Putins Rückhalt in Russland
von Thomas Ertl
Der Fall der Mauer 1989 machte Hoffnung auf eine demokratische Gesellschaft auf Basis der Marktwirtschaft. Die Zwischen-Bilanz in 2022: Von einer Demokratie sind nicht einmal mehr Spurenelemente sichtbar und die Marktwirtschaft ist in letzter Konsequenz ein Selbstbedienungsladen der herrschenden Macht-Elite.
Das ist typisch für Staaten mit einem schier endlosen Reichtum an Rohstoffen, der nur gehoben werden muss. Eine Kombination von Rohstoffreichtum und Demokratie ist real fast nicht auffindbar. Die USA sind eine bestätigende Ausnahme, denn gerade die Bundesstaaten wie Texas stützen diese These. Die Rohstoffe-reichen Bundesstaaten sind von Republikanern beherrscht, die anderen tendenziell von Demokraten.
Eine auf Kreativität ausgerichtete Volkswirtschaft ist mit Autoritarismus schwer vereinbar (gilt auch für Unternehmen). Ein geschundenes Volk lässt sich nicht en gros zu kreativer Arbeit verleiten. Ausnahmen könnten nerdige bzw. autistische Wissenschaftler sein.
Was lief schief, als Russland die Chance zur Demokratisierung wiederholt nicht nutzte, trotz Gorbatschows Glasnost (Öffnung) und Perestroika (Umgestaltung)?
Es macht einen großen Unterschied, ob Reichtum erwirtschaftet werden oder ob Reichtum nur verteilt werden muss. Letzterer Vorgang setzt keine motivierte Gesellschaft voraus. Putins Regentschaft begann 2000 nach fast einem Jahrzehnt desaströsem Transformationsprozesses:
Wirtschaftskrise und sinkender Lebensstandards wurden flankiert mit hoher Kriminalitätsrate, Korruption und behördliche Willkür noch vor Putins Ära. Partikularinteressen aus Wirtschaft und der Organisierten Kriminalität, den sogenannten Oligarchen, beherrschten die russische Administration.
Nobelpreisträger und Ex-Weltbank-Chefvolkswirt Joseph Stiglitz stellte bereits 2002 in seinem Buch „Die Schatten der Globalisierung“ fest, dass Putin eine rätselhafte Person sei. Putin konnte aufgrund der desaströsen Lage nicht viel verkehrt machen und profitierte vom steigenden Ölpreis bis zur Fracking-Orgie der USA und der Aufhebung der OPEC-Förder-Höchstmengen.
Abb. 2
Wie konnte so ein reiches Land 1998 in die Insolvenz geraten?
Das BIP verlor vor Putins Machtantritt 54 %, die Industrieproduktion sogar 60 % und der Viehbestand halbierte sich zwischen 1990 und 1999.Die Freigabe der zuvor festgesetzten Preise sprengte alle Inflationsketten.
Das führte einerseits zum Aufzehren relevanter russischer Ersparnisse und ebenso zum Versickern der importierten Kapitalströme. Die in Rubel konvertierten USD waren nicht mehr viel wert, sobald sie getauscht waren.
Es wurden keine notwendigen Infrastrukturen für Markt- und Wettbewerbsregeln geschaffen; ein notwendiges modernes Steuersystem wurde immer noch durch mafiöses Schutzgeld ersetzt, was mit Putin (13 % ESt für Inländer) besser wurde. Das russische Vermögen wurde per Lotterie an die Nomenklatura mit den besten Verbindungen vergeben.
Der Preis für Öl wurde im Gegensatz zu Konsumgütern nicht dem Markt überlassen, sondern blieb reguliert niedrig, was zu einem extrem profitablen Verkauf auf internationalen Märkten animierte. Nutznießer waren die Apparatschiks und deren Vettern! Die sogenannten Oligarchen mit mindestens Nähe zur herrschenden Administration versilberten diese Beziehungen zum „Aufkauf“ relevanter Unternehmen und Bodenschätze wie eben Öl. Dazu zählte der inzwischen im Exil lebende Chodorkowski, der seinen (Über)mut mit vielen Jahren Gefängnis bezahlen musste. Nicht nur er bediente sich am russischen Volksvermögen. Es waren die Jünger und Unterstützer von Jelzin, die nicht nur die Geschenke annahmen, sondern auch danach nicht einmal Steuern aus den explodierenden Gewinnen abführten. Es war ja Common Sense. Mit dem Übergang zu Putin veränderte sich die Lage, denn dieser war an diesen Aktionen zumindest nicht offensichtlich beteiligt und konnte sich sodann öffentlichkeitswirksam als Retter Russlands aufschwingen und Leute wie Chodorkowski unter Applaus brandmarken. Letzter hatte den Fehler begangen, sich tatsächlich frei zu fühlen, da er wie viele andere Oligarchen einen Deal mit Jelzin geschlossen hatte und Steuern nachzahlte, um nicht belangt werden zu können. Dieser Deal galt für Putin nur, wenn die Oligarchen nach seiner Pfeife tanzten. Chodorkowski hatten seine Leichen im Keller vergessen. Er wähnte sich frei, war aber immer ein Gefangener Putins, der die Leichen der Oligarchen in den Kellern in seiner Registratur festhielt. Er nutze jedwedes Oppositionsgebahren, um erbarmungslos zurückzuschlagen. Die Sympathien der russischen Bevölkerung waren ihm nach gut 10 Jahren Wohlstandabbau sicher. Die Korruption ist außer bei den Nutznießern nirgends beliebt.
Die Oligarchen, die das Spiel Putins verstanden und zu Vermögen gebracht hatten, schützten das Gewonnene durch Anlagen in USD im Ausland und bedachten Putin mit Unterstützung aller Art. Letztlich hatten auch die Panama-Papers Milliarden USD durch eines Petersburger Strohmann und Kumpel Putins zu Tage gefördert. Dieser Inhaber einer Petersburger Musikschule war auf dem Papier (in Panama) nicht nur mehrfacher Milliardär, sondern auch Anteilseigner einer relevanten Petersburger Bank. Und Panama erhebt keine Ertragssteuern. Putins PräsidentenGehalt von ca. 130 Tsd. EUR p.a. hat eher Symbol-Charakter.
Das Szenario des Übergangs, übliche Macht-Phänomene und der Anfang vom Ende
Die Aufbruchstimmung nach dem Ende der Sowjetunion verflog bei den internationalen Investoren schlagartig, als auch bedingt durch die Asienkrise die Weltwirtschaft 1997/1998 leicht schrumpfte und die Schwellenländer als riskant eingeschätzt wurden. Ob die schlechte Entwicklung Russlands die Asienkrise puschte oder umgekehrt ist dabei nicht so wichtig.
Der stark überbewertete Rubel (durch die Kapitalfluss der Finanz-Ritter) konnte bei maroder russischer Wirtschaft nicht länger gehalten werden. Die Inflation hatte die Substanz zerfressen und die Zentralbank folgte seinerzeit dem IWF, den Rubel zu stützen. Um das ausländische Kapital zu halten erhöhte die Zentralbank den Leitzins drastisch, tlw. tageweise auf bis zu 150 % in 1998. Die Kreditzinsen zogen nach und nahmen einen Wert von durchschnittlich über 40 % an.
Für die Binnenwirtschaft war das Gift und führte zum weiteren Rückgang. Das Rezept wurde vom IWF ausgegeben, der bar jeder vernünftigen Expertise weltweit dieses Vorgehen präferierte und erst seit einigen Jahren, wenn auch versteckt in Fachaufsätzen, Abbitte leistet. Statt Umbau der Wirtschaft durch Nutzen des Boden-Reichtums – wie tlw. im Nahen Osten (Emirate) oder in Norwegen – kam es zum Ausverkauf und zur Kapitalflucht reicher Russen. Aber die Quelle war ja noch vorhanden. Und Chodorkowskis Yukos-Konzern, einer der größten globalen Öl-Konzerne, wurde später in den 1993 gegründeten Staatskonzern Rosneft überführt. Rein handelsrechtlich übernahmen Strohfirmen aus Sibirien, deren Spuren sich nicht nachvollziehen ließen. Aber das ist eine Story für sich. Putin war sichtlich stolz auf diesen Coup und erzählte das amüsiert seinem Gerd aus Hannover im Beisein von Joschka Fischer.
Mit der Erholung des Öl-Preises und der vollzogenen Verteilung russischer „Perlen“ begann die Putin-Ära. Er hatte lange Zeit freies Spiel und konnte Währungsreserven horten. Bei besonders gefüllter Kriegskasse schlug er stets zu: Georgien, Krim und Ukraine (Abb. 2).
Er bringt sich durch seine Invasionen in die Lage, in der russischen Geschichte Stalin und Hitler zu folgen. Massive Repressionen, Abbau aller Formen von Rest-Demokratie, Genozid-artige Aggressionen gegen ehemalige Sowjetrepubliken und Drohung atomarer Gewalt zeigen einen Despoten, der in der Folge anderer russischer Herrscher lediglich eine andere Gruppe von Nutznießern um sich geschart hat.
Die Ukraine ist seit einer langen Zeit das Ventil großrussischer Putin-Expansions-Visionen. Die innere Unterstützung ist Putin so wichtig, dass er nun bis auf WhatsApp alle sozialen Medien gekappt hat. Mit Staatspropaganda über Neonazis, die es tatsächlich im ASOW-Regiment gibt, legitimiert er seinen Einmarsch ebenso infam wie der Hinweis, dass die NATO über Belgrad auch Bomben abgeworfen hat, um einen Genozid zu verhindern. Doch das reicht nicht mehr aus, um die wahren Absichten im Inland dauerhaft zu vernebeln.
Möglicherweise bröckelt das Imperium bereits innerlich. Berichte über Differenzen mit und um die Geheimdienste machen die Runde, ebenso die Absetzung militärischer Hochkaräter. Es könnte der Anfang vom Ende sein. Die Bedeutung der Energie-Einnahmen für die Kriegsführung wird in der Abbildung 1 deutlich. Und ob China das gewagte Spiel einer Achse gegen den Westen eingeht, bleibt fraglich. Wer soll die chinesischen Waren kaufen? Russland hinge am chinesischen Tropf und Indien als weiterer BRICS-Brocken ist erstens nicht so weit, zum Massen-Konsument Chinas aufzusteigen und zweitens noch zwischen den Stühlen westlicher Abnehmer sitzend. Halt so, wie China Anfang der 1990er Jahre. Das wird für Putin wohl nicht reichen. Hoffentlich!
Der Blickwinkel ist interessant und erhellend. Die Phasen von Prosperität im Rohstoffdealen, mit der Folge außenpolitischer Aggressionen gegen ehemaliger Sowjetrepubliken (Georgien, Krim jetzt Ukrainekrieg) und geostrategischer Out-of-area Aktionen in westlichen Defizitregionen (Syrien, Nahost) zu verbinden ,ist sicher Putins Ziel seit langer Zeit gewesen. Grafisch dargestellt, erleichtert es aber deutlich das Verständnis.
Putin hat die Rohstoffeinnahmen ja auch im Innern dafür eingesetzt, alle möglichen Maßnahmen des Lifestyles der aufstrebenden Mittelschichten zu subventionieren und nicht nur die Kleptokraten zu pampern. Ich denke, diese Schiene ist zukünftig für ihn schwerer zu bespielen. Maxim Kireev schreibt in der Zeit vom 19.03. „Georgien, Armenien, die Türkei, aber auch Usbekistan und Kirgisistan haben nach konservativen Schätzungen bis zu 200.000 Menschen aufgenommen.“ (Gemeint ist seit Anfang des Jahres). In Tblissi (Tiflis, Georgien) sind 25.000 Russen in den letzten Wochen angekommen und versuchen von dort aus bei internationalen Firmen zu arbeiten (naturgemäß viele aus der IT-Branche). Der russische Suchmaschinenriese YANDEX hat in Jerewan (Eriwan, Armenien) ein Bürohochhaus für 100 Mitarbeiter gemietet, die sich dahin abgesetzt haben. Der Grund ist nicht einfach Kriegsangst, sondern Scham wegen des Überfalls, Pessimismus bezüglich der eigenen zukünftigen Freiheitsräume in Russland und ganz wesentlich Putins Hasstiraden gegen „Verräter die westlich denken und sich an westlichen Werten orientieren“. Wie Putin es dann so liebevoll ausdrückte „das russische Volk werde diese Verräter, wie eine zufällig in den Mund geflogene Fliege einfach ausspucken“, erschien dann doch vielen jungen Hipstern nicht die gewünschte Ansprache. Sie haben ihre Lifestyle-Kieze in Moskau und St. Petersburg verlassen und wenig spricht dafür, dass sie noch einmal nach Putin-Russland zurückkehren wollen.
Dahinter verbirgt sich ein grundsätzlicher Konflikt. Putin hat sich in den letzten Jahren inhaltlich enorm radikalisiert. Eine Metamorphose hat ihn – von einem im Ursprung relativ glaubhaften Reformer der Jelzin-Selbstbedienung, zu einem düsteren Propheten eines dumpfen Slawo-Faschismus mit eurasischen Großmachtphantasien gemacht. Als Gegner ist der westliche Individualismus Europas und Nordamerikas ausgemacht, die dabei sind, die russische Seele zu zersetzen. Inspiriert ist er hierbei einerseits von dem aktuellen russisch-othodoxen Patriarchat, aber hauptsächlich von dem rechtsradikalen Philosophen Alexander Dugin. Der Typ ist wirklich weltweit sehr prominent in rechten Kreisen (Fans u.a. ex Trumpberater Steve Bannon, die identitäre Bewegung in fast allen EU-Ländern und zumindest in Teilen Victor Orban in Ungarn). Ich schreibe nächste Woche mal einen kleinen Beitrag zu dem Typen.
Aber Putins Wandlung, die sich ja so gut in die Konjunktur autokratischer Führerschaften einpasst, folgt in vielem der rezeptionsweise der Welt durch Alexander Dugin. Putin erscheint dabei immer abgedrehter , aber letztlich kennzeichnet dies nur, die Zunahme des gegenseitigen Unverständnisses zwischen dem „Westen“ und einem Anführer, der immer stärker in völkisch-metaphysisches Fahrwasser gerät.
Die Sichtweise des Westens, bei Putin handele es sich um einen rationalen und brutalen Machiavellisten, ist fürchte ich ein Fehler. Dass die Sache dadurch nicht ungefährlicher wird, ist keine gute Nachricht.
Neben dem Widerspruch zwischen dschihadistischen Islam und westlich-kapitalistischer Kultur, scheint sich hier ein neues Feld für den „Clash of civilisations“ aufzutun. Samuel Huntington wird erneut aktuell bezüglich der Auseinandersetzung mit der rechten identären Bewegung.
Euch ein schönes Wochenende. Schöne Grüße Holger
Vielen Dank, Thomas! Ich nehme mal an, der Zusammenhang zwischen Ölpreis (und Ölabsatz) und Kriegen Putins stimmt, dann wäre es doch um so wichtiger sofort den Ölhahn zuzudrehen. Oder?
Zu der Rentierthese, dass Rohstoffländer meistens autoritär strukturiert sind, ist da Norwegen eine Ausnahme? Und wenn ja, warum?
Norwegen hatte das Öl erst 1969 entdeckt und da war die Nation gottseidank kulturhistorisch „durchdemokratisiert“. Die Erfahrungen gegen Hitler-Deutschland waren wohl auch hilfreich. Erst in den 1970er Jahren kam es dann zum Öl-Boom. Bis dahin war Norwegen eher ein Armenhaus Europas. Eine von Korruption geprägte Gesellschaft hätte mit dem Öl das gemacht, was wir in Russland und in Venezuela sehen.
Ja, der geöffnete Öl- und Gashahn ist für Russlands Militärausgaben unabdingbar. Inwieweit man kurzfristig auf diese Quellen verzichten kann, weiß ich auch nicht. Von Emotionen geleitet wäre ich für eine Ad-hoc-Blockade russischer Energie-Exporte. Aber das muss bis an Ende durchdacht werden.
Habeck auf Energy Transition am 28.3.2022 dazu, was Energiemonopole politisch bedeuten.https://www.youtube.com/watch?v=rSlz7MXvo1U