Wir müssen reden

Wir müssen reden

15. März 2023 2 Von Uli Gierse

Irgendwie würde es mich beruhigen, wenn die Politik, namentlich Politikerinnnen und Politiker, ungefähr wüssten, wovon sie reden und weshalb sie so handeln.

In der Regel werden politische Prämissen nicht hinterfragt und so muss es nicht verwundern, dass solche schweren Fehler wie in der Klima- oder der Russlandpolitik passieren und sich jederzeit wiederholen können. Pessimistische Prognosen sind faktisch ausgeschlossen, Worst-Case-Szenarien dadurch nicht erwünscht. Wie will man sich so auf Gefährdungslagen vorbereiten?

Das Prinzip Hoffnung ist der wahre Souverän des politischen Diskurses, außer bei den Staatsfeinden von rechts, die sich das Gegenteil zu eigen machen, macht es aber auch nicht besser.

Für die Rechtsradikalen ist alles schlecht, nicht in der Sache, sondern weil es von den Vertreter:innen des Staates kommt, letztlich ein antistaatlicher Diskurs.  Ihnen geht es in erster Linie um das populistische Aufgreifen von komplexen Problemen wie den Krieg durch einfache Floskeln gegen den demokratischen Mainstream zu richten.

Das ursprünglich aus dem Psychobereich stammende „Think-Positiv“ ist dagegen eine neoliberale Erzählung, die davon redet, dass alle Menschen in ihrer Rolle als Konsumenten frei und glücklich seien und der Markt schon für einen unendlichen Wohlstand sorgen würde. Man muss nur daran glauben!

Frei ist nach diesem Liberalismusverständnis, wer sich von einem anderen nichts sagen lassen muss, was er zu tun habe. Und diese Freiheit gebe es nur im Konsum.

Staatliche Einengungen, gar Verbote, sind daher für Neoliberale inakzeptabel.

Doch dieser Freiheitsbegriff ist antidemokratisch, denn Mehrheiten wie zum Beispiel für ein Tempolimit oder für kostenlose Kindergartenplätze oder gar eine soziale Bildungsreform werden nicht akzeptiert. Beim Tempolimit wegen einem nicht existenten Recht auf Rasen, bei der Versorgung mit Kindergartenplätzen oder für eine soziale Bildungsreform mit dem Einhalten der Schuldenbremse und der Unmöglichkeit von Steuererhöhungen für Reiche.

Diese neoliberale Erzählung ist seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland, damals namentlich von Ludwig Ehrhard propagiert, ohne Unterbrechung bis heute wirksam. Das Label „Sozial“ in Soziale Marktwirtschaft war meistens reine Ideologie, gesellschaftlich war Deutschland-West immer schon sozial gespalten und sozial ungerecht aufgestellt.[1]

In den Auseinandersetzungen in der Ampel wird immer noch in Endlosschleife und mit Erfolg das hohe Lied des Marktes als Allesreglers gesungen. Nicht der Souverän, das Volk, in seiner in den Wahlen ausgedrückten Mehrheit entscheidet, sondern der freie Konsument mit seiner Marktmacht. Diese Marktmacht auf der Nachfrageseite stehen aber in allen wichtigen Industriezweigen wenige multinationale Konzerne oder Banken ( in der Regel ungefähr pro Branche drei) gegenüber. Deshalb ist es auch absurd, wenn FDP oder Union meinen, zum Beispiel E-Fuels als technologieoffene Alternative zum Elektroantrieb auch für Verbrenner noch nach 2035 zulassen zu wollen.  Hier geht es nicht um Technologieoffenheit, um die effektivste Form Strom aus erneuerbarer Energie zu verbrauchen, sondern um die Behinderung der E-Mobilität für Luxusautokonzerne wie Porsche oder Ferrari, die auf eine Marktnische für ihre Brumbrums hoffen. Dieselben verhindern auch ein Tempolimit, weil ihren Kunden die Verminderung der CO²-Emissionen scheißegal ist. Letztlich ist diese Argumentation undemokratisch.

Neoliberal ist schon bei ihren Gründungsvätern von Hayek und von Mises nie demokratisch gewesen, sondern beide sahen in jeder staatlichen Regelung nur das Gespenst des Sozialismus (übrigens auch im Nationalsozialismus). Nicht zufällig waren die Gründungsväter der AfD Neoliberale.

Heute, wo es weltweit nur noch kapitalistische Produktions- und Konsumtionsweisen gibt, mit Ausnahme von Nordkorea vielleicht, wird dann auch schnell sichtbar, dass der Neoliberalismus leicht kompatibel auch mit autoritären Despotien ist.

Das Modell von Massenproduktion, der Konsumkapitalismus, stößt allerdings an seine Grenzen, wenn der menschengemachte Klimawandel gestoppt werden soll.

Die Hoffnung, dass bei gleichzeitigem Wirtschaftswachstum nur die Verbrennertechnik ausgetauscht werden muss, ist trügerisch. Es könnte sein, dass auch Robert Habeck falsch liegt.

Weder verschwinden bei E-Fuels -Verbrennung in Flugzeugdüsen die Kondensstreifen, die für den Treibhauseffekt auch erhebliche Verantwortung tragen, noch ist klar, ob es überhaupt genügend Rohstoffe für Photovoltaikmodule oder für die PKW-Batterien gibt.

Es könnte sein, wie Ulrike Herrmann meint, dass das kapitalistische Wachstumsmodell, was unseren  Wohlstand erheblich vergrößert hat, nun an sein Ende kommt und die Alternative einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft nur über rigide staatliche Steuerung durchsetzbar wäre.

Könnte sein!

Was nicht sein kann, ist dass wir vor diesem Riesenproblem wieder einmal die Augenschließen, bis es zu spät ist. Pessimist:innen haben manchmal auch recht wie man schon bei Kassandra lernen kann –  Think-Positive kann zum Untergang führen.

Gerade jetzt aber gibt es eine Chance für offene Debatten, denn mit dem furchtbaren Überfall Russlands auf die Ukraine ist es auf einmal möglich, wieder darüber zu diskutieren, was richtig oder falsch war und ist und Einschränkungen wie Energieeinsparen ist diskutierbar geworden und sogar umsetzbar. Das gibt auch dem nötigen Transformationsprozess hin zu einem nachhaltigen Verbrauch von Rohstoffen eine neue Dynamik. Zumal der Staat schon in der Coronazeit als Handelnder eine Wiedergeburt erlebt hat.

Nur ein handelnder Staat kann auch die anderen Krisen wie die Demokratiekrise bewältigen. Denn die Armen und an den Rand der Gesellschaft und der Städte gedrängten Nicht-Wähler werden nur dann wieder für die liberale Demokratie gewonnen werden können, wenn bei ihnen auch etwas materiell ankommt. Auch da muss man die neoliberale Erzählung vom Verbot einer Steuererhöhung für Reiche (Erben), und sei es nur in Form von Luxussteuern auf stinkende Porsche, zurückweisen.

Freiheit ist nicht nur der freie Konsum, sondern vor allem auch die Chancen auf Bildung und Bezahlung nach Leistung und für alle jungen Leute auf der Erde, die Freiheit im einer menschengerechten Klimazone leben zu können. Der Marburger Soziologe Markus Schroer hat ein Buch geschrieben dessen zentrale These lautet: Die Menschheit wird die Epoche des Anthropozäns nur überleben, wenn sie ihre irdische Existenz anders denkt als bisher. „Das Zeitalter des Anthropozäns, in dem wir leben, enthält die Botschaft, dass es ganz entscheidend auch von der Lebensweise des Menschen abhängen wird, ob und für wen es auf der Erde Zukunft geben und wie diese aussehen wird.“[2] Das gesamte Selbstverständnis des Menschen, seine bisherige Auffassung von Natur, Kultur und Gesellschaft und sein bislang gepflegter Umgang mit anderen Lebewesen ist in Frage gestellt.

Lasst uns reden!


[1] Bafög und die Bildungsreform Ende der 1960er waren dabei eine kurze Ausnahme, die HARTZ IV-Reformen der Rückschritt.

[2] Markus Schroer, Geosoziologie, Suhrkamp Verlag

Woher ich das Bild habe, weiß ich leider nicht mehr. Doch: https://twitter.com/ProfGuidoKuehn/status/1624719436509765637