Fossile Energien und Krieg vs. „grünes Schrumpfen“ (Ulrike Hermann)

28. Oktober 2022 0 Von Thomas Ertl

Fossile Energien und Krieg vs. „grünes Schrumpfen“ (Ulrike Hermann)

Teil 1: Der Nahe Osten ist den USA entglitten

Teil 2: Planetarischer Grenzen, Erneuerbare Energien, AKWs und Fracking-Gas

Teil 3: Finanzkrise 2008/2009 ist Spätfolge von Kriegen um Ressourcen

Der Nahe Osten ist den USA entglitten

Die fossilen Rohstoffe Kohle, Erdöl und Erdgas sind das Lebenselixier des modernen Kapitalismus. In ihrem neuen Buch „Das Ende des Kapitalismus“ entwickelt Ulrike Herrmann den Gedanken, dass die Umstellung auf regenerative Energien dieses Erfolgsmodell, der Symbiose von Technologie und Kapitalismus auf der Basis fossiler Energie an ihr Ende kommt. Die Limitierung der Bodenressourcen stellt die Weltgesellschaft in ihrem ökonomischen Wachstumsdrang vor fast unlösbare Probleme, denn das Verbrennen von fossilen Ressourcen hat Dimensionen angenommen, die das Klima auf unserem Planten lebensbedrohlich kippen lassen. Diese Erkenntnis ist bis auf einige Ignoranten wie Donald Trump, AFD etc. Konsens. Die vielen Vereinbarungen zum Klimaschutz wie das Pariser Abkommen sind aber nur Papiere, auf denen so gut wie keine Taten folgten. Und leider haben sich die frühen Prognosen des „Club of Rome“ aus dem Jahr 1972 bestätigt: der Planet steht vor dem Kollaps.

Lange schon wird intensiv gemahnt, geforscht und gefordert. Das Ergebnis ist ernüchternd, denn der CO2-Austoß erreichte im Jahr 2021 ein Rekordhoch.(1)Hoffnungsvoll stieg zwar auch die Menge an erneuerbaren Energien, aber das globale Wachstum stieg mehr als der grüne Ersatz von Kohle, Öl und Gas. Damit bleibt auch die konfliktbehaftetet Sicherung von fossilen Energien virulent. Das Fördern und Exportieren von Energie ist nach wie vor das lukrativste Geschäftsmodell solange die Wirtschaft wächst.

Die Probleme, den menschenfeindlichen Klimawandel zu stoppen, sind für die aktuellen Regierungen eigentlich Aufgabe genug. Dazu kommen jedoch die Großkrisen: Finanzkrise, Corona-Pandemie und nun die Außerkraftsetzung der europäischen Sicherheitsarchitektur durch die versuchte Ukraine- Annektion Russlands. Wie das alles miteinander zusammenhängt möchte ich in drei Folgen hier einmal auffächern.

Beginnen wir mit den Kriegen ums Öl in den letzten 30 Jahren im Nahen Osten.

Der ressourcenreiche Nahe Osten ist immer noch der Hauptbrennpunkt kriegerischer Auseinandersetzungen, auch wenn der Ukraine-Krieg momentan im Mittelpunkt der europäischen Aufmerksamkeit steht. Und auch da ist die Bedeutung der fossilen Rohstoffe im Osten der Ukraine für den Überfall Russland abschließend noch nicht final beurteilt. Die Ukraine insgesamt mit Schwerpunkt Osten verfügt über große Vorräte relevante Rohstoffe: Eisenerz, Graphit, Titan, Nickel, Lithium und Seltene Erden. Darüber hinaus wurden Schiefergas-Vorkommen entdeckt, die das Land energetisch stärken könnten.(2) Auch Uran wird in der Ukraine abgebaut.

Aktuell gibt es im Nahen Osten weitere Kriegsschauplätze: Beteiligt ist mindestens indirekt der Iran in seiner Ablehnung gegenüber Saudi-Arabien und Israels. Der Iran unterstützt und bewaffnet die Huhti-Rebellen(3) im Jemen gegen Saudi-Arabien, die Hisbollah(4) im Libanon und das Assad-Regime in Syrien, das in Bürgerkriege versunken ist. Der Iran unterhält in Syrien eigene Milizen, die für das Regime in Teheran werben. Das steht im Dissens zu Assad, der aufgrund der finanziellen Abhängigkeit vom Iran stillhalten muss. Der Iran schießt jährlich ca. 20 Mrd. US-Dollar ins syrische System und sichert sich damit Einfluss und Ressourcen-Zugriffe. Das Geld wird nie zurückfließen.(5) In dieser Hinsicht ist der Iran auch Konkurrent zu Russland, das ebenfalls auf die Abhängigkeit Syriens setzt. Im Ukraine-Krieg sind die drei Staaten wieder vereint.

In der Levante(6) streiten sich Russland und der Iran um die Hegemonie, die wohl aufgrund der religiösen Basis auf iranischer Seite liegt. Selbst der „alte“ sunnitische Rivale Irak ist inzwischen von Teheran-freundlichen Gruppen durchdrungen. Die dort führenden Schiiten streiten nur noch darum, ob die Richtlinien aus dem Iran oder dem geistlichem Zentrum Iraks befolgt werden. Kurden und Sunniten sind in diesem Ringen reine Statisten.(7)

Der Ukraine-Krieg lässt das Pendel aufgrund russischer Verluste noch stärker Richtung Teheran ausschlagen. Der Iran ist Lieferant von „Kamikaze-Drohnen“ und Beratungspersonal an das militärisch geschwächte Russland.(8) In diesem Kontext wird auch das Atomprogramm des Iran brisanter. Es entstünde eine weitere Atommacht mit großem regionalen Potenzial bei guten ökonomischen Voraussetzungen durch Öl- und Gas-Reichtum. Auch verfügt die die iranische Gesellschaft über ein hohes Bildungsniveau. Der Iran steht deshalb im Fokus der US-Außenpolitik. Nicht nur der Verlust an Einfluss im Nahen Osten ist schmerzlich, noch schlimmer ist der Machtgewinn Russlands und vor allem des Irans. Es bildet sich immer mehr eine Achse von China, Russland und dem Iran. Die Sorgen des Westens sind begründet, da es sich um aggressive autokratische Staaten handelt.

Hinzu kommen aneinanderreihende Bürgerkriege in Libyen, in dem seit 2011 fast alle nur erdenklichen Nationen beteiligt sind. Aktuell bestehen Parallel-Regierungen. Russland, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und die Türkei sind militärisch involviert.(9) Im Jahr 2020 kam es zu einem russisch-türkischen exterritorialen Waffenstillstandsabkommen. Die Regierung in Tripolis gewährte den beiden Schutzmächten einträgliche Öl-Lieferverträge gegen militärische Sicherheit. Daraufhin konnten 300 000 Vertriebene in das zerstörte Süd-Tripolis zurück.(10)

Das sind nur die sichtbarsten Brandherde in der MENA-Region.(11) Die USA waren in vielen dieser Brennpunkte mindestens Brandbeschleuniger, wenn nicht gar Verursacher wie in Libyen und im Irak. Das lässt sich mit dem Energie-Bedarf des US-amerikanischen Gesellschaftsmodells erklären lässt.

Zwar sind die USA seit 2015 in der Lage den nationalen Energiebedarf durch Fracking (Öl und Gas) weitestgehend selbst zu decken, aber auch nur aufgrund der Stilllegungen weiter Industriebereiche wie die Stahl- und Automobil-Region im Nordosten. Nicht ohne Grund wird das Gebiet als „Rust Belt“ bezeichnet. Die USA importieren viele dieser ehemals im „Rust Belt“ gefertigten Güter aus dem EU- Raum, die bei Öl-Knappheit nicht oder nur deutlich verteuert lieferbar wären. Zudem führt eine Knappheit an globaler Energie auch in den USA zu höhen Preisen für Öl und Gas, da diese Güter- Preise den internationalen Börsenbewegungen ausgesetzt sind. Die Inflation in den USA ist ebenso wie in Europa auch den Energiepreisen geschuldet. Der Benzinpreis an den US-Tankstellen lag im Juni 2022 50 % über Vorjahr-Niveau. Daraufhin hatte Biden einen Teil der Öl-Notfallreserve in den Markt geworfen, denn er möchte die nächsten Wahlen gewinnen: Der Preis fiel bis Oktober, wo abermals die Reserven angezapft werden, um 25 %. Die Alternative: Der US-Staat müsste die Preise der nationalen Energie-Förderunternehmen festlegen, was dem Prinzip des angloamerikanischen Business-Modells komplett widerspricht. Präsident Biden hat lediglich einen Teil der nationalen Öl- Notreserven dem Markt zugeführt, um Mengen und Preise zu beeinflussen.

Das Fracking hat die USA ökonomisch enorm gestärkt und den Rest der Öl-Förder-Länder überrascht. Besonders Saudi-Arabien reagierte ohne OPEC-Absprachen auf die Zunahme des preis-drückenden Fracking-Öls mit Steigerung der eigenen Mengen, was zu dramatischen Preisrückgängen von über 50 % führte. Das seinerzeit noch deutlich kostenintensivere Fracking sollte verhindert werden, die Unternehmen in die Knie gezwungen werden. Tatsächlich wurde diese Industrie und deren Finanzierer (großen Banken und Investoren) einem finanziellen Stress ausgesetzt. Es kam zu Produktionspausen und Insolvenzen, auch während der Covid-19-Pandemie.(12) In der Folge von Öl- Schwemme und Preisverfall nach dem Jahr 2015 wurden viele Staatshaushalte von Förder-Staaten defizitär und Venezuela wurde gar zum Pleitefall, der bis heute anhält.(13) Inzwischen sind die Rückgänge wieder aufgeholt, aber Venezuela bleibt nachhaltig am Boden, was hier nicht diskutierte andere Gründe hat. Zurzeit wird das durchaus umstrittene Fracking in den USA als notwendiges Übel im Russland-Ukraine-Krieg hingenommen.(14)

Die US-Amerikaner haben die vierthöchste CO2-Emission pro Kopf nach Saudi-Arabien, Australien, Kanada und vor Südkorea, Russland, Japan, China und Deutschland.(15) Selbst Außenanlagen wie Swimming-Pools in Las Vegas werden klimatisiert (gekühlt), damit der Gast in der Casino-Metropole nicht schwitzen muss.

„Noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts verbrauchten die reichen 20 Prozent der Weltbevölkerung 70 Prozent der fossilen Brennstoffe; die USA mit 5 Prozent der Weltbevölkerung alleine 27 Prozent – ein Amerikaner verbrauchte im Durchschnitt so viel Energie wie 30 Inder oder 100 Einwohner von Bangladesch. (Alleine der Energieverbrauch des US-Militärs übertrifft den von zwei Dritteln aller Länder der Erde, darunter auch reiche Länder wie die – zugegeben kleine – Schweiz.“ (Jürgen Päger)(16)

Die global größte Volkswirtschaft verbraucht viel Energie. Und da führt der Weg in den Nahen Osten.

US-Hegemonie und Naher Osten

Die US-Hegemonie wurde auch durch die Verbindung zum Nahen Osten gestützt. Die Haltung zu Israel und militärische Abenteuer in Irak, Syrien, Libyen, Libanon, Jemen und Afghanistan waren für die USA ein teures militärisches Unterfangen mit außenpolitischen Rückschlägen. Was ist geblieben von den Besetzungen im Irak, Syrien, Libyen und Afghanistan? Nichts außer Spesen (Staatsverschuldung), Demütigungen und Verlust an Einfluss.

In Syrien – bis auf 900 Soldaten im Osten – und auch in Libyen wurde mit dem Abzug der US-Truppen der Weg für Putin und Erdogan geebnet; in Afghanistan verhandeln jetzt die Taliban mit China über die abbaubaren Bodenschätze; und Europa wird mit einem permanenten Migrationsstrom konfrontiert. Der despotische Iran, von den USA massiv sanktioniert, ist verbunden mit der Hisbollah im Libanon, den Huhti-Rebellen(17) im Jemen und Assad in Syrien. Im Jemen herrscht seit 2015 ein heftiger Krieg mit über 370.000 Opfern. Die UN bewertete Anfang 2022 den Konflikt als größte humanitäre Katastrophe mit weiteren 1 Mio. Vertriebenen. Diese Lage entstand durch eine Aggression Saudi-Arabiens bei Unterstützung der USA.(18)

Die Staaten des Nahen Ostens – ohne US-Gnade – sind inzwischen ökonomisch regressiv und damit auch den Zugriffen anti-westlicher Interessen ausgesetzt. Die Vakua werden überwiegend von Russland, China und islamistischen Terroristen gefüllt.(19) Terror-Aktivitäten haben in der MENA- Region zugenommen, obwohl die US-Einsätze gegen den Terrorismus gerichtet sein sollten. Der Terrorismus-Index für diese Region ist verheerend. Europa ist mit Deutschland, Frankreich und UK in den gefährdeten Bereich des Terrorismus hineingezogen worden und rangiert noch vor dem Libanon und Venezuela. Islamistischer Terrorismus ist längst in den westlichen Industriestaaten verankert, wo die Attacken auf den Twin-Tower in New York am 11.09.2001 den Höhepunkt setzten.

„Wissenschaftler der amerikanischen Brown-Universität haben 2020 eine Zwischenbilanz der menschlichen, politischen und fiskalischen Kosten des Anti-Terror-Krieges aufgestellt. Demnach waren bis dahin 800.000 Menschen, fast die Hälfte von ihnen Zivilisten, durch direkte Kampfhandlungen getötet worden – die große Mehrheit in Afghanistan, Pakistan, im Iran, in Syrien und im Jemen. Eine vielfach größere Zahl, so die Autoren des ‚Cost of Wae‘-Projekts, ist an den indirekten Folgen gestorben wie Mangelernährung, Hunger und dem Kollaps von Gesundheitssystemen in umkämpften Gebieten. Etwa 37 Millionen Menschen sind im Laufe des Anti-Terror-Kriegs zumindest zeitweilig vertrieben worden.“ (Andrea Böhm) (20)

Abbildung 1: Terrorismus-Index ausgewählter Staaten der MENA-Region im Vergleich 2015 zu 2021.(21)©te

Das alles geschah ohne UN-Mandat. Die Intervention in Libyen erfolgte sogar ohne jeden völkerrechtlichen Ansatz, denn Libyens Ex-Staatsoberhaut Muammar al Gaddafi lenkte gegenüber den USA ein und beendete bei Offenlegung das Atomwaffenprogramm, um die Sanktionen zu stoppen und nicht wie Saddam Hussein zu enden. (22)

Der einst reichste Staates Afrikas ist ruiniert und dem Chaos verfallen. Mit welcher Legitimation wurde dort interveniert? Wenn es um Despotismus gegangen wäre, hätte Saudi-Arabien den Vorzug bekommen. Libyen war zwar auch eine Diktatur und Schauplatz von Volksaufständen, aber vor allem nicht pro-amerikanisch. Das reichte wohl aus. Diktatur und Völkerrecht schließen sich nicht aus und im Zweifelsfall werden Fälle erfunden wie die angeblichen Massenvernichtungswaffen von Iraks Ex-Staatschef Saddam Hussein. Die Folgen wie Terror des „Islamischen Staats“ und generelles politisches Chaos spüren heute noch viele; die Verursacher (USA) aufgrund von „Border Protection“ gegen Muslime möglichweise am wenigsten.(23)

Bleiben nur noch die Vereinigten Emirate, Katar und Saudi-Arabien. Und die sind selbst zerstritten in ihren Beziehungen zu Dritten auf Basis unterschiedlicher sunnitischer, alevitischer und schiitischer Koran-Exegesen. Diese Staaten erweisen sich als wenig beziehungsstabil, denn sie freuen sich ebenso über die Kapitalströme jedweder Oligarchen und Waffen aus Russland. Der Nahe Osten ist fast vollständig außer US-Kontrolle geraten. Seitdem 2. Weltkrieg und der Gründung des Staates Israels in der Ressourcen-Region ist kein Frieden eingekehrt. Der menschliche und finanzielle Aderlass ist ein einziges politisches und humanitäres Desaster.  Aus Sicht der USA ist die Bilanz noch schlechter, denn die „alten“ Allianzen mit den Golf-Staaten funktionieren nicht mehr und der anti-amerikanische Block ist in der Region gewachsen. Und das alles noch unter zunehmendem Einfluss Russlands und Chinas, die sich mit dem Iran, Syrien und tlw. der Türkei neue Einflusssphären und Verbündete geschaffen haben.(24)

Energie-politische Interessen vs. Ukraine-Solidarität

Wie dünn das Eis geworden ist, zeigt sich daran, dass Saudi-Arabien, das von den USA jahrzehntelang gehätschelt wurde, nicht mit der Wimper zuckte, um die Öl-Fördermengen in Zeiten der Knappheit und Sanktionen im Sinne Russlands zu drosseln und die USA zu brüskieren.(25) Das ist vom Einfluss der USA geblieben. Dabei wollte Präsident Biden die Position im Nahen Osten nicht aufgeben:

„Let me state clearly that the United States is going to remain an active, engaged partner in the Middle East. As the world grows more competitive and the challenges we face more complex, it is only becoming clearer to me that — how closely interwoven America’s interests are with the successes of the Middle East. We will not walk away and leave a vacuum to be filled by China, Russia, or Iran. And we’ll seek to build on this moment with active, principled American leadership.”(26)

Der Zugriff auf Energie ist für den Kapitalismus aktueller Prägung lebenswichtig. Selbst technologisch erfolgreiche Staaten werden ohne fossile Energiequellen ausbluten. Saudi-Arabien interessiert sich mehr für hohe Ölpreise als für Sanktionen gegen Kriegstreiber.(27)Es überrascht uns nicht, aber es zeigt akut unsere Ohnmacht gegenüber Staaten, die ehemals nicht auf dem Radar relevanter Akteure zu sehen waren. Das von Präsident Biden angesprochene Vakuum ist von geostrategischen Rivalen längst besetzt. Und es sind genau die in seiner Rede erwähnten Akteure. Der Nahe Osten wird weiterhin für den Stoff kapitalistischer Produktion benötigt, solange wir nicht die Paradigmen ändern. Und damit wird der politische Einfluss autokratischer Staaten steigen.

Das von Ulrike Herrmann postulierte “grüne Schrumpfen” entzieht diesem Dilemma die Grundlage, denn negatives Wachstum bedeutet weniger fossile Ressourcen.(28) In Zeiten energetischer Autarkie durch Kohle, die Deutschland bis weit nach dem zweiten Weltkrieg begleitete, war eine energiepolitische Erpressung nicht möglich. Erst die Hinwendung von Kohle zu Öl und Gas hat die Kräfteverhältnisse verändert und es möglich gemacht, dass einst rückständige Staaten wie die Emirate und Saudi-Arabien geopolitische Bedeutung gewinnen konnten. Der westliche Kapitalismus hat sie stark gemacht und lässt sich nun auf der Nase herumtanzen.

Stellt sich die Frage, ob es nicht auch ohne fossil- befeuerte Industrie geht?

In den vergangenen Jahren entwickelte sich eine Auseinandersetzung um die Modernität der westlichen Industrienationen. Deutschland wurde aufgrund der immer noch industriellen Prägung teilweise belächelt und das Vereinigte Königreich sowie Frankreich galten als fortschrittlicher, weil der Dienstleitungsbereich weiter ausgebaut wurde. Die Finanzplatz City of London ist das Pendant zur Erosion britische Industrie und auch Frankreich wird teilweise für den Umbau weg von der Industrie gelobt:

„Sie sollten sich ein Beispiel an Frankreich nehmen. Französische Unternehmen nutzen die Negativzinsen aggressiver. Sie nehmen deutlich mehr Kredite auf, um Investitionen und Übernahmen zu finanzieren. Viele investieren in neue Geschäftsmodelle und moderne Technologien und stellen sich damit zukunftsfähiger auf.“ (Jörg Zeuner; Chefvolkswirt der Union Investment)(29)

Frankreich belegt im globalen Innovationsindex von Bloomberg Platz 13, UK Platz 18 und Deutschland Platz 4.(30) Das kann der Grund für den Kommentar nicht sein. Er ist doch vielmehr turbokapitalistisch intendiert. Der Verweis auf den Vorteil von Negativzinsen für Übernahmen lässt erahnen, wovon der Banker hier träumt. Das Wirtschaftsmodell UKs trägt diese DNA in sich und die Argumentation, die Wirtschaft müsse sich auf Wissensökonomie konzentrieren und die Fertigung dem Fernen Osten überlassen, verkennt den Innovationsdruck einer soliden industriellen Basis. Vielleicht ist die Rückständigkeit Frankreichs bezüglich „grüner“ Energien darauf zurückzuführen.

Abhängig bleiben alle Entwürfe, solange Produktion und/oder Ressourcen vom Ausland bezogen werden. Die Abhängigkeit Frankreichs und Großbritanniens erstreckt sich auch in den europäischen Bereich. Die Handelsbilanzen sind stark negativ, was Abhängigkeit vom Ausland nicht besser belegen kann. Die neu entstandenen Branchen im digitalen Segment, von denen viele romantisch träumen, sind große Energie-Verbraucher mit hohen Zuwachsraten. Die Energie-Knappheit wird durch De- Industrialisierung dieser Machart nicht vermieden.

Die De-Industrialisierung lässt sich auf zwei Ebenen aufmachen. Erstens hat die Produktivität so stark zugenommen, dass viele Arbeitsplätze durch Maschinen/Technologie ersetzt werden. Das ist der historisch säkulare Vorgang. Die andere Version ist das bewusste Abbauen industrieller Strukturen zugunsten eines Outsourcings in andere Regionen. Das ist nur eine Verschiebung, um Löhne und Umweltschutzkosten einzusparen. Es wird gern als besonders „innovativ“ verkauft und mit dem strukturierten Ausbau der „Wissensökonomie“ unterfüttert. Also „Brain“ im Westen und „hard working“ im Osten. China hat der Welt gezeigt, dass sich die Dinge drehen können. Chinas Wissen war abhängig vom West ist es nicht mehr. Chinesische 5-G-Technologie, künstliche Intelligenz (KI), Ultrahochspannungsstromnetze und Hochgeschwindigkeitszüge sind global erstklassig. Einzig die USA können in puncto Wissensökonomie noch einen Vorsprung reklamieren.(31)Die folgende Abbildung zeigt den unterschiedlichen De-Industrialisierungsgrad von Deutschland, Frankreich und UK in Relation zu China.

Abbildung 3 verdeutlicht die unterschiedliche Industrie- und Wirtschaftspolitik der größten europäischen Ökonomien. Industrie benötigt mehr fossile Energien und Deutschland hat sich auf den Weg gemacht mit erneuerbaren Energien dem Dilemma zu entkommen. Der Wandel ist unter den gegebenen Parametern allerdings nicht hinzubekommen. Dazu weiter unten. Das gilt aber auch für die anderen Staaten der Diagramme. Der Wandel ist mühsamer und teurer als Importe von Kohle, Gas und Öl. Er ist auch mühsamer als den Bau von AKWs zu beauftragen und die Atommüll-Entsorgung anderen Generationen von Menschen zu überlassen. Mit nationaler De-Industrialisierung ist der Energie-Verknappung und dem CO2-Problem auch nicht zu entkommen.

Auch Bürotürme verschlingen viel Energie, vor allem elektrische. Die nächste Abbildung zeigt den historischen Verlauf und die immense Produktivitätssteigerung des primären (Agrar) und sekundären (Industrie) Sektors. Die klassische Dienstleistung rund um die Haushalte und Unternehmen ist seit den 1960er Jahren recht stabil, während der Informationssektor alle ersetzten Arbeitsplätze absorbiert und dazu noch neue schafft. Es ist das Konkurrenzfeld von Kommunikation, Marketing und Datenmanagement. Inzwischen entstehen Jobs, die nur auf Optimierung von Bildern im Internet hinauslaufen. Ob sie wirklich notwendig sind?! Die Grenzen der Jobbildung im Informationsbereich werden permanent verschoben und die auch vom „Philosophen“ Richard D. Precht vorausgesagte „digitale Arbeitslosigkeit“ will sich nicht einstellen.(32) Der Kapitalismus hat keine virtuellen, sondern nur physische Grenzen. Precht kann in Anlehnung an sein Buch (“Jäger, Hirten, Kritiker, …) schon mal daran gehen, die Rohstoffe seiner aussortierten Devices zu recyceln. Dann wird er spüren, wo die Arbeit entsteht und was Wohlstandsverlust bedeutet. Relevante Rohstoffe zu gewinnen wird dann ein teurer “Spaß” und wird den einen oder anderen kostspieligen Sneaker-Schuh ersetzen. Die gesellschaftliche Arbeit wird umgeschichtet werden müssen.

Trotz digitaler Technik haben fossile Energien stark zugenommen, nur dass dafür weniger Arbeitskräfte benötigt wurden, weil Maschinen (digital und nicht-digital) und Server-Farmen diesen Part übernehmen.

Trotz der strukturellen Verschiebung hin zu Dienstleistungsgesellschaften (incl. Information) ist der Waren-Output ständig mehr geworden. Abbildung 4 wirft ein Licht auf das Potenzial moderner Ökonomien, was das Einsparen menschlicher Arbeitskräfte betrifft. Die Produktivität der Landwirtschaft ist unglaublich. 3 % der Beschäftigten in Deutschland reichen fast aus, um 83 Mio. Menschen zu ernähren. Deutschland ist zwar Netto-Importeur von Agrarprodukten, hat aber einen Selbstversorgungsgrad von 88 %. Bei Obst und Gemüse hapert es, wäre aber ausbaubar.(34)

Der überwiegende Teil des Informationssektors könnte stillgelegt werden. Dann sind wir schnell bei der 15-Stunden-Wochenarbeitszeit, die einst schon John Maynard Keynes orakelte. Das aber widerspricht der Natur des Kapitalismus, denn damit wäre durch Negativ-Wachstum das Rendite-Niveau nicht mehr zu halten. Politisch ungebremst wuchs der Energiebedarf von Unternehmen und Haushalten ständig und der Wechsel von Kohle auf Öl hatte die Weltordnung mit time-lag verändert. Die erste Öl-Krise mit autofreien Sonntagen in 1973 war ein deutlicher Vorbote.

Die Staaten des Nahen Ostens spielten die Karte der Erpressung sehr erfolgreich, um die Unterstützung Israels durch den Westen einzudämmen. Die USA erwogen seinerzeit, die Ölfelder Saudi-Arabiens und Kuwaits militärisch zu beschlagnahmen, um die Öl-Mengen und – Preise zu stabilisieren. Aufgrund des Vietnam- Kriegs (Ende 1975) und potenzieller Verwicklungen mit der Sowjetunion verzichteten die USA auf die Plan-Umsetzung. Das Öl-Embargo führte in der Folge zur Friedensvereinbarung der Haupt-Kontrahenten Israel und Ägypten.(35)

Inzwischen sind einige Nahost-Staaten sehr reich und auch technologisch nicht mehr rückständig. Der Versuch der westlichen Nationen, einen Einfluss politisch-militärisch zu sichern, scheiterte grandios. Der Reichtum im Nahen Osten basiert aber nicht auf Sprengen feudaler Fesseln wie in Europa in den bürgerlichen Revolutionen, sondern auf den Interessen des Westens, das günstige Öl dem mühsamen Abbau von Kohle vorzuziehen. Die Gesellschaften in diesen Regionen haben keinen Wandel vollziehen müssen. Es sind die alten, gar mittelalterlichen Herrschaftsverhältnisse mit starken klerikalen Facetten und einem düsteren Frauen-Bild. Die aktuellen Proteste im Iran gegen Sittenpolizei und Mullahs machen das Problem der letzten 70 Jahr wieder sichtbarer.(36) Freiheitswerte aus dem westlichen Europa sind ihnen fremd und suspekt und bedrohen die klerikalen Herrscher.

Teil 2: Planetarischer Grenzen, Erneuerbare Energien, AKWs und Fracking-Gas

Planetarische Grenzen gelten auch für digitale Technik

Ulrike Herrmann hat die Symbiose von Kapitalismus und Energie hervorragend herausgearbeitet und damit auch beschrieben, wie es weitergehen könnte. Der fossile Energie-Verbrauch überfordert unseren Planeten massiv und mit Senkung des Verbrauchs tun wir nicht nur dem Planeten und damit uns einen Gefallen, sondern wir schwächen die autokratischen Ressourcen-Staaten wie Russland, Saudi-Arabien, Katar etc. Das muss nicht zwangsläufig mit De-Industrialisierung einhergehen, aber mit deutlich energieschonenderer Wirtschaft. Auf den Prüfstand müssten zuallererst alle Produkte, die sinnentleert mit fossiler Energie produziert werden, aber kaum bis gar nicht unser Leben verbessern. Dazu zählen u. a. auch volle ungenutzte Kleiderschränke und Blechlawinen, die 23 h/Tag stehend Städte und Wege verstopfen. Die vielen dann ungenutzten Arbeitskräfte dieser Industrien könnten weiß Gott sinnvollere Dinge tun, sei es im sozialen Bereich oder in der Wartung bestehender Anlagen incl. Wohneinheiten. Auch weiteres Versiegeln von Naturflächen und klimaschädliches Zu- Betonieren sollte vermieden werden.

Ulrike Herrmann hat zurecht darauf verwiesen, dass „grünes Schrumpfen“ auch den Einsatz vermeintlicher ökologisch kompatibler Gerätschaften wie E-Autos betrifft. Auch diese Kraftfahrzeuge müssen mit fossilen Energien gefertigt werden und würden bei Ersatz kraftstoff-betriebener Autos von 1:1 den Planeten überfordern. Bei grüner Energie aus den Ladesäulen wären E-Autos auf jeden Fall die bessere Alternative, aber 2 Tonnen schwere E-SUVs sind nicht der gewünschte Beitrag zur Energiewende; bei aktuellem Strommix gar kontraproduktiv. In UK wurden die Halter von E-Autos in den Ladenzeiten beschränkt, um ein Strom-Black-Out zu vermeiden.(37) Mit Zunahme der E-Autos verschärft sich das Problem. Der Idealfall einer Versorgung über Photovoltaik-Anlagen über das eigene Dach ist nur für einen kleinen Teil der Halter möglich. Das wird aufgrund der städtebaulichen Struktur auch so bleiben. Erst wenn die Netze mit grünem Strom gespeist werden, ist die Vermeidung von CO2-Emission im großen Stil möglich. Dahin ist noch ein weiter politischer Weg, den Ulrike Herrmann – auch aus methodischen Gründen – ausblendet.

Auch der vermeintlich progressive Einsatz von Internet-Technologien ist zu begrenzen. Für das Jahr 2025 wird prognostiziert, dass globales Streaming so viel Energie absorbiert wie das Betreiben der global weit über 1 Mrd. Kraftfahrzeuge. Allein das ist ein schlagendes Argument gegen die energie-intensive Bitcoin-„Schürferei“. Die IT-Serverfarmen und das Streaming sollten mehr in den Fokus der Energie-Debatte gerückt werden. Ulrike Herrmann weiß um die Problematik politischer Verhältnisse, die Transformation in das „grüne Schrumpfen“ zu triggern. In ihrem Buch wird geschätzt, dass wir in unserem energetischen Bedarf auf das Jahr 1978 zurückfallen müssen, um dem Planeten gerecht zu werden. Das ist alles etwas grob zusammengerechnet, weil die Bevölkerung seitdem auch gewachsen ist und die Welt sich in vielerlei Hinsicht verändert hat. Aber es geht um die Richtung und die Beurteilung, dass dies kein Rückfall in ärmliche Verhältnisse bedeutet, denn auch ohne Notebook, Tablet, Smartphone und Zweit-Auto ließ es sich leben und die Meere waren noch nicht am Anschlag der CO2-Aufnahme. Die Natur war weniger strapaziert und damit auch eine andere nachhaltige Lebensqualität möglich. Es muss jetzt nicht zum Maschinen-Stürmen kommen, aber eine Rationierung und Steuerung der energetischen Verbräuche sollte im Zentrum unserer Gesellschaft ankommen.

Und Ulrike Herrmann ist auch klar, dass der moderne Kapitalismus nicht recht kompatibel zu diesen Entwicklungen ist. Das Marktgeschehen, das sich gern frei und liberal geriert, ist durch politische Macht abgesichert. Das, was die Neoliberalen gern „freier Markt“ nennen, ist nicht liberal. Der Energie-Sektor ist durch autoritäre Staaten dominiert. Selbst die EU-Energieversorger sind staatlich wie in Frankreich oder vom Staat ausgegangen wie in Deutschland. Ohne den Staat sind sie nicht denkbar und mit Wettbewerb bei freien Marktzutritten und klassischem Markmechanismus hat das nichts zu tun. Die Autorin hat in ihrem Text auch darauf hingewiesen, dass wir ökonomisch von Oligopolen und Staaten beherrscht werden. Es sind nicht die stets zitierten vielen Mittelständler, die den politischen Ton angeben. Es sind die multinationalen Konzerne mit entsprechendem Lobbyismus und Partei-Finanzierungen. Die 500 umsatzstärksten börsennotierten Unternehmen stehen für ein Drittel des Welt-BIPs. Und unter diesen Firmen sind Energie-Unternehmen sehr stark vertreten. Da ist kein Platz für romantischen Wettbewerb um bessere Produkte und Preise. Hier ein Auszug der TOP 20:(38)

   

Die Aussichten sind leider eher düster und auch darin ist der Frust der „Friday-for-Future“-Bewegung begründet. Wir bewegen uns aktuell in die falsche Richtung, denn der Ukraine- und Energie-Krieg Russlands reaktiviert Kohle-Verbrennung allerorten und vernichtet Ressourcen zur Bewältigung der Klimakrise. Die Hoffnung nährt sich wiederum aus diesem Schreckmoment der Geschichte, dass ein Staat, besser noch ein Verrückter mit Entourage, 140 Staaten der Weltgemeinschaft gegen sich aufbringt und auch die vermeintlichen Partner wie China und Indien in eine schlechtere Lage versetzt. Auch diese Staaten leiden unter den Rückschlägen der Weltwirtschaft. Während sich die EU mühsam auf einen besseren Weg macht, sind die angloamerikanischen Staaten noch längst nicht im Thema. Von den großen bevölkerungsreichsten Staaten China und Indien ist auch keine Initiative erkennbar, den Lauf der kapitalistischen Geschichte zu ändern. China hatte bereits gute Ansätze für grüne Energie entwickelt, ist aber leider vom Kurs abgekommen und sucht überall nach energetischen Quellen für die Nachfrage des Westens und dem Bedarf im eigenen Land. Schon die Frage nach dem Energie-Aufwand für den Bau der unzähligen leerstehenden Beton- Wohnungskomplexe lässt einen erschaudern.

Die Transformation bedarf einer friedlichen, auf Kommunikation ausgerichteten Auseinandersetzung um die Zukunft der Weltgesellschaft zwischen den relevanten Akteuren. Russland ist momentan raus. Es stellt sich nicht die Frage, ob Kapitalismus oder nicht, sondern nach Steuerung des Energieverbrauchs. Abbildung 6 illustriert die „Übermacht“ der fossilen Energieträger und auch das Problem, Gas durch Erneuerbare Energien zu ersetzen. Und dabei ist Gas von allen fossilen Energien die am wenig Schädlichste. Die Energiewende reicht nicht aus, um das Ziel des Pariser Abkommens zu erfüllen. Produktion und Konsum müssen radikal gesenkt werden: Schrumpfen unter Ausbau grüner Energien.

Der Markt wird es nicht richten

Auch Ulrike Herrmann outet sich in dem Buch als pro-kapitalistisch im Sinne freier marktlicher Prozesse, die sich naturgemäß am Bedarf orientieren, wenn Konkurrenz und Transparenz vorliegen. Preise sind ein hervorragendes Maß, um Knappheiten zu signalisieren. Bei sinkenden Preisen werden Unternehmen die Produktion zurückfahren, bis ein Gleichgewicht erzielt ist und die Preise wieder anziehen. Bei steigenden Preisen werden sich Konsumenten zurückhalten und Unternehmen werden in diesen Markt gelockt, um an den hohen Profiten teilzuhaben. Aufgrund des höheren Angebots wird der Preis fallen. Nachfrage und Produktion werden sich durch den Marktmechanismus bedarfsgerecht einpendeln. Wenn keine Konkurrenz vorliegt, wird nur die Menge zurückgehen und der Preis-Hoheit bleibt dort, wo die Marktmacht liegt: Beim Verkäufer. Die Begutachtung der relevanten Märkte macht genau diese Konstellation sichtbar. Bei den Energiepreisen ist der Zustand noch klarer, da sich mit der OPEC ein Kartell zum Mega-Monopol zusammengeschlossen hat. Was hat das mit Markt zu tun? Die Mengen werden festgelegt, um die Preise zu manipulieren. Mit jeder Mengen-Ankündigung werden Öl, Gas oder Lebensmittel zu Spekulationsgütern an den Börsen, wo die Händler je nach Mengenbewegung diese Güter handeln, die nicht langfristigen Verträgen unterliegen. Das sind dann die Spotpreise. Es ist stets die Kombination von oligopolistischer Marktmacht und spekulativer Finanzindustrie. Nicht nur für den Energiebereich hätten die internationalen Institutionen dem einen Riegel vorschieben müssen. Marktmacht und funktionierender Marktmechanismus schließen sich aus. Das wollen die Neoliberalen einfach nicht verstehen. Die Freude über die Privatisierung von Energieunternehmen ist aber inzwischen vergangen, denn es hat sich alles nur verschlechtert: Die Verbraucherpreise sind hoch und das Tafelsilber ist verkauft. Nun müssen deutsche Landesregierungen als Bittsteller gegenüber internationalen Konzernen auftreten, um notwendige Infrastrukturmaßnahmen umsetzen zu können. Von denen kommt dann häufig eine Ablehnung aus Kostengründen.(39)

Es geht um öffentliche Daseinsvorsorge wie im Gesundheits- und Wohnungssektor. Der Staat hat sich in diesen existentiellen Bereich zunehmend zurückgezogen und die Quittung erhalten die Bürger nach und nach. Der Staat sollte als Gesellschaftsorgan die Prozesse führen, die der Markt nicht regeln kann. Dazu zählen auch der Umgang mit Ressourcen und die „grüne“ Transformation. In letzter Konsequenz wird auch der Finanzmarkt deutlich mehr zu regulieren sein, um die Preisexzesse im Lebensmittelbereich zu verhindern.

Ulrike Herrmann orientiert sich bei der Lösung des Transformationsproblems an der britischen Kriegswirtschaft ab 1939, als die Briten erkannt hatten, dass Hitler auch bei allem Appeasement nicht zu bändigen sei. Da drängen sich Parallelen zu Putin auf, denn auch Nazi-Deutschland überließen die Siegermächte des ersten Weltkriegs Österreich und weitere Gebiete deutschsprachiger Regionen wie die Sudeten etc.; also ganz ähnlich zur Argumentation Russlands bezüglich der russisch-sprachigen Gruppen in den ehemaligen Sowjet-Republiken. Das hatte folglich schon den zweiten Weltkrieg nicht verhindern können. Nazi-Deutschland konnte nur besiegt werden, wenn die britische Wirtschaft komplett auf Kriegsproduktion umgebaut würde. Das wurde demokratisch beschlossen und die Bevölkerung bekam gleich verteilte Rationen zum Überleben bis der Spuk vorbei war. Die Unternehmen waren frei in der Art und Weise bei staatlicher Vorgabe, was zu fertigen sei: Waffen statt nicht notwendige Dinge des täglichen Lebens. Als es soweit war – und es war fast zu spät – ging ein Ruck durch die britische Gesellschaft. Churchills „Blut, Tränen und Schweiß“-Rede zum Widerstand gegen Hitler-Deutschland konnte aufgrund des sichtbaren Problems leichter greifen als das dauernde Mahnen der Klimaschützer gegen den fast imaginären Feind „CO2“. Langsam aber sicher bekommt das Energie-Thema Gesichter: Turbokapitalismus und konkret Russlands Despot Putin. So in etwa müsste nun nicht mehr Nazi-Deutschland, sondern der drohende Klima-Kollaps und deren Verantwortliche angegangen werden.

Ulrike Herrmann geht davon aus, dass beim Schrumpfen keine Banken mehr benötigt werden, da kreditfinanziertes Wachstum der Volkswirtschaft als Geschäftsmodell entfallen wird. Das bleibt offen, da es möglicherweise auch im Schrumpfprozess finanzieller Mittel bedarf, die privat bereitgestellt werden könnten. Inwieweit der Staat diese Rolle ausfüllen könnte, bleibt Thema weiterer Diskurse. Eine staatliche Lenkung wie in China bei allerdings demokratischen Prozessen scheint nicht unmöglich. China hat aber eine Wachstumsprämisse und kann deshalb kein gutes Vorbild abgeben. Grundsätzlich zeigt China den Ansatz, die private Wirtschaft zu zügeln, wenn Dinge aus dem Ruder laufen. Die aktuelle Immobilienkrise in China lässt allerdings Zweifel aufkommen, ob nicht zu viel Spielraum für private Investitionen gegeben wurde. Die Bauindustrie trägt zu fast einem Drittel das BIP in China und schon da sieht sich der Staat in einer Wachstumsfalle: Es wird produziert auch beim Nachlassen der Nachfrage. Wachstum ist eine verführerische Kennziffer. Der chinesische Staat hat aber das Heft des Handelns noch in der Hand.

Generell ist die Transformation in der Gedankenwelt von Ulrike Herrmann weit weg von realistischen Prozessen, was an der Güte der Überlegungen nichts ändert. Das Buch ist absolut lesenswert und auch der Ansatz einer „britischen Kriegswirtschaft“ ist diskursiv wertvoll. Ich sehe allerdings keinen Konsens in ausreichender Frist und stelle zur Diskussion, ob nicht Atomenergie als Mini- Brückentechnologie dazu beitragen kann, die aktuellen Engpässe zu mindern. Bei einigen europäischen Staaten wie Schweden ist ein Weiterbetrieb wohl sinnvoller als Kohle oder Strom aus Kohle zu importieren. Schweden hat einen Anteil der erneuerbaren Energien von 55 % am Gesamtverbrauch. Deutschland liegt bei 15,5 %. Der Verkehr hat bereits einen Anteil von über 38 % emissionsfreier Kraftfahrzeuge mit hohen Zuwachsraten.(40) AKWs sind Brückentechnologie. Insgesamt hat nukleare Energie nur 5 % (2019) Anteil am Verbrauch der globalen Primärenergie. Schweden und auch Finnland werden eine Ausnahme bleiben und die Atom-Müllentsorgung ist kaum gelöst, auch wenn Finnland für die vergleichsweise kleinen Mengen einen Felsen(41) zum Entsorgen gefunden hat, der nun im Jahr 2022 fertiggestellt wurde.(42)Ab 2024 könnte hochradioaktiver Müll eingelagert werden. Der Bau begann im Jahr 2004. Das ist lange her.

Der große Wurf kann es nicht werden, da der Zeitraum zu kurz ist, um damit signifikant dekarbonisieren zu können. Der geringe Anteil des Atom-Stroms am Strommix und die exorbitanten Kosten dieser Energie lassen einen weiteren Ausbau als wenig sinnvoll erscheinen. Frankreich mit den vielen durch Schäden stillgelegten AKWs und überteuerten Bauprojekten neuer Anlagen soll mahnendes Beispiel bleiben, dass es sich um einen Irrweg handelt. Da scheint sogar Fracking noch attraktiver, solange das Grundwasser nicht verunreinigt würde. Aber auch das könnte nur ein Übergang sein, um Zeit zu gewinnen. In einer „Kriegswirtschaft“ sollte es aber kein ideologisches Tabu geben, um Lücken zu füllen. Es ist auch ein Wettrennen zwischen dem Ausbau der erneuerbaren Energien und Leidens-Lösungen wie Fracking-Gas und AKWs. Je mehr „Grün“, desto weniger Atommüll, Boden-Sprengungen und Katastrophen-Risiken.

Momentan scheint nur Wasserstoff eine greifbare Lösung zu sein

Es steht außer Frage, dass Sonnen- und Windenergie nicht ausreichen, um den mittelfristigen Energiebedarf zu decken. Dabei geht es nicht nur um elektrische Energie, sondern um jegliche Energieträger. Auch die Nutzung des Internets in Deutschland verbraucht ca. 16 TWh im Jahr 2021, rund 2,6 % des Gesamtstromverbrauchs von 505 TWh.43Dieser Wert steigt seit der Jahrtausendwende deutlich.

Die Aussicht auf weitestgehenden Anteil von Erneuerbaren Energien am Strommix ist nicht unbegründet, aber das Problem liegt im Ersatz der anderen Primärenergieträger wie Kohle, Öl und Gas.  Diese drei Träger versorgen die Haushalte (Wohnenergie) zu ca. 60 %. Strom macht gut 18 % aus und wird wiederum zu einem Hauptteil mit fossiler Energie erzeugt.(44) Die gesamte Energieversorgung ist mit 22,4 % „grüner“ Energie in 2021 weit weg von einer autonomen „grünen“ Versorgung.

Deutschland verbrauchte im Jahr 2021 12.193 Petajoule (3.386 TWh) und erzeugt selbst ca. 3.400 Petajoule (944 TWh). Über 72 % wird importiert. Und die restlichen 28 % sind auch noch überwiegend fossil, wenn auch aus Deutschland selbst. Erkennbar in Abbildung 8 sind die Komponenten Öl und Gas die größten Herausforderungen. Und es steht außer Frage, dass Deutschland als Repräsentant der westlichen Industriestaaten mit relativ mehr „grüner“ politischer Energie dieses Problem nicht allein und auch nicht im Rahmen der EU wird lösen können.

Die relevanten fossilen Energieträger für Industrie und Haushalte können nicht mit Sonnen- und Windenergie ersetzt werden, solange a) der Konsum auf diesem Niveau gehalten wird und b) keine Speichermöglichkeiten für Sonnen- und Windenergie bereitgestellt werden. Sonne und Wind werden nicht verlässlich zur Verfügung stehen in unseren weniger sonnenreichen Gefilden.

So sieht es auch der Österreichische Physiker Georg Brasseur, der errechnet, dass 36-mal so viele Windräder und 110-mal so viel Photovoltaikfläche wie heute zum Einsatz kommen müssten, um den Bedarf mit Erneuerbaren Energien zu decken. Das entspräche der Fläche Rumäniens. Der Wissenschaftler hat auch berechnet, dass es nicht ohne Energie-Einsparung funktioniert.(45) Er nennt in diesem Kontext auch die Verbrauchssteigerungen im Sektor IKT (Informations- und Kommunikationstechnik) von 8 auf 25 % bis zum Jahr 2050, vor allem bei Streaming (Netflix) und Blockchain-Technik (Bitcoin). Dort muss eine Kehrtwende erfolgen. Das aber wird ebenso wenig reichen wie Sonnen- und Windenergie ohne Speicher-Option.

Brasseur weist darauf hin, dass die die aktuell wirksamste Speichermethode grüner Energie in Wasserstoff besteht, der selbst aus Sonne und Wind gewonnen werden kann. Das selbst in Deutschland, wo Solaranlagen abgeregelt werden und Windräder stillstehen, weil Trassen und Elektrolyse-Anlagen fehlen. Das ist lange bekannt und wurde in der Vergangenheit ignoriert. Die Wissenschaft ist in dem Thema klar positioniert:

„Wasserstoff ist das einzige Speichermedium, mit dem sich die Erzeugung von Strom, Wärme und Kraftstoffen miteinander verbinden lässt. Diese Eigenschaften machen ihn zu einem idealen Zwischenspeicher von Energie in einem modernen, auf Erneuerbaren basierenden Energiesystem. Wenn Sonne oder Wind in Spitzenzeiten mehr elektrischen Strom liefern als benötigt, könnte mit dem Überschuss Wasserstoff produziert werden.“ (Kai Dürfeld; Hermann von Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren e.V.)(46)

Brasseur zeichnet diese Skizze weiter und kommt zu dem Schluss, dass der Globus bestens nach Sonnen- und Windregionen eingeteilt werden kann. In landwirtschaftlich unattraktiven Sonnen- und Windregionen könnten Windräder und Photovoltaikanlagen Wasserstoff erzeugen, der über Transporte aller Art zu den Verbrauchern gelangen kann. Neben den auch in Europa möglichen Wind- Standorten könnte Wasserstoff qua Solarenergie in den MENA-Regionen gewonnen werden und besonders die Staaten dort am Wachstum der „grünen“ Energie partizipieren. Das wäre auch ein wesentlicher Beitrag gegen Armut, Krieg und Terrorismus. Darüber hinaus sind auch Flächen in Lateinamerika, Australien und Kanada geeignet.(47)

Die Erzeugungskosten von „grünem“ Wasserstoff sind aktuell noch so hoch, dass Ulrike Herrmann eher pessimistisch auf den Lauf der Dinge schaut.(48) Dennoch könnten die Kosten ähnlich gesenkt werden wie im Solar-Modul und Akku-Bereich, wo sich die Herstellungskosten in 10 Jahren um 2/3 reduzierten. Die Doppel-Krise von Corona-Pandemie-Nachholeffekten und Ukraine-Krieg hat die Preise für Rohstoffe, den Inputs für Akkus, Solarmodule und Wechselrichter, und Frachten seit 2021 in die falsche Richtung getrieben.

Abbildung 10: Durchschnittskosten für PV-Anlagen von 2006 bis 2021.(49)

Es bieten sich Lösungen an und Deutschland hat bereits Partnerschaften mit Australien, Kanada, Neuseeland und Südafrika begonnen.(50) Auch Chile ist aktuell ein begehrter Partner für Wasserstoff-Produktion und im Nahen Osten ist die Ära nach dem Öl bereits auf der Agenda.(51)Die VAE haben gerade „blauen“ Wasserstoff an den Kupferproduzenten Aurubis bei Hamburg geliefert.(52)

Der „blaue“ Wasserstoff entsteht durch Dampfreduzierung von Erdgas bei Aufspaltung in Wasserstoff und CO2, der unter der Erdoberfläche gespeichert wird. Die Atmosphäre bleibt verschont. Geliefert wird der Wasserstoff in Form von Ammoniak, dass sich ähnlich wie beim AdBlue in Verbrennungsmotoren gut aufspalten lässt. So ist Wasserstoff lager- und transportfähig. Dieses Pilotprojekt dient letztlich dem Ersatz von Gas in Produktionsprozessen. Idealerweise wird der Wasserstoff zukünftig durch Elektrolyse von regenerativer Energie aus Sonne und Wind erzeugt. „Wasserstoff gehört die Zukunft“ ist das Credo der EU.(53)

Dieser „grüne“ Wasserstoff bietet Chance für regionale Diversifizierung und Entmonopolisierung von energetischen Ressourcen. Das würden die autokratischen Staaten im Nahen Osten und auch Russland spüren. Die bilateralen Beziehungen zu Energielieferanten würden entzerrt werden und ein weniger aggressiver Handel könnte in die Weltwirtschaft einziehen. Dafür müssten noch viele politische Hürden beseitigt werden. Die USA haben dabei im Betrieb ihres Turbokapitalismus das allerschlechteste Vorbild abgegeben; nicht nur, weil sie pro Kopf exorbitante Mengen Energie verbrauchen. Die allseitige Hegemonie in Beschaffung, Handel und militärischer Präsenz hat die Welt gespalten und neue nicht weniger gefährliche Akteure wie China und Russland hervorgebracht. Und die USA haben es immer verstanden, die Niederlagen im imperialistischen Streben auf die Rest-Welt abzuwälzen. So auch in Form von Finanzkrisen als Spätfolge nutzloser Kriege um Ressourcen.

Teil 3: Finanzkrise 2008/2009 ist Spätfolge von Kriegen um Ressourcen

Ulrike Herrmanns Verweis auf die Finanzkrise ist mehr als nur eine Feststellung externen Schocks der Weltwirtschaft. Dieser Text hier geht weiter: Die Finanzkrise war ein fast normaler Kapitalismus- Unfall der spielsüchtigen Finanzindustrie und auch ein Ergebnis von marodierenden Kapitalflüssen. Die Notenbank Federal Reserve (FED) der USA war letztlich der Auslöser der meisten Finanzkrisen in Asien, Lateinamerika und zuletzt global. Der Grund liegt in der Hegemonie-Rolle der USA und dem Willen, auch mit Kriegen (Schwerpunkt: Naher Osten) die Einflusssphären energetischer Quellen zu sichern. Das alles kostete viel Geld und hat die US-amerikanische Gesellschaft und den US-Dollar als Leitwährung geschwächt. Mit den erratischen Zinsänderungen der FED wurden die Gelder der privaten Finanzindustrie bei guter Perspektive in die wachsenden Schwellenländer und bei rauer See zurück in den US-Dollar-Hafen gelenkt. Gerade in Zeiten geringen Wachstums – meist in und nach Krisen – sucht sich die Finanzindustrie neue Wege aus Geld mehr Geld zu machen. Das erfolgt über Casino-Aktivitäten (Wetten auf Finanz-Derivate) in Abgrenzung zu Kapitalanlagen für wachsende Branchen. Die Krise 2008/2009 war das Ergebnis dieser Situation und wurde besonders nach Europa getragen, dass damit einen Teil der Suppe auslöffeln musste.

Die FED hat in dieser Zeit auch Europa mit US-Dollar geflutet, damit das Weltwährungssystem nicht zusammenbricht. Die Aufblähung des US-Dollar-Bestands nach der Krise nahm gruselige Dimensionen an. In der City of London wurden en gros US-Dollars – auch genannte Euro-Dollars – generiert, obgleich das nur die US-Notenbank dürfte(54). Die nahm das nicht nur hin, sondern „druckte“ die angeforderten Geldmengen folgsam,(55)denn ein Kollaps in Europa hätte die Wallstreet in den Sog gezogen. Die Bilanzsumme der FED zeigt in ihrer Entwicklung (Abbildung 11) die globale US-Dollar-Versorgung auf, die sich in diesen Zeiten mehr als verdoppelte. Inzwischen beträgt die Steigerung über 900 %. Das Welt-BIP wuchs in der Frist um 250 %. Was hat das mit Energie zu tun?

Der US-Dollar ist – wie von den USA gewünscht und durchgesetzt – die Weltleitwährung und der gesamte Energiemarkt wird mit US-Dollar finanziert; von den Rubel-Ambitionen Russlands seitdem Ukraine-Krieg abgesehen(56).

Im Kern war die Schwäche der USA aus den Kriegen um Energie entstanden und das ist die Botschaft dieses Textes in Ergänzung zu Ulrike Herrmann. Aus ihrer Gleichung „Kapitalismus = Energie + Technologie“ lässt sich auch noch „Krieg als Funktion von Energie/Knappheit“ ableiten.

Da die USA in der Covid-19-Pandemie besonders dilettantisch vorgingen und – schon unter Ex- Präsident Donald Trump – das Heil im Verschicken sozial indifferenter US-Dollar-Schecks suchte, wurde die US-Inflation zusätzlich angeheizt. Die Lockdowns waren dann auch für das Horten dieser Trump-Schecks verantwortlich, die beim Wiederanfahren der US-Wirtschaft nach den Lockdowns eingelöst wurden und zu noch mehr Inflation führten als anderswo. Die Reaktion der FED ließ nicht lange auf sich warten, denn die Inflation zog den US-Dollar zusätzlich nach unten. Es gilt die Gleichung: Schwächen der nationalen Volkswirtschaft drücken den Währungswert, denn im Schrumpfen sind Renditen auf Investitionen weniger wahrscheinlich. Also bleiben ausländische Investoren aus, der US-Dollar wird weniger nachgefragt und die Negativ-Spirale springt an. FED musste diesen Mechanismus durchbrechen und den US-Dollar wieder attraktiv machen. Da bleibt dann nur noch Zinserhöhung. Da ist es für ausländische Anleger auch nicht mehr relevant, ob die US- Wirtschaft gerade schwächelt, denn der Zins (Rendite) ist garantiert. Das Risiko einer US-Staatspleite ist so gut wie Null, da die USA über die größte Volkswirtschaft verfügen, militärisch immun sind und die Weltleitwährung US-Dollar selbst „druckt“ (emittiert). Die FED muss folglich nur den Zinssatz anheben, um die globalen Geldflüsse der Finanzindustrien in die USA zu leiten.

Die frühen Zinserhöhungen aus 2021 belegen das „Triffin-Dilemma“(57), dass die USA einen starken US- Dollar benötigen, um die Import-Produkte(58) zu verbilligen. Folglich: Zinsen rauf heißt US-Dollar rauf, verbilligt Importe und vergrößert Wettbewerbsnachteile all derer, die auf günstige Energie angewiesen sind. Darin liegt der Sinn des FED-Zins-Aktivismus. Da die USA selbst auch Öl und Gas exportieren, müssen die Abnehmer – wie jetzt auch die EU – mehr zahlen. Die Mehrausgaben durch die Pandemie (Schecks und andere Stimuli) werden über Ausweitung der Staatsausgaben gedeckt, die wiederum durch die US-Treasuries (Staatsanleihen) finanziert werden. Die Renditen dieser Treasuries liegen aktuell bei knapp 4 Prozent und sind das Maß der Dinge für alle Formen von Finanzierungen weltweit. Auch deshalb haben die USA die global höchste Staatsverschuldung mit einem Anteil von 50 % aller Staatsanleihen weltweit. Schon Trump verkündete stolz auf Fragen zur Verschuldung: “First of all, you never have to default because you print the money, …”.(59) Die USA „drucken“ die Leitwährung schließlich selbst. Gelangt das neu „gedruckte“ Geld in den Konsum ohne Ausweitung des Angebots entsteht Inflation. Verzichtet die FED auf „Geld drucken“ aus Gründen der Inflationsgefahr sind US-Treasuries das probate Mittel der Staatsfinanzierung. Es gibt nur die beiden Optionen: Entweder US-Dollars „drucken“ oder Zinsen erhöhen und damit ausländisches Geld ansaugen. Die dritte Option einer Steuererhöhung ist in den USA so beliebt wie die Absetzung des „Superbowls“.

Der US-Dollar musste gestärkt werden und die FED stand unter Druck, die überaus schädliche Inflation einzudämmen: Inflation verursacht soziale Spannungen und verteuert inländische Produktion, schwächt den US-Dollar und verteuert damit auch die Importe. Inflation schafft somit weitere Inflation.

Es war auch völlig gleich, ob die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen erhöht oder nicht, solange die FED-Zinsen höher liegen. Die deutschen Baudarlehen-Zinsen schossen in die Höhe, als die FED die Zinserhöhung ankündigte. Wenn eine deutsche Bank Darlehen ausgibt, muss der Zins attraktiver sein als die Renditen der US-Anleihen. Mit einem Mouse-Klick könnte jede Bank die US-Anleihen erwerben: das ist Benchmark.

Fazit:

Die Konflikte im Nahen Osten sind Ausdruck der energetischen Grenzen des Planeten. Die Versuche der westlichen Industrienationen, diese Region zum dauerhaften und zuverlässigen Lieferantenstamm aufzubauen, sind spektakulär und schmerzhaft gescheitert. Viele dieser Staaten haben sich nicht nur abgewendet, sondern sogar einen Schritt in Richtung Despotismus unternommen, der anscheinend auch kompatibel zum System-Rivalen China ist. Auch Russland ist zu einem festen Partner avanciert. Viel ist von den exzellenten Beziehungen der USA zum Nahen Osten nicht übriggeblieben.

Die Einsicht in die planetarischen Grenzen erfreut sich zunehmender Zustimmung. Auch im Nahen Osten wurde registriert, dass der Westen mit Erneubaren Energien einen Weg geht, der nicht nur CO2-Emissionen vermeiden soll, sondern auch das altbewährte Geschäftsmodell des Nahen Osten bedroht. Der Ressourcenbedarf kippt in Richtung Seltener Erden, Lithium und anderen strategischen Rohstoffen wie auch Kupfer, Nickel etc. Der Nahe Osten ist aber in der glücklichen Lage, den Bedarf an „grüner“ Energie mit abzudecken. Globale Regionen mit viel Sonnen- und Windenergie können unter Einsatz von Elektrolyse-Anlagen Wasserstoff herstellen, der für die industrielle Produktion, Sozialwesen und die Versorgung der Haushalte eingesetzt werden kann.

Nur wird das akute Klimaproblem damit allein nicht mehr rechtzeitig zu lösen sein. Der Transformationsprozess wird länger andauern. Global ist erst ein Bruchteil von gut 2 % an Erneuerbarer Energie geschaffen. Es kommen zwar noch über 12 % aus Wasserkraft und Biomasse dazu60, aber die Hoffnung liegt in der Erneuerbaren Energie, deren Wachstum mit Hilfe technologischer Prozesse beschleunigt werden kann.  Und damit steigt auch der Bedarf an strategischen Rohstoffen jenseits von Öl, Kohle und Gas. Der Westen muss sich in der Beschaffung vom China-Monopol (Seltene Erden) lösen, um nicht die nächste Abhängigkeit aufzubauen, wenn es nicht schon geschehen ist. Aber die Möglichkeiten eigener Versorgung sind gegeben.(61)

Das wird nur einen Teil der Agenda ausmachen. Der Massenkonsum muss drastisch zurückgehen, um die Produktion von Gütern mit hohen Anteilen aus Kohlenstoffen zurückzufahren. Es muss eine Verzichtsökonomie in Gang gebracht werden, was Produktion- und Konsumverhalten gleichermaßen betrifft. Der politische Weg ist sehr steinig, denn es gab schon Kostproben in Deutschland bei Vorschlag eines freiwilligen „Veggiedays“, um die C02-Emission zu verringern. Die konservative Presse hatte sofort eine Kampagne gegen die Partei „Bündnis 90 Die Grünen“ entfacht und Empörung in der Bevölkerung ausgelöst. Die Partei leidet noch heute darunter.

Leider musste es erst zu Dürren und zu Flutkatastrophen wie im Ahrtal kommen, um das Bewusstsein über Natur und Folgen industrieller Eingriffe zu sensibilisieren. Russlands Ukraine-Krieg hingegen spaltet die Nation und tlw. auch Europa in der Reaktion gegen energetische Erpressung. Da liegt ein ganz weiter Weg vor uns. Und über allem steht auch immer die Frage, ob das nicht sowieso nur global zu lösen ist, denn unser Verzicht wird andere stärken, wenn die nicht mitziehen wollen. Es wird folglich nur im internationalen Einvernehmen gelingen; mit geläuterten USA, einem anderen Russland, einem anderen China, einem umgeschwenkten Indien und einem Nahen Osten, dem das Alleinstellungsmerkmal energetischer Quellen genommen wird. Afrika und Lateinamerika können von der Wasserstoffproduktion profitieren und einen Wohlstandspfad begehen. Darin liegt der Charme freundlicher Partnerschaften mit Win-Win-Effekten. Aber ohne Verzicht wird das nichts! Das beschreibt Ulrike Herrmann in ihrem Buch völlig korrekt.

1 Bauchmüller 2022; o.S.

2 Blechner 2022; o. S.

3 Benannt nach Hussein Badreddin al-Huthi, dem Gründer und Führer der Rebellen; 2004 von jemenitischen Sicherheitskräften getötet.

4 wie die Huhti-Rebellen schiitisch und pro-iranisch; Hisbbollah = Hisb (Partei) + Allah (Gott)

5 Helberg 2018; S.167

6 Länder am östlichen Mittelmeer

7 El-Gawhary 2022; o.S.

8 Vollmer 2022; o.S.

9 Lacher; o.S.

10 Keilberth; o.S.

11 MENA-Staaten: Middle Est and North Africa

12 Mordor Intelligence 2022; o.S.

13 Unicredit 2021; S.2

14 Signer 2022; o.S.

15 Statistisches Bundesamt 2021; o.S.

16 Päger 2017; o.S.

17 Die Huhti-Rebellen im Jemen waren die Tester der inzwischen berüchtigten „Kamikaze-Drohnen“ des Iran.

18 Gasche 2022; o.S.

19 Watanabe 2020; o.S.

20 Böhm, Andrea 2021; o.S.: Die Gesetze des Dschungels. https://www.zeit.de/zeit-geschichte/2021/04/krieg-gegen-den-terror-usa-9-11-afghanistan-truppenabzug. 10.04.2023

21 Institute for Economics & Peace; S.40

22   Bardollar 2021; o. S.

23 Hussain 2017; o.S. 2

24 Kristin Helberg 2018; S. 158ff.

25 DeYoung/ Fahim 2022; o.S.

26 The White House 2022; o.S. 2

27 Die USA drohen inzwischen als Reaktion mit Einfrieren der bilateralen Waffengeschäfte.

28  Herrmann 2022; S. 203ff

29 Zeuner 2019; o.S.

30 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1089357/umfrage/innovativste-laender-der-welt-nach-dem-bloomberg-innovation-index/

31 Investrends.ch 2021; o.S.

32 Brauck 2018; o.S.

33 Werner Dostal 2000; S.11ff

34 Statista 2022a; o. S.

35 Reynolds 2004; o.S.

36 Emendörfer; o.S.

37 Marx 2021; o.S.

38 Creditsun 2020; o. S.

39 Hoffmann 2013; o.S.

40 bdew 2020; o.S.

41 Libermann 2011; o. S.

42  Blenker 2022; o.S.

43 Bundesnetzagentur 2022; o.S.

44 Statista 2022b; o.S.

45 Brasseur 2021; S.9

46 Dürfeld 2018; o.S.

47 Brasseur 2021; o.S.

48 Herrmann 2022; s: 146ff

49 Echtsolar 2022; o.S.

50 Bundesamt für Bildung und Forschung 2022; o.S.

51 Rinke 2022; o.S.

52 Preuß 2022; o.S.

53 Klima- und Energiefonds 2021; o.S.

54 Die FED erhöhte in der Krise die Swap-Lines (Umtausch der Währungen) für ausländische Banken großzügig.

55 Tooze 2018; S. 239ff.

56 Russland zwang die Gas-Kunden durchaus erfolgreich in Rubel zu zahlen, um die Währung zu stabilisieren.

57 Robert Triffin war eine belgisch-US-amerikanischer Ökonom, der bereits 1960 vor dem US-amerikanischen Kongress auf das unlösbare Problem hinwies, dass die Versorgung der Weltwirtschaft mit US-Dollar diesen künstlich erhöht, das Exportgeschäft behindert und den Import verbilligt. Das schwächt die US-Wirtschaft und führt zur Verschuldung gegenüber ausländischen Anlegern. Er sollte Recht behalten.

58 Die USA importieren deutlich mehr als sie exportieren, was ein Ergebnis der US-Dollar-Hegemonie darstellt.

60 Weltenenergierat Deutschland 2020; S.7

61 Thomas Ertl 2022; S. 87ff: Russlands Ukraine-Krieg und der Westen. Metropolis Verlag Marburg 2022