Wie wird man zum Friedensfreund und Putinversteher?

25. März 2022 8 Von Uli Gierse

In der Ukraine sterben Tausende von Soldaten und Zivilisten (Männer, Frauen und Kinder), weil ihre Städte von der russischen Föderation bombardiert werden. Putins Armee verfolgt einen Vernichtungskrieg gegen die Zivilbevölkerung, weil sie gegen die ukrainische Armee nicht vorankommen. Mariupol ist jetzt schon das neue Grosny oder Aleppo. Putin und seine Clique sind Kriegsverbrecher der schlimmsten Sorte.

Trotzdem nehmen die Putinversteher und Friedensfreunde aus Prinzip bei uns kaum ab. Warum?

  • Gerhard Schröder gibt gestern in einer Rede in der Türkei dem Westen und der NATO die Schuld für das russische Handeln.
  • Altkommunisten wie Modrow, der Vorsitzende des Ältestenrates der Linken, wiederholen gar die Propaganda des Kreml: „ Die Frage, wie weit der Krieg in der Ukraine nun ein Einmarsch russischer Truppen ist oder sich als ein innerer Bürgerkrieg der Kräfte in den neuen Ost-Staaten und faschistischen Elementen im Westen der Ukraine darstellt, steht im Raum.“ [1]
  • Der SPD-Linke Ralf Stegner, ebenso der TV Philosoph Precht plädieren für den Stopp der Waffenlieferungen, weil diese den Krieg nur unnötigerweise verlängern würden. Was interessiert da die Ukraine, man will seine Ruhe.
  • Einzig Matthias Platzek ist zu der Erkenntnis gekommen, dass er die Entwicklungen hätte voraussehen müssen und legt seinen Vorsitz der deutsch-russischen Forums nieder.
  • Stand heute, haben über 28.000 Leute den Appell „Demokratie und Sozialstaat bewahren – Keine Hochrüstung ins Grundgesetz!“ unterschrieben. Darin heißt es: „Die Anschaffung von konventionellen Waffen wie Kampfflugzeugen und bewaffnungsfähigen Drohnen als Abschreckung unter atomaren Militär­blöcken ist sinnlos.“[2]

Einer der Unterzeichner, Sebastian Krumbiegel von den Prinzen sagt in einem NDR_Interview auf die Frage: „  Wir waren in Deutschland dagegen, Waffen in die Ukraine zu liefern. Im Nachhinein wäre es vielleicht ganz gut gewesen. Oder würdest Du auch da sagen, dass das nicht der richtige Weg ist?

Krumbiegel: Wir sind ja ein Land, das eine lange Geschichte hat. Wir haben auch eine lange Geschichte, was die ehemalige Sowjetunion betrifft. Wir wissen, dass wir den größten Krieg der Menschheitsgeschichte über die Welt gebracht haben und dass die meisten Opfer in der Sowjetunion zu beklagen waren. Deswegen glaube ich schon, dass wir eine Sonderstellung haben als Deutsche, dass wir nicht einfach sagen können: Jetzt müssen wir aber hier mal richtig reingehen. Ich glaube, da geht bei vielen Leuten der Alarm an – und die sagen: Das hatten wir doch alles schon einmal, 1941.“  [3]

Man kann also folgende Putinfreunde und Putinfreundinnen unterscheiden:

  1. Korrupte Politiker wie Gerhard Schröder.
  2. Altlinke, die noch in den 80er Jahren (oder früher) leben, wie Modrow, Gysi (Linke) oder Hilde Matheis, Ralf Stegner (SPD) oder Christian Ströbele (Grüne). War doch ganz nett die Welt in Gut und Böse eingeteilt zu sehen. Das gab und gibt Sicherheit, zumal wenn die Bösen die NATO oder USA sind. Damals war klar, der Frieden wird durch den US-Imperialismus gefährdet. Ziel war deshalb eine „friedliche Koexistenz“, die das Ziel hatte durch Destabilisierung im Inneren den Klassenfeind zu schlagen. Das Stichwort „friedliche Koexistenz“ taucht übrigens auch in dem Papier des Linke-ÄLtenstenrats wieder auf.
  3. 99 Luftballons wie Corinna Harfouch, Katja Riemann, Bela B. oder Krumbiegel.
  4. Friedensbewegte Funktionäre. Die Unterzeichnerorganisationen des Appells sind fast deckungsgleich mit den Trägern der westdeutschen Friedensbewegung der 80er, die offensichtlich auch 30 Jahre nach der Wende noch nicht ihre Marionettenfunktion für die Hauptabteilung Aufklärung HVA (Markus Wolf) aufgearbeitet haben.
  5. Die Jugendorganisationen von SPD und Grünen, die es offensichtlich schick finden den Parteispitzen in die Suppe zu spucken.
  6. Rechtsradikale international, die klarsichtig, Putin und Co. als Ihresgleichen ansehen und sich gern von Moskau sponsern lassen.

Aber diese Auflistung erklärt eins nicht, es gibt offensichtlich eine diffuse Russlandliebe in Deutschland, die alle politischen Missstände in Russland weginterpretiert.

Ein Motiv benennt Sebastian Krumbiegel „Wir wissen, dass wir den größten Krieg der Menschheitsgeschichte über die Welt gebracht haben und dass die meisten Opfer in der Sowjetunion zu beklagen waren.“

Übersetzt: Da wir (Nazideutschland) die Sowjetunion 1941 überfallen haben, sind wir nun verpflichtet die Russische Föderation, die Sowjetunion gibt es ja nicht mehr,  zu schonen und uns zumindest herauszuhalten. Vergessen wird dabei nicht nur, das es vor allem die heutige Ukraine war, die Opfer der deutschen Wehrmacht wurde, sondern auch, dass die Russische Föderation mit diesem Überfall auf die Ukraine die Friedensordnung nach 1990 in Europa zu Grabe getragen hat. Solidarität mit der Ukraine wäre daher die logische Konsequenz aus der deutschen Geschichte, den Frieden in Europa zu verteidigen. Wenn wir ein Interesse an einer regelgeleiteten Friedens- und Sicherheitsordnung in Europa haben, dann müssen wir diese auch gegen Aggressoren verteidigen, die sie zerstören wollen.

Was also ist die Motivation der Friedensfreunde, die sogar auf konventionelle Bewaffnung verzichten wollen, denn wie es so schön heißt, das ist doch im atomaren Zeitalter sinnlos. Hat man ja an der Ukraine gesehen, könnte man zynischerweise zustimmen. Denn, wenn die 1994 nicht darauf vertraut hätten, dass Russland ihre territoriale Integrität respektiert, hätten sie ihre Atombomben behalten.

Also auf in den Atomkrieg, liebe Friedensfreunde!

Warum also?

Ich will mal ein wenig spekulieren in der Hoffnung durch euch verbessert zu werden.

Könnte es sein, dass sowohl für den Hass auf die USA als auch für die Liebe zu Russland sowas wie ein Stockholm Syndrom unterbewusst wirkt.

Beim Stockholm Syndrom passiert folgendes: Die Geisel schützt sich unbewusst gegen die Aggression des Geiselnehmers, indem sie Sympathien bis hin zu Liebe zu ihm entwickelt. Gleichzeitig wird die Polizei als Gegner identifiziert, welche die eigene Sicherheit gefährdet. Nun der Russlandfreund sieht sich real von Russland bedroht, minimiert diese Bedrohung aber durch Identifikation mit dem Aggressor. Und der Feind meines Freundes (USA, NATO) ist dann auch mein Feind. Dieses Bedrohungsgefühl könnte auch epigenetisch über die Eltern oder Großelterngeneration vererbt worden sein.

Oder was manchmal den Hass auf Israel produzieren könnte, man verzeiht den Opfern nicht, dass sie uns als Täter, was wir auch sind, dastehen lassen.

Oder man verzeiht den Amerikanern nicht, dass sie uns (Nazideutschland) besiegt haben, währenddessen die Russen eher als Naziopfer angesehen werden.

Vielleicht ist aber auch nur die Dummheit einer isolierten Position in einer Blase von Gleichgesinnten?


[1] Einstiegssatz eines Papiers zum Krieg in der Ukraine vom „Ältestenrat“ der Linken. Die Parteiführung will damit natürlich nichts zu tun haben, aber Modrow und Co. sind ja nicht irgendwer.

[2] HET BOЙHE – Nein zum Krieg! | Der Appell

[3] Sebastian Krumbiegel, Die Prinzen, Mitunterzeichner des Appells im Interview des NDRs vom 23.3.2022; Sebastian Krumbiegel: “Waffen verschlimmern Dinge nur” | NDR.de – Kultur