Lützerath, faule Kompromisse, Kriegswirtschaft und ein wildes Stück Stamokap*
Wie Uli Gierse geschrieben hat, haben die Grünen ihren Markenkern „Umweltschutz“ beschädigt. Als Bestandteil der schwarzgrünen NRW-Regierung und Teil der Bundes-Ampel mit den jeweiligen Ressortchefs für Umweltschutz wurde das Opfer Lützerath ausgehandelt und gleichsam der Unmut der Umwelt-Aktivisten von FFF und deren Sympathisanten heraufbeschworen.
Aus der Grünen-Partei wurde in den letzten Wochen nicht selten auf den Umstand verwiesen, dass bei der Bundestagswahl statt der erhofften 25 % nur 14,8 % Stimmenanteil herauskamen. Mit 25,7 % konnte die SPD den Bundeskanzler stellen und mit 11,5 % kann die FDP so ziemlich alles blockieren, wenn sie denn will. Der Kompromiss ist DNA der Ampel-Koalition. Das ist Fakt und es geht eigentlich nur noch um das Maß und die Ausgestaltung der gemeinsamen Beschlüsse. In NRW sieht es in letzter Konsequenz nicht anders aus, denn die CDU verfügt über mehr Sitze im Landtag als die Grünen.
Die Grünen konnten sich bei der Besetzung der Umweltressorts durchsetzen und damit das ursprüngliche Partei-Fundament besetzen. Das Problem einer fehlenden Mehrheit in der Koalition konnte damit nicht gelöst werden. Die Konflikte um den Weiterbetrieb des AKWs im Emsland/Niedersachsen zeigten die ganze Zerrissenheit der Koalition. Es war letztlich weit mehr symbolisch als das Abbaggern von Lützerath, denn der energetische Effekt vom AKW Emsland geht gegen Null. Es ging um die Glorifizierung der Atomenergie durch die FDP und ihrer Unterstützer in Industrie und Opposition.
Die Grünen und wohl auch die FDP waren wahrscheinlich froh, dass Olaf Scholz in einer Pipifax-Aktion von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht hat. Es diente zur allgemeinen Gesichtswahrung und Olaf Scholz konnte endlich mal nicht als Zauderer von sich reden machen. Das sollte dann auch die Ausnahme von der Regel bleiben.
In Lützerath konnte dieses Szenario nicht mehr aufgezogen werden. Dabei sind sich fast alle Parteien einig, dass das stark CO2-emittierende Verbrennen von Braunkohle so ziemlich das letzte sein soll, um die Gesellschaft mit Energie zu versorgen. Es musste also ein schlagendes Argument her, um eben genau das Gegenteil zuzulassen: Energieunterversorgung in einem durch Krieg verursachten Engpass mit Blackout-Potenzial.
Die Blackout-Kampagnen wurden besonders durch die Springerpresse (Bild/Welt)[1] und den Focus befeuert.[2] Die Grünen und Habeck mussten beim AKW Emsland „bocken“, um genau das zu verhindern, was nun durch den Polizei-Einsatz in Lützerath nicht mehr zu verhindern war: Den Markenkern schädigen. Spätestens seitdem sehen wir die Grünen in der klassischen Zerrissenheit von Regierungspartei und Umwelt-Opposition. Auch in der internen Kommunikation wird Lützerath intensiv erklärt. Kann das gutgehen oder wird es ein Hartz4-Trauma, wie es die SPD ereilte, als die Schröder-Fischer-Regierung die Demontage des Sozialstaates betrieb?
Die Prämissen sind im Fall Lützerath anders: Die Grünen beziehen sich auf den vorzeitigen Ausstieg aus der Kohle-Verstromung und verwiesen im Herbst auf das Rest-Risiko des winterlichen Gasmangels durch den Ukraine-Krieg und die Reaktion Russlands auf die Sanktionen der EU.
Der Deal ist flexibel wie ein Amboss
Nun bestehen zu der Engpass-These unterschiedliche Gutachten und beim Deal mit RWE Anfang Oktober 2022 war nicht absehbar, ob der Winter „pro“ oder „contra“ Putins Wünschen verlaufen würde. Die 280 Millionen Tonnen Braunkohle unter dem Dorf wurden als „kriegsbedingte“ Lebensversicherung gegen ein Strom-Blackout gehandelt. Soweit lässt sich die Argumentation auch nachvollziehen.
Der Deal auf Seiten der Grünen besteht in der „Rettung“ der anderen fünf Dörfer neben Lützerath und dem Kohleausstieg bis zum Jahr 2030 anstatt 2038 in NRW. Das liest sich auf den ersten Blick ganz plausibel. Die Braunkohle-Kraftwerksblöcke Neurath D und E dürfen nun aber bis zum Frühjahr 2024 anstatt bis Ende 2022 weiter betrieben werden. Die Laufzeitverlängerung bedeutet für RWE eine Sondereinnahme[3], die auf die bereits zugesagte Kompensationszahlung von 2,6 Mrd. EUR wegen des Kohle-Ausstiegs aufaddiert wird. Es ist auch nicht gesichert, dass damit weniger Braunkohle verfeuert wird. Es könnte auch nur schneller gehen, was der Umwelt eher mehr schaden würde. Aber sei es drum. Der RWE wird es nicht zum Schaden sein.
Die Übervorteilung durch den RWE-Konzern ist das eine Ärgernis. Hier geht es aber um mehr: Umweltschutz, also direktes öffentliches Interesse.
Warum konnte angesichts des nun milden Winters und der recht gut gefüllter Gasspeicher „Lützerath“ nicht verhindert werden. Wer behauptet jetzt noch, dass diese Braunkohle notwendig ist? In einem bemerkenswerten Artikel in der „Zeit“ hat Anja Stehle auf die Nähe der widerstreitenden Gutachten hingewiesen. Sie liegen nur einige (5) Millionen Tonnen Braunkohle auseinander.[4] Das DIW hat ebenso auf den nachvollziehbaren Verzicht der Lützerath-Kohle hingewiesen. Der Staat hat das Heft des Handelns aber gern aus der Hand gegeben, denn der Deal war unter den Umständen einer Gas-Notlage unterstützenswert. Jetzt hätte nachjustiert werden können, aber dafür hat die Courage nicht gereicht. Der Staat ging von der Gestaltung in die Rechtssicherung über, weil er nicht mehr gestalten wollte. Das kann und muss Aktivisten auf die Bäume treiben. Es ist klassisches Staatsversagen mit grüner Beteiligung. Auch wenn die Grünen es nicht mehr hätten verhindern können; sie hätten die Kommunikation verändern können: Abstand nehmen von der Räumung und dem Abbaggern Lützeraths. Es hätte erneut auf den Prüfstand gehört. Die AKW-Abschaltungen wurden zur Freude nuklearer Fans auch nach hinten verschoben.
Energiemarkt-Monopoly
Es ist alles andere als überraschend, dass RWE als großer Gewinner aus den politischen Beschlüssen und Umsetzungen hervorgeht. Das war schon immer so, wenn deutsche Politik im Spiel war. Lediglich bei der europäischen Energiemarkt-Liberalisierung hatten die deutschen Regional-Monopole das Nachsehen. Der dadurch entfachte Preisverfall ließ die Monopolprofite schmelzen und RWE nahm sogar eine Sonderabschreibung auf Kohlekraftwerke vor. Die mit 23 % beteiligten NRW-Kommunen waren wenig begeistert, denn die dann ausgefallenen Dividenden waren bereits in den Budgets verplant. Angesichts klammer Kassenlage konnten die Kämmerer nur aufheulen. Ein Vetorecht ist bei 23 %-Anteilen nicht standardmäßig hinterlegt. Das Land Niedersachsen hat bei der Volkswagen AG eine Sperrminorität sogar gegen den EuGH auch bei 20 % durchgesetzt. Das Aktiengesetz sieht 25 % vor. Die Kommunen hatten schlichtweg kein Interesse.
RWE konnte unbehelligt von (deutschen) staatlichen Einflüssen agieren und 2018 mit E.ON einen Nichtangriffspakt abschließen. Sie teilten den betroffenen Markt unter sich auf. RWE kaufte die Erzeugerkapazitäten von E.ON, das mit 15 % Anteilseigner an RWE wurde. E.ON erhielt zusätzlich die Netz- und Vertriebsorganisationen von RWE. Sowohl Kartellamt als auch EU-Kommission winkten den Deal bis auf Mini-Auflagen wie den Verkauf von 34 von 1.600 Ladestationen durch, woraufhin 10 regionale und ein Ökostrom-Versorger vor dem EU-Gericht klagten. Die Sache ist bis heute nicht ausgestanden. Aber unumkehrbare Fakten wurden längst geschaffen.[5]
Die privilegierte Position der großen deutschen Energieversorger hat Tradition. Der Staat hatte über die Kommunen die Aktienmehrheit am 1898 gegründeten Unternehmen RWE. Inflation und Umstellung auf Reichsmark nach dem 1. Weltkrieg pulverisierten zwar die Aktienmehrheit, aber die 20-fache Bewertung der kommunalen Stimmrechte verhinderte eine private Übernahme.
Das Mehrfachstimmrecht wurde im Jahr 1997 gekippt, weil mit dem Aktiengesetz nicht kompatibel und die Kommunen keine weiteren Aktien kaufen wollten.[6] Das Vetorecht von 25 % der Kommunen wurde im Jahr 2011 durch eine Kapitalerhöhung über den Verkauf an institutionelle Anleger gekippt. Die Kommunen (Städtetag) waren nicht nur nicht so clever wie das Land Niedersachsen bei der Volkswagen AG. Sie hatten die Möglichkeit das Vetorecht zu halten, ließen diese Chance aber bewusst aus.[7] Seitdem ist der Staat nur noch Statist mit Ausschüttungsbegehren. Die Regionalvertreter waren/sind auf der Payroll von RWE und damit waren/sind die Interessen größtenteils gleichgeschaltet.
Die Kommunen hatten RWE die Kundschaft zugeführt und haben zugelassen, dass RWE die Dörfer um Lützerath aufgekauft hat. Das ist der unsägliche Neoliberalismus: Überlassung öffentlichen Interesses an private Unternehmen. M.a.W.: Ich tue dir einen Gefallen und sorge zusätzlich auch für die Enteignungen, damit die Kunden weiter beliefert werden können.
Auch könnte RWE aus der Kohle-Ausstiegs“kohle“ jederzeit mit monetären Argumenten nachhelfen. Offensichtlicher kann der Staat das Renditeversprechen eines Unternehmens nicht sichern. Dass im Aufsichtsrat der RWE etliche kommunale Vertreter Entgelt beziehen ist kein Zufall. Erst 2011 wurde die Praxis der über 100 bezahlten kommunalen Regionalbeiräte geändert, so dass die Entsandten die Nebeneinnahmen in die Staatskasse einzahlen sollten. Daraufhin änderte RWE die Voraussetzungen, so dass nun die Beiräte als Privatpersonen engagiert werden. Das Geld verbleibt so in den privaten Portmonees, was aktuell von der NRW-Regierung überprüft wird.[8]Im Jahr 2004 waren insgesamt 200 RWE-Angestellte in den Kommunen NRWs politisch aktiv.[9] Insgesamt ist diese Verbindung als Duo Infernale einzuordnen, denn sowohl RWE als Energiekonzern als auch die konservativ geführten Kommunen haben die Energiewende in ihrer Dividenden-Fixierung selig verschlafen.[10] Der Staat hat eine negativ passive Rolle eingenommen.
Der verzichtende Staat konnte sich jetzt mit der Aussage reinwaschen, dass bei der Räumung von Lützerath das Recht auf Eigentum geschützt würde; ein Recht, das jede(m)r zusteht. Auf dem Hintergrund des eben Beschriebenen kann diese Darstellung nicht übernommen werden. Das Eigentum, einst im Besitz der Öffentlichkeit, wurde hergegeben und ex-post eben gegen diese mit Staatsgewalt verteidigt. Und das auch noch ohne Not, denn die Braunkohle wird wahrscheinlich nicht benötigt werden. Die korruptive Verschmelzung von Energiewirtschaft und Staat kann deutlicher nicht sein und am Ende bleibt neben der immerwährenden Hoffnung auch viel Verzweiflung. Und unser Holger hat recht, wenn er die grüne Bewegung außerhalb des Parlamentarismus als notwendig erachtet, um die parlamentarischen Grünen zu stärken. Letztere würden ohne Aktivisten bürgerlich verkümmern.
Journalisten und Autoren tun sich leicht
Die politische Macht ist nicht monolithisch und auch selten homogen. Es ist ein großer Fortschritt, wenn Positionen zu Umweltschutz und Sozialem Ausgleich in einer Regierungskoalition Eingang finden. Das Problem besteht in der Resilienz gegenüber machtpolitischen Ambitionen, die den Markenkern opfern könnten. Das ist eine diffizilere Aufgabe als die reine Oppositionsarbeit innerhalb und außerhalb der Parlamente. Die Grünen in der Regierungsverantwortung müssen diesen Konflikt zurzeit aushalten und dafür verdienen sie größten Respekt. Politische Fehler sind dabei verzeihlich, solange der grundsätzliche Kurs gehalten wird. Das gilt auch für Lützerath. Die Grünen haben zurecht eine gelbe Karte bekommen. Da muss das nächste Mal besser verhandelt und der Mut aufgebracht werden, das Fass noch einmal aufzumachen, wenn sich die Parameter verändert haben.
[1] Sören Haberlandt 2022; o.S.: Städte-Boss warnt vor flächendeckenden Blackoutshttps://www.bild.de/geld/wirtschaft/wirtschaft/blackout-staedte-boss-warnt-vor-flaechendeckenden-stromausfaellen-81281486.bild.html;
[2] Göran Schattauer 2022; o.S.: Bundesregierung versucht, die Gesetze der Physik auszutricksen.https://www.focus.de/politik/krisenexperte-ueber-blackout-gefahr-bundesregierung-versucht-gesetze-der-physik-auszutricksen_id_180373721.html. 17.01.2023
[3] Catiana Krapp 2022; o.S.: RWE verdient kräftig am Weiterbetrieb von zwei Braunkohleblöcken. https://www.handelsblatt.com/unternehmen/energie/energiekrise-rwe-verdient-kraeftig-am-weiterbetrieb-von-zwei-braunkohlebloecken/28748202.html. 17.01.2023
[4] Anja Stehler 2023; o.S.: Und das alles wegen ein paar Tonnen Kohle. https://www.zeit.de/wirtschaft/2023-01/luetzerath-raeumung-braunkohle-klimaaktivisten-energiepolitik. 16.01.2023
[5] Johanna Albrecht/Sven Kirrmann 2021; o.S.: Warum wir beim Strom-Monopoly von RWE und E.ON nicht mitspielen. https://www.energynet.de/2021/04/08/strom-monopoly/. 17.01.2023
[6] Tagesspiegel 1998; o.S: Kommunen geben Rechte beim RWE auf. https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/kommunen-geben-rechte-beim-rwe-auf-566728.htm. 17.01.2023
[7] Handelsblatt 2011; o.S.: Kommunen droht nach RWE-Kapitalerhöhung Verlust ihres Veto-Rechts. https://www.handelsblatt.com/dpa/economy-business-und-finance-kommunen-droht-nach-rwe-kapitalerhoehung-verlust-ihres-veto-rechts/5933626.html. 17.01.2023
[8] Lobbypedia 2022; o.S.: RWE. https://lobbypedia.de/wiki/RWE. 17.01.2023
[9] Spiegel 2004; o.S.: RWE und die Politik – 200 Beschäftigte auf kommunaler Ebene aktiv. https://www.spiegel.de/politik/deutschland/rwe-und-die-politik-200-beschaeftigte-auf-kommunaler-ebene-aktiv-a-333910.html. 17.01.2023.
[10] Heinrich-Böll-Stiftung 2021: RWE und Kommunen. https://kommunalwiki.boell.de/index.php/RWE_und_Kommunen#Entwicklung_der_Dividende. 17.01.2023
- Abkürzung für Staatsmonopolistischer Kapitalismus; eigentlich Juso-Jargon; wird hier deskriptiv verwendet