Wie wird man zum Friedensfreund und Putinversteher?
In der Ukraine sterben Tausende von Soldaten und Zivilisten (Männer, Frauen und Kinder), weil ihre Städte von der russischen Föderation bombardiert werden. Putins Armee verfolgt einen Vernichtungskrieg gegen die Zivilbevölkerung, weil sie gegen die ukrainische Armee nicht vorankommen. Mariupol ist jetzt schon das neue Grosny oder Aleppo. Putin und seine Clique sind Kriegsverbrecher der schlimmsten Sorte.
Trotzdem nehmen die Putinversteher und Friedensfreunde aus Prinzip bei uns kaum ab. Warum?
- Gerhard Schröder gibt gestern in einer Rede in der Türkei dem Westen und der NATO die Schuld für das russische Handeln.
- Altkommunisten wie Modrow, der Vorsitzende des Ältestenrates der Linken, wiederholen gar die Propaganda des Kreml: „ Die Frage, wie weit der Krieg in der Ukraine nun ein Einmarsch russischer Truppen ist oder sich als ein innerer Bürgerkrieg der Kräfte in den neuen Ost-Staaten und faschistischen Elementen im Westen der Ukraine darstellt, steht im Raum.“ [1]
- Der SPD-Linke Ralf Stegner, ebenso der TV Philosoph Precht plädieren für den Stopp der Waffenlieferungen, weil diese den Krieg nur unnötigerweise verlängern würden. Was interessiert da die Ukraine, man will seine Ruhe.
- Einzig Matthias Platzek ist zu der Erkenntnis gekommen, dass er die Entwicklungen hätte voraussehen müssen und legt seinen Vorsitz der deutsch-russischen Forums nieder.
- Stand heute, haben über 28.000 Leute den Appell „Demokratie und Sozialstaat bewahren – Keine Hochrüstung ins Grundgesetz!“ unterschrieben. Darin heißt es: „Die Anschaffung von konventionellen Waffen wie Kampfflugzeugen und bewaffnungsfähigen Drohnen als Abschreckung unter atomaren Militärblöcken ist sinnlos.“[2]
Einer der Unterzeichner, Sebastian Krumbiegel von den Prinzen sagt in einem NDR_Interview auf die Frage: „ Wir waren in Deutschland dagegen, Waffen in die Ukraine zu liefern. Im Nachhinein wäre es vielleicht ganz gut gewesen. Oder würdest Du auch da sagen, dass das nicht der richtige Weg ist?
Krumbiegel: Wir sind ja ein Land, das eine lange Geschichte hat. Wir haben auch eine lange Geschichte, was die ehemalige Sowjetunion betrifft. Wir wissen, dass wir den größten Krieg der Menschheitsgeschichte über die Welt gebracht haben und dass die meisten Opfer in der Sowjetunion zu beklagen waren. Deswegen glaube ich schon, dass wir eine Sonderstellung haben als Deutsche, dass wir nicht einfach sagen können: Jetzt müssen wir aber hier mal richtig reingehen. Ich glaube, da geht bei vielen Leuten der Alarm an – und die sagen: Das hatten wir doch alles schon einmal, 1941.“ [3]
Man kann also folgende Putinfreunde und Putinfreundinnen unterscheiden:
- Korrupte Politiker wie Gerhard Schröder.
- Altlinke, die noch in den 80er Jahren (oder früher) leben, wie Modrow, Gysi (Linke) oder Hilde Matheis, Ralf Stegner (SPD) oder Christian Ströbele (Grüne). War doch ganz nett die Welt in Gut und Böse eingeteilt zu sehen. Das gab und gibt Sicherheit, zumal wenn die Bösen die NATO oder USA sind. Damals war klar, der Frieden wird durch den US-Imperialismus gefährdet. Ziel war deshalb eine „friedliche Koexistenz“, die das Ziel hatte durch Destabilisierung im Inneren den Klassenfeind zu schlagen. Das Stichwort „friedliche Koexistenz“ taucht übrigens auch in dem Papier des Linke-ÄLtenstenrats wieder auf.
- 99 Luftballons wie Corinna Harfouch, Katja Riemann, Bela B. oder Krumbiegel.
- Friedensbewegte Funktionäre. Die Unterzeichnerorganisationen des Appells sind fast deckungsgleich mit den Trägern der westdeutschen Friedensbewegung der 80er, die offensichtlich auch 30 Jahre nach der Wende noch nicht ihre Marionettenfunktion für die Hauptabteilung Aufklärung HVA (Markus Wolf) aufgearbeitet haben.
- Die Jugendorganisationen von SPD und Grünen, die es offensichtlich schick finden den Parteispitzen in die Suppe zu spucken.
- Rechtsradikale international, die klarsichtig, Putin und Co. als Ihresgleichen ansehen und sich gern von Moskau sponsern lassen.
Aber diese Auflistung erklärt eins nicht, es gibt offensichtlich eine diffuse Russlandliebe in Deutschland, die alle politischen Missstände in Russland weginterpretiert.
Ein Motiv benennt Sebastian Krumbiegel „Wir wissen, dass wir den größten Krieg der Menschheitsgeschichte über die Welt gebracht haben und dass die meisten Opfer in der Sowjetunion zu beklagen waren.“
Übersetzt: Da wir (Nazideutschland) die Sowjetunion 1941 überfallen haben, sind wir nun verpflichtet die Russische Föderation, die Sowjetunion gibt es ja nicht mehr, zu schonen und uns zumindest herauszuhalten. Vergessen wird dabei nicht nur, das es vor allem die heutige Ukraine war, die Opfer der deutschen Wehrmacht wurde, sondern auch, dass die Russische Föderation mit diesem Überfall auf die Ukraine die Friedensordnung nach 1990 in Europa zu Grabe getragen hat. Solidarität mit der Ukraine wäre daher die logische Konsequenz aus der deutschen Geschichte, den Frieden in Europa zu verteidigen. Wenn wir ein Interesse an einer regelgeleiteten Friedens- und Sicherheitsordnung in Europa haben, dann müssen wir diese auch gegen Aggressoren verteidigen, die sie zerstören wollen.
Was also ist die Motivation der Friedensfreunde, die sogar auf konventionelle Bewaffnung verzichten wollen, denn wie es so schön heißt, das ist doch im atomaren Zeitalter sinnlos. Hat man ja an der Ukraine gesehen, könnte man zynischerweise zustimmen. Denn, wenn die 1994 nicht darauf vertraut hätten, dass Russland ihre territoriale Integrität respektiert, hätten sie ihre Atombomben behalten.
Also auf in den Atomkrieg, liebe Friedensfreunde!
Warum also?
Ich will mal ein wenig spekulieren in der Hoffnung durch euch verbessert zu werden.
Könnte es sein, dass sowohl für den Hass auf die USA als auch für die Liebe zu Russland sowas wie ein Stockholm Syndrom unterbewusst wirkt.
Beim Stockholm Syndrom passiert folgendes: Die Geisel schützt sich unbewusst gegen die Aggression des Geiselnehmers, indem sie Sympathien bis hin zu Liebe zu ihm entwickelt. Gleichzeitig wird die Polizei als Gegner identifiziert, welche die eigene Sicherheit gefährdet. Nun der Russlandfreund sieht sich real von Russland bedroht, minimiert diese Bedrohung aber durch Identifikation mit dem Aggressor. Und der Feind meines Freundes (USA, NATO) ist dann auch mein Feind. Dieses Bedrohungsgefühl könnte auch epigenetisch über die Eltern oder Großelterngeneration vererbt worden sein.
Oder was manchmal den Hass auf Israel produzieren könnte, man verzeiht den Opfern nicht, dass sie uns als Täter, was wir auch sind, dastehen lassen.
Oder man verzeiht den Amerikanern nicht, dass sie uns (Nazideutschland) besiegt haben, währenddessen die Russen eher als Naziopfer angesehen werden.
Vielleicht ist aber auch nur die Dummheit einer isolierten Position in einer Blase von Gleichgesinnten?
[1] Einstiegssatz eines Papiers zum Krieg in der Ukraine vom „Ältestenrat“ der Linken. Die Parteiführung will damit natürlich nichts zu tun haben, aber Modrow und Co. sind ja nicht irgendwer.
[2] HET BOЙHE – Nein zum Krieg! | Der Appell
[3] Sebastian Krumbiegel, Die Prinzen, Mitunterzeichner des Appells im Interview des NDRs vom 23.3.2022; Sebastian Krumbiegel: “Waffen verschlimmern Dinge nur” | NDR.de – Kultur
SZ 1.4.22 Patriarchat, live! – Mär von männlichen Kriegshelden
(…)
Dass ein Mann seine Frau beschützen muss, ist ja die patriarchalischste Erzählung schlechthin. Genauso wie die Mär vom männlichen Kriegshelden, der mit Panzerfaust hilflose Frauen und Kinder rettet. Die Männer der Ukraine dürfen das Land nicht verlassen und bekommen eine Waffe. Frauen und Kinder raus. Völlig unter gehen bei diesem Heldenepos all die ukrainischen Frauen, die sich genauso im Krieg befinden. Im angegriffenen Land, aber – dadurch schwächer – ohne Waffe. Oder auf der Flucht, im Kampf um das letzte bisschen Würde für sich und ihre Familien. Und was macht die westliche, weibliche Weltöffentlichkeit? Schaut Bridgerton, einen der größten Netflix-Hits, in dem es um Anbahnungen von Liebesehen in der Regency-Zeit geht, und in der Männer Frauen heiraten, um sie nicht zu entehren. Und sie schmachtet den ukrainischen Präsidenten Selenksij für seine männliche Tapferkeit an. Viel Geld könnte man jetzt wohl verdienen mit einem tief ausgeschnittenen T-Shirt mit dem neuen Terminator-Spruch: “I need ammunition, not a ride”.
Selenskij ist, streift man durch Twitter und Instagram, in den sozialen Medien mittlerweile so was wie ein Sexsymbol, jetzt auch mit Followern, die bisher eher Achtsamkeitstrainerinnen folgten. Kampfeslust macht attraktiv, das war schon zu Hannibals Zeiten so. Aber Selenskij ist eben auch der Mann, der andere dazu zwingt, ihr Leben zu riskieren – einziges Auswahlkriterium: ihr Geschlecht. Die Männer, die da kämpfen müssen, haben keine andere Wahl als tapfer zu sein, sie dürfen keine Angst haben und nicht weinen, auch sie sind die Opfer des patriarchalischen Narrativs. Darf man die Klitschkos als Frau jetzt also noch sexier finden? Eigentlich nicht. Frauenrechte sind Menschenrechte, so wird Hillary Clinton von allen, die sich als Feministin bezeichnen, gern zitiert. Und eigentlich ging es dem Pussyhat-Feminismus ganz generell um die gleichen Rechte für alle, selbst Männer.
(…)
SZ vom 1.4.22: “Uns gibts auch noch!
Die Hilfe für die Vertriebenen aus der Ukraine zeigt, was Europa kann. Darüber wundern sich vor allem die Flüchtlinge, die seit Jahren auf Lesbos festsitzen. Ein Besuch im Lager Moria 2.
(…) das Essen ist immer noch ungenießbar, das Duschwasser weiterhin kalt, die Chemieklos sind verdreckt und die Ratten so groß, dass die Katzen die Flucht ergreifen.
(…) Trabert will weiß Gott nichts Schlechtes über die große, mitunter euphorische Hilfsbereitschaft der Deutschen bei den Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine sagen. Er hält das für ein „wundervolles Zeichen der Mitmenschlichkeit“. Neulich war er selbst an der polnisch-ukrainischen Grenze unterwegs und hat auch dort geholfen. Doch jetzt kommt sein großes Aber: Darf man – oder muss man genau jetzt nicht sogar – auch auf Menschen hinweisen, die ähnliche Grausamkeiten hinter sich haben? Die von so einer Hilfsbereitschaft nur träumen können und seit dem Krieg in der Ukraine erst recht in Vergessenheit geraten sind? Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten wie Syrien, Afghanistan, Äthiopien oder Somalia? Die wie Gefahrengut behandelt werden, wenn sie in Europa stranden?
Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz dieser Tage in der Generaldebatte im Bundestag die Solidarität mit den Flüchtlingen aus der Ukraine lobt, weil das zeigt, „wie viel Gutes in unserem Land steckt“ und „was wir gemeinsam bewegen können“, und wenn sich Trabert dabei an die Schamlosigkeit erinnert, mit der die EU-Staaten nach dem Großbrand von Moria um die Aufnahme einzelner Frauen und Kinder feilschten, weil die „Grenzen der Kapazitäten“ erreicht seien, dann erhärtet sich sein Verdacht, dass es eben doch so etwas wie einen selektiven Humanismus gibt.
Gerade erst hat das Bundesverwaltungsgericht dem Bundesinnenministerium in einem Verfahren mit dem Land Berlin recht gegeben. Vor anderthalb Jahren wollte Berlin 300 besonders schutzbedürftige Menschen aus Moria mit seinen unmenschlichen Verhältnissen aufnehmen. Jetzt ist es rechtskräftig, dass der Bund das damals verhindern durfte.
(…)”
Und vor allem, die war sehr erfolgreich. Noch heute steht keine Atomwaffe in Eimsbüttel. Das waren noch Zeiten als wir weltpolitisch erfolgreich tätig waren. Haha. Mit der Steuerung der Friedensbewegung ist es so eine Sache. Die Friedensbewegung wäre ohne, dass die DKP sie organisatorisch strukturiert hätte, genausowenig so erfolgreich geworden, wie die Anti-AKW-Bewegung ohne den KB. Inhaltlich ist die Beeinflussung irrelevant gewesen. Ich hatte mit den DKP-Leuten immer das Hauptproblem, dass ich gern die atomaren Kriegsführungsstrategien der USA diskutieren wollte (hießen damals Airland Battle und Airland Battle 2000), sie aber keineswegs darüber reden wollten, da so ein antiimperialistischer Plot (natürlich gegen den US-Imperialimus) drohte, ihre geliebten Sozis zu vertreiben. Die damaligen Strategien aus dem Brzeschinski/Kissinger-Lager waren tatsächlich total hanebüchen und kreuzgefährlich. Die DKP verzichtete aber gern auf die Diskussion, wegen “Bündnisbreite” und so. Sehr realpolitisch, erinnert ein wenig an die Ampel. Heute gebe es das Problem aber sowieso nicht mehr. Jetzt fördert Russland die AFD bei uns und Salvini und Le Pen in Italien und Frankreich. Mal ganz zu schweigen von der Trump-Wahl 2016 und dem Brexit. Wie sich doch die Verhältnisse gewandelt haben. Deshalb stimme ich dir auch an einem Punkt zu. Es ist krass, dass viele sehr gutwillige Leute den Wechsel zwischen Sowjetunion und Russland heute, einfach nicht zur Kenntnis nehmen. Dabei ist das fast offener Faschismus in der aktuellen Situation. Die Lehre aus der Nazizeit geböte da etwas ganz Anderes. Liebe Grüße
Ja, das Bündnis mit den Sozialdemokraten wirkt ja auch noch…. Mein größter Erfolg 1983 war nicht die “Atomwaffenfreie Zone Eimsbüttel” als solche, sondern die namentliche Erwähnung in der plattdeutschen Rubrik “Lütt beten platt von Günter Harte im Abendblatt: “Wenn wii blots öberall so’n düchtigen Froons as de Vorsittersche Anke Kuhbier (SPD) harrn, un wenn wi blots äberall so’n greune Mannslüd as Ulrich Gierse (GAL) harm! Denn worr de ganze Atom-Speuk bald vergeten sien.” Überschrift: Free Republik Eimsbüttel.
Moin Uli,
dein Text hinterlässt bei mir an manchen Punkten einen schalen Nachgeschmack.
1. Klar der Ältestenrat der Linken ist so ein bisschen die Altentagesstätte ehemaliger SED-Funktionäre. Da wird, wie in solchen Gruppen oft üblich, gern wirre Rede mit alten eintrainierten Scheingewißheiten geführt. Trotzdem ändert das nichts daran, dass selbst Typen wie Modrow, ihre lichten Momente vor und in der Einheitsphase hatten (Gott sei Dank). Heute ist er 94 Jahre alt und blickt irrlichternd nostalgisch auf seine aktive Phase zurück Seine Einlassungen zum Ukrainekrieg sind inhaltlich Blödsinn, übrigens genau wie seine These von der Kaperung der Partei (die Linke) durch Westdeutsche, aber spricht letztlich gegen institutionalisierte Ältestenräte in politischen Parteien. Dort reden sich dann die “lieben” Alten endgültig um Kopf und Kragen.
2. Schlimmer finde ich aber deinen “Hinweis” zu den Unterzeichnerorganisationen der Friedensbewegung:
“Friedensbewegte Funktionäre. Die Unterzeichnerorganisationen des Appells sind fast deckungsgleich mit den Trägern der westdeutschen Friedensbewegung der 80er, die offensichtlich auch 30 Jahre nach der Wende noch nicht ihre Marionettenfunktion für die Hauptabteilung Aufklärung HVA (Markus Wolf) aufgearbeitet haben.”
Mein Gott, da haben wir sie ja wieder: “Die fünfte Kolonne Moskaus” aus der antikommunistischen CDU-Mottenkiste. Lass das mal den Merz machen. Ich hatte schon in der 80ern eine Menge Auseinandersetzungen mit der DFG/VK, als ich immer für die Kampagne “Waffen dür El Salvador” agitiert habe. Jedenfalls genug, um feststellen zu können, dass der Haufen wesentlich aus grundsätzlichen Pazifisten bestand und meines Wissens auch heute noch besteht. Ihr Sprecher Thomas Carl Schwörer (ehemaliger Campus-Verlag Mitbesitzer) redet zur Ukraine-Frage jede Menge Unsinn (aus meiner Sicht), aber pazifistischen Unsinn und erfüllt keine Marionettenfunktion Moskaus, was deine Behauptung ja wohl herleiten sollte. Die DFG/VK ist noch im letzten Jahrhundert im Kaiserreich gegründet worden. Wesentliche Gründerin war Bertha von Suttner (“Die Waffen nieder”), eine Ikone der damaligen Friedens- und Frauenbewegung und erste Frau, die den Friedensnobelpreis bekam. Später kam Carl von Ossietzky (einer ihrer führenden Köpfe) sofort nach Machtergreifung der Nazis ins KZ und starb dort noch vor Kriegsbeginn 1936.
Auch wenn der mörderische Überfalls Russlands für uns alle immer wieder zu unerträglichen Eindrücken führt, sollten wir danach suchen, den Furor, gegenüber abweichenden Meinungen in der Friedensbewegung, etwas einzuhegen. Ich würde mal vorschlagen, man hält sich an Robert Habeck, der neulich nach einem pazifistischen Redebeitrag der Linken, sich denen zuwandte und sagte “ich achte das, aber ich finde es falsch”.
3. Ähnliches gilt für deine moralische Ächtung der Künstlerszene. Ich finde es gut, wenn sich Kulturschaffende grundsätzlich aus einer pazifistische Sicht, mit existenten Kriegen und den daraus resultierenden Gräueln beschäftigen. Ich finde es richtig, wenn die Künstler Konzerte für den Frieden und Lesungen durchführen. Was soll sie sonst tun ? Auch noch über die jetzt anzuschaffenden Waffen mitdiskutieren? Nein, ihr Wirken ist ja geradezu Ausdruck der Art friedfertiger Gesellschaft, die es unbedingt zu erhalten gilt. Dass sie sich dann, wie Prinzensänger Krummbiegel, ab und an mal darin verrennen, Täter und Opfer nicht mehr klar trennen zu können, hat auch immer damit zu tun, unbedingt Frieden und deshalb unity herstellen zu wollen, oder Russland – wie du ja richtig anmerkst – die Weltkriegstoten zugute zu halten. Natürlich ist das Quatsch, in einem Krieg in dem alle Beteiligten (Ukraine, Belarus, Russland), unglaublich viele Menschen verloren haben, bietet diese Betrachtung keinen moralischen Kompass. Aber es ist ja grundsätzlich nichts Böses daran, dass Deutsche aus den Weltkriegsfolgen versuchen, eine Haltung im Hier und Jetzt zu entwickeln. Das gelingt nicht immer. Hierfür ist Krummbiegels Statement ein Beispiel. er kommt übrigens aus dem Leipziger Thomanerchor und nicht aus einer SED-Nachwuchsschule
Moin Holger, finde ich gut, wenn wir mal wieder unterschiedlicher Meinung sind. Das ist ja der Sinn dieses Blogs, sich gesittet zu streiten.
Es ist klar, dass der Ältestenrat der Linken karnevaleske Züge hat. Aber darin drückt sich meiner Meinung nach nur das unklare Verhältnis der gesamten Partei und anderer Alt-Linken zu den Narrativen ihrer politischen Sozialisation in den 70er/ 80er Jahre aus.
Mein Punkt ist, liegt die politische Haltung von vielen heute vielleicht in den Erzählungen der 70er, 80er Jahre(Vietnamkrieg, US-Imperialismus, NATO-Doppelbeschluss, Friedensbewegung, Faschistierung der BRD etc.) begraben. Für die DKP-gesteuerten Teile der Friedensbewegung, und das waren nicht wenige, trifft der Vorwurf “5-Kolonne” zu, natürlich mit den besten Absichten im Systemwettstreit(friedliche Koexistenz) auf der Seite des “realen” Sozialismus. Die DFG/VK nehme ich mal aus. Schien mir auch nicht die große Rolle zu spielen, ich habe sie selbst genutzt zur Begründung meiner Kriegsdienstverweigerung.
Ich hab die Künstlerszene nicht moralisch ächten wollen, sondern mich nur etwas lustig gemacht (99-Luftballons). Ich finde es auch egal. Worauf ich eine Antwort haben möchte, warum denken eigentlich ganz vernünftige Menschen, wenn es um die imperialen Ziele Russlands geht, auf einmal nur an die NATO oder USA? Und das kriegt man nur debattiert, wenn man auch etwas polemisch wird. Und es ist nun einmal eine historische Tatsache, dass das HVA in engem Kontakt zu Teilen der Friedensbewegung war, vielleicht auch in Gestalt eigener Agenten. In diesem Sinne! Ich bin gespannt auf deine Erklärung zu den Hintergründen der Resilienz gegen neue politische Erfahrungen. P.S. Ich war selbst damals Teil der Friedensbewegung damals und habe als Bezirksabgeordneter 1983 in Eimsbüttel die Begründungsrede für den SPD/GAL-Antrag, Eimsbüttel zur atomwaffenfreien Zone zu machen, gehalten.
Aus dem
SPIEGEL-Newsletter:“ Gestern saß ich in einer Runde mit hochinteressanten Gästen. Einer äußerte eine bemerkenswerte Theorie: Bei vielen Deutschen säße die Angst vor einem russischen Angriff noch tief im Blut. Wie beim »Stockholm«-Syndrom, wonach sich die Geisel mit ihrem Geiselnehmer irgendwann verbündet, rückten auch die Ängstlichen emotional dem Machthaber näher. Kann das der Grund sein, warum so viele die Nähe zu Russland suchen? Ich habe meine Zweifel, spannend aber ist dieser Gedanke.“
Ja, gab ich auch gelesen. Hat mich angeregt zu dem Beitrag.