Grüne Krise: Hund wedelt mit dem Schwanz

Grüne Krise: Hund wedelt mit dem Schwanz

14. Juni 2023 1 Von Uli Gierse

Der Schwanz wackelt mit dem Hund, heißt es, wenn von der FDP die Rede ist. Das stimmt jedoch nicht, denn die FDP ist aktuell in Sachen Klimaschutz Teil einer gesellschaftlichen Mehrheit – metaphorisch Hund genannt.  

„Die Frage war nie, wer das bessere Argument hat, sondern immer: Wer hat das mächtigere? Solange Olaf Scholz keinen machtpolitischen Vorteil in radikaler ‚Klimapolitik sieht, wird es keine geben.“, schreibt Luise Neubauer in der TAZ[1].

Ich bin 2019 in die Grünen Hamburg wieder eingetreten, weil ich den Politikertypus Habeck toll fand und Fridays for Future als neue soziale Bewegung neue Hoffnung auf die Lösung der Klimakatastrophe  machte.

FFF ist u.a. durch Corona leider erledigt worden und Robert Habeck hat wahrscheinlich das Amt fertig gemacht. Anstatt aufzuklären über Widersprüche in der Konzeption der notwendigen CO²-Rduktion im Wärmebereich demontiert er sich wie gestern Abend im Heute-Journal im Schönreden zunehmend selbst. Ich glaube nicht, dass die Grünenanhänger so blöd sind. Von der Politik belohnt werden offensichtlich nach wie vor die „fossilen Märkte“ mit ihrem professionellen Lobbyismus und damit die Parteien des fossilen Lobbyismus CDU/CSU, FDP und AfD.

War ich in den 80er und 90er noch links in der Grünen, bin ich heute eher ein pragmatischer Realo. Doch eins habe ich nicht vergessen, Politik braucht im Handeln eine gesellschaftliche Verankerung, sonst bleibt sie machtlos. Politische Macht ist notwendig, aber wie man gerade in Berlin sieht nicht wirklich handlungsmächtig, wenn sie nicht aus gesellschaftlicher Macht gespeist wird. Und wie will man Mehrheiten schaffen, wenn man kleinkarierte Politik schönredet und nicht für größere Würfe wirbt?

In Bezug auf die notwendigen Maßnahmen gegen die Erderhitzung ist aus einer gesellschaftlichen Mehrheit eine Minderheitenposition geworden, weil die Regierung nicht klar kommuniziert und die FDP Lobbyist der fossilen Industrie ist. Und da muss man die Frage stellen, ob ein politisches Projekt, welches nicht nur gesellschaftlich, sondern auch politisch keine Mehrheit mehr hat, überhaupt noch einen Sinn macht.

Wer diese Frage ignoriert, weil es ja nur darauf ankäme durch „gute“ Politik Zustimmung zu generieren, hat nicht verstanden oder nie gewusst, dass Hannah Arendt hat völlig Recht hat, wirkliche Macht entsteht nur (!) aus dem Zusammenschluss konkreter Menschen in der Gesellschaft. Und da sind wir aktuell so untätig wie nie.

Und das liegt nicht daran, dass die Kräfte leider nicht da sind, sondern vor allem daran, dass man falsche Prioritäten setzt es und gar nicht versucht gesellschaftliche Verankerung durch Arbeit vor Ort zu erreichen.

In Hamburg jedenfalls konzentrieren sich die aktiven Parteimitglieder fast ausschließlich auf staatliches Handeln, man meint mit Regierungspolitik die Welt verbessern zu können. Staat und Gesellschaft sind aber nicht dasselbe. Um im Staat erfolgreich sein zu können, braucht man die Machtbasis in der Gesellschaft wie in den Zeiten von „Fridays for Future“ oder der Anti-AKW-Bewegung. Gesellschaftliche Mehrheiten, vor allem aktive, sind jedoch nicht allein in den Szenegebieten der Universitätsstädte erreichbar. Dazu braucht man Bündnisse bis weit ins bürgerliche Lager.

Und wenn man dann noch in den Verdacht der Korruption gerät, ob bei Wirtschaftsstaatsräten oder beim Decken von sozialdemokratischem Fehlverhalten ob bei Cum-Ex oder wie in Hamburg bei der Verhinderung eines NSU-PUA, dann ist man auf dem abschüssigen Ast und wird es bleiben.

Nun hätte ich sicher unrecht, wenn die Regierungsarbeit im Bund und auch in Hamburg tatsächlich qualitativ ein Fortschritt im Vergleich zu einer GroKo wäre. Doch Realpolitik sollte sich mit der Wirklichkeit beschäftigen: Wenn wir so weitermachen, sind 3 Grad Erderwärmung weltweit vorprogrammiert. Für Deutschland und Eurasien bedeutet das mindestens 6 Grad, denn Landgebiete erwärmen sich etwa doppelt so schnell. Extreme Trockenheit, Hungerkrisen, Wassermangel und Starkregen-Katastrophen sind dabei sicher. 

Die internationale Energieagentur (IEA) hat gerade vermeldet, dass 2022 die weltweiten Subventionen für den Verbrauch fossiler Brennstoffe auf über eine Billion US-Dollar angestiegen sind. Wir finanzieren den Klimawandel anstatt ihn zu stoppen.

Im Bund subventionieren wir demnächst Pellet-Heizungen, die beim Freisetzen von CO² und Feinstaub per Gesetz als nachhaltig gelten dürfen, die Bevölkerung wird in eine Gasfalle gelockt, indem man suggeriert, dass in den nächsten dreißig Jahren  Wasserstoff aus dem Gasnetz zu günstigen Preisen zischen wird. Der Umstieg auf erneuerbare Wärmenergie wird massiv verzögert. Es mag ja sein, dass nicht mehr mit der FDP und der SPD drin ist. Aber was machen unsere Spitzenfunktionäre? Sie reden diese Niederlage schön und behaupten gegen besseres Wissen, das sei ein großer Wurf.

Auch die Klimaflüchtenden werden zunehmen, und da reagieren die Gewinner der Geburtenlotterie in der EU mit dem Ausbau der Burg (AfD-Parole) Europa, und die Grünen stimmen zu, weil man die innenpolitische Auseinandersetzung scheut und die EU zusammenhalten will. Wenn das jedoch die oberste Priorität ist, dann kann man wertegeleitete Politik vergessen. Auch hier wird wieder alles schön geredet. Nicht ganz, es gibt auch kritische Stimmen vor allem vom linken Parteiflügel, doch auch der bleibt zahnlos beim Jammern stehen, denn auch hier fehlen gesellschaftliche Mehrheiten.

In der Generation der 25-35-jährigen, unserer Kinder, scheint auch einiges nicht funktioniert zu haben, wenn männliche Gewalt in Beziehungen zu einem Drittel gutgeheißen wird.

Beim Selbstbestimmungsgesetz wird es daher ähnlich zu gehen wie beim Wärmegesetz. “LGBTQIA+” ist meilenweit weg von Mehrheiten in der Gesellschaft.

Die AfD liegt bei den Meinungsumfragen, obwohl sie eher schillt als agiert, gleichauf mit der SPD. Wie soll das erst ausgehen, wenn es eine wirkliche Wohlstandkrise geben sollte? Und, und, und Russland, China…

All diese und noch viele weitere Probleme sind nur gesellschaftlich lösbar. Früher als Parteien noch Interessenvertreter von sozialen Klassen waren, war sich die Repräsentanz in den Parlamente noch der Unterstützung ihrer sozialen Basis sicher, heute gibt es allerdings diese Klassengesellschaft nicht mehr, sondern man braucht zu jedem Thema eine neue Mehrheit und die fällt nicht vom Himmel noch in den Shows des Politikbetriebs, auch nicht in Social Media, sondern nur durch stetige politische Arbeit vor Ort. 

Über notwendige Kompromisse kann man und muss man streiten, da ist es auch keine Schande in der Minderheit zu sein. Gestritten wird aber bei den Grünen nicht mehr oder wenn, dann in den kleinen Machtzirkeln. Nach außen und in die Partei hinein wird alles ausnahmslos schöngeredet. Die Newsletter von Fraktion und Landesvorstand in Hamburg sind reine Selbstbeweihräucherungen, sie verdummen mehr als dass sie aufklären würden.

Beim einfachen Basismitglied wie mir verstärkt das nur das Ohnmachtsgefühl, dass Kritik an der Nomenklatura nicht nur unerwünscht, sondern unmöglich ist. Für mich ist das Projekt Grüne daher dann gescheitert, wenn die gesellschaftliche Hegemonie wie in den aktuellen Meinungsumfragen im liberal-konservativen – rechtradikalen Milieu  bleibt. Selbst größere Klimakatastrophen werden daran erstmal nichts ändern, weil es die fossile Lobby zusammen mit rechtspopulistischen PolitikerInnen geschafft hat, das Klima zum Kulturkampf wie Gendern oder Veggie-Burger zu machen. Nur eine einige Ampel hätte das verhindern können, auch deshalb scheint die Ampel als Klima-Fortschrittskoalition ungeeignet zu sein.   


[1] Luisa Neubauer über Klima und Emotion: Klimaschutz ist eine Frage der Macht – taz.de