Olaf Scholz denkt falsch

Olaf Scholz denkt falsch

8. Juli 2022 0 Von Uli Gierse

Ich verstehe immer noch nicht, warum sich die Bundesregierung hartnäckig weigert, einsatzfähige und von der Bundeswehr für ihre NATO-Aufgaben nicht benötigte Panzer (Fuchs, Marder, Leopard) an die Ukraine zu liefern, die diese zu ihrer Verteidigung gut gebrauchen könnte.

Bundeskanzler Scholz raunt von einer „furchtbaren Eskalation“ im Verteidigungsausschuss, die die Lieferung von Mardern bedeuten würde. Verteidigungsministerin Lamprecht lehnt die Lieferung von 200 von 825 Fuchs- Transportpanzern ab, da das eine „Ausplünderung“ der Bundeswehr bedeuten würde.

Wahrscheinlich handelt es sich um Superwaffen, deren Effektivität noch nicht verraten werden soll. Die russische Armee würde damit wahrscheinlich vernichtend geschlagen.

Ironie aus:

Offensichtlich ist das Ziel von Scholz / Lamprecht nicht die Niederlage Russlands, sondern eine allmähliche Erschöpfung des Krieges. Man hofft darauf, dass Putin bald erklärt, dass er seine Kriegsziele mit der Eroberung des Donbass und der Gasvorkommen dort erreicht hat.

Wenn man in ökonomischen oder spieltheoretischen Kategorien, ausdrückt in Energiepreisen, denkt, hat das eine gewisse Logik und entspricht der SPD/Merkel-Politik der letzten Jahrzehnte.[1]

Deutschland riskiert nur wenig, damit die ökonomischen Kosten gering bleiben. Wenn Putin die Ausstiegsoption annimmt, sich mit dem Donbass zu begnügen, dann wären Russlands Kosten ebenfalls überschaubar. Eskalation heißt nicht, dass ein Atomkrieg droht, sondern dass die Kosten aus dem Ruder laufen. Der Hamburger Pfeffersack wäre stolz auf die Krämerseele Scholz.  

Scholz und Co. halten sich für rational und realistisch. Realismus heißt übersetzt: Putin ist ein Unsicherheitsfaktor, er lügt und sein Handeln ist nicht vorhersehbar. Deshalb muss eine Politik, die nicht in den Krieg hineingezogen werden will, besonders risikoarm agieren, am besten man versteckt sich wie auf dem Schulhof hinter anderen starken Jungs (Biden, Macron, Johnson) und solange die keine Panzer liefern, tut man es auch nicht.  

Dieses Denken, einen Mittelweg zu beschreiten, könnte ich nachvollziehen, obwohl ich es nicht teile. Es entspricht genau der Merkelschen Politik mit Russland und der gegen den Klimawandel. Und Merkel hat bekanntlich jede Wahl gegen die SPD gewonnen.

Bei dieser Prämisse, die Kosten klein zu halten, gäbe es aber auch negative Folgen wie eine drohende Abhängigkeit von Putin (oder irgendeines Ersatzzaren) in Fragen der europäischen Sicherheitsordnung und eine Destabilisierung der westlichen Demokratien. Die extreme Rechte ist bekanntlich die neue 5. Kolonne Moskaus, da sie ähnliche identitäre Fantasien pflegt.[2]

Denken beruht auf Prämissen. Was wäre, wenn die Prämisse, Putin agiert als Homo oekonomicus, falsch wäre?

Dann sind wir leider wieder einmal im falschen Zug und die Sehnsucht nach Frieden und geringen Kosten wird zum Gegenteil: hohe Kosten und NATO-Bündnisfall, sprich Krieg.

Warum könnte die Prämisse falsch sein?

Im russischen Angriffskrieg mögen neoimperiale ökonomische Interessen ( Gasfelder, Weizenfelder) eine Rolle spielen. Das Recht des Stärkeren wird durchgesetzt, eine beliebte Theorie rechts wie links. Der Überfall auf die Ukraine wird allerdings in Russland medial und von Putin selbst historisch aufgeladen, die Kriegspropaganda stark politisiert.

Die russische Staatsräson, das was wesentlich ist, wurde in den letzten 10 Jahren durch eine die öffentlichen Medien in Russland beherrschende neue Ideologie so verändert, dass die Eliminierung von Millionen Menschen als Kollateralschaden nicht nur denkbar, sondern zwingend geboten erscheinen muss.

Das neue Staatsziel beruht auf der Idee (Ideologie) eines eurasischen großrussischen Reiches als Antipode zum als degenerierten westlichen Individualismus. Einer der Erfinder ist Alexander Dugin, der 2014 seinen Job an der Universität in Moskau verlor, weil er öffentlich geäußert hatte, dass die Lösung des Ukraine-Konfliktes nur „Töten, Töten, Töten“ heißen könne.[3] Das war damals noch unklug so etwas öffentlich zu äußern. „Im Kern besagt die eurasische Idee, dass es eine eigenständige russische Zivilisation gäbe, die sich vom atlantischen, seefahrenden Handel treibenden Westen unterscheide. Die russische Zivilisation sei landsässig und beruhe auf sogenannten traditionellen Werten.“[4] Der Gipfels des antirussischen westlichen Individualismus äußere sich in dem LGBTIQ-Aktivismus. Putin greift das auf und vergleicht Russland mit J.K.Rowling, die wie er von den Trans-Aktivistinnen angegriffen werde. Das nennt man wohl Populismus.

Das kollektive Subjekt Großrussland mache daher nur das, was es machen müsse, sich das zuständige Territorium, welches nach 1990 verloren ging, wieder zurückzuholen. Putin kann das daher auch nicht Krieg nennen, da es dabei gar nicht gegen ein anderes Land geht, sondern eine urrussische Bevölkerung lediglich vom westlichen Einfluss (= Nazismus) befreit werden soll. Eva von Redecker nennt das Faschismus, wenn diejenigen, die sich gegen diese russischen (männlichen)Besitzfantasien wehren wollen, eliminiert werden sollen.

Die Russifizierung der Ukraine und die Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung sind nur verschiedene Seiten derselben Medaille. Jeder Ukrainer, der nicht Russe sein will, ist ein Nazi und kann eliminiert werden.  

Eine Variante dieses Denken ist, dass Putin suggeriert, dass der Zusammenbruch der Sowjetunion durch fremde westliche, korrumpierende Kräfte herbeigeführt worden sei. Um zu alter Größe und Herrlichkeit zurückkehren zu können, müsse man diese unrussischen Kräfte daher ausmerzen. Für Putin ist 1990/91, das Pariser Abkommen etc., das russische Versailles. Die Ähnlichkeit in der Argumentation zu Hitler ist auffällig. Auch Hitler sah im Deutschtum eine Besonderheit gegen den degenerierten Westen, Deutschland sei durch den Friedensvertrag von Versailles in seiner Eigentlichkeit ausgelöscht worden. Und er nennt diesen Friedensvertrag einen „Syphilisfrieden“, der das deutsche Volk durch einen ansteckenden fremden, zersetzenden Geist z.B. auf die den Deutschen fremde Idee der Demokratie gebracht habe.

Ähnliches sei nach Putin den Kleinrussen, den Ukrainern, passiert, sie seien durch westliche Ideen infiziert worden und müssten nun von ihren russischen Brüdern befreit werden.

Real war es so, dass die Ukrainer staunend zur Kenntnis nahmen, dass in Rumänien, Polen, dem Baltikum nach dem EU-Beitritt Straßen und Krankenhäuser gebaut wurden, Politiker wurden gar wegen Korruption vor Gericht gestellt und es führte bei jungen Ukrainern dazu, zu sagen: Das wollen wir auch. Wir wollen auch in die EU.

Und deshalb und nicht wegen der Gasfelder im Donbass ist Putin in einem ersten Schritt zur Destabilisierung der Ukraine 2014  auf die Krim und in der Ostukraine einmarschiert. 2022 soll das Projekt der Russifizierung der Ukraine, das heißt der Vernichtung der Ukraine, fortgesetzt und vollendet werden.

Weitere Lander sind dann neben Belarus bedroht, vor allem das Baltikum, Moldau, Georgien und andere zentralasiatischen Teile des ehemaligen russischen Imperiums.  Nicht nur die westlichen Werte werden also von Putin in der Ukraine angegriffen, das ist schon schlimm genug, sondern die Ukraine soll ausgelöscht werden als eigenständiger Staat. Es ist daher nur eine Frage der Zeit, wenn Putin damit Erfolg hat, dass auch die anderen abtrünnigen Teile der Sowjetunion in dieser Logik heim ins Reich geholt werden müssen. Die dann erfolgte Eskalation, vielleicht mit einem US-Präsidenten Trump, würde uns mit Sicherheit mehr kosten als eine Strategie, Putin militärisch in der Ukraine scheitern zu lassen. Wenn die oben skizzierte Prämisse richtig ist, dann handelt die Bundesregierung falsch, weil sie falsch denkt. Indem wir der Ukraine die Waffen verweigern, unterstützen wir eventuell Putins Ziel, die Ukraine als Staat zu zerstören, verlängern den Krieg und steigern die Eskalationsgefahr für uns.

Eine vorausschauende Politik müsste daher auf den Sieg der Ukraine durch soviel Waffen wie möglich setzen. Denn dann wäre eine Fortsetzung der Aggressionspolitik für Russland schwierig in den nächsten 10 Jahren.


[1] Ob diese Strategie von den GRÜNEN und der FDP geteilt wird, ist offen. Zumindest nach außen muss man diese Frage bejahen.

[2] Die Linke hat das leider noch nicht verstanden.

[3] Ausführlich beschrieben von Holger Stümpel in:  Alexander Dugin – Putins Rasputin – FEININGER

[4] Eva von Redecker in Philosophie Magazin 05/2022