EU-Parlamentswahlen 2024 wichtiger denn je

EU-Parlamentswahlen 2024 wichtiger denn je

27. Mai 2024 2 Von Uli Gierse

Das Erschrecken nach den EU-Parlamentswahlen kann klein oder groß sein, mit Sicherheit steht aber fest, die faschistische Parteien werden überall in Europa zulegen. Vielleicht kommen wir in Deutschland kurzfristig mit einem blauen Auge davon, weil sich die AfD als zu dämlich erweist, das ändert aber an diesem Trend nichts.

Zudem tritt der Elefant im Raum erst im November an.  

Niemand der erstarkten Rechte im EU-Parlament wird ein neues Auschwitz fordern und weder die AfD noch die italienischen Fratelli werden Massenaufmärsche von uniformierten Braun- oder Schwarzhemden orchestrieren.

Weder die spanische Vox, noch die österreichische FPÖ sind identisch mit den LePenisten in Frankreich oder der deutschen AfD. Alle rechtsextremen Gruppierungen haben ein unterschiedliches Gesicht und unterschiedliche Traditionen, das war auch in den 30er des letzten Jahrhunderts nicht anders. Und trotzdem gehören sie zu einer Familie von faschistischen Parteien.

Umberto Eco[1] hat das an einem Denkmodell klar gemacht: Mal angenommen der Urfaschismus hätte nur 6 Eigenschaften (Eco zählt 14 auf), dann könnte man folgendes feststellen.

Partei 1 hat die Eigenschaften ABC, Partei 2 BCD, Partei 3 CDE, Partei 4 DEF und trotzdem gehören sie offensichtlichen einer gemeinsamen Parteienfamilie, die miteinander verwandt sind.  Heute sind folgende Elemente sichtbar, das kann sich aber schnell ändern.

Allen gemeinsam ist eine Ablehnung von weiterer Migration, diese ist häufig gekoppelt an eine Mobilisierung von Fremdenangst bzw. Fremdenhass, es wird nicht rassistisch, sondern identitär argumentiert. Viele dieser Parteien lehnen die repräsentative Demokratie ab und propagieren einen den Willen eines fiktiven homogenen Volkes als Souverän z.B. in Volksabstimmungen.

Rechtstaatliche Kontrolle der Exekutive wird abgelehnt, viele vertreten einen Traditionalismus, der sich an einem patriarchalen Familienbild (Machismo) orientiert und der die Moderne als Fehlentwicklung betrachtet.  Diversität der Geschlechterrollen wird abgelehnt, ebenso sprachliche Höflichkeit und Respekt durch Gendern. Viele Rechtsextreme sind auch homophob, aber nicht alle, ebenso wenig gibt es einen Konsens in Bezug auf die Orientierung an Russland und/ oder China. Manche wie die Fratelli unterstützen sogar die Ukraine im Kampf gegen Russland. Auch die Ablehnung von transnationalen Strukturen wie sie die EU darstellt findet sich nicht mehr bei allen faschistischen Parteien. Verschwörungstheorien finden sich bei allen, aber nicht unbedingt dieselben. Antisemitismus ist häufig nicht direkt feststellbar.

Nun könnten diese Unterschiede zu der Annahme verleiten, die Fratelli Giorgia Melonis oder eine weich gespülte Le Pen sei als Bündnispartner für die Mehrheitsfindung im EU-Parlament oder im Rat das kleinere Übel. Dieses Denken, das in einem parlamentarischen System normal sein sollte, ist aber bei den faschistischen Parteien dumm, denn denen geht es gar nicht um programmatische Details, sondern um die Zerstörung der liberalen Demokratie und deren Umwandlung in ein diktatorisches Modell. Das muss nicht wie im deutschen Nazismus in ein totalitäres System mit Millionen Toten münden, ist aber auch der Verlust der politischen Freiheit und das Schleifen der Grund- und Menschenrechte.

Deshalb ist es erstmal richtig, die Gefahr auch zu erkennen und seine Stimme den Parteien zu geben, die Rechtstaatlichkeit, Solidarität mit der Ukraine und den Green Deal verteidigen wollen.


[1] Umberto Eco (1995): Urfaschismus in DER ZEIT vom 7.7.1995