Grünen-Bashing und Gaspreis-Irrtümer

23. Oktober 2022 0 Von Thomas Ertl

Das Bashing der Grünen breitet sich von Ex-Bild-Chef Reichelt bis hin zu vermeintlichen Linken aus:

„Dümmste Regierung Europas …Gefährlichste Partei“ (Sahra Wagenknecht)

„Zumindest das Adjektiv „dumm“ haben sie sich jedoch redlich verdient, führt man sich Äußerungen der – insbesondere Grünen – Wirtschaftskrieger zu Gemüte“… (Paul Steinhardt: „Ist Deutschland ein Vasallenstaat?“; Makroskop.eu vom 20/21.10.2022) 

Steinhardt, der zur Community um Heiner Flassbeck[1] zu zählen ist, relativiert das „dumm“ dann ein wenig und deutet es in Ohnmacht um, weil schließlich der US-Imperialismus an dem Ukraine-Krieg interessiert sei und Deutschland die USA als wichtigsten Exportmarkt nicht verlieren dürfe. Also sollte die von den USA geforderte Sanktionspolitik unterstützt werden.  

Steinhardt kritisiert, dass damit gegen die nationalen Interessen Deutschlands gemäß Artikel 56 des Grundgesetzes verstoßen würde, denn die Sanktionen würden Deutschland erheblich mehr Schaden als die USA, die energetisch – wahrscheinlich aufgrund des Frackings – wesentlich robuster sei.

Steinhardt empfiehl stattdessen eine Haltung wie die Viktor Orbans: Sand in das Sanktions-Getriebe streuen und gleichzeitig Solidarität mit der Ukraine bekunden. Er lobt in diesem Kontext auch Familie und Kirche, die noch positive Tugenden vermitteln würden. Die Orthodoxie in Russland meint er hoffentlich nicht. Man reibt sich die Augen beim Lesen der Zeilen. Der antisemitische und undemokratische Orban wird als Vorbild herangezogen, um eine zumindest „schlaue“ Haltung im Ukraine-Krieg einzunehmen.       

Die USA werden für den „unseligen“ Wirtschaftskrieg verantwortlich gemacht und Biden wird zitiert, dass ohne Wirtschaftssanktionen ein dritter Weltkrieg drohen würde. Es wird schlicht ausgeblendet, welche Wirkung Sanktionen auf Russland haben. Was wäre denn, wenn wir weiter das militärische Arsenal Russlands finanzieren, weiter High-Tech-Produkte für die Luftwaffe und Raketenartillerie liefern? Der Krieg wäre längst zugunsten Russlands entschieden und die Anstrengungen gingen in Richtung intensiverer Verteidigung Deutschlands und vor allem des Baltikums. Oder müssten wir Putin-Russland gar nicht fürchten, wenn der erst einmal „seine“ Ukraine bekommen hat. Ist das Szenario von unterlassenen Sanktionen und fehlender Waffenunterstützung zu Ende gedacht worden?

Steinhardt stellt fest, dass die USA aufgrund der wirtschaftlich-militärischen Stärke vom Krieg profitieren, während Europa Wohlstandsverlust und Exodus von Unternehmen hinnehmen muss, weil die Energiepreise in den USA deutlich geringer seien. Das mag tlw. so sein, aber den Anreiz gab es schon immer. Selbst die USA verloren viele Unternehmen, weil es z. B. in China “bessere” Produktionsbedingungen wie billige Löhne gibt. Es stellt sich doch eher die Frage, ob eine gestärkte autokratische BRICS-Achse den Wohlstand und die Freiheit in Europa bedrohen. Wollen wir das Abenteuer eingehen oder es mit den USA halten, die ohne Europa einen einsamen Kampf gegen die großen Rivalen China und Russland führen müssten. Steinhardt beurteilt das Vorgehen der USA als Kalkül, Russland und Europa zu schwächen. Besonders würden die USA auf eine Stärkung im eurasischen Raum setzen. Welcher eurasische Raum? Glaubt er, dass Kasachstan, Usbekistan, Aserbeidschan etc. sich in die Arme der USA bewegen. Schon jetzt treten diese Staaten deutlich selbstbewusster auf, weil China die andere Grenzseite bewohnt und großes Interesse an den Ressourcen der Region hat. Es würde China in die Hände spielen. Sollten die USA so naiv sein, das nicht zu sehen? Wohl kaum.

Am Ende würde China gestärkt, Russland zum Vasallen Chinas degeneriert, was wohl eh passiert, und Europa als strategischer Partner geschwächt werden. Europa und die USA brauchen einander und darüber hinaus ist auch die Integration der asiatischen Demokratien Japan und Südkorea wichtig.  Es ist ein System-Streit, der unsere Freiheit berührt.

Eine Kriegsgefahr schwebt seit der Truppenkonzentration Russlands im Jahr 2021 über dem Kontinent und es ist tatsächlich dazu gekommen, was unvorstellbar war. Und Leute wie Wagenknecht, Steinhardt und einige hier nicht genannte Prominente haben nichts Besseres zu tun, als sich an den „Grünen“ abzuarbeiten und das Ende der deutschen Wohlstandsgesellschaft zu beklagen. Wir zahlen jetzt für eine verfehlte Energiepolitik letzter Jahrzehnte und die „Grünen“ sind die Partei, die genau das kritisiert hat, was jetzt unser Problem ist: Energetische Abhängigkeit von Russland und das Ausbremsen der Energiewende.

Die in dem Steinhardt-Aufsatz genannten Fakten sind zudem auch nicht sattelfest. Die Gaspreise waren bereits vor dem Ukraine-Krieg auf einem Niveau, dass sich sogar negativ vom aktuellen Preisgeschehen unterscheidet. Waren da auch schon die Grünen schuld? Es waren sogar fast 16 % mehr als im Oktober 2022.

ERDGASPREIS – NATURAL GAS CHART IN DOLLAR 2022[2]

Die Gaspreise sind in den 3 Monaten um 43 % gefallen. Die Gas-Preise werden gern genannt, wenn es um die „Dummheit“ der Sanktionen geht. Aber die Fakten sind anders. Die USA haben die Liefermengen an LNG-Gas erhöht, die Nachfrage sinkt aufgrund rezessiver Entwicklungen und die Speicher sind recht gut gefüllt.[3] Damit sind den spekulativen Spotpreisen an den Börsenplätzen vorerst der Zahn gezogen. Auch hier zeigt sich, dass die Preise eben auch Ausdruck spekulativen Handels sind. Der Krieg hat die Preise hoch erhöht, die sich bereits 2021 eingestellt hatten. Nun sind die Preise gefallen, weil der Westen reagierte.  

Die Gaspreis-Problematik entwickelte sich im Zuge der Corona-Pandemie-Nachholeffekte. Die volkswirtschaftlich gut wachsenden Staaten Südostasiens haben nicht nur mehr Energiebedarf durch das Anziehen der Weltkonjunktur, sondern China substituiert zunehmend Kohle durch Gas. Das erfolgt seit Jahren im Rhythmus von 2 bis 3 Jahren in einer Dimension von Frankreichs jährlichem Gas-Marktanteil .

“There’s about a 15 percent drop in EU production over the past three years as the U.K. North Sea production declines and the Groningen gas field in the Netherlands closes. At the same time, China is switching 15 million homes a year from coal to gas … every two or three years, you’re adding a market the size of France.”[4] (TES-Chef Marco Alverà)[5]

Alverà moniert, dass die LNG-Speicher im Sommer nur gefüllt werden müssten, um gut durch den Winter zu kommen. Das hätte die EU regelmäßig versäumt, weil immer mit besseren Einkaufskonditionen gerechnet wurde. Das konnte sich im Jahr nach der Pandemie nicht erfüllen. Alverà regte an, dass strategische Speicher mit 40 Milliarden Kubikmeter errichtet werden müssten, damit im Winter kein LNG benötigt würde. Der Bau hätte bereits Ende 2021 beginnen können.

Bereits in 2023 wird ein gigantischer Speicher an den Start gehen, der aktuell gebaut wird.[4] Ein Teil solcher Speicher besteht bereits, wurde aber im Jahr 2021 aus Spekulationsgründen nicht befüllt. Am Sportmarkt wurde in 2022 sogar der 8-fache Preis gezahlt, weil sich Angst breit machte, die jetzt anscheinend weniger geworden ist, reziprok zum Gaspreis.



[1] Heiner Flassbeck war unter Oskar Lafontaine Staatssekretär im Finanzministerium und 9 Jahre Chefvolkswirt der UNCTAD. Flassbeck – bis 2019 Mit-Herausgeber von Makroskop – machte sich verdient mit seinen Analysen zur Exportlastigkeit Deutschland, die durch niedrige Reallöhne und Billiglohnsektor erzwungen wurde.      

[2] https://www.finanzen.net/rohstoffe/erdgas-preis-natural-gas; 23.10.2022

[3] Tagesschau 2022; o.S.: Der Gaspreis fällt weiter. https://www.tagesschau.de/wirtschaft/gaspreis-faellt-niedrigster-stand-seit-juli-101.html. 23.10.2022

[4] Politico 2021; o.S.: Stop blaming Russia and fill your gas storage, top executive tells EU. https://www.politico.eu/article/gas-ceo-snam-marco-alvera-storage-boost-price-control/. 23.10.2022

[5] TES ist ein globales Unternehmen für „grünen“ Wasserstoff

[6] Marco Alvera: https://www.ardmediathek.de/video/phoenix-vor-ort/5-lng-terminal-eingeplant/phoenix/Y3JpZDovL3Bob2VuaXguZGUvMjkxMTUxMw