Scholzige Schröderei

25. April 2022 0 Von Uli Gierse

Aktuell beschäftigen mich zwei Rätsel: was ist rational an Putins Verbrechen und warum agieren viele Sozialdemokraten so irrational?

Zu Putin hat jüngst der russische Schriftsteller Wladimir Sorokin eine plausible Erklärung geliefert: Putin ist verrückt? Wladimir Sorokin warum dies unser aller Krieg ist – SZ.de (sueddeutsche.de)

Also zu den Sozialdemokraten:

Über den korrupten Gerhard Schröder und Wichtigtuern wie Stegner, Geisel oder Post muss nicht weiter reden. Im heutigen Machtzentrum der SPD sind Mützenich und Scholz sicher die entscheidenden Protagonisten. Beide vermeiden klare Konkretionen zum Angriffskriegs Russlands und über die Waffenhilfe an die Ukraine und reagieren bockig auf Kritik.

Statt zu sagen: „Das russische Militär muss sofort und bedingungslos alle Streitkräfte und Militärausrüstung aus dem gesamten Hoheitsgebiet der Ukraine abziehen und die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine innerhalb ihrer international anerkannten Grenzen uneingeschränkt achten.[1]

Sagt Scholz stattdessen:

  • „Russland darf diesen Krieg nicht gewinnen“
  • „Mein Ziel ist Ausweitung des Krieges zu verhindern.“
  • „Russland muss sich zurückziehen.“
  • „Russland muss territoriale Grenzen akzeptieren.“
  • „Es darf keinen Atomkrieg geben.“

Scholz und die SPD bringen es nicht fertig, klar zu sagen, dass die Ukraine den Krieg gewinnen muss. Was heißt, Russland muss sich ohne irgendetwas von der Ukraine zu bekommen auf sein Territorium zurückziehen. Denn, wenn Russland jetzt zwar nicht die gesamte Ukraine zerstören kann, wird die Besetzung des gesamten Donbass und der Südukraine, dem angeblichen neuesten Kriegsziel Moskaus, nur ein Zwischenziel bleiben und der Druck auf Kiew und die EU/NATO hoch bleiben. Es muss klar werden, Angriffskriege lohnen sich nicht. Stattdessen machen sich Scholz, die Parteispitze und Mützenich die Angststrategie Putins zu eigen. Sie ermutigen die Atomkriegsangst zu konkretisieren.

Offensichtlich wird in der SPD weiter ein Verhandlungsergebnis analog des Minsker Abkommens favorisiert, damit Putin „gesichtswahrend“ einer Teilannektion der östlichen und südlichen Ukraine zustimmt. Deshalb werden vielleicht auch nur die Waffen geliefert, die zu einem Patt führen, aber nicht den Sieg der Ukraine ermöglichen?

Viele Sozialdemokraten sind im Übrigen der Meinung, dass die kleine Ukraine einen Krieg gar nicht gewinnen könnte, da besteht Übereinkunft zu großen Teilen der Linken, Waffenlieferungen würden den Krieg deshalb nur unnötig in die Länge ziehen.

Es entsteht daher aktuell der Eindruck, dass die SPD aus ihrer gescheiterten Russlandpolitik nichts gelernt hat, sondern im Gegenteil die gescheiterte Appeasement-Politik fortsetzen will.

Wenn man nicht fassungslos sein will, muss man versuchen die dahinter liegenden Motive offenzulegen.

Punkt 1: Ein offensichtlicher, aber nicht hinreichender Grund, ist das alte Herrschaftsgesetz „Man darf keine Fehler zugeben!“.

Ok, aber warum ändert man die Politik dann nicht stillschweigend?

Verbal hat Scholz mit seiner Bundestagsrede vom 27.2.2022 ein richtiges Signal der Umkehr gesetzt, indem er von einer Zeitenwende redete und auch Waffenlieferungen an die Ukraine nicht mehr ausschloss. Doch dann begann das Gezappel.

Statt endlich die Ukraine auch mit schweren Waffen zu versorgen wie es auch die NATO als Ziel ausgegeben hat, wird von den wichtigsten Genossen lieber der ukrainische Botschafter oder Parlamentarier wie Strack-Zimmermann, Roth und Hofreiter („ Jungs und Mädels“) unter Beschuss genommen.

  • Scholz produziert in dem Presseauftritt vom 19.4. soviel heiße Luft, vermischt mit kindischer Arroganz, dass man sich noch größere Sorge um die Klimabilanz haben muss.
  • Um diesen Eindruck wieder gut zu machen, verschlimmbessert er  im aktuellen SPIEGEL seine Argumentation noch, indem er seine zögerliche Haltung zur Lieferung von schweren Waffen mit der Angst vor einem Atomkrieg entschuldigen will. Das ist für die NATO der rhetorische Supergau, denn nukleare Abschreckung kann nur funktionieren, wenn man überzeugend klarmachen kann, dass, wer zuerst Atombomben einsetzt, als zweiter stirbt.

Als ich das gehört habe, kam mir als erstes der Gedanke, Scholz muss weg! Aber so weit ist es noch nicht. Vielleicht kriegt die SPD ja noch die Kurve. Dazu müsste sie sich allerdings klar machen, was die Ursachen dieser Russlandpolitik waren. Gleiches gilt auch für die Merkel-CDU, doch die ist ja aktuell noch nicht wieder in der Regierung.

Punkt 2: Vielfach wird ja als den Kern der Russlandpolitik die Entspannungspolitik von Brandt und Egon Bahr angeführt. (siehe auch  Olaf Scholz ist nicht Willy Brandt – Feininger VOM 4.1.22 !!!! )

Die deutsche Sozialdemokratie hatte nach 1945 immer schon mit der von Adenauer forcierten Westbindung gefremdelt und suchte nach einem Hebel in Richtung deutsche Wiedervereinigung. Den meinte dann Egon Bahr und sein Chef Willy Brandt in der sogenannten Entspannungspolitik gefunden zu haben. Über wirtschaftliche Verknüpfungen und der Anerkennung der territorialen Nachkriegsordnung hoffte man den eisernen Vorhang für die Menschen im Ostblock durchlässiger zu machen. Das war auch in den 70er, und 80er durchaus erfolgreich, denn die DDR und die Sowjetunion brauchte Devisen, um westliches Hightech-Produkte einkaufen zu können. Und die Sowjetmacht war an der Stabilisierung ihres Einflusses interessiert und verfolgte keine territoriale Vergrößerung als Ziel ihrer Politik.

Die Früchte dieser Politik erntete aber nicht die SPD, sondern Kohl/Genscher. Es war paradox:  1990 stand die Lafontaine-SPD der Wiedervereinigung, die eigentlich ein SPD-Projekt war, sogar skeptisch gegenüber.

In den 90er, aber vor allem nach dem Machtwechsel von Jelzin zu Putin, machte die SPD da weiter, wo die Brandt-SPD aufgehört hatte. Überhaupt nicht wahrgenommen wurden die Unterschiede des Putin-Imperiums zur alten Nomenklatura der KPdSU.

Das entsprach auch dem Generationswechsel an der Spitze der SPD. Lafontaine, Schröder und Scharping waren die neuen maßgeblichen Leute. Alle waren innerhalb der Jusos der 80er groß geworden und waren Gegner der Schmidt-Politik, den russischen atomaren Mittelstreckenraketen eigene US-Mittelstreckenraketen entgegen zu setzen.  In der Friedensbewegung der 80er gab es im Kern ein Bündnis zwischen DKP-nahen Organisationen, der SPD und Teilen der Grünen. Während DKP und SPD vor allem an einer Aussöhnung mit Russland interessiert waren, hatten die Grünen, personifiziert in Petra Kelly und dem ehemaligen Generalmajor Bastian ein kritisches Verhältnis zur Sowjetunion. 

In der Regierungszeit Schröders, Olaf Scholz war damals Generalsekretär,  wurde dann das enge Verhältnis zu Putin geflochten. Man betonte das gute, primär wirtschaftliche, Nachbarschaftsverhältnis.

Ex-Bundeskanzler Schröder vermied jegliche Kritik an der russischen Politik, ungeachtet der Stimmung in der deutschen Öffentlichkeit, in der die ambivalenten politischen Reformen, die Beschränkung der Pressefreiheit, Russlands Position bei den Wahlen in Tschetschenien oder der Ukraine und der Chodorkowski-Prozess wachsende Besorgnis erregen. Ende 2004 bezeichnete der ehemalige Bundeskanzler Putin gar als „lupenreinen Demokraten“ und bestand darauf, dass dieser Russland in eine Demokratie umwandeln wolle und „dass er dies aus tiefer Überzeugung tut.“ Aus „Wandel durch Handel“ in der 80er wurde das Prinzip „Markt vor Moral“. Da verwunderte es auch nicht, dass weder die Westerwelle-FDP noch die Merkel-CDU davon abweichen wollte.

Schröders rechte Hand war Steinmeier, der dann als Merkels Außenminister den Schröderkurs der Abhängigkeit der deutschen Industrie von russischen fossilen Rohstoffen fortsetzte und Russlands Arsch nach der Aneignung der Krim und der Separatistengebiete im Minsker Abkommen gegen die ukrainische Regierung durchsetzte. Und im Streben nach der Freundschaft des Putin-Russland waren sich rechte wie linke SPD einig. Nord Stream II sollte Russland ermöglichen, sein Gas völlig unter Umgehung der Ukraine nach Deutschland zu leiten. In Deutschland wurde das Gas dann mit Zustimmung von Sigmar Gabriel in von der BASF an Gazprom abgegebene Gasspeicher gespeichert. Und nun haben wir den Salat!

Punkt 3: Die Erklärung „Markt vor Moral“ reicht noch nicht diese Schröderei in der SPD zu erklären, ich glaube es geht einfach auch um ein schwieriges Verhältnis zu den westlichen Werten. Das politische Denken  nach der französischen Revolution mit dem Wahlspruch Liberté, Égalité, Fraternité[2] kennt mehrere Ausprägungen:

Zum einen wird die Égalité betont, nicht mehr als Gleichheit im Kommunismus, sondern als soziale (Fraternité) Gerechtigkeit. Wie im klassischer Utilitarismus wird die Politik auf das größte Glück der Zahl ausgerichtet. Das ist der ideologische Kern der Sozialdemokratie bis heute.

Anders begründet der klassische Liberalismus das politische Handeln in Betonung der Liberté. Im Mittelpunkt steht das selbstständige Wirtschaftssubjekt, der Bourgeois und der Staat soll möglichst aus den Wirtschaftsbeziehungen raushalten werden. Heute: FDP-Politik.

Im Liberalismus gibt es aber auch eine linke Variante, die auf dem aufklärerischen Humanismus gründet, der als Ziel das mündige Individuum, den Citoyen, und den Schutz der Menschenrechte zum politischen Kern hat. Staatliche Rahmenbedingungen  vor allem zum Schutz von sozial Benachteiligten (Fraternité), und heute auch für Klimaschutz,  werden für notwendig gehalten. Dieses Konzept findet man eher bei den Grünen.

Zurück zur Sozialdemokratie. Das Verhältnis zur Liberté ist wechselhaft. Stand man 1918 noch auf der Seite des wilhelminischen Bürgertums und Militärs, wandte man sich 1933 als einzige Partei im Reichstag gegen die Selbstentmachtung des Parlaments. Die Konzentration auf die soziale Sicherheit durch kleine materielle Verbesserungen für „ die große Zahl“ der prekär Beschäftigten (Mindestlohn, Grundrente) und die Absicherung der Arbeitsplätze in der Grundstoff- und Autoindustrie über staatliche Subventionen insbesondere der fossilen Brennstoffe führte die SPD ´dann in den letzten 20 Jahren realpolitisch zwangsläufig nach Moskau als Hauptrohstoffhändler. Und so wird ein Hauptdilemma der SPD sichtbar, eine zu starke Konzentration auf die Égalité führt leider häufig zur Vernachlässigung der Liberté. In der Schröder/Merkel- Zeit blieb von der Freiheit nur die neoliberale Variante – Freiheit vom Staat – übrig. SPD, CDU/CSU und FDP glichen sich ideologisch an.

Mit dem Ernstnehmen der Klimakatastrophe ist damit jedoch „Game Over“!

Und die außenpolitische Illusion, einen undemokratischen Staat, der seine Bürger wie eine Besatzungsmacht behandelt, durch Rohstoffimporte besänftigen zu können, ist mit diesem Vernichtungskrieg gegen die Ukrainer auch gestorben. Ein weiteres territoriales Zugeständnis an Putin (Minsker Abkommen) wäre daher ein schändlicher Verrat an dem Kampf der Ukrainer, den sie auch für uns führen.

Letzter Punkt: Genauso gescheitert wie die Politik „Markt statt Moral“ ist die Merkelpolitik, die den deutschen Bürgern versprochen hatte, alle Übeln dieser Welt  von Deutschland fern zu halten und alles dafür zu tun, um Wohlstand, Konsum und Auto finanzierbar zu halten. Trotzdem hält Scholz an dieser Politik, die ihm den Wahlsieg mit ermöglicht hat, fest. Alles in der Schwebe halten und den Bundesbürger nur nicht mit Problemen behelligen, geht weder im Krieg noch bei der Klimakatastrophe, denn die Zeit der Wachstumsprofite ist wahrscheinlich vorbei. Es wäre daher schlau, dem Volk die Wahrheit zu sagen wie das Habeck und Baerbock versuchen.  


[1] Aus dem Beschluss des FDP-Parteitages vom 23.4.2022

[2]1793 begannen Pariser, folgende Worte auf ihre Hausfassaden zu schreiben: „Einheit, Unteilbarkeit der Republik; Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit oder der Tod“, was Bewohner der anderen Städte rasch nachahmten. Könnte heute auch in Kiew stehen.