Gas-Krise, EURO und die Sorgen von Sarah W.

Gas-Krise, EURO und die Sorgen von Sarah W.

11. Juli 2022 1 Von Thomas Ertl

Ein Blick auf die folgende Grafik reicht fast schon aus, um zu erkennen, wo es kneift. Deutschland, Italien, Österreich, Polen, Bulgarien und die Slowakei hängen/hingen an Putins Gas-Tropf. Der Krieg tobt in Europa und die Abhängigkeit Deutschlands vom nun safran-teuren Gas schwächt den EU-Raum deutlich mehr als die Rest-Welt. Das macht den Euro in Relation zum US-Dollar schwach. Hinzu kommt der Effekt der Federal Reserve, die den Leitzins als Mittel gegen „billiges Geld“ deutlich anhebt und damit den US-Dollar noch attraktiver macht. Der Krieg vor der Haustür der EU schwächt diese mehr als andere Wirtschaftsräume. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Mit EU-Staatsschuldenkrise hat das nichts zu tun. Die währt bereits länger als das akute Problem der Kriegsauswirkungen.

Abbildung 1: Abnehmer russischer Energie-Ressourcen vom 24. Februar bis 4. Juni 2022. Quelle: https://elements.visualcapitalist.com/importers-of-russian-fossil-fuels/

Japan ist vom russischen Gas vollkommen unabhängig und muss nur eine kleine Lücke an Roh-Öl schließen. Südkorea hat auch nur ein größeres Roh-Öl-Problem, dass aber deutlich leichter zu lösen ist, als Pipeline-Gas zu ersetzen.  Die EU bezieht zu über 40 % Erdgas aus Russland und befindet sich damit in einer Geisel-Situation.

Polen und Bulgarien sind „safe“

Polen und Bulgarien wurden bereits Ende April der Gashahn durch Russland zugedreht. Anders als Deutschland hat Polen das Problem eher kommen sehen. Gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland RND hat der Vizeaußenminister Szynkowski vel Sek erklärt:

„Dieser Stopp von Gaslieferungen aus Russland hat uns nicht überrascht, wir haben uns schon seit Jahren gut auf dieses Szenario vorbereitet und schon seit 2015 schrittweise unsere Abhängigkeit von russischem Erdgas um etwa 20 Prozent zurückgefahren.“

Anscheinend hatte Polen die Krim-Annektion anders bewertet als unsere Appeasement-Spezialisten. Polen wird ab Herbst 2022 Gas über die Baltic-Pipeline aus Norwegen beziehen. Die Gasspeicher sind mit 80 % gut gefüllt und die Option für temporäres LNG-Gas ist ebenfalls gegeben.[1]

Bulgarien kauft Gas, dass zuvor zu 90 % aus Russland kam, zu besseren Konditionen qua LNG-Lösung aus den USA.[2] Damit verbleiben Deutschland, Italien und Österreich als die Nationen mit Heulen und Zähneklappern.

Österreich sucht die Alpen-Connection

Österreich setzt auf die Adria-Alpen-Pipeline, die auch osteuropäische EU-Länder und Deutschland mit versorgen könnte. Italien und Kroatien besitzen LNG-Terminals: eine „neue“ Kern-Intrastruktur im Kampf gegen Putins Erpressungsstrategie.[3]

Italien hat LNG-Terminals und mehrere Pipeline-Optionen

Italien bezieht Gas aus fünf verschiedenen Pipelines. Algerien liefert über 30 % des Bedarfs. Auch aus Libyen und Aserbeidschan wird Gas via Pipeline bezogen. Zu den 3 vorhandenen LNG-Terminals kommen noch zwei neue hinzu. Um sich ganz aus der Umklammerung potenzieller Erpressung zu lösen, benötigt Italien ähnlich wie Deutschland zwei bis drei Jahre.[4] Es bleibt schwierig, weil mit Gas auch die Energie-Industrie selbst versorgt wird. Die Stadt Riva del Garda wird mit russischem Gas universell versorgt bis hin zur Papier-Fabrikation, die ursprünglich das Gas-Kraftwerk initiierte.

Die Anteile russischen Gases sind weniger problematisch als die absolute Menge

In Abbildung 2 sind die Risiken der Abnehmer-Länder grafisch dargestellt. Aufgrund der großen Mengen an Kubikmeter Gas sind Deutschland, Italien und Österreich gefährdeter als die kleinen osteuropäischen Staaten der EU, denn es geht dabei um die Substitutionsmöglichkeiten. Kleinere Mengen sind einfacher auszugleichen. Deutschlands Risiko mit 13 % russischem Anteil am Energieverbrauch wiegt noch mehr, weil fast die Hälfte des Gases für die industrielle Fertigung genutzt wird. Gas ist hier ein Input-Rohstoff z. B. in der Fertigung für Glas, Stahl und auch Dünger (Ammoniak). Die Substitution mit anderen Energieträgern ist aktuell bei Glas nicht möglich. Natürlich muss es kein russisches Gas sein, auch nicht unbedingt Erdgas. Aber die benötigten Temperaturen benötigen Gas[5]. Auch Bio-Gas ist einsetzbar, fehlt aber in den notwendigen Volumina. Wasserstoff – auch ein Gas – ist die mittel- bis langfristige Lösung. Bis dahin werden Brücken-Lösungen außerhalb russischer Optionen gesucht. Die Industrie ist ein besonderes deutsches Sorgenkind.

Abbildung 2: Risiken der EU-Staaten bezüglich russischer Gas-Importe: Daten: Eurostat/Gazprom. ©te

Nun zu Frau Wagenknecht:

Sie macht sich Sorgen um die deutschen Arbeitsplätze, da die tatsächliche Gefahr besteht, dass Teile der „unpatriotischen“ deutschen Chemie-Industrie das Land verlassen, wenn der Gashahn zugedreht und/oder die Preise stark angehoben würden. Diese Schwächung der deutschen Industrie – Frau Wagenknecht spricht vom Rückgrat – sollte vermieden werden. So weit so gut. Die Antwort von Italiens Staatsoberhaupt Mario Draghi auf die Frage nach Russland-Gas vs. Solidarität mit der Ukraine liest sich wie folgt:

„Wollen Sie Frieden oder eine laufende Klimaanlage?“[6]

Die Lösung sollte lt. Wagenknecht aber darin bestehen, die Sanktionen gegen Russland einzustellen, denn damit würde sowohl Russland als auch Deutschland geschadet werden.[7] Das ist sachlich richtig, was die kurze Frist betrifft. Die Gas-Rechnungen der Haushalte und Unternehmen werden unerfreulich sein. Putins Russland muss aktuell auf westliche Importe verzichten. Zudem verlassen viele ausländische Unternehmen Russland. Das ist der Schaden und der wird noch viel größer werden, wenn sich die russischen Läger für relevante Ersatzteile leeren. Das Problem wurde gerade durch die nicht lieferbare Turbine zur Gasverdichtung offengelegt. Das Sanktionspaket der westlichen Staaten untersagt einen Export nach Russland. Gazprom droht mit Lieferstopp, weil dieses Teil nicht geliefert wird. Nach einigem Hin und Her wird die Turbine des Energietechnikkonzern Siemens Energy von den Sanktionen ausgenommen, um Europa und besonders Deutschland vor einem kalten Winter zu schützen[8]. Das Beispiel soll vor allem die Verwundbarkeit der russischen Anlagen belegen.  Die Verwundbarkeit der EU liegt in der energetischen Abhängigkeit zu Russland. In einer friedlichen Welt wäre das eine optimale Ergänzung, im Konflikt ergeben sich Dilemmata.

Putin verdient aktuell nicht weniger am Gas, weil der Preis enorm gestiegen ist und weil es noch genügend Abnehmer gibt. Das russische Gas ist neben Roh-Öl das wichtigste Exportgut, aber Russland wird viele Kunden aus dem Kreis von Nato und EU gemäß Abbildung 1 verlieren. Das wird Russland dauerhaft und strukturell schwächen. Darin besteht der Sinn der Sanktionen. Natürlich sollte die EU nicht den Gashahn zudrehen und Gas so viel kaufen wie es nötig ist. Aber was ist nötig? Wagenknecht empfiehlt den Kauf russischer Rohstoffe nach Bedarf, also möglichst viel, weil günstig. Die EU kauft aber nach dem Prinzip, was sich nicht anders beschaffen lässt. Je weniger die EU abnimmt, desto weniger ist sie erpressbar. Das sind unterschiedliche Ansätze. Die EU will Russland maximal schaden, ohne sich selbst zu gefährden. Auch das zu höheren Preisen.

Ob die China-Indien-Russland-Allianz greifen wird, um den Verlust für Russland zu kompensieren, bleibt mehr als fraglich. Die Pipelines müssen erst verlegt werden und die Weltkonjunktur wird besonders für China als Hauptabnehmer russischen Öl nicht unbedingt besser, sollte sich diese Allianz verhärten. Wer kauft das mit Öl produzierte China-Plastik bei antagonistischer Blockbildung?

Die Sanktionen sind kein Opfer für Nichts

Die Sanktions-Absicht ist die Schwächung eines despotischen imperialistischen Regimes, dass sich finanziell durch den Export von Öl und Gas nährt. Sollte Putin den Krieg gewinnen, steht er deutlich näher vor unseren Toren und die des Baltikums. Militärische Ausgaben würden exorbitant in die Höhe schnellen und menschliche Ressourcen binden, die sonst produktiv sein könnten. Das würde die deutsche Volkswirtschaft sehr belasten und sollte vermieden werden. Das Dilemma: Mehr BASF[9], weltgrößter Chemie-Konzern begünstigt durch billiges Gas Russlands oder mehr volkswirtschaftliche Substanz bei weniger Militär.

Ein schwaches oder geschlagenes Russland wäre ein Segen für Weltfrieden, bessere Ernährungssituation und Entwicklungsperspektiven. Frau Wagenknecht hat schon 2017 nach der ersten Krim-Annektion den Stopp der Sanktionen gefordert. Und dieser Überfall war kein Ausrutscher, sondern eine Etappe in der Abfolge von Tschetschenien, Georgien, Krim, Donbass und Aleppo (Syrien).

„Ich sehe nicht, dass Sanktionen irgendetwas an der Situation verändern. Und niemand ist hoffentlich so verrückt, wegen der Krim einen militärischen Konflikt mit Russland zu riskieren. Wir sollten wieder an die Tradition der Entspannungspolitik anknüpfen und uns um ein gutes Verhältnis zu Russland bemühen. Die Sanktionen schaden unserer Wirtschaft und die Konfrontationspolitik gefährdet Sicherheit und Frieden in Europa.“ (Wagenknecht im Jahr 2017 im RP-Online-Interview)[10]

Die guten Finanzlagen durch Einnahmen aus Energie-Exporten (Entspannungspolitik?) hat Russland wieder zum alten Aggressor werden lassen.  Die Demokratie war nur eine ganz kurze Periode, in der sich Kleptokraten und Oligarchen orientieren mussten. Danach wurde sie abgeschafft und „Paria“ wurde in Stellung gebracht.

Wagenknechts neuer Verweis auf deutsche Arbeitsplätze ist lächerlich[11]. Die deutsche Wirtschaft und besonders die deutsche Exportwirtschaft konnte sich durch „korrumpiertes“ Pipeline-Gas einen erheblichen Wettbewerbsvorteil auf dem Weltmarkt verschaffen. Ein Teil der Arbeitsplätze bestünde ohne diese miesen Deals gar nicht. Die deutsche Politik hatte dieses „Beggar thy neighbour“ zum Prinzip erhoben. Wettbewerbsvorteile wurden vor allem auch durch einen für Deutschland unterbewerteten EUR und Import günstiger Energie und Schaffung von Billiglohn-Segmenten gesichert. Das hat Arbeitsplätze in anderen Regionen der Welt und auch Europas gekostet.

Nun dreht sich der Wind und schon geht das (deutsche) Abendland unter. Unternehmen wie BASF sind inzwischen systemrelevant, da mit russischem Gas, in das BASF mehr als dubios verstrickt ist[12], unzählige Input-Elemente für andere Branchen gefertigt werden. Die würden in den Sog geraten, wenn BASF zum erliegen kommt. Das muss allerdings im Auge behalten werden und liegt in der Verantwortung der deutschen Politik. BASF setzt 60 % des Gases für Energie und 40 % als Rohstoff für die Produktion ein. Da sollte ein Umswitchen zugunsten anderer Energieträger möglich sein.[13]

Die Maßnahmen müssen in Richtung einer kreditgestützten Finanzierung höherer Gaspreise austariert werden, sollte es existenzbedrohend werden. Das wird für eine gewisse Zeit allseits ungemütlich und zehrt auch am deutschen Wohlstand. Eine weitere Option: Für BASF sollten die Haushalte weniger heizen, um systemrelevante Arbeitsplätze zu erhalten. Das alles ist besser als die verkappte Kapitulation gegenüber Russland durch Einstellung der Sanktionen. Es ist ein bisschen Kriegswirtschaft.[14]

Die Alternative: Russland obsiegt und bedroht weiter Anrainer-Staaten. Russland muss im Interesse des Weltfriedens maximal geschwächt werden. Putins Expansionsgelüste sind nicht einmal ökonomisch zu erklären. Ein an Rohstoffen gesegnetes Land muss kein anderes überfallen, um die eigene Bevölkerung und die Taschen der politischen Machthaber zu versorgen. Hier geht es um geopolitische Ansprüche, die Putin mit der Ukraine-Invasion als Schwenk zur Multipolarität[15] und Abkehr von der US-Dominanz bewertet. So ist seine eigene Erklärung der Aggression. Es geht schlichtweg um Großmachtfantasien ohne ökonomische Kausalität. Andersrum wird die russische Ökonomie unter dem Krieg und seinen Folgen mehr leiden, als Putin je vermutet hätte.


[1] Jan Emendörfer 2022: „Wir sind vorbereitet“: Polen kontert russisches Gasembargo mit neuer Ostsee-Pipeline; https://www.rnd.de/politik/polen-gas-stopp-laut-vizeaussenminister-kein-problem-wegen-ostsee-pipeline-J4DPFLQISFFODMMJNY7W5LUQ3A.html; 08.07.2022.

[2] Gerd Höhler 2022: Putin dreht Bulgaren den Gashahn zu – doch in Sofia finden sie kluge Antworten; https://www.handelsblatt.com/politik/international/ukraine-krieg-putin-dreht-bulgaren-den-gashahn-zu-doch-in-sofia-finden-sie-kluge-antworten/28337146.html; 08.07.2022.

[3] DerStandard 2022: Wirtschaftsforscher fordern konkrete Gasnotfallpläne und empfehlen Sparaufrufe; https://www.derstandard.at/story/2000135867052/wirtschaftsforscher-fordern-konkrete-gas-notfallplaene-und-empfehlen-sparaufrufe; 09.07.2022.

[4] Elisabeth Pongratz 2022: Wie sich Italien von Russlands Gas lösen will; https://www.tagesschau.de/wirtschaft/weltwirtschaft/italien-gasversorgung-101.html; 08.07.2022

[5] Andreas König 2022: Kein Glas ohne russisches Gas; https://www.tagesschau.de/wirtschaft /unternehmen/gaslieferungen-sorgen-engpass-industrie-101.html; 09.07.2022

[6] Christian Schubert 2022: https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/mehr-wirtschaft/mario-draghi-facht-die-debatte-um-ein-gas-embargo-an-17942702.html; 09.07.2022

[7] Pascal Beucker 2022: Linke ärgert sich über Klaus Ernst; https://taz.de/Streit-ueber-Russland-Sanktionen/!5866127/; 08.07.2022

[8] Moritz Serif/Lucas Maier 2022: Nord-Stream 1 abgeschaltet: Turbine aus Kanada könnte Versorgung sichern; https://www.fr.de/politik/russland-krieg-ukraine-energie-nord-stream-gas-wichtigste-gas-leitung-deutschland-wird-gekappt-kanada-hebelt-sanktionen-aus-zr-91658510.html; 11.07.2022.

[9] 2021 wurden 78 Mrd. EUR Umsatz erzielt. BASF beschäftigt weltweit 111 Tsd. Mitarbeiter, 38 Tsd. in Deutschland

[10] Gregor Mayntz und Martin Kessler: “Russland-Sanktionen schaden der Wirtschaft”; https://rp-online.de/politik/sahra-wagenknecht-russland-sanktionen-schaden-der-wirtschaft_aid-17979523; 09.08.2022

[11] Fabian Hartmann: „Unsinnige Sanktionen sofort aufheben“: Wagenknecht fordert Kauf von Öl und Gas aus Russland; https://www.fr.de/politik/ukraine-krieg-sahra-wagenknecht-russland-sanktionen-linkspartei-klaus-ernst-zr-91656351.html; 09.07.2022

[12] BASF ist mit 73 % an Wintershall beteiligt. Die anderen Anteile hält das Unternehmen Letter One, das von dem Oligarchen Michail Fridman gegründet wurde.

[13] Fokus 2022: Wenn die Chemie nicht mehr stimmt; https://www.focus.de/magazin/archiv/titel-wenn-die-chemie-nicht-mehr-stimmt_id_80606847.html; 08.07.2022.

[14] Florian GüßgenMax Haerder und Jürgen Salz: Die Kriegswirtschaft rückt näher; https://www.wiwo.de/politik/deutschland/debatte-um-den-gasverbrauch-die-kriegsmangelwirtschaft-rueckt-naeher/28433566.html; 08.07.2022

[15] ntv 2022: Putin: Haben in der Ukraine noch gar nicht richtig angefangen; https://www.n-tv.de/politik/Putin-Haben-in-der-Ukraine-noch-gar-nicht-richtig-angefangen-article23449782.html; 08.07.2022