Warum Sarah Wagenknecht so erfolgreich ist

Warum Sarah Wagenknecht so erfolgreich ist

4. März 2023 0 Von Uli Gierse

Das Meinungsforschungsinstitut Kantar[1] hat in einer repräsentativen Umfrage für den Focus 19% (in Westdeutschland 18%, in Ostdeutschland 27%) potentielle Wähler für eine Partei unter der Führung von Sarah Wagenknecht festgestellt. Diese gliedern sich nach ihrer Parteipräferenz so:

AfD:                       60%

Linke:                    50%

FDP:                      26%

CDU/CSU:           16%

SPD:                     12%

Grüne:                 3%

Umgesetzt in ein potenzielles Wahlergebnis ergäbe das dann folgende Situation:

Die CDU/CSU fiele von 30% auf 25,2%

Wagenknecht                                   19%

Die SPD von 20% auf                      17,6%

Die Grünen von 18% auf               17,5%

Die AfD von 14% auf                      5,6 %    

Die FDP von 6% auf                        4,5%

Die Linke von 5% auf                      2,5%

Rest                                                  8,1%

Wie ist das zu erklären?

Offensichtlich versteht es Wagenknecht ihre Botschaft in eine neue Ideologie zu verpacken.

Ideologien sind einfache Welterklärungsangebote, die Leerstellen in der Analyse komplexer Probleme für den gesunden Menschenverstand füllen.

Unter einem gesunden Menschenverstand versteht man die Fähigkeit des menschlichen Gehirns, sich in der normalen Wirklichkeit gut orientieren zu können. Auf Grundlage von Erfahrungen, die individuell oder als Kollektiv gemacht wurden, hat das Gehirn spezielle Lösungen so aufbereitet, dass sie quasi automatisch wie beim Fahrradfahren ablaufen können. Dabei gelten folgende Regeln: Ein Ereignis hat immer eine Ursache und/oder einen Verursacher. Die Ursache, bzw. der Verursacher für ein unerwünschtes Ereignis muss daher identifiziert werden, um im Wiederholungsfall eine bessere Lösung (Beispiel Flutkatastrophe) zu haben. Gern genommenes Beispiel ist die heiße Herdplatte. Der gesunde Menschenverstand hat schon als Kind gelernt, diese besser nicht zu berühren. Bei komplexen Problemen wie Krieg oder Frieden ist die Sache komplexer und der gesunde Menschenverstand häufig überfordert. Deshalb sind Ideologien in Zeiten des Übergangs, von Zeitenwenden, immer besonders erfolgreich.

Wie lautet nun das Wagenknecht- Narrativ? Als Verursacher des Überfalls Russlands auf die Ukraine wird nicht etwa Russland identifiziert, was ja auf den ersten Blick plausibel erscheinen könnte, sondern die USA und die NATO. Damit knüpft sie an ein gängiges Argumentationsmuster der Friedensbewegung in den 1980er an (Anschlussfähigkeit) und nimmt die Russische Föderation aus der “Schusslinie“ (im doppelten Sinne). Wenn der entscheidende Faktor für diesen Krieg nicht der Aggressor ist, sondern geheime Kräfte im Hintergrund (Verschwörungstheorie), dann kann Wagenknechts zweite Forderung plausibel erscheinen, keine Waffen an die Ukraine zu liefern, denn diese Waffen (NATO) haben ja Russland erst zu diesem Krieg provoziert.

Wenn die Ukraine also für Russland keine Bedrohung mehr wäre, dann wäre der Zeitpunkt für Diplomatie, Verhandlungen, erreicht, denn einzig die territoriale Sicherheit der Russischen Föderation war ja nach dieser Ideologie die Kriegsursache.

Der normale Friedensfreund kann sich damit beruhigt aufs Sofa fläzen, denn was gibt es Unblutigeres als Diplomatie. Und so wird daraus eine einfache Lösung für ein komplexes Problem. Und alle die das nicht einsehen wollen, sind Bellizisten, Kriegstreiber. Wagenknecht identifiziert diese Feinde des Friedens dann auch gleich in der Bundesregierung, insbesondere bei den Grünen, und in den Medien.

Das leuchtet auch den Rechtsradikalen von der AfD ein, die aber noch ein weiteres schlichtes Argument in die Debatte einbringen können. Die Ukraine geht uns nichts an, das ist Interessenpolitik der Großmächte, Geopolitik, und die erfolgt nach dem sozialdarwinistischen Prinzip, der Stärkere hat Recht. Wagenknecht und Co. nehmen auch dieses rechte Narrativ auf, indem sie die Aussichtslosigkeit der Ukraine gegen die Atommacht Russland gewinnen zu können, ebenfalls in ihre Ideologie „Frieden schaffen ohne Waffen“ aufnehmen.

Wagenknecht hatte schon vor dem Ukraineüberfall Russlands vor, eine eigene Partei zu gründen. Nachdem ihr Versuch die soziale Frage, gekoppelt an die Konkurrenz der Armen mit den Einwanderern und Flüchtlingen gescheitert war, gingen sie und Lafontaine auf die Corona-Querdenker zu. Doch das reiche noch nicht, weil die Coronaschwurbler auch gut von der AfD vertreten wurden. Nun ist das Ideologienetz geflochten: Antiamerikanismus + Staatsfeindschaft eingebettet in einen schlichten Pazifismus. .

Spannend ist jetzt nur noch die Frage, schafft es Wagenknecht/ Lafontaine eine neue Partei zu gründen, die ihnen nicht über den Kopf wächst. Letzteres ist wahrscheinlich, und sie sollten vielleicht mal bei den AfD-Gründerinnen nachfragen, denn frei nach dem Zauberlehrling von Goethe

Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister
Werd ich nun nicht los.

sind bekanntlich schlichte Geister nur schwer beherrschbar, außer es herrscht „Zucht und Ordnung“ durch die Hexenmeisterin.  


[1] Wagenknecht-Partei wäre vor allem bei AfD-Anhängern beliebt – FOCUS online