Was treibt die Erdogan-Fans in Deutschland an?

Was treibt die Erdogan-Fans in Deutschland an?

30. Mai 2023 0 Von Uli Gierse

Es gibt viele Erklärungsversuche für das Abstimmungsverhalten der Deutsch-Türkinnen, die überzeugendste hat Murat Kayman[1]:

Murat Kayman zum Wahlverhalten der Erdogan-Wählerinnen in Deutschland:[2]

Ich will die vielen Analysen zum Wahlverhalten der Erdoğan-Fans nicht abwerten. Viele der Befunde mögen Faktoren sein, die mit ursächlich sind für die widersprüchliche Haltung, das Irrationale bei der Wahlentscheidung. Ich glaube, dass ein Aspekt noch nicht deutlich genug herausgearbeitet wurde: Die türkischen Wähler, hier wie dort, lassen sich von äußeren Faktoren nicht beeinflussen. Korruption, wirtschaftlicher Verfall, Versagen nach dem Erdbeben – all das hat praktisch keinen Einfluss. Denn die Unterstützung beruht nicht auf politischer Kompetenz oder politischen Erfolgen. Die Motivation entspringt einem tribalistischen Denken, in welchem eine bestimmte Form der militanten Religiosität und die Verherrlichung eines konstruierten historischen Selbstbildes vom überlegenen und edlen Osmanen den identitären Rahmen des eigenen nationalen Stammes bilden. In dieser Wir-Gruppe kann man auch einen Verbrecher gut finden, weil er „ihr“ Verbrecher ist. Das Stammesoberhaupt verkörpert das Kollektiv. Sein Ansehen ist das Ansehen des ganzen Stammes. Sein Palast ist deshalb nicht Ausdruck von Verschwendung und unredlicher Bereicherung. Er ist eine Symbol der Macht des ganzen Stammes. Alle anderen, die sich nicht dieser Gruppe beugen, haben in diesem nationalen Stamm keine Daseinsberechtigung. Sie sind Feinde. Ihre abweichenden Meinungen oder Lebensweisen gelten als Ausdruck der Niedertracht. Dafür kann es keine Freiheiten oder Gleichberechtigung geben. Es reicht nicht, diese Feinde einzusperren. Der Stamm fordert ihre Hinrichtung, ohne dass der Stammesführer widerspricht. Einer solchen Gesinnung kann man nicht das Angebot einer alternativen Wir-Gruppe, eines deutschen Stammes machen, ohne in ähnliche identitäre Extreme und abwertende Narrative zu verfallen. Man kann nicht um Herzen werben, ohne das radikale, extremistische, antidemokratische Gift darin zu problematisieren. Zukünftig werden zwei Fragen entscheidend sein: Hören wir auf, die antidemokratischen Institutionen türkisch-muslimischer Gruppen so zu behandeln als seien sie legitime demokratische Akteure. Und zum anderen: Welches Beispiel demokratischer Standhaftigkeit werden wir im Umgang mit unseren eigenen deutschen Rechtsextremen in der Politik, in den Behörden, in Kultur und Gesellschaft vorleben? Das eine wird ohne das andere nicht zu haben sein. Ich befürchte, dass unsere politische Bildungsarbeit auf diese Herausforderungen noch nicht ausreichend vorbereitet ist.

[1] Murat Kayman ist Jurist und Publizist aus Köln. Er ist Gründungsmitglied von @Alhambra_eV und macht einen Podcast „Dauernörgler“

[2] Hervorhebungen von mir.