten von der Zentralbank nach Bedarf und Belieben bereitgestellt werden. Die Schäden durch die Sanktionen sind geringer als der moralische Aderlass, denn die Migration vieler angewiderter Russen – über 300.000[8] – in die Nachbarstaaten und nach Europa ist eher eine Reaktion auf den Aggressionskrieg und Demokratie-Abbau und weniger auf das Ausbleiben von Gucci-Handtaschen. 

Der „Brain-Drain“ – vor allem IT-Experten – trifft Russland am neuralgischen Punkt: Die russische Volkswirtschaft stagniert seit vielen Jahren. Ein Umbau in Richtung moderner Industrie und Dienstleistung wie in China oder Indien ist nicht sichtbar. In Russland hat die Industrie weniger Anerkennung als das Rohstoff-Business. Das auch deshalb geringe BIP muss zudem hohe Militärausgaben stemmen. Die Phase hoher Leistungsbilanzüberschüsse wurde zum Horten von Devisenreserven und nicht zum Umbau der Volkswirtschaft genutzt. Putin wollte diesen Krieg mit Devisenreserven absichern, auch wenn aus diesem Alt-Bestand jetzt nur noch Gold und Yuan zur Verfügung stehen.

Aber es hätte mehr sein können. Wie in Abbildung 1 verdeutlicht, stieg Russland im Jahr 2018 massiv aus dem USD aus und in Chinesische Yuan ein. Ca. 45 % der Devisenreserven befinden sich nicht in USD, EUR und Pfund Sterling. Was geschah 2018?

Es war „Schein-Kumpel“ Donald Trump, der Putin vor Augen führte, was mit dem Halten von USD verbunden ist. Jeglicher Devisenbestand in USD ist nichts wert, wenn er nicht konvertierbar ist und wenn man damit keine Waren und Dienstleistungen kaufen kann. Putin spielte in Trumps Sandkiste und Trump demonstrierte einmal zu viel, was das bedeutet: Der russische Aluminiumkonzern Rusal und zwei verbundene Unternehmen wurden 2018 von den USA sanktioniert und erst nach dem Rückzug des Kreml-nahen Oligarchen Oleg Deripaska aus dem Unternehmen wurden die Sanktionen 2019 aufgehoben.[9] Das Vermögen wurde in dieser Zeit „eingefroren“.

Der außerhalb Chinas größte Aluminium-Konzern kam gehörig ins Schlingern und wurde zum Spielball amerikanischer Sanktions-Gelüste. Es war ein Teil eines größeren Pakets, dass auch Putins „milliardenschweren“ Schwiegersohn traf.

Abbildung 1: Daten: Bank of Russia (cbr.ru)

Diese Botschaft, die sich auch noch auf die Krim-Annexion und Russlands Rolle im Syrien-Krieg bezog, kam bei Putin an: Wer sich mit Devisen in das US-Dollar-System begibt, hängt von der Daumen-Richtung der USA-Regierung ab.

Die Umschichtung der Währungsreserven im Jahr 2018 wurde angegangen: Yuan und Gold statt USD. Im Jahr 2021 wurde auch der russische „Staatsfond für Wohlstand“ vom USD befreit, was der Kreml als „Entdollarisierung“ und Reaktion auf geopolitische Änderungen feierte.[10]

Und eines darf nicht unterschlagen werden: Der Rauswurf aus dem internationalen Zahlungsverkehrssystem SWIFT[11] betrifft die wichtigsten Geschäftsbanken Russlands nicht.    Sberbank mit 37 % des russischen Bankensektors und Gazprombank sind ausgenommen, da die für die EU-Länder notwendigen Energielieferungen aus Russland sonst finanztechnisch nicht abgewickelt werden könnten.[12] Die moralische Komponente der Sanktionen knickt hier ein. Und der Rubel konnte sich schnell vom ersten Schock erholen. Die Maßnahmen waren durchaus clever und konterten die Sanktionen zumindest was den Rubel betrifft (Abbildung 2). Der Rubel ist auf Vorkriegs-Niveau.

Die Sanktionen hatten anfänglich Hoffnung geschürt, dass der Krieg ökonomisch gewonnen werden könnte. Der Rubel verlor 50 % seines Wertes gegenüber dem USD, der Börse erging es nicht viel besser und etliche Schlangen bildeten sich vor den Geldautomaten Russlands. Die Zentralbank Bank of Russia setzte daraufhin den Zinssatz von 10,5 auf 20 % herauf, um die Attraktivität des Rubels zu stärken. Mehr Effektivität hatte die Direktive, dass Devisen-Einnahmen zu 80 % in Rubel getauscht werden mussten. Der Zustrom aus EUR und USD hin zum Rubel wertete diesen kräftig auf. Nicht die Zentralbank tätigte diese „Stützungskäufe“, sondern der Markt wurde dazu gezwungen. Ein cleverer Schachzug. Angesichts der chronischen Export-Überschüsse aus Öl und Gas wird der Rubel permanent gestützt und die Notenbank konnte den Zinssatz wieder etwas auf 17 % – entspricht der Inflation – senken, um es der heimischen Wirtschaft zu erleichtern Kredite aufzunehmen. Der Zinssatz soll demnächst deutlicher gesenkt werden. Gleichsam wird die Problematik sinkender Exporte deutlich, denn diese indirekten Stützungskäufe des Rubels werden mit zunehmender Energie-Unabhängigkeit des Westens ausbleiben. Russland muss reagieren.


Abbildung 2: Daten: https://www.xe.com/de/currencycharts/?from=RUB&to=USD

Das hat auch die Notenbankchefin Elvira Nabiullina erkannt. Sie geht davon aus, dass nach dem Finanzmarkt auch die russische Wirtschaft betroffen sein wird. Nicht mehr die Finanz-Sanktionen werden das Problem sein, sondern die Restriktionen für Importe und Logistik des Außenhandels.

Die Importe brachen bislang um 10 % ein, der Seehandel mit der Europäischen Union kam annähernd zum Erliegen. 14 von den 20 größten Containerlinien haben Russland die Zusammenarbeit verweigert und im Nordwesten ging der Verkehr um 90-95 % zurück. Nabiullina mahnt zur Umorientierung auf andere Partner und Fertigung älterer Produktgenerationen, um den Rückgang des BIP zu begrenzen. Die wirtschaftliche Substanz würde zum dritten Quartal nicht mehr ausreichen. Der Druck steigt.[13] Bei einem Fortgang der Ereignisse kommt es zum langsamen Verfall Russlands begleitet von einem langwierigen Abnutzungskrieg in der Ukraine. Einen erratischen Schock wird es wohl nicht geben. Der Westen kann nur an der Beschleunigungsschraube drehen.

Der Westen und auch Russland suchen nach Alternativen

Das Leiden des russischen Energie-Exports ist vorgezeichnet. Zeit für den Westen, um von Putin loszukommen und Zeit für Russland, um sich neue Partner zu suchen. Insofern ist auch zu erklären, warum der EUR im Devisenreserven-Portfolio Russlands nicht reduziert wurde. Im Gegensatz zu den USA hängt Europa noch am Tropf und füllt die Devisen-Kasse kontinuierlich auf. Putin vermutete eine zahnlose EU. Aber den Europäern fehlt aktuell der Hebel, um ein empfindliches Embargo durchsetzen zu können. Der große Finanz-Crash Russlands bleibt folglich aus. Die Rubel-Erholung nach dem Absturz der gegenüber dem USD ist ein Zeichen russischen Selbstbewusstseins respektive geldpolitischer Strategien. 

Es wird bestenfalls ein langwieriges Auszehren, wenn es Russland nicht gelingen sollte, außerhalb des Westens erfolgreich handeln zu können. Und schon sind wir wieder bei den BRICS, der arabischen Welt und den afrikanischen Staaten. Letztere sind in diesem Szenario eher unbedeutend. Der russische Außenminister hat unlängst bei seinen wichtigsten potenziellen Partnern einen Besuch abgestattet. Von den BRICS-Staaten sind Brasilien und Südafrika selbst Ressourcen-Lieferanten. Brasilien bietet sich aktuell dem Weltmarkt mit einer Steigerung von 10 % mehr Öl-Förderung an und Südafrika ist Gas-Lieferant. Dabei kann Russland nur als Abwickler über die Gazprombank einsteigen. Wenn Südafrika die Entscheidung zugunsten eines russischen Unternehmens fällt, wird der Zugang zu westlicher Hilfe deutlich schwieriger. Die Entscheidung steht noch aus.

Chinas Hilfe für Russland wäre ein Hindernis der „Neuen Seidenstraße“

Ganze andere Dimensionen nehmen China und Indien ein. Mit zusammen 2,8 Mrd. Einwohnern und überdurchschnittlich wachsenden Volkswirtschaften haben die beiden Giganten das, was Russland nicht hat. Die Märkte sind interessant für westliche Investitions- und Konsumgüter und die Lohnstückkosten sind geeignet, die unselige Globalisierung zulasten inländischer Branchen fortzusetzen. Bezüglich China hat der Westen dort ein Produktiv-Kapital aufgebaut, dass die Handelsrichtung bereits deutlich aus China heraus bestimmt. Schätzungsweise 60 bis 70 % der chinesischen Exporte werden durch ausländische Unternehmen, die den Lohnstückkostenvorteil seit drei Jahrzehnten suchten, abgedeckt.[14] Allein die Europäische Handelskammer vertritt in China über 1700 Unternehmen vom Mittelständler bis  zu großen Konzernen wie BP, Siemens, Bayer, Bosch, Henkel, Daimler und Volkswagen. Und all deren Waren müssen außer Landes gebracht werden, dorthin, wo entsprechende zahlungsfähige Nachfrage Gütermärkte räumen können. Aus diesem Grund besteht inzwischen auch eine Abhängigkeit Chinas, dass sich mit der neuen Seidenstraße (The Belt and Road Initiative) die entsprechende logistische Infrastruktur für diesen exzessiven Export sichern möchte. Sollte China die strategische Partnerschaft mit Russland tatsächlich so unbegrenzt umsetzen wie angekündigt[15], wird das Projekt „One Belt, one Road“ ohne den Westen stattfinden. Nur wohin dann mit den Gütern? Zaudern und Schweigen in Peking belegen das chinesische Dilemma. 

„Ein neuer Eiserner Vorhang würde Russland und seine Satellitenstaaten – darunter auch Weißrussland, das sich bei Russlands Angriff auf die Ukraine der Mittäterschaft schuldig gemacht hat – von der EU trennen. Die Neue Seidenstraße als eurasische Logistikbrücke zwischen China und Westeuropa wäre damit erledigt.“  (Martin Klein in „Krieg in der Ukraine: Das Ende der Neuen Seidenstraße?“)[16]

Martin Klein verweist hier auf den physischen Zugang über die eurasischen Landmassen. Darüber hinaus besteht eine potenzielle Sanktionierung durch den Westen, sollte sich China parteilich pro Russland verhalten. Ein Import-Boykott wäre durchaus denkbar, ebenso eine Abschottung gegenüber „One-Belt, one Road“.

Ähnlich sieht es mit Indien aus, dass sich durch Waffenkäufe Russlands unbeliebt macht und nicht Stellung beziehen möchte. Der Öl-Import aus Russland wurde seit dem Krieg nochmals erhöht. Der russische Außenminister Lawrow war gerade in China und Indien, um für die eurasische Partnerschaft zu werben. Man könnte meinen, dass die 3 BRICS-Staaten gut miteinander harmonieren: Ein Staat hat unendliche Boden-Ressourcen, 2 Staaten haben viel Human-Kapital, IT-Expertise und wachsende Märkte. Sie sind fast komplementär, aber gottseidank auch zerstritten. Indien hat Probleme mit China. Und beide Staaten leiden an überambitionierten Macht-Visionen.

Indien zwischen Baum und Borke

Indien ist dem neu geschlossenen und breit aufgestellten Asien-Freihandelsabkommen RCEP[17] nicht beigetreten, dass ab 2022 in Kraft getreten ist. Indien wird auch deshalb seit Wochen diplomatisch umgarnt, weil es tatsächlich keine festen Bündnisse sucht. Das Problem liegt in der Rivalität zu China, mit dem Indien eine 3500 Km lange gemeinsamen Grenze bestreitet. Der Verlauf der Grenze wird unterschiedlich betrachtet, so dass noch vor 2 Jahren zig Menschen in einer gewalttätigen Auseinandersetzung im Himalaja-Gebirge sterben mussten. Beide Staaten haben aber nicht nur diese Grenzstreitigkeiten.

Weit vom Himalaja-Gebirge entfernt lässt China im Indischen Ozean Kriegsschiffe patrouillieren, um für China wichtige Handelsrouten abzusichern. China hat zu diesem Zweck Häfen entlang der Küsten von Myanmar, Sri Lanka und Pakistan Häfen installiert, was in Indien für Verdruss gesorgt hat. Die USA unterstützen Indiens Widerstand gegen China, das den USA besonders im Südchinesischen Meer ein Dorn im Auge ist. Im Interesse gegen China, dem eigentlichen BRICS-Partner, ist Indien eine Allianz mit den USA, Japan und Australien eingegangen: Das Vierer-Bündnis Quad.[18]

Am Ende wird es auf China und/oder Indien ankommen, ob die Autokratien vornehmlich unter sich bleiben oder es weiter einen Austausch, wenn auch auf niedrigerem Level, zwischen Ost und West geben wird. Russland wird bis zur Umkehr und Zahlung von Reparationen aus den Sandkisten des Westens ausgesperrt bleiben und allenfalls den devoten Juniorpartner Chinas spielen dürfen. China und Indien haben noch eine freie Wahl, die für Putins Russland außer Reichweite ist.

Und auch die USA suchen nach Optionen, um den Energie-Markt zu entspannen. Der Iran und auch Venezuela wurden kontaktiert und verhalten sich kooperativ. Und beide Staaten unterhalten gute diplomatische Beziehungen zum Kreml. Aber gute Beziehungen zu den USA sind viel wert. Das werden auch Putin und Lawrow eingestehen müssen. Die USA haben mehr zu bieten als Öl, Gas und Panzer. Und auch die EU kann als Beifang dieser Beziehungen für Venezuela und den Iran sehr nützlich sein. Von Munition allein wird man nicht leben können. Und russische Energie benötigen diese Staaten nicht.

Die gute und schlechte Nachricht: Russland kann den Krieg nicht gewinnen aber lange siechen

Russland hatte den Krieg verloren, als der erste Panzer über die Grenze walzte. Die entschlossene Reaktion Europas und die Widerauferstehung der NATO sind das Verdienst Putins. Nur hatte er das sowenig erwartet wie den Widerstand der Ukrainer. Mehr als die teure militärische Verwaltung einer verwüsteten Ukraine (war) ist nicht möglich; ein bisschen „tote“ Landkarte. Despoten sind in der Regel ziemlich dämlich.

Der Iran zeigt das zähe Ringen um die Sanktions-Wirkungen

Dennoch ist ein schnelles Ende nicht in Sicht. Der Iran wurde bereits mehrere Male hart sanktioniert. Und der Iran wurde auch aus dem SWIFT verbannt. Noch vor den harten Sanktionen gegen den Iran hatte Deutschland ein Handelsvolumen von 5 Mrd. EUR und China von 3 Mrd. EUR mit dem Iran. Im Jahr 2021 stand China bei 15 Mrd. und Deutschland bei 1,76 Mrd. EUR. In dieser Rechnung ist der offizielle iranische Öl-Export nicht enthalten. Die Sanktionen durch die Trump-Administration waren für den Iran besonders heftig. Der Öl-Export brach dramatisch ein und ist nur noch ein Bruchteil besserer Zeiten, als diese Einnahmen noch 60 % des Staats-Budgets abdeckten. Die makroökonomischen Daten sind wirklich übel: Das BIP schmolz in 2019 um fast 7 %, die Arbeitslosigkeit betrug knapp 11 %, die Inflation beschleunigte sich auf 40 % und der RIAL verlor 85 % gegenüber dem USD. Das war dann auch der Haupttreiber für den Inflation im Lande, denn die Importe verteuerten sich schlagartig um diesen Wert. Trotz dieser Auswirkungen und den bitteren Perspektiven lenkte der Iran bei den dafür auslösenden Atomprogramm-Verhandlungen nicht ein. Der Iran ging nicht in die Knie, sondern entwickelte eine sogenannte „Widerstands-Ökonomie“: Mittels Diversifizierung konnte die Abhängigkeit vom Öl-Export sukzessive abgebaut werden. Die nationalen Branchen sind in der Lage, die wesentlichen Konsumgüter und Dienstleistungen anzubieten. Das Armutsniveau ist gegenüber dem Jahr 2010 trotz der Bemühungen um fast 18 % gestiegen. Und das liegt dann doch am beschränkten Öl- und Gas-Export. In einer Analyse der „Iran Under Sanctions Project“ der Johns-Hopkins-Universität wurde ermittelt, dass die iranische Wirtschaft ohne Berücksichtigung der Öl-Industrie seit 2012 bis zur Corona-Pandemie sogar leicht zugelegt hat.[19]Damit wären die berechtigten Aussichten für den Iran bei erfolgreichen Verhandlungen zum Atom-Deal geradezu prächtig. Der Iran wurde zum Aufbau der Wirtschaft jenseits von Öl und Gas gezwungen. Das war mit Sicherheit nicht die Absicht von Trump, aber es ist das Ergebnis. Und die iranischen Vertreter verhandeln aktuell nicht zurückhaltend. Sie wissen um die neue Stärke.

Außer Acht lassen darf man nicht die Einbindung Sanktions-unwilliger Staaten. China hatte „graues“ Öl abgenommen und den Umweg über Drittstaaten wie die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Malaysia eingeschlagen. Die VAE haben das Öl umetikettiert und ihrerseits ein entsprechendes Güter-Volumen an den Iran geliefert. Es finden sich immer Wege und Mittel, aber eben nicht in der Dimension der Vor-Sanktions-Periode. So versuchte der Iran auch mit Geister-Schiffen Öl zu liefern. Die Schiffe schalten das Ortungssignal aus, um unentdeckt liefern zu können und provozieren damit umwelt-katastrophale Kollisionen, zu denen es auch kam.[20]   

Es existieren viele blockfreie Staaten, die selbst regionale Machtansprüche stellen. Diese Autokratien sind „Wechsel-Wähler“, die rein opportunistisch agieren. Einen ähnlichen Opportunismus erkennen wir auch bei uns selbst, wenn der Iran, Venezuela und Katar Energie liefern sollen, damit Russland kapituliert und wir nicht die exorbitanten Rechnungen begleichen müssen. Moralisch hilft uns die geostrategische Bedeutung dieses Verhaltens, wenn damit der Krieg beendet oder verkürzt werden könnte. Was machen wir danach?

Die ungezielten Sanktionen treffen leider die Schwächsten am stärksten. In Venezuela kam es nach den einschneidenden Sanktionen zu einer nie dagewesen Fluchtbewegung in die Nachbarstaaten. Jetzt könnte sich der Staat wieder berappeln, wenn der Westen bei der Reaktivierung der maroden Förderanlagen hilft. Wir verursachen mit den politischen Entscheidungen ganze Völkerwanderschaften, sowohl in die eine wie in die andere Richtung. Es hat etwas zufällig Gottesgleiches, über das an anderer Stelle diskutiert werden sollte. Jetzt muss Russland einer Kur unterzogen werden, die auch Nazi-Deutschland erfahren hatte. Die Volksempfänger-Nationen lernen nicht durch Medien, sondern über internationale Gerichtsbarkeit. Die Nürnberger Prozesse sollten eine Blaupause für Putins Regime und das russische Volk sein. Es muss ent-putifiziert werden.


[1] https://hindustannewshub.com/russia-ukraine-news/nabiullina-warns-of-running-out-of-stocks-in-russia-the-moscow-times/

[2] Flassbeck/Steinhardt: Gescheiterte Globalisierung, S. 25; edition suhrkamp, Berlin 2018

[3] https://www.dw.com/de/die-brics-staaten-und-ihre-haltung-zu-russland/a-61280242

[4] https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2022/heft/3/beitrag/krieg-in-der-ukraine-das-ende-der-neuen-seidenstrasse.html

[5] Regional Comprehensive Economic Partnership, bestehend aus 15 asiatischen Staaten incl. China, Japan und Südkorea

[6] https://www.merkur.de/politik/china-indien-wang-yi-besuch-peking-neu-delhi-himalaya-konflikt-ukraine-indischer-ozean-zr-91433305.html

[7] https://www.nzz.ch/international/iran-wie-wirksam-sind-die-sanktionen-der-usa-wirklich-ld.1659618

[8] https://www.mena-watch.com/iranische-geisterschiffe-gefahr-fuer-den-internationalen-schiffsverkehr/

[9] https://amp.dw.com/de/russland-streicht-dollar-aus-staatsfonds/a-57777399

[10] Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication, ansässig in La Hulpe, Belgien. Diese Genossenschaft bedient über 11.000 internationale Banken und wird von den Zentralbanken der G10-Länder (Vereinigte Staaten, Belgien, Deutschland, Frankreich, Vereinigtes Königreich, Italien, Japan, Kanada, Niederlande und Schweden) beaufsichtigt.

[11] https://www.reuters.com/business/finance/new-eu-sanctions-russia-target-sberbank-commission-head-tells-paper-2022-04-16/


[12] https://www.elektronikpraxis.vogel.de/von-der-schwierigkeit-westliche-chips-aus-russischen-waffen-fernzuhalten-a-1107897/

[13] https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/388/zukunftstechnologien-gesetzgebung-und-importsubstitution-im-it-bereich/

[14] https://www.capital.de/wirtschaft-politik/brain-drain–russland-erlebt-einen-exodus-an-schlauen-koepfen-31782382.html

[15] https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/usa-heben-sanktionen-gegen-russischen-aluminiumkonzern-rusal-auf-a-1250296.html


[16] Argentiniens Problem war seit jeher die Verschuldung gegenüber dem Ausland im Gegensatz zu Russland

[17] Sogar das Uran für die europäischen Atomkraftwerke stammt überwiegend aus Russland. (https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/ukraine-krieg-eu-ist-auch-von-russischem-uran-abhaengig-a-d9575895-93da-4274-a5e5-167f4d9d2f0f)

[18] https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/krieg-in-der-ukraine/eu-sanktionen-2007964

[19] https://www.wiwo.de/politik/ausland/halbleiter-sanktionen-gegen-russland-russlands-industrie-kann-ohne-westliche-technologie-nicht-funktionieren/28150962.html


[20] https://www.n-tv.de/wirtschaft/Von-der-Leyen-sieht-Russlands-Bankrott-kommen-article23272989.html