Finanzindustrie, „Privateigentum“ und was hat das mit Russland zu tun

Finanzindustrie, „Privateigentum“ und was hat das mit Russland zu tun

22. September 2023 0 Von Thomas Ertl

 

Das Sperrfeuer von Multikrisen wie Corona, Inflation, Krieg, Migration und De-Industrialisierung hat die Konturen der eigentlichen Ursache vernebelt. Bei Putin ist der Fall klar: Eine Schar Oligarchen mit KGB/FSB-Vita terrorisiert das eigene Volk und die Nachbarstaaten aus Angst vor echter Demokratisierung. Einige „Politikexperten“ wie Wagenknecht und AFD singen das intonierte Lied vom bösen Westen und der NATO nach und wollen wieder russisches Gas beziehen. Ohne auf diesen Unsinn weiter einzugehen, bleibt die Frage interessant, welcher Nutzen bei den Aggressoren besteht. Die Antwort ist banal: kein Nutzen.

Die Kreml-Strategen haben sich verhoben und damit die gesamte Welt ökonomisch wie sicherheitsrelevant beschädigt. Am meisten sich aber selbst.

Hat sich die Welt der Oligarchen und Putin verbessert? Teilweise Enteignungen, Visa-Beschränkungen und internationaler Haftbefehl sind kein echter Fortschritt im Leben von Despoten und Getreuen. Nur, und das ist die Tragik, hätte der Despotismus verhindert werden können. Leider wurde der Zerfall der Sowjetunion nur als das Ende der Planwirtschaft gefeiert. Der Trugschluss: Die Post-Sowjetunion würde nach der Pfeife des Westens tanzen. Einige schrieben gar vom Ende der Geschichte (der Kriege) wie der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama. Die missratene Demokratisierung Russlands wurde unter passiver Teilnahme des Westens vollzogen. Der Westen in Gestalt von IWF, Weltbank, WTO und internationalen Konzernen verfolgte den demokratischen Prozess so gut wie nicht, sondern stopfte sich die Taschen voll mit Petro-Dollars aus russischen Förderquellen. Später kam noch der neue Absatzmarkt für die Konsumgüterindustrie hinzu. Für diesen Zweck benötigte der Westen entsprechende Kandidaten der russischen „Kompradoren-Bourgeoisie“. Es wurde eine Kooperation mit diversen Gruppen von Oligarchen eingegangen. Erst waren es Vertreter wie Chodorkowski, später die „Kumpels“ von Putin. Das kapitalistische Privateigentum machte sich über Russland her. Es hatte nicht viel mit Demokratie und Aufbau entsprechender Strukturen zu tun. Es war keine Initiative eines Global Governance[1], um Russland in den demokratischen „Schwitzkasten“ zu nehmen. Die Unterstützung von Jelzins Wiederwahl nach den brutalen Tschetschenien-Kriegen war schon die Kapitulation vor einer Autokratisierung, die dann mit Putin als Feldherr dieser vernichtenden Kriege ihren Lauf nahm.[2] Profiteure waren westliche Konzerne und die Neuen Oligarchen. Von globaler und/oder gesellschaftlicher Verantwortung war nicht viel zu sehen. Ein ähnliches Fazit findet sich auch beim ehemaligen Chef-Volkswirt der Weltbank Joseph Stiglitz[3]. Die Ära Putin hatte gegenüber der alten Sowjetunion allerdings den Nachteil, dass keine Doktrin irgendwen und vor allem nicht Putin bremsen konnte. Putin und seine Gesellen verfolgen keine Doktrin. Es ist eine Mischung aus Autokratismus, Nationalismus und Sexismus, wie Sabine Fischer ihr Buch zum Thema zurecht untertitelt: unumschränkte Herrschaft, Ausdehnung der Macht mit Verschiebung nationaler Grenzen und unverhohlener Männlichkeitswahn[4]. So ist in Russland seit 2017 häusliche Gewalt nur noch eine Ordnungswidrigkeit. Frauen können ungestraft verprügelt werden.  Mit Putin haben Kriminelle die Regentschaft im Kreml übernommen. Darauf hatte bereits Michail Chodorkowski hingewiesen. Die Kreml-Regenten sind nicht mit Maßstäben konventioneller Politiker zu messen, denen es nur um Wiederwahl und Sicherung der Pfründe geht. Die Einlassung mit dieser Gruppe ist das Spiel aus Goethes Faust. Und „Mephisto“ Putin wird Goethes Protagonisten immer ähnlicher.

Es hat ein bisschen von Stalins Paranoia und Menschenverachtung und noch viel mehr vom beliebigen Terrorismus gegen das eigene Volk und andere Nationen. Die Bombardements und Gräueltaten gegen Zivilisten der Ukraine sind der Grund für den internationalen Haftbefehl. In Syrien verlief es ähnlich. Und der neoliberale Westen trägt eine gewaltige Mitschuld, denn er hätte es verhindern können. Was ist aber der moderne Neoliberalismus, was zeichnet ihn aus und warum behindert diese Ideologie die Installation eines wirksamen Global Governance Systems. Dabei gehen wir direkt in den Organismus der Finanzindustrie, deren Banken zu groß zum Scheitern sind und deren Märkte gern als die Lieblingsmärkte der Politik herausgestellt werden. Ohne Schulden kein Wachstum und ohne Wachstum keine Renditen. Also wird Wachstum über Verschuldung herbeigeführt und das Geld liegt eben in den Bilanzen der Finanzindustrie. Und wenn es nicht ausreicht, wird „frisches“ Geld über die Notenbanken besorgt. Die schwäbische Hausfrau wird nicht helfen, denn die investiert immer nur aus dem Ersparten. So würden nicht nur Eigenheime nicht gebaut werden können, sondern überwiegend auch kommerzielle Investitionen nicht umgesetzt werden können. Ohne Banken keine Investitionen und auch kein Wachstum. Die pure Macht lässt sich auf diese einfache Formel herunterbrechen. Die Frage ist nur, ob das steuerbar ist, also mit staatlicher Auf- und Umsicht, oder aber freier Lauf gewährt wird. Letzteres ist neoliberal.

1.1       Das „neoliberale Eigentum“ steht über allem

Das von den Neoliberalen beschworene Privateigentum meint selbstredend ökonomisch aktives Eigentum und nicht die welke Villa, die von Zeit zu Zeit saniert werden muss. Das „neoliberale Eigentum“ wird verklärt als heilige Stätte der wirtschaftlichen Vernunft, denn nur der individuelle Einsatz würde dieses Eigentum schützen und bestenfalls mehren. All das, so wird behauptet, natürlich in sozialer Verantwortung. Aber genau darin liegt der Bruch.

Wir befinden uns nicht mehr im 18. Jahrhundert, sondern in einem hochentwickelten Kapitalismus, der von Oligopolen beherrscht wird. Weltweit wird das populäre „Monopoly“ gespielt und selbst Kinder wissen, wie die Entwicklung verläuft. Am Ende stehen Monopole bzw. Oligopole in modernen Märkten und Kartellen als Sieger fest. Das hochkonzentrierte Eigentum ist seit langer Zeit durch Aktienbesitz derart parzelliert, dass eine individuelle Verantwortung der Eigentümer per se nicht mehr gegeben ist. Diese wird an Vorstände und Aufsichtsräte auf Zeit delegiert. Eine langfristige Verantwortung ist nur noch in Familienunternehmen erkennbar, wenn die Patronen noch über ein soziales Gewissen verfügen. Die Neoliberalen stilisieren etwas Vergangenes, das in der Gegenwart keine relevante Rolle einnimmt. Was bleibt sind multinationale Konzerne mit Umsätzen, die den BIPs kleiner und mittlerer Staaten gleichkommen. Royal Shell mit über 260 Mrd. USD Umsatz übertrifft das BIP Griechenlands und Portugals. Amazon hat mehr Umsatz als beide BIPs zusammen. Griechenland verfügt über 4 Mio. Beschäftigte, Royal Shell über 86 Tsd. Was ist an diesen Verhältnissen noch liberaler Markt? Wer wird sich im Zweifel durchsetzen. Royal Shell hat den Firmensitz von den Niederlanden nach London verlegt, um der Quellensteuer auf Dividenden und Umweltschutz-Regulierungen der EU zu entgehen. Der Name wurde auf Shell PLC verändert. Das können nicht Staaten und Nationen, sondern nur „Multis“, die sich die nationalen Sitze mit Ein- und Austragungen in die Handelsregister verändern. Vielleicht wurden einige Steuerexperten nach London verlagert, aber substanziell hat sich die Shell PLC mit diesem Manöver überhaupt nicht bewegt. Lediglich die Kapitalerträge werden steigen, was die vielen Aktionäre erfreuen wird. Soziale Verantwortung? Null. Die Aktionäre werden noch erregter sein, wenn die Dividenden aus den exorbitanten Öl- und Gas-Geschäften aus 2022 die Kassen klingeln lassen. Wer diese Gewinne gespeist hat, muss an dieser Stelle nicht erklärt werden. Ein Blick der Haushalte auf Energierechnungen wird ausreichen.

1.2       Finanzindustrie und Staat

Ein weiters Beispiel für die Erosion des klassischen Eigentums ist der US-amerikanische Vermögensverwalter BlackRock, der auch der größte Einzelaktionär im DAX mit Beteiligungen von bis zu 10 % ist. BlackRock verwaltete im Oktober 2022 global knapp 8 Billionen (2021: 10 Billionen) US-Dollar. Dahinter verbergen sich über 1.500 Institutionelle Anleger, die wiederum Millionen von Kunden vereinen. Darunter sind viele Pensionsfonds von Menschen, die für das Alter vorsorgen. Der Weg von diesen Anlegern bis hin zu den Entscheidungen von Dax-Konzernen hat mit verantwortlichem Privateigentum überhaupt nichts mehr gemein. Und BlackRock hat Wettbewerber wie die Vanguard Group, Fidelity, State Street, Capital Group etc., die nicht wesentlich kleiner sind. Die Geldströme der Vermögensverwalter werden zumeist auch nicht von Menschen gesteuert, sondern von Risikoanalysen gigantischer Rechner wie den legendäre Aladdin von BlackRock[5], der auch von anderen Asset-Managern, der FED und dem US-Finanzministerium genutzt wird.[6]

 So funktioniert die moderne Ökonomie und es verwundert nicht, dass BlackRock-CEO Larry Fink erkennt, dass nichts die Geschäfte so sehr stört wie soziale und ökologische Konflikte. BlackRock hat inzwischen etliche hochkarätige Mitarbeiter an das „Weiße Haus“ entsendet, so dass der Nachrichten- und Informationsdienstleister Bloomberg BlackRock schon als „vierte Gewalt“ einstuft.[7]Die Vernetzung mit Regierenden ist der eine Effekt, der andere liegt im Einfluss auf die Aufsichtsräte und Aktionärsversammlungen. Im Zusammenspiel der großen Wall-Street-Vermögensverwalter gelingen oft Entscheidungen gegen die Vorschläge der Aufsichtsräte, obgleich die Anteile nicht die Mehrheit bilden. So wurde Exxon Mobil gezwungen, dem Klimawandel Rechnung zu tragen, um die Renditen nicht zu gefährden[8]. Es wurden zwei Aufsichtsräte mit Hilfe von BlackRock gegen den Widerstand des US-Öl-Konzerns durchgesetzt. Mit anderen Worten: Die Renditeziele von Vermögensverwaltern wie BlackRock können von kurzfristigen Erwartungen der Konzern-Lenker abweichen. Der Einfluss der Wall Street ist überaus groß, aber auch limitiert wie weiter unten ausgeführt wird.

Die Fondsmanager BlackRock, Vanguard Group Inc. und State Street Global Advisors Inc.  halten laut S&P Global Market Intelligence über 20 Prozent der Anteile am S&P 500, dem Aktienindex der 500 größten börsennotierten US-Unternehmen.

Die Finanzindustrie besteht lt. einer Studie der ETH Zürich, die vor der Finanzkrise im Jahr 2007 veröffentlicht wurde, aus einem vernetzten Beteiligungssystem, dass die globale Wirtschaft dominiert. In Abbildung 1 stehen die roten und gelben Punkte für diese Unternehmen.  Dieses Netzwerkes bestand seinerzeit aus 1.318 Firmen (von 43.060) mit engen Verknüpfungen.

Die Recherche der Autoren ergab seinerzeit eine Dominanz von 80 % an der globalen Wirtschaft. Im Durchschnitt waren diese Unternehmen über Aktien, Kredite und Beteiligungen zwanzig Mal mit anderen Unternehmen verbunden. Dieser Unternehmenskreis entsprach 3 % der multinationalen Konzerne mit einem Umsatzanteil von 20 %. Diese Gruppe hatte innerhalb der hochkapitalisierten „Blue-Chip-Konzerne“[10] die Mehrheit der Anteile, was weitere 60 %-Punkte des globalen Umsatzes ausmachte.

In der ETH-Studie wurden aus der Gruppe der 1318 Unternehmen 147 (rote Punkte in Abb. 1) identifiziert, die eine sich gegenseitig besitzende Supergruppe bildete. Dieser Supergruppe hatte einen Zugriff auf 40% des gesamten Netzwerkes. Die Supergruppe bestand zu 75 % aus Finanz- und zu 15 % aus Immobilien-Unternehmen. Aus dieser Gruppe haben die Autoren nochmals 35 herausgefiltert, die für 35 % der Weltwirtschaft standen.[11] Abbildung 2 hat die 18 größten der Gruppe vor dem Finanz-Crash aufgenommen. Die Finanzkrise hat das Bild (Abbildung 2) verändert, aber nicht die Struktur. Lehman Brothers, Bear Stearns, Credit Suisse, Commerzbank und Barclays etc. sind nicht mehr dabei oder nicht mehr Teil der „Supergruppe“[12]. BlackRock steht jetzt im Zentrum (Abb. 3).

Lehman Brothers und die anderen Ausgeschiedenen hatten die Finanzkrise 2008 nicht überstanden und das trifft besonders auf Barclay zu. Die Stunde für BlackRock hatte geschlagen. In 2006 wurde bereits Merrill Lynch Investment Management übernommen und im Jahr 2009 folgte die Übernahme von Barclay‘s Global Investors (BGI).[13] Mit diesen Aufkäufen schob sich BlackRock an die erste Stelle der globalen Vermögensverwalter mit über 4 Billionen US-Dollars an Assets. 2022 waren es bereits über 8 Billionen US-Dollar. Darüber hinaus erhielt BlackRock Aufträge der Regierung, das Desaster der Finanzkrise über den Einsatz vom Superrechner Aladdin zu beseitigen, sprich, die „faulen“ Wertpapiere zu selektieren.[14] Seit der Finanzkrise arbeiteten einige wichtige Notenbanken wie die FED, EZB und Finanzministerien mit BlackRock zusammen, dessen Beratung unter Lieferung sensibler Daten in Anspruch genommen wurde.[15] Die Verbindungen zur Politik sind mindestens so relevant wie die Vernetzung innerhalb der Finanzindustrie, die insgesamt rund 6,5 % des Welt-BIP erwirtschaftet. Die Finanzierung von Wachstum steht dabei an erster Stelle. 

Auch wenn es keine einheitliche Führung bestimmter Fraktionen der Finanzindustrie gibt, so ist der Einfluss dennoch enorm. BlackRock und die anderen Wall-Street-Player sind nicht nur mit klassischen Banken über Anteile verbunden und üben damit entsprechenden Einfluss aus. Sie sind auch sehr oft die größten Anteilseigner eben dieser großen Konzerne, die für Produktion und Dienstleistung stehen. BlackRock und Co. haben auch an den GAFAM-Unternehmen (Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft) Anteile, so dass die Literatur schon über „Common-Ownership“ berichtet. In dieser Eigenschaft, Anteile an konkurrierenden Unternehmen zu halten, entsteht eher der Eindruck, dass Einfluss auf die gesamte Industrie genommen wird. Obgleich die auf EFFs[16] basierenden großen Vermögensverwalter anders als Aktien-Manager passive Indexfonds steuern, ist der Einfluss auf die Unternehmen in den Fonds groß, denn die Verwalter erhalten die Stimmrechte der Fond-Käufer. Diese geballte Machtübertragung, die sich darin äußert, dass die vier größten US-Verwalter (Asset-Manager) Ende März 2022 über 25 Billionen US-Dollar in die Waagschale legen konnten, bedeutet eben auch Einflussnahme. Der Ex-CEO McNabb von Vanguard (2008-2017) wurde entsprechend deutlich:

„In der Vergangenheit haben einige fälschlicherweise angenommen, dass unser überwiegend passiver Führungsstil eine passive Haltung in Bezug auf die Unternehmensführung suggeriert. Nichts ist weiter von der Wahrheit entfernt.“ (William McNabb, CEO von Vanguard, übersetzt vom Autor) [17]

Fichtner, Heemskerk und Garcia-Bernardo[18] hatten bereits 2017 auf die strukturelle Macht der großen 3 bis 5 Asset-Manager über Hunderte, wenn nicht gar Tausende börsennotierte Unternehmen aufmerksam gemacht. Die Autoren verwiesen auf die latente Einflussnahme der Asset-Giganten, deren Vorgehen fast lautlos bleibt. Meistens werden die Differenzen über Strategien schon vor den Hauptversammlungen ausgeräumt. Die Unternehmensmanager werden vorher „gebrieft“ und es entspricht zumeist ihren Interessen mit den Asset-Giganten zu harmonieren. Die Autoren fassen zusammen:

„Daher haben die Großen Drei (BlackRock, Vanguard und State Street; der Autor) das Potenzial, die politische Ökonomie der Vereinigten Staaten erheblich zu verändern, unter anderem durch die Beeinflussung wichtiger Themen für Unternehmen wie Kurzfristigkeit versus Langfristigkeit, die (Un-)Angemessenheit der Managementvergütung sowie Fusionen und Übernahmen.“[19]

Die großen Probleme unserer Zeit, die Verwendung fossiler Energien, der Klimaschutz und die Verteidigungsausgaben absorbieren viel Kapital, das zu einem großen Teil bei den Asset-Managern „lagert“. Die vereinigte Kapital-Basis der Großen versetzt sie in die Lage mit den Regierenden über diese Transformationen zu verhandeln bzw. zu „beraten“; auch wenn Larry Fink betont, dass  die Asset-Manager nicht den internationalen Rahmen setzen könnten. Das wäre eine staatliche Aufgabe. Aber wer sind die Ansprechpartner der staatlichen Institutionen?  Wer wird die US-Regierung beraten, wenn es gegen die chinesischen Internet-Konzerne wie Huawei, Alibaba und Bytedance (TikTok) geht? Wer verhandelt zwischen den Öl-Konzernen und dem „Weißen Haus“?

Der Anschein eines ökologisch verantwortungsvollen Unternehmens wurde sofort ramponiert, als Russlands Ukraine-Krieg neue Energie-Quellen notwendig machte. Das öffentliche Auftreten von BlackRock gegenüber konservativen Strategien der Öl-Konzerne wurde gar zum Disput vor diversen staatlichen Institutionen und der Ressourcen-Bundesstaat Louisiana bekannte, dass er 794 Millionen US-Dollar von BlackRock abziehen werde.

CEO Larry Fink ließ danach Statements veröffentliche, in denen er sich zur Investition in „Pipelines“ bekannte, auch gegenüber dem besorgten britischen Parlamentsausschuss.[20] Deutlicher ist der Einfluss BlackRocks nicht zu beschreiben. Das Unternehmen ist auf Staatshöhe angekommen und Staaten sind auch in der Liga dieser Finanzinvestoren präsent. Das gilt folglich für die diversen Staatsfonds der Ressourcen-Staaten Norwegen, den Golf-Staaten und Saudi-Arabien. Alle halten keine geringen Anteile an den größten globalen Unternehmen. Die Wall-Street-Player mit BlackRock an der Spitze sind zwar keine Verschwörungsgemeinschaft, aber in der Allianz eine große Macht, wenn es um die Ausrichtung nicht nur der US-amerikanischen Wirtschaft geht. Für diese Investoren ist die Weltlage besonders wichtig. Sie suchen politisch befriedete Regionen, wo die Renditen in Ruhe gedeihen können. Dafür steht das passive ETF-Management, denn es werden keine selektiven Wertpapiere[21] gehandelt.

Und wenn es mal unruhig wird, helfen die politischen Beziehungen mit staatlichen Garantien gegen Verluste bei risikobehafteten Anlagen in Entwicklungs- und Schwellenländern  Ähnlich verhält es sich auch mit Investitionen der großen deutschen Konzerne wie die Autobauer, BASF und Bayer in China. Sie sind staatlich abgesichert gegen politische Instabilitäten. Der deutsche Wirtschafsminister Habeck hat Ende 2022 eine erneute Investition der Volkswagen AG nicht mehr abgesichert, was als Paradigmenwechsel gegenüber China gilt. Das Spiel läuft nicht ohne Staat und Oligopole. Es geht um mehr oder weniger Einfluss. Die Ökonomie ist seit langem aus der Ära freier Unternehmensentscheidungen jenseits der Politik herausgetreten.

Die großen Oligopole sind ohne staatliche Flankierung nicht mehr denkbar und die Finanzindustrie nimmt darin einen zentralen Platz ein. Auch wenn die Kritiker[22] der ETH-Studie darauf verweisen, dass die Vermögensverwalter wie BlackRock nicht selbst von den Wertentwicklungen der Anlagen profitieren, so wickeln sie die Geschäfte nicht altruistisch ab. Außerdem hat BlackRock die eigene Ausrichtung auf „aktives“ Management verändert. Dieses Segment erwirtschaftete 2021 60 % des Umsatzes und gilt als Erfolgs-Story.[23] Das passive ETF-Management verlangt lukrative Gebühren für die Transaktionen. Diese fließen aber nur, wenn das Vermögen der Anleger wächst. Sollte BlackRocks „Performance“ nicht ausreichen, würde eine andere Verwertung gesucht werden. BlackRock hätte auf Dauer Probleme. Folglich wird BlackRock alles unternehmen, um die Billionen US-Dollar nicht zu verlieren. Die Androhung Louisianas und der Abzug von Geldern Floridas und Texas passen da nicht zur Erfolgsgeschichte. Folgerichtig wird dann auch „notgedrungen“ pro fossile Energie gehandelt. Der Russland-Ukraine-Krieg hat das Pendel der Energieversorgung in die andere Richtung bewegt und BlackRock hat sich angepasst, weil der Wind von vorne kommt. Vor dieser Phase hatte der Verwalter verstärkt um „ESG“-Assets[24] geworben und damit die Öl-Konzerne und deren Lobbyisten irritiert. Leider haben die großen Asset-Manager seit dem Pariser Abkommen die Anteile an fossiler Industrie sogar erhöht.

BlackRock ist nach eigenen Angaben der größte Investor in fossile Energie und es ist ein sicheres Zeichen, dass die Öl-Bundesstaaten Texas, Florida und Louisiana gegen BlackRocks ESG-Ausrichtung vorgehen. Es ist kurios, dass Bundesstaaten als Anwälte der Öl-Konzerne gegen den größten Investor vorgehen. Aber das Interesse ist eindeutig: Eine geschwächte Öl-Industrie beschert den Bundesstaaten weniger Steuereinnahmen. BlackRock und die anderen zwei Vermögensverwalter hatten ein Programm zur kohlenstofffreien Wirtschaft aufgelegt und bekommen eine Abfuhr des alten Klientels.[25]

 Die Sorge war aber nur teilweise berechtigt, denn es gab keine Pläne zum Rückzug aus der fossilen Industrie. Die ESG-Aktien sind im Gegensatz zu den ETF-Fonds aktives Management und damit auf einem anderen Gleis. Richtig ist, dass BlackRock das Narrativ des Pariser Abkommens nutzen möchte, um sich bei neuen – möglicherweise ökologisch verantwortlichen – Anlegern in Position zu bringen. Das sollte das gesamt Portfolio aufwerten und erhielt auch zuerst Beifall. Nach dem Schwur auf weiteres Festhalten an fossilen Brennstoffen sieht sich BlackRock von allen Seiten kritisiert. Sowohl Umweltschützer und Lobbyisten der Öl-Industrie sind im Widerstand gegen BlackRock.

Für die konservativen US-Bundesstaaten hängt das Wohl an Öl und Gas. Nur so lassen sich Steuern generieren und das setzt Wachstum voraus. Die Pushs durch das Fracking und die gestiegenen Preise auch durch Russlands-Ukraine-Krieg belebten die neoliberale Agenda auf ein Neues. Die Skepsis gegen staatliche Eingriffe pro erneuerbare Energie bleibt solange, bis ein „grünes“ Geschäftsmodell für noch mehr Wachstum bzw. Überschüsse sorgen könnte.

Auch Deutschland leidet unter dem Problem teurer fossiler Energien. Industrien mit hohem Energieaufwand verlegen die Fabriken. 2022 war der Saldo von Direktinvestitionen mit 132 Mrd. US-Dollar nicht nur negativ, sondern auch der schlechteste Wert unter 46 untersuchten Staaten in einer Studie des arbeitgebernahen Instituts der Wirtschaft (IW).[26] Auch wenn der Fachkräftemangel und die Demografie keinen Optimismus entfachen, so ist das Faktum eines wegbrechenden billigen Gas-Imports aus Russland das entscheidende Argument. Die Transformation dauert länger und das internationale Kapital wartet nicht, bis Deutschland eine Lösung gefunden hat. Die Überlegungen, die Energie für die Industrie zu subventionieren, um den Standort weiter attraktiv zu halten, ist eine hoheitliche Aufgabe. Die Diskussion um Staatsschulden wird mit der Wettbewerbsfähigkeit durch bezahlbare Energie angereichert.   

1.3       Fazit

Die Finanzindustrie gibt den Ton an. Die besondere Tragik der vermasselten Russland-Transformation liegt auch in den politischen Verhältnissen der USA genau dieser Zeit begründet. Es war die Renaissance des Neoliberalismus und die Absage an den interventionistischen Staat nach der Lehre John Maynard Keynes.

Zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs der Sowjetunion war Ronald Reagan über zwei Amtsperioden Präsident der USA. Es war die Ära der Liberalisierung der Finanz- und Weltmärkte und gleichsam der Rückzug des Staates resp. ökonomischer Prozesse. Der Staat wurde regelrecht zurückgebaut, um dem Kapital die „Freiheit“ zu geben, noch mehr Rendite zu erzielen. Abbau von Zöllen und De-Regulierungen der Finanzmärkte waren das Credo der „Reagans“ und „Thatchers“. Mit dieser Maxime bzw. mit diesem politischen Rückenwird wurde das bankrotte Russland bearbeitet. Eine historische Chance wurde vergeben, dass hilfsbedürftige riesige Reich wirklich zu demokratisieren. Am Ende kam Mephisto heraus. Für die Verheißung ewig billiger Energie hat der Westen seine Werte verraten. In der dem Westen inhärenten Arroganz wurde übersehen, dass ein Volk ohne Aufklärung und demokratische Traditionen dem Despotismus auf den Leim gehen wird, wenn es nicht herangeführt wird. Letzteres hätte Kosten verursacht und die sind in der Neoliberalismus-DNA so etwas wie der Corona-Virus. Demokratie ist aufwendig und teuer und die Finanzindustrie ist die schlechteste Adresse für demokratische Initiativen. Die Gesellschaften müssen diese Branche bändigen, sonst wird Global Governance die leere Worthülse bleiben, die es aktuell ist.

Den Republikanern und einigen Demokraten wird der Krieg der Ukrainer um die Demokratie inzwischen zu teuer.[27] Sie signalisieren abnehmendes Interesse. Es sind Politiker aus den Fraktionen, die dem Lobbyismus aus Öl und Gas erlegen sind. Es sind Politiker, die sich Unternehmen hingeben, deren Gewinne durch den Krieg nochmals exorbitant gestiegen sind. Es sind die Unternehmen, die im Verbund mit ihren Bundesstaaten BlackRocks ESG-Initiativen geißeln und dafür sorgen, dass die globale Erderwärmung nicht entschieden verhindert wird. Es sind die großen und kleinen Trumps, die auch Russland als reine Quelle besserer Renditen auserkoren hatten. Der Kampf um Freiheit endet bei Ihnen an der Ölförderpumpe bzw. am Absatz der eigenen fossilen Produkte.


[1] Unter Global Governance wird ein Mehr-Ebenen-System verstanden, in dem Staaten und internationale Organisationen (UN, IWF etc.) in einem konstitutiven Rahmen von Prinzipien, Regeln und Gesetzen Probleme lösen. Ein besonderes Problem besteht in der aktuellen geopolitischen Fragmentierung wie BRICS, USA, EU etc.

Auch das Wirken von „staatslosen“ transnationalen Unternehmen erschwert multilaterale Vereinbarungen.

[2] Maaß 2022, o.S.

[3] Stiglitz 2001; S. 200

[4] Fischer 2023, S.37ff

[5] BlackRock 2022, o,S.

[6] Über Aladdin wurden im Jahr 2022 rund 21 Billionen US-Dollar verwaltet, ca. 2/3 des Wertes der US-Staatsschulden. ((Mahapatra 2022, o.S)).

[7] Buller 2022, o.S.

[8] Woellert/Lefebvre/Hernandez 2021, o.S.

[9] Vitali et al. 2011, S.3

[10] Die wichtigsten Produzenten der Welt wie Öl-Multis, Automobilkonzerne, große Chemieunternehmen etc.

[11] Fehling 2014, o.S.

[12] Entweder sie hatten die Finanzkrise nicht „überlebt“, wurden knapp gerettet oder sind später gestrauchelt.

[13] BlackRock 2020; o.S.

[14] Vauhan 2023, o.S

[15] Stöcker 2022, o.S.

[16] ETFs sind börsengehandelte passive Indexfonds, die einen oder mehrere Indices abbilden. Diese Fonds werden nicht aktiv gemanagt, so dass nur geringe Gebühren anfallen. Blackrock iShares hatte 2021 einen Marktanteil von 42,5 % europäischen ETF-Marktvolumens unter Verwaltung. (Rau 2023, o.S)

[17] Grind/Lublin 2015, o.S.

[18] Fichtner, Heemskerk und Garcia-Bernardo 2017, o.S.

[19] ebenda

[20] Reuters 2022, o.S.

[21] BlackRock investiert auch “aktiv”. „Derzeit investieren die BlackRock Managed Index Portfolios in über 30 unterschiedliche ETFs und damit in rund 7.500 Einzeltitel.“ (BlackRock 2023, o.S.) 

[22] Faust 2014, S.6

[23] Wigglesworth 2022, o.S.

[24] ESG = Environment, Social, Governance; es steht für den “Stakekolder-Kapitalismus, der neben den Shareholdern auch Beschäftigte, Lieferanten, Staat, Umwelt und Kunden in die Unternehmens-Strategie einbezieht.

[25] Kessler 2022; o.S.

[26] Fröndhoff, Greive, Meiritz u. Olk 2023, o.S. 

[27] NTV 2023, o.S.

Literaturquellen

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BlackRock 2022: GET TO KNOW THE ALADDIN ADVANTAGE; https://www.blackrock.com/aladdin; 09.12.2022

BlackRock 2023: Global gestreut, aktiv gemanagt und kosteneffizient anlegen. https://www.blackrock.com/de/privatanleger/fonds-im-fokus/bsf-bmips. 29.07.2023

Buller, Adrienne 2022: The Limits of Privatized Climate Policy; https://www.dissentmagazine.org/article/the-limits-of-privatized-climate-policy; 09.10.2022

Faust, Michael 2014: „Global Corporate Control”? Über Fallstricke einer Netzwertkanalyse. https://sofi.uni-goettingen.de/fileadmin/user_upload/Faust_ Global_Corporate_Control_UEber_Fallstricke_einer_Netzwerkanalyse.pdf. 22.07.2023

Fehling, Jonas 2014: Diese 35 Firmen kontrollieren die Welt. https://www.focus.de/finanzen/news/das-netzwerk-der-macht-diese-konzernen-kontrollieren-die-welt_id_3929949.html. 03.03.2018

Fichtner, Jan/ M. Heemskerk, Eelke/Garcia-Bernardo, Javier 2017: Hidden power of the Big Three? Passive index funds, re-concentration of corporate ownership, and new financial risk. https://www.cambridge.org/core/ journals/business-and-politics/article/hidden-power-of-the-big-three-passive-index-funds-reconcentration-of-corporate-ownership-and-new-financial-risk/30AD689509AAD62F5B677E916C28C4B6#article. 24.07.2023

Fischer, Sabine 2023: Die chauvinistische Bedrohung: Russlands Kriege und Europas Antworten | Putins Autokratie, Nationalismus und Sexismus zerstören die Ukraine und bedrohen liberale Demokratie und Freiheit weltweit. 1. Auflage, Econ Verlag, Berlin

Fröndhoff, Bert/Greive, Martin/Meiritz, Annett/Olk, Julian 2023: Schleichende Investitionsflucht – Standort Deutschland in Gefahr. https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/iw-studie-schleichende-investitionsflucht-standort-deutschland-in-gefahr/29225468.html. 29.06.2023

Grind, Kirsten/ Lubin, Joann S. 2015: Vanguard and BlackRock Plan to Get More Assertive With Their Investments. https://www.wsj.com/articles/vanguard-and-blackrock-plan-to-get-more-assertive-with-their-investments-1425445200. 22.07.2023

Kessler, Sabrina 2022: BlackRock CEO draws investor fire over ESG ‘greenwashing’. https://www.dw.com/en/esg-investing-blackrock-ceo-larry-fink-draws-investor-fire-over-greenwashing/a-64170771.

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Rau, Sebastian 2023: ETF-Anbieter im Überblick – diese ETF-Emittenten gibt es. https://finanzwissen.de/investieren/etf/anbieter/. 22.09.2023

Reuters 2022: BlackRock’s Fink defends energy investments amid criticism from ‘left and right’. https://www.reuters.com/markets/us/blackrocks-fink-says-he-is-seeing-some-signs-easing-inflation-2022-10-12/. 22.07.2023

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