Russian Angst

4. März 2022 1 Von Uli Gierse

Spoiler: Putin weiß die Antwort auf alle Fragen. Und sein Ergebnis lautet nicht 42.

Vorbemerkung: Ich gehe immer noch davon aus, dass Putin nicht geistig verwirrt ist, denn dann wäre jede Diskussion überflüssig.

Doch lassen wir ihn selbst zu Wort kommen, in seiner Fernsehansprache am letzten Donnerstag (Kriegsbeginn) kam Putin zu folgende Schlussfolgerung:

„Außerdem werde ich etwas sagen, was ich noch nie öffentlich gesagt habe, ich werde es jetzt zum ersten Mal sagen.

Als der damalige US-Präsident Clinton im Jahre 2000 Moskau besuchte, fragte ich ihn,was Amerika von einem Beitritt Russland zur NATO halten würde.

Ich werde nicht alle Einzelheiten dieses Gesprächs preisgeben, aber die Reaktion auf meine Frage war sagen wir, war eher zurückhaltend. Und die wahre Einstellung der Amerikaner zu dieser Möglichkeit lässt sich in der Tat an ihren nachfolgenden Schritten in Bezug auf Russland ablesen.

Es stellt sich die Frage, worum geht es bei allem, was ist der Zweck? Nun gut, sie wollen uns nicht als Freunde und Verbündete sehen, aber warum machen sie uns zum Feind?

Darauf kann es nur eine mögliche Antwort geben, es geht nicht um unser politisches Regime oder etwas ähnliches, sondern sie können einfach ein großes, unabhängiges Land wie Russland nicht brauchen. Das ist die Antwort auf alle Fragen.“

Die Antwort auf alle Fragen ist also die Angst der Anderen, der USA, vor der  Stärke Russlands.

In dieser Logik, wächst mit der größeren Stärke Russlands nach der Eroberung der Ukraine und auch die Angst der NATO-Staaten. Staaten, die Angst haben sind gefährlich.  Wer das erkannt hat, der agiert vorausschauend so, dass er die NATO zurückdrängt.

Aber so könnte man sagen die Ukraine ist doch gar nicht in der NATO und es gab auch keine Bestrebungen das zu ändern. Aber Ukraine und Belarus sind Frontstaaten zur NATO. In einem antagonistischen Weltbild, wenn man die Welt in Freund und Feind zerlegt, muss man sich wie ein Hund verhalten, der aus Angst einen anderen Hund anbellt oder angreift. Nach dem Motto Angriff ist die beste Verteidigung.

Die Rhetorik der eigenen Stärke entpuppt sich so als reale eigene Schwäche, denn wenn Russland wirklich so furchteinflößend und mächtig wäre, bräuchte es ja nicht kleine, schwächere Nachbarn anzugreifen.

Das was man dem Gegner zuschreibt, ist die Beschreibung der eigenen Situation. Die realen Verhältnisse werden rhetorisch auf den Kopf gestellt.

Ein anderes Beispiel dafür: Putin sagt, man will die russische Bevölkerung vor den bösen Ukrainern retten, da sie von einem Genozid bedroht sei,  und bombardiert Charkow, die Stadt mit einer russischen Bevölkerungsmehrheit.

Putin hat auch keine Angst vor der ach so mächtigen NATO-Staaten, die ohne aktive Führungsrolle der USA Russland militärisch völlig unterlegen wären. Nein, so blöd ist er nicht, er hat Angst vor der Demokratisierung der Ukraine, angefangen mit den Maidan-Revolten 2013/14 , die zum Sturz Janukowitsch führte. Diesen will Putin nun wieder an die Macht bringen, munkelt man.

Er thematisiert so die Grundlagen für einen neuen Kalten Krieg der Systeme. Nicht Kommunismus gegen Kapitalismus, sondern illiberale Diktaturen gegen liberale Demokratien, kapitalistisch sind beide. Seit 2014 befinden wir uns daher im Krieg, im kalten Krieg, der auf Stellvertreterebene ausgefochten wird. Einen heißen Krieg zwischen der NATO und Russland können wir noch verhindern, wenn wir die Kosten für den Überfall auf die Ukraine für Russland und Belarus noch weiter in die Höhe treiben. Ein heißer Krieg wäre für alle letztlich unbezahlbar und würde ungeheures Leid mit sich bringen.