Wie geht es weiter im Russland-Ukraine-Krieg?

Wie geht es weiter im Russland-Ukraine-Krieg?

10. Februar 2023 0 Von Thomas Ertl

Wagenknecht und Schwarzer gehen in die militärische Beratung und Claudia Major fordert ein europäisches Umstellen auf Kriegsproduktion ****

Die Medien überschlagen sich mit Meldungen und Talkshows zum schlimmsten Ereignis der Dekade, wie einige Experten richtig anmerken. Auffällig war die ungünstige Konstellation der Duellanten bei den Diskursen „Maischberger“ und „Lanz“ vom 8. Februar. Bei Sandra Maischberger wurden Sarah Wagenknecht und Gerhart Baum gegeneinander aufgestellt und bei Lanz war die Zusammensetzung deutlich harmonischer.

Dort konnten sich Claudia Major als Militär- und Sicherheitsexpertin, CDU-Politiker Paul Ziemiak und die Journalisten Helene Bubrowski (FAZ) und Michael Thumann (Ex-Zeit) die Bälle zuspielen. Man war sich einig in wesentlichen Fragen, was fast schade war, denn die Expertise von Claudia Major hätte der überforderte Gerhart Baum zumindest flankierend gut nutzen können. Sarah Wagenknecht hatte teilweise leichtes Spiel, weil der Gegenpart nicht voll auf der Höhe der Diskussion scheint. So zitierte Wagenknecht unwidersprochen ein Papier des renommierten Think-Tanks (soll wohl so etwas wie ein Denk-Panzer sein) RAND-Corporation. RAND, das im Prinzip nach dem zweiten Weltkrieg die Arbeit aufnahm, beschäftigt über 1800 Mitarbeiter aus 50 Nationen und berät das US-Militär in wesentlichen Fragen der sicherheitspolitischen Dimension. Dazu zählen die Destabilisierung Russlands und der aktuelle Konflikt mit China. RAND hat im Januar einen Report mit dem Titel „Avoiding a Long War in Ukraine“ herausgebracht.

Sarah Wagenknecht hat sich im Disput mit Gerhart Baum auf eben diesen Report bezogen und Passagen gefunden, die weitere Waffenlieferungen in ein anderes Licht stellen, als die Befürworter meinen könnten. Das Gewicht dieses Reports sollte der Güte des Einspruchs Nachhall verleihen, denn wenn schon die Berater des US-Militärs Verhandlungen propagieren, dann würden Waffenlieferungen doch keinen Sinn machen. Doch diese Passagen finden wir in dem 32-seitigen Report nicht. Wagenknecht bezog sich besonders auf die Aussagen, dass der Krieg durch Verhandlungen beendet würde und dann könnte man doch gleich damit beginnen anstatt totbringende Waffen zu liefern. Ich beziehe mich im folgenden Text auf den RAND-Report und versuche den Inhalt kompakt wiederzugeben. Nachzulesen ist das englische Original auf: https://www.rand.org/pubs/perspectives/PEA2510-1.html

Es wird keine Kapitulation geben

Der Bericht ist eine Bestandsaufnahme der Kriegssituation vom Ende Dezember. Die politischen Implikationen werden aus der Sicht der USA entwickelt. Europa bleibt weitestgehend außen vor bzw. wird unter Partner subsumiert. Der Text betont auch die herausragende Rolle der USA bezüglich Ukraine-Unterstützung durch Waffen und Informationsbeschaffung. Eine Diskussion darüber, ob es diese Ukraine ohne die USA überhaupt noch geben würde, muss hier nicht eröffnet werden. Wagenknecht und Schwarzer würden sich heute nicht mehr als Friedensapostel aufführen können, die durch ihr Tun einen Atomschlag gegen den Westen vereiteln würden. Die Ukraine wäre längst ein russischer Vasallenstaat.

Zum Thema Nuklear-Waffen lesen wir im Report, den ich hier mit Deepl und eigenen Worten übersetzt habe:

„Das Gespenst eines russischen Nuklearwaffeneinsatzes hat diesen Konflikt seit seinen Anfängen begleitet. Bei der Ankündigung seiner Invasion im Februar 2022 drohte Putin jedem Land, das versuchen würde, sich in der Ukraine einzumischen, mit Konsequenzen, ‚wie ihr sie in eurerin eurer Geschichte noch nie gesehen habt ‚. Er ordnete ein ‚Sonderregime des Kampfeinsatzes‘ für die russischen Atomstreitkräfte eine Woche später an.

Im Oktober 2022 behauptete Moskau, dass Kiew plane, eine radioaktive ‚schmutzige Bombe‘ in der Ukraine unter falscher Flagge zu zünden, um dann Russland die Schuld zu geben.

US-Beamte befürchteten, dass Russland diese Geschichte verbreitete um einen Vorwand für den Einsatz von Atomwaffen zu schaffen. Und vielleicht am Beunruhigsten ist, dass westliche Regierungen anscheinend überzeugt sind, dass Moskau den Einsatz nicht-strategischer Atomwaffen (NSNW) in Betracht zog, als seine Streitkräfte im Herbst verloren. Russland hat diese Anschuldigungen bestritten, aber Nachrichten-Berichte legen nahe, dass hochrangige russische Kommandeure diese Option diskutiert haben.“  

Der Bericht bezieht sich auch auf Statements, die eine nukleare Ausweitung bezweifeln, da Russland nicht selbstzerstörerisch sei und auch kein Eingreifen der NATO provozieren wolle. RAND schätzt die Gefahr eines Einsatzes von NSNW als gegeben aber unklar ein, da der Ukraine-Krieg für Russland existenziell und Russlands Plan zum Einnehmen der Ukraine längst zur fixen Idee geworden ist. Der bereits betriebene Aufwand des Kremls zeigt den Willen, die Pläne umsetzen zu wollen. Die USA haben Russland mit einem deutlichen Statement klar gemacht, dass der Einsatz von NSNW desaströse Konsequenzen nach sich ziehen würde. Die Botschaft war klar und auch China hat durchblicken lassen, dass der Einsatz von Nuklear-Waffen nicht toleriert würde.[1] Die Vermeidung einer atomaren Auseinandersetzung ist eines der USA-Ziele in diesem Konflikt.

USA will Krieg mit Russland vermeiden

Auch deshalb wäre ein Gegenübertreten der beiden Atom-Mächte nicht wünschenswert. Ein auf konventionelle Waffen beschränkter Krieg wäre für Russland nicht nur nicht zu gewinnen, sondern schier sinnlos ob der Übermacht der USA. Im atomaren Kräftemessen sieht es anders aus, da Russland über deutlich mehr Atom-Waffen verfügt, insbesondere im taktischen Segment. Ein US-amerikanischen Gegenschlag würde Russland dennoch zerstören. Das weiß der Kreml auch.

Territoriale Ziele und kein langer Krieg

Der Bericht fasst die Situation wie folgt zusammen:

„Erstens, angesichts des nachlassenden Tempos der Gegenoffensiven der Ukraine im Dezember 2022 wird die Wiederherstellung der Kontrolllinie vor Februar 2022 – geschweige denn des territorialen Status quo von vor 2014 – Monate und vielleicht Jahre dauern. Russland hat erhebliche Verteidigungsanlagen entlang der Kontrolllinie gebaut, und seine militärische Mobilisierung hat das Defizit an Arbeitskräften behoben, das den Erfolg der Ukraine bei der Gegenoffensive in Charkiw ermöglichte. Ein langer Krieg wird wahrscheinlich notwendig sein, um Kiew die nötige Zeit zu geben, um die Kontrolle über deutlich mehr Land wiederherzustellen.“

Der Bericht sieht in der Fortsetzung des Abnutzungskrieges wenig Sinn, weil auch die USA viele Ressourcen binden, die an andere Stelle, z.B. im südpazifischen Raum, bessere Dienste leisten würden. Zwar würde Russland mehr geschwächt werden, aber auch deren Abhängigkeit zu China, das als Hauptrivale identifiziert ist, vergrößern. Das wäre nicht im US-Interesse. Auch die Rolle Irans und der unseligen Achse Russland-Iran-China wird im Bericht erwähnt:

„Russlands vertiefte militärische Zusammenarbeit mit dem Iran während dieses Krieg – zu einer Zeit, in der der Iran seine Verpflichtungen im Atomprogramm einschränkt – deutet darauf hin, dass Moskau den Spielverderber in Fragen wie der Nichtverbreitung spielen könnte…

… Daher sollte das überragende Interesse der USA an der Minimierung von Eskalationsrisiken und an der Vermeidung eines langen Kriegs liegen. Kurz gesagt, die Folgen eines langen Krieges – von anhaltend erhöhten Eskalationsrisiken bis hin zu wirtschaftlichem Schaden – überwiegen bei weitem die möglichen Vorteile.“

 Wie den Krieg beenden?

Nun kommen wir zur eigenwilligen Interpretation von Wagenknecht. Der Bericht bescheinigt beiden Armeen, dass ein absoluter Sieg auf beiden Seiten nicht möglich ist. Die Ressourcen sind geschwächt und auch die Ukraine konnte die Offensive aus Sommer/Herbst nicht in den Winter tragen. Selbst die Befreiung von Krim und Donbass würde Russland nicht der Fähigkeit einer erneuten Aggression berauben:

„Und obwohl die Ukraine Beobachter mit ihrer Fähigkeit überrascht hat, ihr eigenes Land zu verteidigen, ist es reine Fantasie sich vorzustellen, dass sie Russlands Fähigkeit, Krieg zu führen, zerstören könnte. Daher würde Kiew wahrscheinlich einen Regimewechsel in Moskau benötigen zusätzlich zum Sieg auf dem Schlachtfeld, um nicht unter der ständigen Bedrohung einer erneuten Invasion zu leben.“

Nun kommt der Wagenknecht-Moment:

„Da keine der beiden Seiten die Absicht oder die Fähigkeit zu haben, den absoluten Sieg zu erringen, wird der Krieg höchstwahrscheinlich mit einer Art Verhandlungsergebnis enden.“

Ja klar, was auch sonst, wenn eine Kapitulation ausbleibt. Aber noch wird auf beiden Seiten Optimismus hinsichtlich territorialer Gewinne verbreitet. Putin erinnert an die ursprünglichen Ziele und die Ukraine will sich gänzlich von russischen Besetzern befreien, inklusive der Krim. Solange diese Flamme glimmt, werden Menschenleben geopfert. Der Bericht fährt fort:

„Ausgehandelte Kriegsende erfordern im Gegensatz zu absoluten Siegen, dass die Kriegsparteien ein gewisses Risiko in Kauf nehmen, dass die Friedensbedingungen verletzt werden könnten; selbst der relative ‚Verlierer‘ des Konflikts behält die Möglichkeit, die andere Seite zu bedrohen.“

Und im Gegensatz zu Russland könnte die Ukraine das Verteidigungs- und Sicherheitsproblem nicht selbst lösen. Ohne westliche Hilfe wäre der Staat, wäre die Nation verloren.

„Keiner der der genannten Akteure – weder Russland noch die Ukraine noch der Westen – hat das nie dagewesene Ausmaß der westlichen Militär- und nachrichtendienstlichen Hilfe für Kiew oder die Wirkung dieser Hilfe erahnen können. Keiner weiß, wie viel Hilfe geleistet werden wird oder welche Auswirkungen sie in den kommenden Monaten und Jahren haben könnten. Um es mit den Worten des Informationsproblems zu sagen: Es ist unklar, wie stark die Ukraine in Zukunft sein wird…

… Russland scheint zu glauben, dass die Vereinigten Staaten und Verbündeten in ihrer Unterstützung für die Ukraine nachlassen werden, insbesondere wenn die Kosten des Krieges steigen. Zum Teil sagt der Kreml, dass die hohen Energiepreise, die durch den anhaltenden Konflikt die europäischen Volkswirtschaften belasten, die Unterstützung der Ukraine im Kampf schwinden lassen. Als ehemaliger Präsident und derzeitiger stellvertretender Vorsitzender sagt Dmitri Medwedew: ‚Amerika verlässt immer seine Freunde und seine besten Stellvertreter. Das wird früher oder später passieren auch dieses Mal‘. Wenn die Ukraine erst einmal unweigerlich von ihrer westlichen Lebensader beraubt ist, wird die Ukraine nach Ansicht Moskaus nicht in der Lage sein, sich gegen das russische Militär durchzusetzen.

Kurzum, beide Seiten glauben, dass ihre relative Macht, und damit die Fähigkeit, sich durchzusetzen sich mit der Zeit verbessern wird. Die zentrale Bedeutung der westlichen Unterstützung für die Kriegsanstrengungen der Ukraine und die Unsicherheit über die Zukunft dieser Hilfe haben Moskau und Kiew zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen darüber geführt, welche der beiden Seiten im Laufe der Zeit die Oberhand gewinnen wird.“

Darin besteht der Sinn militärischer Unterstützung des Westens. Er soll vornehmlich den russischen Optimismus, dass die Ukraine nachlässt und sich in Zukunft nicht wehren kann, brechen. Es bleibt offen, ob sich Putins „Raubtierstaat“ dauerhaft zähmen lässt. Die Putin’sche Vision von der Ukraine als Bestandteil russischer Geschichte wird ohne Waffen-Widerstand wirkungsvoll am Leben erhalten. Es bleibt eine Aufgabe des Westens, für adäquate Abschreckung zu sorgen. Das wird auch nach Beendigung der militärischen Auseinandersetzung – wahrscheinlich durch ein Waffenstillstandsabkommen mit unklaren Grenzverläufen – nicht anders sein. Jeder Panzer mehr wird den russischen Optimismus mehr bremsen. Das gilt auch für die Sanktionen, die im Bericht des RAND auch als Verhandlungsmasse eingesetzt werden könnten. Die Sanktionen haben schon viel bewirkt und werden mittelfristig noch mehr Druck auf den Kreml aufbauen. Die finanziellen Mittel für den Krieg schmelzen. Aus einem Haushaltsüberschuss vor dem Krieg ist ein Defizit erwachsen, dessen Dimension ständig zunimmt.

Die Steuereinnahmen aus Öl/Gas sind im Januar gegenüber dem Vorjahresmonat um 46 % gesunken, während der Krieg die Ausgaben um 59 % ansteigen ließ. Das Haushaltsdefizit von 1,76 Billionen Rubel (25 Mrd. USD) ist die Folge, teilte das russische Finanzministerium am 6. Februar mit.[2]  Der Preis von Ural-Öl fiel unter 50 US-Dollar: Ein Rückgang von über 40 % gegenüber Januar 2022. Brüssel hat die russischen Seefracht-Importe geblockt, die 90 % der russischen Rohölverkäufe in die Europäische Union ausmachten, und die Mitgliedstaaten haben den Anteil russischen Gases am Importmix von über 40 % – vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine – auf unter 15 % gesenkt.[3] Der Ölpreis-Deckel auf Russland-Öl war der letzte wirksame Akkord der Sanktionen, die somit ein wichtiger Teil im Kampf gegen Putin-Russland sind und in Verhandlungen eine wichtige Rolle einnehmen könnten.

Der Bericht endet mit dem Fazit:

„Präsident Biden hat gesagt, dass dieser Krieg am Verhandlungstisch enden wird. Aber die Regierung hat noch keine Schritte unternommen, um die Parteien zu Gesprächen zu bewegen. Obwohl es alles andere als sicher ist, dass eine Änderung der US-Politik Verhandlungen auslösen kann, könnte die Annahme einer oder mehrerer der in dieser Perspektive beschriebenen Maßnahmen Gespräche wahrscheinlicher machen. Wir nannten Gründe, warum Russland und die Ukraine gegenseitig optimistisch und pessimistisch sind, was Krieg und Frieden betrifft. Die Literatur zur Beendigung von Kriegen zeigt, dass solche Wahrnehmungen zu einem langwierigen Konflikt führen können. Daher bieten wir vier Optionen an, die die Vereinigten Staaten haben, um diese Dynamik zu verändern:

  • Klärung ihrer Pläne für die künftige Unterstützung der Ukraine
  • Zusagen für die Sicherheit der Ukraine
  • Zusicherungen der Neutralität des Landes und die
  • Festlegung von Bedingungen für die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland.

Eine dramatische Änderung der US-Politik über Nacht ist politisch unmöglich – sowohl innenpolitisch als auch gegenüber den Verbündeten – und wäre in jedem Fall unklug. Aber wenn diese Instrumente jetzt entwickelt und in der Ukraine und bei den Verbündeten der USA bekannt gemacht werden, könnte dies als Katalysator für den Beginn eines Prozesses dienen, der diesen Krieg auf dem Verhandlungswege in einem Zeitrahmen beenden könnte, der den Interessen der USA entspricht. Die Alternative wäre ein langer Krieg, der die Vereinigten Staaten, die Ukraine und den Rest der Welt vor große Herausforderungen stellt.“

Der Bericht beleuchtet die Optionen der USA. Die Analyse von RAND ist kein Plädoyer gegen die Waffenlieferung, sondern eine Bewertung der US-Optionen, die sich nicht am nicht befreitem Ukraine-Territorium festlegen lassen. Die Ukraine wird militärisch austariert, um Russlands Expansionsdrang einzudampfen. Die Befreiung der besetzten Zonen ist dem untergeordnet und lediglich der Zugang zum Schwarzen Meer wird im Bericht als existenziell für die Ukraine bewertet.

„In der Debatte in Washington und anderen westlichen Hauptstädten über die Zukunft des russisch-ukrainischen Krieges steht die Frage der territorialen Kontrolle im Vordergrund. Die Falken plädieren dafür, die Rückeroberung des gesamten ukrainischen Territoriums durch das ukrainische Militär mittels verstärkter Militärhilfe zu erleichtern. Ihre Gegner fordern die Vereinigten Staaten auf, die Kontrolllinie vor Februar 2022 als Ziel anzunehmen, und verweisen auf die Eskalationsrisiken eines weiteren Vorstoßes. Außenminister Antony Blinken hat erklärt, das Ziel der US-Politik bestehe darin, die Ukraine in die Lage zu versetzen, ‚das Territorium zurückzuerobern, das ihr seit dem 24. Februar entrissen wurde‘.

Unsere Analyse legt nahe, dass diese Debatte zu sehr auf eine Dimension des Kriegsverlaufs fokussiert ist. Die territoriale Kontrolle ist zwar für die Ukraine von enormer Bedeutung, für die USA ist sie jedoch nicht die wichtigste Dimension der Zukunft des Krieges. Wir kommen zu dem Schluss, dass neben der Verhinderung einer möglichen Eskalation zu einem Russland-NATO-Krieg oder eines russischen Nukleareinsatzes auch die Vermeidung eines langen Krieges für die Vereinigten Staaten eine höhere Priorität hat als die Ermöglichung einer wesentlich größeren territorialen Kontrolle der Ukraine.“

Die USA könnten der große Nutznießer sein

Der Think-Tank CEPA hat auf einen besonderen Aspekt [4] aufmerksam gemacht:

Außen den inzwischen realisierten neuen Umsätzen von Flüssiggas aus Fracking, dass in die EU geliefert wird, kann die USA auf eine militärische Schwächung des international militärisch engagierten Russlands schauen. Die Ausgaben der USA für die Unterstützung der Ukraine betrugen im Jahr 2022 5,6 % der Verteidigungsausgaben von 715 Mrd. US-Dollar. Diese relativ geringe Summe von 40 Mrd. US-Dollar reichte bislang aus, der Welt zu demonstrieren, wie schwach Russland militärisch und wie wenig effektiv die Hardware ist. Russland hat mehr als 100.000 russische Soldaten verloren, die Hälfte ihrer ursprünglichen Streitmacht wurde zerstört: fast 8.000 bestätigte Verluste von gepanzerten Fahrzeugen, Flugzeugen, Marineschiffen etc.

Das schwächt nicht nur die militärische Fähigkeit Russlands, sondern ist aus US-Sicht ein großartiges Verkaufsargument gegenüber Staaten, die sich bislang mit den “günstigen” Geräten von Putin eingedeckt hatten, darunter die Türkei, Indien, Pakistan, Ägypten und Saudi-Arabien. Pakistan hat inzwischen die US-Option F-16 geordert.

Außerdem wird durch den Ukraine-Krieg China aufgezeigt, wie entschlossen der Westen zu Werke gehen kann. Das ist ein deutlicher Hinweis auf das Risiko einer Taiwan-Attacke durch China. Die geopolitischen Implikationen der Waffenlieferungen sind viel umfassender als es Wagenknecht und Schwarzer erfassen. Es steht weit mehr auf dem Spiel als das aktuelle Wohlbefinden Deutschlands, dass Frau Schwarzer bei der Steuerflucht in die Schweiz auch nicht besonders interessiert hat.

Mein Fazit

Ich hätte mir gewünscht, dass Gerhart Baum mit mehr Expertise argumentiert hätte oder noch besser, dass Claudia Major Sarah Wagenknecht gegenüber gesessen hätte. Die von Wagenknecht angesprochenen und bereits fortgeschrittenen Waffenstillstand-Verhandlungen gipfelten in einem Treffen Ende März 2022 in Istanbul. Dort wurden Vorschläge (Istanbul-Kommuniqué) entwickelt, auf die Putin tags darauf mit einer Absage an einen Waffenstillstand via Telefonat mit Italiens Ministerpräsident Draghi reagierte. Die später aufgedeckten Gräueltaten russischen Militärs wie etwa in Butscha ließen der Ukraine wenig Hoffnung auf echte Verhandlungen zur Vermeidung weiterer Opfer. Die russische Seite verlangte immer wieder Kapitulation und Entmilitarisierung und ging auf die Forderungen der Ukraine in keiner Weise ein.[5] Aber unsere neuen Militär- und Sicherheitsexperten Wagenknecht und Schwarzer schwadronieren über Verhandlungen als dem Krieg abwesendes Ereignis. Wagenknecht entblödete sich bei Maischberger auch nicht, den Krieg als Konflikt unter Oligarchien abzutun. Die Maidan-Proteste 2013 waren das Signal für Putin, eine Assoziation an die EU zu verhindern bzw. die westlichen Freiheitswerte im Keim zu ersticken. Auch wenn die Korruption in der Ukraine nicht besiegt werden konnte, so steht die Ukraine heute im Kampf für die Werte des Westens und der EU ein. Wer kann da von Kampf unter Oligarchien sprechen?  Es fehlen einem die Worte bei dieser Anhäufung von Ignoranz.

Und Verhandlungen werden auch diesen Krieg beenden. Dafür müssen Optimismus und Pessimismus in eine tragbare Waage gelegt werden. Und diese Waage kann nicht Kapitulation heißen. Momentan ist weder der eine noch der andere Zustand erreicht worden. Richtig ist, dass der Westen in seinen Handlungen einen Teil dazu beitragen kann. Aktuell hilft der Westen, dass der neuen russischen Offensive im Osten und damit das Wachsen neuen Kreml-Optimismus der Zahn gezogen wird. Das ist die Voraussetzung für Verhandlungen, ob nun Friedensverhandlung, Waffenstillstandsabkommen oder gar politische Lösung. Da sind die Ausführungen von Claudia Major respektive einer industriellen Umstellung des Westens für Militärgeräte und Munition Balsam für die ukrainischen Widerstandsseele.[6] Slavia Ukraine!

Die armselige Rolle Europas müsste dann auch noch einmal erörtert werden. Andererseits darf das US-Engagement nicht glorifiziert werden. Im Zweifelsfall haben die USA das Völkerrecht auch hintangestellt, wenn es um die Durchsetzung eigener relevanter Interessen ging. Die heutige Spaltung der Welt hat eine koloniale und auch eine US-imperialistische Note. Das hat Putin in seiner Propaganda immer wieder ausgenutzt. Hier und heute ist es Putin, der die Welt wie einst Hitler vor große Aufgaben stellt, damit der Krieg nicht pandemisch wird.


[1] Kate Conolly 2022, o.S.: China and Germany condemn Russian threat to use nuclear weapons in Ukraine. https://www.theguardian.com/world/2022/nov/04/scholz-china-germany-visit-lets-work-together-says-xi. 10.02.2022

[2] Bloomberg News 2023; o.S.: Russia’s Deficit Hits $25 Billion as Energy Income Slumps. https://www.bloomberg.com/news/articles/2023-02-06/russia-racks-up-25-billion-budget-gap-as-energy-income-halves. 10.02.2023

[3] Darya Korsunskaya/Jake Cordell 2023; o.S.: Western sanctions push Russia’s energy revenues to lowest since 2020. https://www.reuters.com/business/energy/western-sanctions-push-russias-energy-revenues-lowest-level-since-2020-2023-02-03/. 10.02.2023

[4] Cepa 2022; o.S.: It’s Costing Peanuts for the US to Defeat Russia. https://cepa.org/article/its-costing-peanuts-for-the-us-to-defeat-russia/. 12.02.2023

[5] Sabine Fischer 2022, S.3: Friedensverhandlungen im Krieg zwischen Russland und der Ukraine: Mission impossible. https://www.swp-berlin.org/publications/products/aktuell /2022A66_krieg_russland_ukraine_Web.pdf. 10.02.2022

[6] Marco Schlichting 2023; o.S.: Claudia Major fordert Industrieumstellung auf ukrainische Bedürfnisse. https://www.n-tv.de/politik/Sicherheitsexpertin-Major-fordert-Umstellung-der-Industrieproduktion-auf-Beduerfnisse-der-Ukraine-article23903962.html. 10.02.2023