Kommentar zu „Waffenstillstand jetzt!“

30. Juni 2022 0 Von Uli Gierse
Webaufnahme von ZEIT online

Die Verfasser dieses Appells in der ZEIT vom 30.6.2022 fordern den Westen auf, „ nach Kräften“ den Ukraine-Krieg durch Verhandlungen zu beenden. Finde ich auch super. Zum Verhandeln gehören aber mindestens die Kriegsparteien. Der Verursacher des Krieges, Russland, hat aktuell aber seine Kriegsziele, die Ukraine als selbstständigen, demokratischen Staat zu zerstören, noch nicht aufgegeben. Der Appell hat daher den falschen Adressaten. Der Westen ist weder aktive Kriegspartei, noch hat er wesentlichen Einfluss auf Moskau. Der Appell müsste sich daher an die Russische Föderation wenden.

Vielleicht haben die Verfasser Recht, dass die vollständige Rückeroberung aller besetzten Gebiete militärisch aktuell unrealistisch ist. Aber was heißt das?

Sie suggerieren, dass man dann den Kampf ja auch einstellen könnte. Und auch weitere Waffenlieferungen würden den Krieg dann nur unnötig verlängern. Wer die Kriegsverbrechen der russischen Armee in Butscha und anderswo gesehen hat, kann das den Ukrainern, die um ihr Leben kämpfen, nicht ernsthaft vorschlagen. Solange die russische Armee auf dem Vormarsch ist, sind Verhandlungen reines Wunschdenken.

Meiner Meinung nach gibt es aktuell nur ein realistisches Kriegsziel, die russische Armee so zu schwächen, dass sie nicht mehr in der Lage ist, territoriale Gewinne zu machen. Insbesondere muss eine Eroberung von Odessa unbedingt verhindert werden, da dann die Ukraine ökonomisch vom Welthandel vor allem mit Agrarprodukten abgeschnitten wäre.

Wie kann das erreicht werden?

Indem die westlichen Waffen, insbesondere die Artillerie und die Raketenabwehrsysteme die Ukraine in die Lage versetzen, die russische Artillerie und Raketen auszuschalten. Das wird aktuell ja auch versucht, allerdings vielleicht mit noch mit zu wenigen Artilleriesystemen.

Nur eine geschwächte russische Armee wird zu Verhandlungen bereit sein.

Ein dann erreichter Waffenstillstand wird erstmal die besetzten Gebiete bei Russland belassen müssen. Der Rückzug aus den besetzten Gebieten kann militärisch wahrscheinlich nicht erzwungen werden. Ein Rückzug wird daher nur die Folge von Wirtschaftssanktionen sein können. Erfolgreich wären diese Sanktionen dann, wenn es z.B. den USA gelingen sollte, High-Tech-Importe nach Russland zu verhindern, auch durch Sanktionen gegen Länder, die das eventuell machen, dann wäre die Kosten-Nutzen-Rechnung für Russland klar: Anschluss an die technologische Entwicklung – auch militärisch – oder Aufgabe der besetzen Gebiete. Die Rohstoffsanktionen täten ein Übriges.

Es ist daher leider aktuell bis auf Weiteres auch eine Frage der militärischen Quantitäten, ob Russland nicht mehr in der Lage ist, Geländegewinne zu machen. Wie lange kann Russland das Bombardement auf die ukrainischen Stellungen und die ukrainischen Städte aufrecht erhalten?

Für den Westen heißt das, man muss die Waffenlieferungen ausdehnen und verstetigen. Also das genaue Gegenteil von dem, was die „Intellektuellen“ fordern.

Im Übrigen gilt der alte Grundsatz, es gibt nichts Billigeres für eine Talkshow-Einladung als ein Appell, der zwar nichts Substanzielles enthält, aber den guten Willen hat, Frieden zu schaffen getreu dem Motto “Der Westen” ist schuld, wenn der Krieg weiter andauert.