Linke Politik und die neue Systemfrage
Es gibt sie noch, die guten alten Dinge. Die Systemfrage, Kapitalismus oder Sozialismus, war eigentlich seit dem Zusammenbruch des kommunistischen Blocks rund um die Sowjetunion seit 1989 tot. Die Hoffnung, dass es ein besseres Leben durch eine staatlich gelenkte Wirtschaft geben könnte, zerstob im Konkurs des Realen Sozialismus. Die Planwirtschaft war nicht konkurrenzfähig und den Arbeiterinnen ging es materiell in den kapitalistischen Staaten besser als in den sozialistischen. (Ebenso wie es den Arbeitern in Rumänien seit der EU-Mitgliedschaft besser geht als denen in Russland heute.)
Aber vor allem politisch, gesellschaftlich, spätestens mit dem Fall der Mauer wurde klar, dass die Menschen die Schnauze voll hatten, eingesperrt zu sein. Man wollte endlich frei reisen und frei reden können. Denn die freie Rede und das Recht auf Meinungsfreiheit wurde als Bedrohung des sozialistischen Staates und der kommunistischen Partei an seiner Spitze aufgefasst. Statt individueller Freiheit gab es staatliche Rundum-Bespitzelung.
Putin, der ehemalige KGB-Agent, hat es nun geschafft, die Systemfrage zu reanimieren. Sie lautet aber nicht mehr Sozialismus oder Kapitalismus, sondern rechte Diktatur oder universelle Menschenrechte, die nur in liberalen Demokratien halbwegs garantiert sind.
Mit dem Überfall auf die Ukraine wird klar, dass wir (die Menschen in der EU) uns darüber klar werden müssen, wofür wir stehen.
Soll die EU nur ein Binnenmarkt zur Verbesserung der wirtschaftlichen Prosperität sein? Hauptsache der Rubel rollt. Diese Haltung, die vor allem von Deutschland nach 1945 praktiziert wurde, man kassierte gern die Friedensdividende unter dem Schutzschirm der USA und bekam mit der glücklichen Fügung der deutschen Wiedervereinigung eine ideologische Begründung für neoliberale Politik: Wandel durch Handel. Man glaubte, wenn die Volkswirtschaften aller Ländern so weit wie möglich verflochten waren, sei das Problem von Kriegen zur Durchsetzung von territorialen Machtinteressen verschwunden. Diese Strategie war eine Illusion, Putin hat sie wie eine Seifenblase zerplatzen lassen. Sie hat uns im Gegenteil wirtschaftlich von Diktaturen wie Russland und China abhängig gemacht und verunmöglicht es, solidarisch an der Seite der überfallenen Ukraine zu stehen.
Also ein doppelter Rohrkrepierer. Und die Wiederholung bei einem chinesischen Angriff auf Taiwan sieht man schon am Horizont.
Was tun?
In Diktaturen ist die Sache ganz einfach, entweder man darf etwas oder man darf es nicht. Man muss sich also zwischen zwei Grundhaltungen entscheiden, Opposition oder Repression und Gehorsam oder der Verlust der Freiheit.
In den Demokratien sind die Fragen viel komplizierter. Da gibt es kein Schwarz – Weiß, da sollte um den richtigen Weg gestritten werden und dann demokratisch entschieden werden.
Doch was hat das mit linker Politik zu tun?
Als Rechts gilt eine nationalistisch, völkische Politik, sie ist autoritär und ausgrenzend, aktuell wird dieses Modell von u.a. Putin-Russland, Xi-China und Modi-Indien und Kim Jong-un-Nordkorea (vier Atommächte) betrieben, zusammen mit den anderen Staaten, die sich in der UN-Vollversammlung enthalten haben (siehe Beitrag zu BRICS und UN), bilden diese Staaten die Mehrheit der Menschheit, wenn man das demokratische Prinzip „One man- one vote“ voraussetzen würde.
Die Lage ist also ernst. Denn hinter oder neben dem militärischen Aggressor Russland stehen das militärisch und wirtschaftlich starke China und das wirtschaftlich und militärisch aufstrebende Indien sowie viele afrikanische Staaten. Und alle liefern u.a. unverzichtbare Rohstoffe und Hardware in die westlichen Industrieländer.
Links sollte eine Politik heißen, die sich für globale soziale Gerechtigkeit und die Stärkung der universellen Geltung der Menschenrechte stark macht, man könnte es auch die Stärkung der Humanität nennen. Klar ist dabei, linke Politik ist immer solidarisch mit den Schwächeren in der eigenen Gesellschaft und in der Welt. Beide Prinzipien sind nicht leicht, sondern nur durch eine beharrliche wertegeleitete Politik umzusetzen. Das heißt dann auch, dass nicht jeder wirtschaftliche Extraprofit mitgenommen werden darf.
Und linke Politik hat einen klaren Gegner: Nationalismus, identitäre Ausgrenzung, militärische Aggression. Sie setzt auf die Geltendmachung internationalen Rechts, der Stärkung der UN durch die Reform der Strukturen, die Überwindung der Handlungsunfähigkeit durch Blockaden im Sicherheitsrat. Insbesondere gilt es in den nationalen wie internationalen Strukturen Frauen aufzuwerten.
Im Zentrum linker Politik stehen traditionell die Kämpfe für eine soziale Balance zwischen den Profiteuren der marktwirtschaftlichen Strukturen und denen, die in prekären sozialen Verhältnissen leben müssen.
Gleichheit in der Armut wie in den ehemaligen sozialistischen Ländern kann dabei nicht das Zeil sein, sondern man muss die Potenzen der kapitalistischen Konkurrenz in Marktwirtschaften nutzen und gleichzeitig die Investitionen in Richtung einer nachhaltigen öko-sozialen Marktwirtschaft lenken.
Insbesondere und das wurde in der Vergangenheit der alten Systemfrage nicht genügend berücksichtigt, gilt es die universellen Menschenrechte überall zu stärken. Gleichheit ohne Freiheit für jeden Menschen, egal welcher Hautfarbe oder welcher sexuellen Orientierung, bleibt Unfreiheit.
Da sich die Welt offensichtlich schnell in Richtung der neuen Systemfrage bewegt, gilt es die Werte der liberalen Demokratien gegen jeden Versuch diese zu zerstören aktiv, auch militärisch, zu verteidigen. Aktiv zu handeln, heißt militärische Aggression abzuschrecken durch wehrfähige Armeen. Zudem muss man ökonomisch die Abhängigkeit von Rohstoffen oder anderen Waren aus den autoritären Regimen zu verringern. Abhängig sein darf man nur noch innerhalb der Staaten, die sich ebenfalls zu den Prinzipien von Demokratie und Menschenrechten bekennen. Wandel durch Handel, das sollte vor allem die SPD schnell lernen, ist als Konzept ein Rohrkrepierer, wenn man sich selbst abhängig von autoritären Staaten macht.
Diese neue Systemfrage politisch anzunehmen ist kein Angebot an Freunde einfacher Wahrheiten, sondern ein ständiges Suchen nach Kompromissen, die die Welt friedlicher, die Menschen freier und die Reichtumsverteilung gerechter machen können. Sie ist die moderne linke Antwort auf die Bedrohung durch rechte und pseudolinke Diktaturen.