Kriege, Ressourcen, Uran und moderne Waffensysteme

18. September 2022 0 Von Thomas Ertl

Aggressive Politik treibt Preise

Die Europäische Union unter Führung der EU-Kommission ist sehr bemüht, die energetischen Folgen des Ukraini-Kriegs zu managen. Die Preise für Gas, Öl und Strom sind extrem angestiegen und bilden als Input für Lebensmittel- und Konsumgüterindustrie eine weitere effektive Inflationskomponente. Die Geschichte der Inflationen zeigt, dass die Volatilität der Energiepreise den größten Einfluss auf Preisbewegungen hat. Die Energiepreise wiederum sind weniger von Angebot und Nachfrage und weltkonjunktureller Entwicklung geprägt, sondern vielmehr Folge politischer Aktionen wie Krieg, Erpressung und externer Schocks wie Finanzkrisen und Covid-Pandemie.

Abbildung 1 zeigt auch ohne Einbeziehung der Gas-Preisentwicklung einen signifikanten Zusammenhang zwischen politischen Zäsuren und Inflation. Da können die regierenden Institutionen und deren ökonomische Ableger wie die EZB und FED noch so viel Daten erheben und Konferenzen zur Preisstabilität einberufen. Gegen Kriege und externe Schocks ist kein Kraut gewachsen. Da gilt es nur die Folgen zu mildern. Damit ist auch die Agenda geschrieben: Kriege und schwerwiegende Konflikte sollten vermieden werden. Auf diesem Hintergrund ist der von Russland losgetretene Krieg mitten in Europa als irrational zu bewerten. Russland selbst weist im September 2022 keine gute Kriegsbilanz auf, auch wenn das demokratische Europa ebenso gefordert ist:

  • Die Ukraine hat ca. die Hälfte des von Russland besetzten Territoriums zurückerobert.
  • Russlands Einnahmen aus Ressourcen-Handel haben den Zenit überschritten, denn die Preise für Rohöl[1] (- 25 %) und Pipeline-Gas[2] (+15 %) sind per Saldo gefallen. Der Preis für Gas ist im Zeitraum von Mitte August bis Mitte September gar um 5 % gefallen.
  • Die Kriegsausgaben sind enorm gestiegen, so dass letztlich ein Haushaltsdefizit droht, wenn diese Entwicklung anhält.

Abbildung 2: Russian Budget Surplus in Trillion Rubles 2022; ©te
Daten: Bloomberg[3]



Der enge Zusammenhang von Einnahmen aus Ressourcen und Kriegsfinanzierung ist kein Geheimnis und stellt nur noch einmal das Verhalten von China und Indien ins rechte Licht, die mit der vermehrten Abnahme von Ressourcen das Töten von Zivilisten in der Ukraine tolerieren. Ohne den Erlös aus Bodenschätzen bzw. Ressourcen wäre Russland nicht kriegsfähig.

Die EU ist Folge aus dem Tandem von Krieg und Energie-Ressourcen

Die Bedeutung von Ressourcen für die Kriegführung wurde während der beiden Weltkriege demonstriert. Ohne Stahlproduktion sind Waffen wie Panzer, Fregatten und Gewehre nicht herstellbar und ohne Energie-Ressourcen wie Kohle sind Hochöfen zur Stahlproduktion nicht zu betreiben. Deutschland war mit dem Kohle-Vorkommen in NRW und im Saarland in einer privilegierten Position. Zudem war das Land auch technologisch auf einem relativ hohen Stand und sicherte sich über Jahrzehnte einen Vorteil in der militärischen Bestückung von Armee und Marine. Die Zusammenführung von Boden-Ressourcen und Stahlproduktion wird auch Montanindustrie genannt. Mont (lateinisch: Berg) steht für den Bergbau und der industrielle Part meint die anschließende Verarbeitung von Eisen mittels Kohle-Verfeuerung zu Stahl.

Ohne Stahl sind allerdings auch heute keine konventionellen Kriege zu führen. Nur muss nicht mehr Kohle verbrannt werden, um die notwendigen Temperaturen von 2000 Grad Celsius zu erreichen. Inzwischen ist Gas die wesentliche Ressource für die Stahlproduktion und einige Produzenten sehen auch keine Alternative,[4] obgleich Wasserstoff als Substitut bereits erfolgreich eingesetzt wird. Die Effizienz dieses Verfahrens ist noch unbefriedigend; zudem ist es nur ökologisch sinnvoll, wenn erneuerbare Energie für die Gewinnung von Wasserstoff genutzte werden können. Das liegt in der Zukunft. Ansätze anderer neuer Wege sind in Schweden sichtbar, wo bereits im Jahr 2020 ein Pilotprojekt sogar ohne den noch sehr raren Wasserstoff[5] mit der niedrigen Temperatur von 110 Grad Celsius angelaufen ist. Das ungeschmolzenen Eisenoxyd wird durch eine Elektrolyse[6] durch Strom – möglichst aus erneuerbarer Energie – erzeugt. An der Kathode sammeln sich die Eisenmoleküle und an der Anode entsprechend die Sauerstoff-Teilchen.[7] Das Verfahren hat einen  um 80 % geringeren Wärmeaufwand gegenüber Gas- und Wasserstoff-Lösungen.   

Kohle, Öl und Gas sind inzwischen perspektivisch ersetzbar

Erkennbar ist die technologische Entwicklung weg von fossiler Energie unter Einsatz elektrotechnischer und chemischer Wissenschaft. Das betrifft auch die Entwicklung von Waffensystemen, die sich von den Panzern der beiden Weltkriege wegbewegen. Nur Russland scheint in seinem Expansionsstreben diese Ressourcen-Vorteile weiter nutzen zu wollen. Stahlgehäuse und Ketten sind im Ukraine-Krieg das Werkzeug kombiniert mit Raketen-Artillerie. Das wirkt nicht nur anachronistisch wie der ganze Imperialismus-Zirkus der Putin-Regierung, sonders das ist es auch. Es sind Bilder in diesem Krieg, die an den 2. Weltkrieg erinnern, basierend auf Öl, Kohle, Gas und Stahlmassen.

Einige der europäischen Staaten der heutigen EU haben nach dem zweiten Weltkrieg das verheerende Zusammenspiel von fossiler Energie und Kriegen erkannt und Deutschland als Ressourcen-privilegiert identifiziert. Da aber Stahl auch außerhalb militärischer Produktion für Maschinen und Fahrzeugbau etc. notwendig ist, sollte dieses Basismaterial möglichst paneuropäisch eingesetzt werden; ohne die Benachteiligung von Staaten, die keinen entwickelten Bergbau haben.

Da damalige französische Außenminister der „Siegernation“ Frankreich Roman Schuman stellte dazu am 9. Mai 1950 fest:

“Wer nicht mehr frei über Energie und Stahl verfügt, kann keinen Krieg mehr erklären”.[8]

1951 beschlossen Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS, auch Montanunion) diese Schlüsselindustrie zu vergemeinschaften, um einen gemeinsamen Zugang zu sichern, Zölle zu beseitigen und die Verteilung der Ressourcen zu steuern. Der Vorschlag dazu kam von Schuman und der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer stimmte dem Vorschlag gerne zu, denn damit begann die Erfolgsgeschichte Nordrheinwestfalens in der Bundesrepublik Deutschland: Kohle und Stahl für Westeuropa.      

Russland fehlen Mikrochips

Die Feststellung Schumans zum Einsatz von Energie und Stahl, um Kriege zu führen, bestätigt Russland mit der Invasion in die Ukraine. Allerdings deutet einiges darauf hin, dass der Einsatz von Hochtechnologie – Einsatz moderner Mikrochips – ein entscheidender Faktor sein könnte. Wenn der Bestand russischer Hyperschallraketen von rund 100 auf 50 reduziert wurde, liegt das am Mangel  intelligenter Hardware-Komponenten. Da reichen auch die von russischen Ingenieuren demontierten Mikrochips aus Haushaltsgeräten nicht mehr aus, die man in russischen Waffen in der Ukraine finden konnte.[9] Die Hyperschall-Raketen funktionieren nur mit Hochleistungsmikrochips neuerer Generationen. Und da scheint sich das Embargo des Westens auszuzahlen. In der Ukraine wurden immer mehr „dumme“ russische Raketen gefunden. Ob China diese Lücke schließen kann und will bleibt offen, aber damit auch das Risiko Chinas, den Westen als Markt und Direktinvestor zu verlieren. Momentan versorgt sich Russland zunehmend über den Iran und Nordkorea, was auch ein Licht auf die eigene Leistungsfähigkeit wirft: Ein fossiler Staat mit viel Fossilien, der mit den sehr effektiven „Kamikaze-Drohen“[10](Arash2) aus dem Iran die ukrainische Rückeroberung stoppen will.

Es lässt sich resümieren, dass zu Schumanns Äußerung zu den Ressourcen inzwischen auch die Hochtechnologie zu zählen ist. Das gilt für gesamten industriellen Sektor. Russland baut inzwischen wieder selbst Kraftfahrzeuge, nachdem sich der komplette Westen zurückgezogen hat. Das alte „Sowjet-Auto“ ohne ABS, Airbag, Navigation und Abgasreinigung geht wieder an den Start.[11]    

Die EU folgte der EGKS

Nach der EGKS wurde 1957 auch noch das EAG bzw. EURATOM gegründet, um die Vorteile der atomaren Energieversorgung zu nutzen. Sowohl EGKS als auch EAG wurde 2002 in den EG-Vertrag integriert und sind fortan durch die EU geführt. Das heißt: Die EU übernimmt die energetische Verantwortung für die Versorgung der Mitgliedsländer und daher ist auch das hektische Treiben um die Lösung der Gas-Versorgung, der Schließung von Lücken der Strom-Lieferung und Stoppen der Hyper-Inflation der Energiepreise nachvollziehbar. Unabhängig von bürokratischen Bremsen, die das Tempo der Durchsetzung von eiligen Maßnahmen verlangsamen, ist diese EU-Einheit ein großer Vorteil gegenüber nationalen Alleingängen. Es werden ca. 450 Mio. Europäer mit einem riesigen Binnenmarkt vertreten.

Die EU ist eine Friedensprojekt. Es ist die Antwort auf den 2. Weltkrieg mit friedlichem Handel und einer organisierten Energieversorgung. Die Unterschiede zwischen den Mitgliedsländern sind gravierend. Deutschland (Besiegte im 2. Weltkrieg) ist aus der Atomenergie ausgestiegen, Frankreich (Sieger- und Atommacht mit Vetorecht im UN-Sicherheitsrat) setzt ganz auf Atomkraft. Deutschland und Italien haben sich hochgradig vom russischen Gas abhängig gemacht. Deutschland setzt aber seit langer Zeit auch auf erneuerbare Energie.

Frankreich setzt auf Atomkraft und die EU übernimmt die Strategie mit AKWs und Gas

Frankreich hat diesen Prozess sehr vernachlässigt und importiert im Krisenjahr 2022 aufgrund klimatischer Bedingungen von Hitze und ausgetrockneter Flüsse „deutschen“ Strom, weil die Kühlung der noch intakten Atomkraftwerke nicht mehr gewährleistet werden konnte. Viele Meiler sind aufgrund von Korrosionsschäden vom Netz genommen worden. 

Ohne das französische Desaster der 30 von 56 abgeschalteten AKWs im August 2022[12] weiter zu bewerten bleibt zu konstatieren, dass Frankreich ohne die EU-Reglung große Probleme bekommen hätte. Und es hat den überraschenden Effekt des Klimawandels hinnehmen müssen, der auch überhitzte Flüsse mit geringen Wassermengen hervorbringt. Die CO2-Belastung des Weltklimas führt zu Überschwemmungen wie im Ahrtal (Deutschland) durch Wetter-Verharrungen auf der einen Seite und zu Dürren durch eben die gleichen Festsetzungen von Wetter-Situationen auf der anderen Seite. Der klimatische Fluss wird eingebremst durch die Erwärmung, die dann auch die AKWs zum Erliegen bringen kann. Deshalb ist das Pariser Abkommen zur Senkung der globalen Temperatur keine akademische Übung, sondern auch eine Absicherung der energetischen Zukunft. Atomkraft erzeugt zwar im Betrieb wenig CO2, nimmt aber selbst viel elektrische Energie auf und setzt die Umgebungen unter steigende unkanalisierte Wärme. Sollte dieses Problem gelöst, der Atommüll vermieden und die Sicherheit garantiert werden können, wäre Atomkraft eine Alternative. Bislang fehlt der Nachweis und der Bau solcher Anlagen liegt in der Fertigstellung hinten den Kipp-Punkten des Weltklimas. Vier Kipppunkte liegen um das Jahr 2030 herum. Es sind die schmelzenden Eisschilder in Grönland und in der Westantarktis, das Absterben der tropischen Korallenriffe und das Tauen der Permafrost-Regionen. Im Fall der Gletscher führt ein Abschmelzen zum Absinken in wärmere Luftsegmente, was wiederum weiteres Abschmelzen beschleunigt. Im Ergebnis werden die Wassermassen den Golfstrom und damit das globale Klima beeinflussen. Wir sind momentan in diesem Prozess, der aufgehalten werden sollte. Die anhaltenden Dürren und zahlreichen Überschwemmungen der letzten Jahre belegen diese Hypothese leider.[13]

Die Grenzen der AKWs im Kontext zeitlicher Limitierung

Ein im Bau befindlicher „neuer“ französischer Meiler sollte schon 2012 ans Netz gehen. Die tatsächliche Fertigstellung erweist sich als problematisch und das Projekt ist schon jetzt ein großes ökonomisches Fiasko.  Eigentlich sollten ab 2028 sechs neue Meiler – plus optional acht weitere – der zweiten Genration (EPR2) sechs alte Meiler ersetzen, die nur aufgrund einer Laufzeitverlängerung auf 50 Jahre noch nicht aussortiert wurden. Die Bauzeit ist auf je 7 Jahre taxiert und der letzte Meiler soll dann im Jahr 2050 aktiv werden[14]. Die Zeitschiene ist schon sehr ausgereizt und der aktuelle Bau des letzten EPR1 dauert schon über 15 Jahre an. Atomkraft bleibt ein riskanter Weg resp. Sicherheit, Nachhaltigkeit und Effizienz.  Die EU hat nur aufgrund des Einflusses Frankreichs Atomenergie als „grün“ gelabelt. Ohne die Erneuerbaren Energien aus Deutschland wäre Frankreich im Jahr 2022 temporär ohne Stromversorgung, die im französischen Energiemix 70 % ausmacht. Neben der Atomkraft will auch Frankreich besonders die Windenergie on- und offshore ausbauen, was angesichts aktueller Probleme nuklearer Energie auch nötig ist.

Deutschland im Ukraine-Krieg: Kohle ersetzt Gas

Ebenso wie Frankreich musste auch Deutschland neben Gas auch elektrische Energie importieren, wenn es temporär weniger Strom produzieren konnte. Per Saldo exportierte Deutschland aufgrund des Ausbaus erneuerbarer Energie mehr Strom als es importierte. Statt Atomkraft setzte Deutschland auf russisches Gas, das inzwischen nicht mehr nach Deutschland fließt. Nun fällt das russische Gas weg, die AKWs sollen ebenso stillgelegt werden wie die Kohleproduktion. Alles zusammen ist nicht möglich ohne das Risiko einer Energie-Unterversorgung mit Hinblick auf industrielle Produktion und kalten Winterquartieren der Haushalte. Die Rolle rückwärts ist unumgänglich, um Gas zu kompensieren: in der „Kriegswirtschaft ist Kohle wieder en Vogue. Wie groß der Anteil der deutschen Industrie am Stromverbrauch ist, lässt sich in etwa am Verbrauch von 6 Terrawattstunden der BASF ermessen. Das ist bereist ca. 1 % des Gesamtverbrauchs. Industrie und Dienstleistungen sind mit ca. 72 %, Haushalte mit 26 % und der Verkehr mit 2 % dabei.[15]

Die folgende Grafik macht deutlich, dass die Im- und Exporte nur die Spitzen der Energieversorgung abdecken, aber in dieser Funktion als Element der europäischen (EU) Solidarität sehr wichtig sind. Die blau eingefärbten Salden sind zum Verbrauch zu addieren, um die Netto-Erzeugung Deutschlands zu ermitteln. Für das Jahr 2021 ergeben sich demnach über 582 Terrawattstunden. Nur in den Jahren 2001 und 2002 kam es zu einem höheren Import als Export elektrischer Energie.


Abbildung 3: Verbrauch elektrischer Energie in Terrawattstunden von 2000 bis 2021. ©te
Daten: BDEW und Statista

Russland ist Lieferant von Öl, Gas, Kohle und Uran

Russland hat die EU nicht nur mit konventionellen Energien beliefert, sondern auch mit Uran bzw. Uran-Brennstäben. Russland ist eine Atommacht und das in einer Liga mit den USA. Russland besitzt laut Schätzungen über 6.250 nukleare Sprengköpfe, die USA verfügen über 3.750.

Die russische Atom-Industrie ist inzwischen über 70 Jahre alt. Die erste Atombombe wurde noch unter Stalin im Jahr 1949 gezündet. Etwa 20 % des EU-Bedarfs an angereichertem Uran liefert Russland. Ebenfalls fast 20 % liefert Kasachstan[16], das Teil der von Russland geführten Eurasischen Wirtschaftsunion ist. Kasachstan ist im Verlauf der Ukraine-Invasion etwas auf Distanz zu Russland gegangen, was im Kreml nicht mit Freude aufgenommen wurde.[17]Im Ernstfall sollte ein Schulterschluss der beiden Staaten nicht ausgeschlossen werden. Russland gewährte bei Protestbewegungen auch schon militärische Hilfe zum Machterhalt der befreundeten Regierung. So wurden im Jahr 2022 Proteste gegen Erhöhung der Gaspreise und die Regierung mit Hilfe von 3.500 Soldaten unter Russlands Führung niedergeschlagen. Rund 10.000 Protestierende wurden verhaftet. Über 100 Tote und Hunderte Verletzte komplettierten die Bilanz der Repression[18]. Das aktuelle Kasachstan wird Russland nicht abweisen, auch wenn die Situation für die Region destabilisiert bleiben sollte. Hinzu kommt, dass Kasachstan noch vor Kanada die ertragreichsten Uran-Vorkommen aufweist, auf die vor allem Russland als Uran-Verarbeiter zugreift.  


Abbildung 4: Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit SCO

Die Formierung eines antiwestlichen Blocks ist vielfältig. Ein anderer Zusammenschluss ist die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO), die 2022 in Samarkand Usbekistan stattgefunden hat. Interessant ist der Wunsch der Türkei als Nato-Mitglied diesem Bündnis beizutreten, das 1/3 der globalen Wirtschaftskraft repräsentiert. Ein Partnerschaftsabkommen besteht bereits seit 2013.[19]

Besonders die Beteiligung des russischen Atomkonzerns Rosatom an den kasachischen Minen ist alles andere als beruhigend. Beide Staaten zusammen dominieren sogar den Weltmarkt mit ca. 38 % Anteil. Rosatom gilt als global zweitgrößter Uran-Produzent mit weiteren Minen-Beteiligungen in Kanada (3), den USA (5), Mosambik und Tansania. Der Zugriff auf die Ressource Uran ist alarmierend.[20]


Abbildung 5: Globale Uranreserven in Tonnen 2019

Die Zahlen sind nur die halbe Wahrheit, denn der in der Grafik unterstellte Uran-Preis von 260 US-Dollar pro KG ist aktuell in weiter Ferne. Im September 2022 notiert der Wert unter 50 US-Dollar.[21] Australiens Vorkommen sind so kleinteilig, dass eine Förderung zu aktuellen Preisen nicht sinnvoll ist. Schon bei einem Preis von unter 80 US-Dollar fallen Australien, Namibia, Grönland und auch Niger (zu 94,4 %) aus. Das folgende Diagramm rückt die marktgerechten Relationen bei einem Preis von unter 80 US-Dollar zurecht. Die aufgeführten 10 Staaten mit Schwerpunkt Eurasien/BRICS decken über 93 % des förderbaren Urans zu Preisen unter 80 US-Dollar/KG ab. Kasachstan sticht heraus. Die BRICS-Staaten Brasilien, Russland, China, Indien und Südafrika liegen bereits bei 34 % der Uran-Ressourcen.


Abbildung 6:Identified Recoverable Resources of Uran 2019 (<USD 80/kgU). ©te
Daten: OECD 2020[22]

Außer Acht zu lassen ist auch nicht die Reichweite der Uran-Vorkommen. Es kursieren Zahlen von 20 bis 200 Jahren. Das hängt selbstverständlich auch vom Verbrauch ab, aber auch von technologischen Entwicklungen der Förderung und Verarbeitung. Im Report der OECD ist bei einem Preis von 260 US-Dollar unter gegenwärtigen Bedingungen eine Reichweite von 135 Jahren geschätzt worden. Die verfügbare Abbaumenge betrüge 4 Mal so viel wie unter einem Preis von unter 80 US-Dollar. Entsprechend würde sich unter den aktuellen Marktbedingungen die Reichweite auf 20 bis 40 Jahre reduzieren. Die Herausforderungen sind hoch und mit Thorium sollen Mini-AKWs der Zukunft auf den Weg gebracht werden.[23] Die Karten würden neu gemischt, denn Thorium befindet auch häufig in Regionen außerhalb von BRICS/Eurasien. Außerdem sind die technologischen Hürden noch sehr hoch und Endlager würde nicht überflüssig werden.[24] Auf mittlere Sicht bleibt Uran Nadelöhr und Bedrohung zugleich. Damit steht Russland im Zentrum auch dieser Ressourcen-Problematik.  

Rosatom ist ein geopolitisches Instrument des Kremls

Der Staatskonzern Rosatom ist globaler Marktführer im Bau von Atomkraftwerken. Aktuell werden Verträge über 35 AKWs im Wert von weit über 200 Mrd. US-Dollar mit Ägypten, Bangladesch, Belarus, Bulgarien, China, Finnland, Indien, Iran, Türkei, Ungarn und den Vereinigten Arabischen Emiraten umgesetzt. Die geopolitischen Rückkopplungen dürften den Block um die BRICS-Staaten stärken. Ted Jones, Direktor für nationale Sicherheit und internationale Programme am Nuclear Energy Institute in Washington, hatte besonders die staatliche Unterstützung Rosatoms bei der Kreditbewilligung der Auftraggeber als ausschlaggebenden Vorteil gegenüber Konkurrenten wie Westinghouse, dem größten amerikanischen Nuklearunternehmen, herausgestellt[25].

Durch die Finanzierunghilfen Russlands wurde auch ein Auftrag in Ungarn nicht gewonnen. Das zeigt einmal mehr, dass Energie bzw. Energie-Politik eine hoheitliche Aufgabe sind. Dabei sind nicht nur die Versorgungen der eigenen Bevölkerungen wichtig, sondern auch internationale Projekte im Rahmen von Entwicklungshilfe und Sicherheitspolitik.

Der privatisierende Neoliberalismus hat den westlichen Nationen die Möglichkeit geraubt, Russland und China effektiv zu begegnen, wenn es um Infrastruktur-Maßnahmen geht. Russland und China haben die Hoheit im internationalen Bau von Atomkraftwerken übernommen, weil es Staatsunternehmen sind. Dabei scheren sich diese Staaten schon lange nicht um etwaige Risiken dieser Technologie. Das gilt aber ebenso für Frankreich, UK, USA, Finnland, Ungarn etc. Wahrscheinlich geht es Russland dabei weniger um das echte Business; die Dividende liegt in der geostrategischen Ausdehnung; Auftraggeber werden abhängig.

Ungarns Nähe zu Russland ist dabei keine Überraschung, während Finnland mit seinen Nato-Ambitionen ähnlich düpiert wird wie Deutschland und Italien mit der russischen Gas-Abhängigkeit. Die Abhängigkeit der EU von Russland ist also auch bezüglich nuklearer Energie nicht zu verharmlosen. Konkret liefert Russland angereichertes Uran und auch nukleare Technologie an etliche EU-Staaten. Konkret sind 18 AKWs in Osteuropa von Rosatom abhängig.[26]

Der Einwand, dass der Westen besser nicht in der Atomenergie mitmischen sollte, greift nur partiell, denn das Problem betriff auch alle anderen Infrastruktur-Investitionen. Ohne nationale bzw. supranationale Engagements (EU) werden die Staaten jenseits der westlichen Demokratien dem Block der Despoten zugeführt. Das konnte vor allem geschehen, weil westliche Konzerne gern Geschäfte mit eben diesen betreiben wollten. In diesen Prozessen waren Menschrechte oder gar Aufbau von demokratischen Strukturen in Schwellen- und Entwicklungsländern eher hinderlich. Mit diesem Thema hat sich der ehemalige Weltbank-Chef Joseph Stiglitz in seinem Buch „Die Schatten der Globalisierung“ ausführlich beschäftigt und nachgewiesen, dass der Westen auch den demokratischen Übergang der UdSSR zum heutigen Russland nicht adäquat begleitete, sondern in erster Linie das Business suchte. Stiglitz schreibt:

„Der Westen wusste, dass ein Großteil dieser Milliarden (Korruptionszahlungen aus dem Öl-Geschäft; der Autor) veruntreut und den Familien und Geschäftsfreunden korrupter Beamter zugeschanzt wurden.“[27]    

Die Liberalisierung, in dieser Lesart der freie Kapitalverkehr, sorgte für den gigantischen Abfluss russischen Geldkapitals in den Westen, der sich daran machte, die Öl-Quellen in Russland anzuzapfen. Das war die Essenz der westlichen „Hilfe“. 

Es bleibt anzumerken, dass die neoliberalen Apologeten gern laut nach dem Staat rufen, wenn die Energiepreise steigen, Konsumenten nicht mehr kaufen oder wie in der Finanzkrise die Banken in die Illiquidität laufen. Und natürlich, wenn es darum geht Zollschranken aufzuheben und Kapitalverkehr zu ermöglichen. 

Für die EU als supranationales Dach unterschiedlichster Energieinteressen ergibt sich eine lange und schwierige Agenda. Der Ukraine-Krieg bzw. die russische Aggression sind der größte Rückschritt im Bemühen um die Umsetzung des Pariser Abkommens. Die finanziellen Reserven der Gesellschaften zur Finanzierung der erneuerbaren Energien werden strapaziert, die Management-Ressourcen der Regierungen werden absorbiert und das noch recht CO2-vermeidende Gas wird durch Kohle und Öl ersetzt. Das alles sind Kollateralschäden dieses Krieges. Am Ende sollte eine Rechnung gegenüber dem Kreml aufgemacht werden. Der Kreis schließt sich mit dem Willen der EU, Kriege durch Energiepolitik zu verhindern und dem Willen Russlands, mit Energiepolitik in den Krieg zu ziehen. Das ist die Fortsetzung des zweiten Weltkriegs mit ähnlichen Visionen von Macht und Einflusssphären.


[1] Finanzen.net 2022a; o.S.

[2] Finanzen.net 2022b; o.S.

[3] Bloomberg 2022a; o.S. [1] Koller, Andreas 2022; o.S. 2

[4] Koller, Andreas 2022; o.S. 2

[5] Ehlerding; o.S.

[6] Nicht die zur Gewinnung von Wasserstoff

[7] Böck 2021; o.S.

[8] Bundesregierung 2013; o.S. [1] Shefttalovich/ Cerulus 2022; o.S.

[9] Shefttalovich/ Cerulus 2022; o.S.

[10] Holdmann/ Kramper 2022; o.S.

[11] Jungblut 2022; o.S.

[12] Fakin 2022; o.S.

[13] Otto 2019, S.102 ff

[14] Gouvernement 2022; o.S.

[15] Statista 2022a; o.S.

[16] Statista 2022b; o.S.: Menge der Importe von Uran in die Europäische Union aus ausgewählten Ländern im Jahr 2020; https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1324521/umfrage/uranimport-in-die-eu-aus-ausgewaehlten-laendern/; 16.09.2022

[17] Bathon 2022; o.S.

[18] Scholl 2022; o.S.

[19] Balci/Hacaoglu 2022; o.S.

[20] Energiezukunft 2022; o.S

[21] Finanzen.net 2022c; o.S. [1] OECD 2020; S.18

[22] OECD 2020; S.18

[23] Kramper 2022; o.S.

[24] Koch 2021; o.S.

[25] Nechepurenko 2020; o.S.

[26] Scheel 2022; o.S.

[27] Stiglitz 2001; S. 200

Literatur-Verzeichnis:

Balci, Baris/Hacaoglu, Selcan (2022): Turkey Seeks to Be First NATO Member to Join China-Led SCO; https://www.bloomberg.com/news/articles/2022-09-17/turkey-seeks-china-led-bloc-membership-in-threat-to-nato-allies; 19.08.2022

Bathon, Roland (2022): Vorsichtige Distanzierung von Russland; https://www.heise.de/tp/features/Vorsichtige-Distanzierung-von-Russland-7181548.html; 16.09.2022

Bloomberg (2022a): Russia’s Budget Surplus Shrinks as Revenues; https://www.bloomberg.com/news/articles/2022-09-12/russia-s-budget-surplus-melts-away-as-revenues-fade?leadSource=uverify%20wall; 14.09.2022

Böck, Hanno (2021): So geht klimafreundlicher Stahl auch ohne Wasserstoff; https://www.klimareporter.de/technik/so-geht-klimafreundlicher-stahl-auch-ohne-wasserstoff; 16.09.2022

Bundesregierung (2013): Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS); https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/europaeische-gemeinschaft-fuer-kohle-und-stahl-egks–615310; 16.09.2022

Ehlerding, Susanne (2019): Fossilfreie Stahlindustrie: Schweden setzt auf Stahl aus Wasserstoff; https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/schweden-setzt-auf-stahl-aus-wasserstoff-4052002.html; 16.09.2022

Energiezukunft (2022): Wie Russland Europas Atomenergie in der Tasche hat; https:// www.energiezukunft.eu/umweltschutz/wie-russland-europas-atomenergie-in-der-tasche-hat/; 17.09.2022

Faki, Sermin (2022): Frankreich droht das Lichterlöschen; https://www.blick.ch/politik/weil-viele-atomkraftwerke-still-stehen-frankreich-droht-das-lichterloeschen-id17756370.html; 16.09.2022

Finanzen.net (2022a): Ölpreis; https://www.finanzen.net/rohstoffe/oelpreis; (14.09.2022)

Finanzen.net (2022b): Gaspreis; https://www.finanzen.net/rohstoffe/erdgas-preis-natural-gas, (14.09.2022)

Finanzen.net (2022c): Uranpreis; https://www.finanzen.net/rohstoffe/uranpreis; 18.09.2022

Gouvernement (2022): La nouvelle stratégie énergétique de la France; https://www.gouvernement.fr/actualite/la-nouvelle-strategie-energetique-de-la-france; 16.09.2022

Holdmann, Hendrik/ Kramper, Gernot (2022): Drohnen aus Iran, Munition aus Nordkorea: Experte erklärt, wie Russlands Waffendeals den Krieg verändern; https://www.stern.de/politik/ausland/iran-drohnen-fuer-russland–experte-zur-bedeutung-fuer-ukraine-krieg-32711272.html; 18.09.2022. Die Drohnen dienen der Zerstörung u. a. von Raketen-Basen durch Selbstzerstörung im Anflug auf die Ziele.

Jungblut, Peter (2022): Patriotismus statt Airbag: Russlands Rückkehr zum Sowjet-Auto; https://www.br.de/nachrichten/kultur/patriotismus-statt-airbag-russlands-rueckkehr-zum-sowjet-auto,T6AgWUh; 16.09.2022

Koch, Florian (2021): Thorium: Ist das wirklich die „Revolution der Atomkraft“?; https://www.trendingtopics.eu/thorium-ist-das-wirklich-die-revolution-der-atomkraft/; 18.09.2022

Koller, Andreas (2022): Ohne Gas kein Stahl: “Es ist höchste Zeit, in die Gänge zu kommen”; https://www.sn.at/wirtschaft/oesterreich/ohne-gas-kein-stahl-es-ist-hoechste-zeit-in-die-gaenge-zu-kommen-121814206; 16.09.2022

Kramper, Gernot (2022): Thorium ist so häufig wie Blei – Mini-Reaktoren sollen billig grüne Energie produzieren; https://www.stern.de/digital/technik/mini-reaktoren-aus-thorium-sollen-billig-gruene-energie-produzieren-31460370.html; 18.09.2022

Nechepurenko, Ivan/Higgins,Andrew (2020): Coming to a Country Near You: A Russian Nuclear Power Plant; https://www.nytimes.com/2020/03/21/world/europe/belarus-russia-nuclear.html; 17.09.2022

OECD (2020): Uranium 2020 – Ressource, Production and Demand; https://www.oecd-nea.org/jcms/pl_52718/uranium-2020-resources-production-and-demand; 18.09.2022

Otto, Friederike (2019): Wütendes Wetter; Ullstein Buchverlage GmbH; Berlin 2019

Scheel, Oliver (2022): Rückkehr zu Atomkraft schafft Uran-Abhängigkeiten von Russland; https://www.wetter.de/cms/russland-dominiert-beim-uran-rueckkehr-zu-atomkraft-schafft-neue-abhaengigkeiten-von-putin-4986587.html; 17.09.2022

Scholl, Stefan (2022): Russische Truppen in Kasachstan: Einsatz kann Putin teuer zu stehen kommen; https://www.fr.de/politik/kasachische-rechnung-fuer-russland-91229660.html; 18.09.2022

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Statista (2022b): Menge der Importe von Uran in die Europäische Union aus ausgewählten Ländern im Jahr 2020; https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1324521/umfrage/uranimport-in-die-eu-aus-ausgewaehlten-laendern/; 16.09.2022

Stiglitz, Joseph 2001; S. 200: Die Schatten der Globalisierung; Goldmann-Verlag; München 2004

Shefttalovich, Zuya/ Cerulus, Laurens (2022): The chips are down: Putin scrambles for high-tech parts as his arsenal goes up in smoke; https://www.politico.eu/article/the-chips-are-down-russia-hunts-western-parts-to-run-its-war-machines/; 16.09.2022