Ist Lützerath das HARTZ IV der Grünen?
Die SPD unter Gerhard Schröder verlor ihre Glaubwürdigkeit und ihre Kernkompetenz ( auch Seele genannt) als Partei der Nicht-Privilegierten durch die Schaffung eines Billiglohnsektors durch die Aufkündigung von Arbeitslosengeldzahlungen nach einem Jahr Arbeitslosigkeit. Damit verlor sie erstmal auch die Möglichkeit als über 40%-Volkspartei weiter regieren zu können. Es bildete sich die Linkspartei mit Oskar Lafontaine als Anti-Hartz- Partei heraus.
Nun behaupten viele wie z.B. der BUND-Vorsitzende, dass Lützerath das Hartz IV der Grünen sei.
Die Parallelen sind augenfällig, der Mythos der Kohlegegner Grüne ist erstmal dahin, nicht zum ersten Mal übrigens. Die Hamburger Grünen stimmten, um in die Regierung zu kommen, dem Kohlekraftwerksneubau Moorburg zu. Inzwischen ist Moorburg stillgelegt, weil es für Vattenfall nicht mehr rentabel ist.
2022 schlossen – überraschend – der Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), die Landeswirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) mit RWE einen Deal zu Lasten des Dorfes Lützerath. RWE verpflichtete sich aus der Braunkohleverstromung 2030 auszusteigen, wenn sie das Gebiet um Lützerath noch ausbeuten könnten.
Habeck und Neubaur sahen das als einen großen Erfolg an, ein Ende der Braunkohleverfeuerung acht Jahre vor dem im rot-schwarzen GroKo- Kohlekompromiss 2020 festgelegten Termin 2038.
Der noch gültige Braunkohleabbau um das Dorf Lützerath wurde zudem energiepolitisch als nötige Reaktion auf den Gasboykott russischen Erdgases begründet. Insgesamt sei die CO² Belastung deshalb geringer als mit dem Kohlekompromiss. Eine Win-Win-Situation also?
Im realpolitischen Politikverständnis ist dieser Deal komplett nachvollziehbar. Man meint realpolitisch das aktuell Maximale erreicht zu haben.
Doch diese regierungszentrierte Politik, die deskriptiv auf aktuelle Probleme reagiert und nach pragmatischen Lösungen sucht, vernachlässigt einen wesentlichen Teil von Politik.
Politik, vor allem die der Grünen, ist immer auch von der Zustimmung zu Richtungsentscheidungen, von Werten, abhängig. Selbst die rein machttaktisch agierende Union könnte sich z.B. nur sehr schwer von katholisch-christlichen Werten wie der Priorität des Schutzes von ungeborenen Leben verabschieden.
Bei den Grünen war ein erstes Verabschieden von ihren Gründungswerten die Zustimmung zur deutschen Beteiligung am Kosovokrieg Ende der 90er. Diese Wertekorrektur war für die Grünen verkraftbar, weil Joschka Fischer es verstand, den Krieg zu einer antifaschistischen Verhinderung eines Genozids „ Nie wieder Auschwitz“ zu erklären.
Die Bundestagswahl 2021 war die erste Klimawahl, alle Parteien – bis auf die AfD – erklärten voll hinter dem 1,5-Grad- Ziel des Paris-Abkommen zu stehen, das paralysierte zwar die grüne Kampagne, reichte aber dank Friday for Future für die Verdoppelung der grünen Stimmen.
Die Enttäuschung bei FFF ist deshalb jetzt um so größer. Der realpolitische Erfolg des RWE-Deals entpuppt sich nun als Pyrrhos-Sieg. Am Ende verlieren die Grünen ihren Markenkern, als einzige Partei konsequent gegen die Klimakatastrophe zu kämpfen. Das heißt nicht, dass diese Stelle eine andere Partei übernehmen könnte. Die Linke versucht sich aktuell als einzige radikale Ökopartei zu gerieren, aber da sei Porsche- und Putin-Fan Klaus Ernst davor.
Vielleicht könnte Habeck sogar im bürgerlichen Spektrum Stimmen dazu gewinnen, wenn er denn Spitzenkandidat werden würde. Aber gegen Grüne Jugend, Klimaschützer und Frauen hat er keine Chance gegen Annalena Baerbock.
Deshalb ist der Vergleich zum Hartz- Desaster bei der SPD richtig, denn es kommt nicht auf die Sachfrage allein an, sondern immer auch wie sie in Bezug auf die eigenen Werte ankommt. Und da sind die Bilder von Lützerath für die Grünen katastrophal. Hier wäre stattdessen eine Merkel-Politik besser gewesen. Nichts zu tun und darauf warten, dass Braunkohleverstromung einfach marktwirtschaftlich zu teuer werden wird – vielleicht noch vor 2030. Das wäre auch eine pragmatische Sicht, die eigene Ressourcen (Werte) schont.