
Der Islamismus lebt vom Versagen des Westens
Der Islamismus hat auch in Palästina den säkularen Trend der Befreiungsorganisation gebrochen. Die PLO wurde nach vielen erfolglosen Friedensbemühungen und Widerständen gegen Israel von der Hamas verdrängt, im Iran konnten sich die klerikalen Vertreter durchsetzen und auch im arabischen Frühling von 2011 gelang es nicht, demokratische gesellschaftliche Strukturen zu schaffen. Vielmehr gewann der Islamismus an Gewicht und in Ägypten wurden 2012 die Muslim-Brüder, die 1928 vom Imam und Lehrer Hassan al-Banna gegründet wurde, in die Regierung gewählt und ein Jahr später in einem Militärputsch entmachtet und kriminalisiert. Die Menschen im Nahen Osten vertrauen den Geistlichen mehr als den westlichen „Missionaren“, denen es in der Vergangenheit weniger um die Menschen als um Ressourcen und geopolitische Vorteile ging.
Inhalt:
1 Der Urknall des Islamismus: 1979
1.1 Der Sieg des Islamismus im Iran
1.2 Saddam Hussein siegt im Irak
1.3 Camp-David-Abkommen und Ausschluss Ägyptens
1.4 Palästinensische Islamische Jihad
1.5 Mekka-Besetzung durch Islamisten
1.6 Einmarsch der UdSSR in Afghanistan
1.7 Der Westen hat den Nahen Osten destabilisiert
1 Der Urknall des Islamismus: 1979
Das Jahr 1979 markiert für die globale politische Entwicklung einen Wendepunkt: Aus dem Nahen Osten entwickelte sich eine islam-fundamentalistische Strömung gegen den Westen, seinen Lebensstil und muslimische Regenten, die sich kommerziell und kulturell auf den Westen einließen. Dieser Islamismus bediente sich des Terrors gegen alle „Nichtgläubigen“ und „Kollaborateure“.
Der Westen hatte den omnipotenten Zugriff auf den muslimischen Teil der Welt verloren: Im Iran kam es zum Sturz des US-affinen Schah, im Irak setzte sich Saddam Hussein durch, in Afghanistan intervenierte die Sowjetunion gegen Fundamentalisten, Israel schloss mit Ägypten einen ambivalenten Friedensvertrag, in Saudi-Arabien wurde das Heiligtum Mekka überfallen, in Palästina gründete sich der „palästinensische islamistische Jihad“ und die Ölpreise stiegen durch die Vorkommnisse im Iran und Irak stark an.
Die Ölkrise 1979, ausgelöst durch die wegfallenden Förderungen des Irans, riss die DDR in den tieferen Abgrund, denn die ebenfalls wirtschaftlich angeschlagene Sowjetunion verkaufte daraufhin Öl zu höheren Preisen an den Westen und reduzierte die Menge vergünstigten Rohöls für die DDR, die damit den Export raffinierten Öls an den Westen notgedrungen verringern musste. Diese Kettenreaktion führte nur 3 Jahre später zur Verschärfung der Schuldenkrise.[1] Die DDR-Staatspleite einige Jahre später konnte nicht mehr abgewendet werden: ein erheblicher Riss im Gefüge des Sowjet-Imperiums, dass Ende der 1980er Jahre nicht mehr aufrecht erhalten werden konnte. Die folgende Grafik belegt den Einfluss von Kriegen auf Ölpreise, die ihrerseits die Inflation determinieren.

Abbildung 1: Öl-Preis und Inflation in der OECD-Area und den USA von 1960 bis 2022 |
© te; Data: World Bank; OECD, and USA; (https://www.bls.gov/news.release/cpi.htm)
Die in 1979 ausgelöste Ölkrise entwickelte sich Anfang der 1980er Jahre zur globalen Rezession. Abbildung 1 zeigt den enormen Effekt der Ereignisse im Nahen Osten. Zu diesem Zeitpunkt waren die USA noch nicht im Frackking-Modus, sondern abhängig von den Öllieferungen der arabischen Staaten und des Irans. Das US-Engagement war damit existenziell kommerziell begründet. Die gesamte Region musste kontrolliert werden, was offenkundig 1979 einen erheblichen Rückschlag erlitten hatte. Anfang der 1980er Jahre versuchten die USA Israel, Libanon und Syrien zusammenzubringen.

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Israel und Syrien sollten die Militäreinheiten aus dem Libanon zurückholen, was letztlich nicht gelang. Die nicht-arabischen Streitkräfte aus den USA und Europa konnten die Kontrahenten nicht vom Kampf abhalten und ein 1983 geschlossenes Abkommen zwischen den USA, Israel und Libanon konnte nichts daran ändern, dass Syrien den Einfluss auf den Libanon ausweiten konnte, die Hisbollah gegründet wurde und Israels Intervention gegen palästinensische Strukturen im Libanon erfolglos blieb. Der Libanon ist seit dieser Zeit kein kohärenter Staat mehr. Das BIP pro Kopf halbierte sich fast zwischen 1980 und 1990.[2] Festzuhalten bleibt, dass auch in diesem Konflikt die Palästina-Frage eine relevante Rolle einnahm. Dieser ungelöste Konflikt wirkt immer wieder in die Matrix der Nahost-Beziehungen ein.
1.1 Der Sieg des Islamismus im Iran
Die Islamistische Revolution im Iran unter Führung des Ayatollah Chomeini stürzte nicht nur Schah Mohammad Reza Pahlavi, sondern errichtete eine schiitische „Islamische Republik“, die zu Inspiration für den internationalen Terrorismus gegen den Westen wurde. Der Iran hatte seit diesem Ereignis eine Machtausdehnung in die arabischen Staaten Irak, Libanon, Jemen und vor allem Syrien betrieben. Auch die palästinensischen Terrorgruppen Hamas und „Palästinensischer Islamischer Jihad“ werden von Teheran unterstützt. Erst in den Jahren 2024 und 2025 wurde die sogenannte „Achse des Widerstands“ militärisch erheblich geschwächt. Der Iran ist seit 2024 Mitglied der BRICS-Gruppe und in dieser Eigenschaft nicht nur nicht isoliert, sondern auch relevanter Lieferant von Gas und Öl an China. Ob Indien Öl/Gas aus dem Iran bezieht ist ungewiss. Offiziell bezieht Indien aufgrund der US-Sanktionen kein Öl und Gas aus dem Iran wie die folgende Abbildung zeigt. Der fossile Export ist fast vollständig an China gebunden.

Source: Ministry of Petroleum in Iran.[3]
1.2 Saddam Hussein siegt im Irak
Mit Saddam Hussein übernahm im iranischen Nachbarstaat Irak ein Vertreter der säkularen Baath-Partei die Staatsführung in einer mehrheitlich schiitischen Bevölkerung. Hussein versuchte mit religiösen Ritualen (Gebete) und Einsetzen sunnitischer Religionsführer einen Spagat zwischen säkularen Machtanspruch und Legitimation.[4] Ein Jahr später griff der Irak den schiitischen Nachbarstaat Iran an, um dessen Ölprovinz Chuzestan zu annektieren. Der Krieg dauerte bis 1988 an und führte zu erheblicher regionaler Instabilität. Der Krieg forderte eine Millionen Tote, darunter viele Zivilisten. Wirtschaftlich wurden beiden Staaten schon aufgrund gesunkener Ölproduktion empfindlich getroffen. Die Krise im Iran bewog den Iranischen Religionsführer Chomeini zur Akzeptanz der von der UNO verabschiedeten Waffenstillstandsresolution. Die geopolitische Konstellation zeigte in dem Konflikt eine taktische Unterstützung des Iraks durch die Supermächte USA und UdSSR. Der weitestgehend isolierte Iran wurde von Syrien (Staatschef Hafiz al-Assad, Vater von Baschar) und Libyen (Staatschef Muammar al-Gaddafi) unterstützt. Beide Staaten sind inzwischen extrem labil und deren Regenten wurden gestürzt. In Libyen hatten die USA Gaddafis Sturz, der sich seit 1979 „Revolutionsführer“ nannte, herbeigeführt, und das Land im Machtvakuum sich selbst überlassen. Chaos bzw. ein gespaltenes Land in Ost und West nach einem (Stellvertreter)Bürgerkrieg war/ist die Folge der Intervention.[5] Die eine Gruppe(„Würde“) erhielt Gelder aus Ägypten, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. [6] Die andere Gruppe („Libysche Morgenröte“) wurde von Katar und der Türkei unterstützt. Die Uneinigkeit der „muslimischen“ Welt ist auch an diesem Konflikt sichtbar
1.3 Camp-David Abkommen und Ausschluss Ägyptens
Das 1979 vereinbarte Camp-David-Abkommen, eine bilaterale Vereinbarung zwischen Israel und Ägypten, konnte einen dauerhaften Frieden der Unterzeichnenden herstellen. Das Abkommen hatte einige relevante negative Nebenwirkungen: Die Aussparung der Palästinenser-Frage und Anerkennung des Existenzrechts Israels führten zur Radikalisierung und Islamisierung des palästinensischen Widerstands, dem Ausschluss Ägyptens aus der Arabischen Liga und der Allianz von Syrien und dem Iran.[7]
Das Camp-David Abkommen war auch die Blaupause für das Friedensabkommen zwischen Israel und Jordanien im Jahr 1994. Damit wurden zwei wichtige Nachbarstaaten Israels eingefriedet. Die Rolle dieser beiden Staaten war auch danach bis heute moderat, allerdings zum Preis einer entwerteten Vermittlerrolle. Israel gab die 1967 besetzte Sinai-Halbinsel an Ägypten zurück und durfte seitdem den Suez-Kanal nutzen. Ägypten wird seit dem Abkommen mit massiver wirtschaftlicher (30 Mrd. USD) und militärischer Unterstützung (50 Mrd. USD) der USA politisch in Schach gehalten. Für Jordanien gilt Ähnliches. Donald Trump hatte Anfang 2025 mit diesem Trumpf in der Hand gedroht, diese Hilfen einzustellen und den Zugang zum Öl der Nachbarstaaten einzuschränken, sollten Jordanien und Ägypten keine flüchtenden Palästinenser aufnehmen.
Jordanien ist nicht mit Ölvorräten gesegnet, Ägypten verzeichnet einen Rückgang der Ölproduktion und versucht neue Ressourcen zu gewinnen. Beide Staaten sind technologisch rückständig und auf externe Finanzhilfen angewiesen. Eine Option aus einem Rückzug der USA wäre eine potenzielle finanzielle Unterstützung durch Saudi-Arabien, dass einen Palästinenserstaat unumstößlich fordert. Es wäre eine faktische Annullierung der Camp-David Friedensabkommen von 1979. Im Zusammenhang mit dem erstarkten BRICS-Block würden Ägypten und Jordanien aus dem Einflussbereich der USA herausfallen und die Situation für Israel verschlechtern. Jordanien und Ägypten haben Trumps Drängen eine Absage erteilt.[8]
Im 12-Tage-Krieg und auch im Scharmützel mit dem Iran 2024 konnte Jordanien etliche Raketen aus dem Iran abfangen, die Israel zum Ziel hatten. Die Hardware wurde durch die USA gestellt bzw. finanziert. Camp-David hatte noch Wirkung, aber die USA und Israel können sich aufgrund arabischer Solidarität nicht auf die Camp-David-Abkommen verlassen.
1.4 Palästinensische Islamische Jihad
Der Ausschluss Ägyptens aus der Arabischen Liga hat eine neue islamistische Gruppe in Palästina mit Hauptaktivitäten im Gaza-Streifen entstehen lassen: der „Palästinensische Islamische Jihad“ wurde 1979 von Fathi Shaqaqi und Anhängern in Abgrenzung zu „Muslimbrüdern“(Hamas) und PLO gegründet. Das Politbüro hat seinen Sitz in Damaskus, die Finanzierung wird durch den Iran hergestellt.[9] Die islamistisch-militante Gruppe war beim Massaker am 7.Oktober 2023 aktiv beteiligt. Der Iran versuchte mit Erfolg, eine De-Radikalisierung der Hamas durch die direkte Unterstützung der Gruppe um Fathi Shaqaqi zu verhindern. Der „Palästinensiche islamische Jihad“ präsentiert sich noch gewaltbereiter als die Hamas und soll über den Iran auch „schiitisch“ infiltriert werden.[10]
1.5 Mekka-Besetzung durch Islamisten
In Saudi-Arabien ist der Anschlag vom 20.11.1979 bis heute tabuisiert. In der offiziellen Lesart war es die Tat einer kleinen, isolierten Gruppe religiöser Fanatiker ohne Verbindung zum Terror der Gegenwart. Die Interpretation der Islam-Experten sieht in der Moschee-Besetzung den Urknall islamistischen Terrors, ausgerechnet im Land einer tiefreligiösen Gesellschaft.
Mehrere hundert schwer bewaffnete Kämpfer überfielen die Große Moschee von Mekka, vor der sich etwas 100.000 Pilger zum Gebet eingefunden hatten. Die Dschihadisten forderten die Abdankung der Königsfamilie, die als korrupt und von westlichen Petrodollars korrumpiert kritisiert wurde. Stattdessen wollte die Gruppe einen islam-reinen Staat (Kalifat) alter Tradition. Über 2 Wochen dauerte es, bis die saudischen Regenten mit französischer Hilfe die Terroristen besiegen konnten. Fast 1000 Menschen starben im gegenseitigen Kugelhagel.[11]
Der Anführer der Rebellen von Mekka, Dschuhaiman al-ʿUtaibī, mutierte längst zur Ikone der Dschihadisten. So bekannten sich Osama Bin Laden und Abu Musab al-Sarkawi, Qaida-Anführer im Irak, offen zur Solidarität im Kampf gegen die Ungläubigen und für einen reinen Islam. Auch die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) bedient sich ideologisch aus den Schriften Dschuhaimans, die in der islamistischen Sphäre reißenden Absatz finden. Dschuhaiman propagiert einen rigiden wahhabitischen Islamismus, einer besonders engen sunnitischen Auslegung des Koran, in der besonders Frauen entrechtet sind. Saudi-Arabien war gerade dabei sich etwas zu öffnen bzw. zu modernisieren, was die Islamisten wie im Iran als Ursache für die Lebensumstände der – tief religiösen – weniger Privilegierten ausmachten.[12]
Der politische Erfolg des Attentats bestand tatsächlich in der Rückbesinnung der saudischen Königsfamilien auf die wahhabitischen Traditionen der Gesellschaft, um die Unruhen im Land einzudämmen. Die Beseitigung der durch die Modernisierung gewonnen Freiheiten war ein Resultat des Moschee-Attentats. Die wahhabitischen Gelehrten konnten den verlorenen Einfluss der 1970er Jahre zurückgewinnen und Saudi-Arabien nahm wieder Kurs Richtung mehr Repression und Illiberalität.
Eine Gegenbewegung wird durch Muhammad bin Salman (auch mit MBS abgekürzt) repräsentiert, der 2017 Kronprinz wurde und seit 2022 als Premierminister fungiert. Der Kronprinz setzt sich wieder für die Öffnung Saudi-Arabiens ein. Er hat sich zum Ziel gesetzt, die reaktionär-traditionellen Veränderungen aus dem Mekka-Überfall aufzuheben.
Mit internationalen Kultur- und Sportveranstaltungen betreibt die Königsfamilie ein „Nation-Branding“, um dem Image eines antiquierten Religionsstaates zu entkommen und internationale Investoren zu gewinnen. Touristen sind willkommen, einheimische Künstler werden gefördert, Frauen dürfen Autos fahren und sich im Wrestling unverhüllt gegenseitig schlagen. US-Popstars performen in ausverkauften Hallen. Das ist nicht das Saudi-Arabien der Wahhabiten und damit auch eine offene Flanke für islamistische Gegenreaktionen.
Die Regenten haben erkannt, dass Ölvorräte und Nachfrage endlich sind und die finanziellen Ressourcen genutzt werden müssen, um eine Wirtschaft jenseits von fossilen Ressourcen mit ausländischen Investoren zu entwickeln. Andererseits geht die saudische Königsfamilie drakonisch gegen Oppositionelle vor. Hinrichtungen sind immer noch an der Tagesordnung.[13]
Im Gegensatz zum Iran hat Saudi-Arabien die Isolation zum Westen verhindern können und spielt im Palästina-Konflikt auch deshalb eine bedeutende Rolle. Auch ist gelungen mit Hilfe Chinas die diplomatischen Beziehungen zum Iran zu verbessern. Insgesamt war das Ereignis von Mekka 1979 ein lehrreicher Schock, der zum Ausbalancieren zwischen Tradition und Moderne geführt hat. Saudi-Arabien ist zur entscheidenden arabischen Spielfigur auf dem Schachbrett des Nahen Ostens avanciert. Bislang ist das Land noch nicht fest dem BRICS-Block beigetreten, spielt aber mit der Option auch im diplomatischen Kurs mit dem Westen und China. Diplomatische Beziehungen zu Israel werden die Saudis erst aufnehmen, wenn ein unabhängiger Palästinenserstatt gegründet wird. Das ist auch als Absage an Trump und Netanjahu zu verstehen, den Gaza-Streifen in eine nicht-palästinensische Riviera umzuwandeln. [14]
1.6 Einmarsch der UdSSR in Afghanistan
Afghanistan ist ein Exempel dafür, dass nicht nur der Westen den Islamismus befördert hat. Die Sowjetunion und später auch Russland haben mit Interventionen in muslimisch geprägte Staaten den islamistischen Terrorismus ebenfalls erzeugt und gesteigert. Russland ist von diesen Staaten in Zentralasien umgeben und der letzte von etlichen Anschlägen erfolgte 2024 in Moskau, als der „Islamische Staat“(IS) sich zu einem Anschlag auf eine Konzerthalle mit 130 Opfern und vielen Verletzten bekannte.
Der IS wirbt seine Mitglieder verstärkt aus Regionen des Südkaukasus und Zentralasien an, die sich massenhaft als billige Arbeitskräfte in Russland andienen. Wenn diese oft jungen Männer, die häufig aus Tadschikistan und der Provinz Chorasan[15] stammen, den russischen Pass erlangen, konnten sie für die russischen Kriegseinsätze im Nahen Osten oder in der Ukraine eingesetzt werden. Der IS nutzte die prekäre Lage der jungen Männer zur Anwerbung für Operationen in Syrien, im Irak oder eben für Anschläge in Metropolen wie Moskau.[16] Der sowjetische Krieg in Afghanistan war der Ausgangspunkt.

Quelle: taz-grafik-infotext-berlin.de/L.N.
Afghanistan war jahrzehntelang politisch ein relativ ruhiger Fleck auf der Weltkarte. Der letzte König Muhammed Zahir Schah regierte das wirtschaftlich arme Land bis 1973. Der eigene Cousin und Premierminister putschte den König, der sich auf einer Reise in Italien befand, aus dem Amt und setzte ein Präsidialsystem ein. Der neue Herrscher der neuen Republik war Cousin Muhammed Daoud Khan. Er agierte als Premiere-, Verteidigungs- und Außenminister in Personalunion, was einen Unterschied zur Regierungsform seines Cousins nicht erkennen ließ. Daoud wollte mit Hilfe der kommunistischen Partei das Land umbauen und eine Demokratie errichten. Es blieb bei der Ankündigung und die Aktivisten der kommunistischen DVPA (Demokratische Volkspartei Afghanistan) wurden nach und nach aus der Regierung verdrängt. Muhammed Daoud Khan hatte sich zudem neue Feinde geschaffen, indem auch er versuchte, feudale Strukturen durch Agrarreform, Einführung eines Mindestalters bei Eheschließungen, Verbot von Zwangsehen, Zurückdrängen des Analphabetismus, Einführung der Religionsfreiheit, abzuschaffen. Das Land wurde offiziell atheistisch.[17] Die ausbleibenden Verbesserungen der Lebensumstände erzeugten zunehmend Unruhen, die sich bis in die Regierungselite auswirkte.
Muhammed Daoud Khan wurde 1978 von seinen ehemaligen Kampfgefährten Muhammad Taraki, Hafizullah Amin[18] und Babrak Karmal getötet. Sie übernahmen das Kommando und fortan die Regierungsgewalt, um den Reformprozess zu beschleunigen, denn die Skepsis der Bürger blieb groß. Neue Jobs und mehr Gerechtigkeit wollten sich nicht recht einstellen. Das Problem Afghanistan wurde damit nicht behoben: Die Unterstützung in den Städten und Universitäten war groß, aber der Anteil am ganzen rückständigen Land klein. Jenseits der Städte entwickelte sich längst ein Widerstand, der von den islamistischen Mudschaheddin organisiert wurde. Diese Kämpfer wurden von Pakistan, Iran und letztlich auch den USA unterstützt. Die geopolitische Dimension wurde durch das Engagement der USA deutlich. Es eröffnete sich die Gelegenheit, den Einfluss der Sowjetunion in Kabul zurückzudrängen, was in Moskau registriert wurde. Die Reaktion erfolgte.
Im Dezember 1979 patrouillierten sowjetische Panzer in den Städten. Die UdSSR intervenierte, um Afghanistan nicht an den Westen zu verlieren. Dabei wurde die Spaltung des Landes in Befürworter der Modernisierung und den sich in der Überzahl befindlichen Gläubigen deutlich. Die Unterstützung der Mudschaheddin wuchs auch mit Hilfe der USA, Irans und Saudi-Arabiens und Pakistans an.[19] Der Westen hatte sich mit den Reaktionären und Islamisten zusammengetan und die UdSSR konnte dem inneren und äußerem Druck nicht mehr standhalten. Von 1989 bis 1992 regierte noch der von der UdSSR unterstützte Mohammed Nadschibullah. Er wurde von den Mudschaheddin, die den Islamischen Staat Afghanistan gründeten, gestürzt. Die erst 1994 entstandenen Taliban verdrängten ihrerseits die Warlords und errichteten 1996 das Islamische Emirat Afghanistan in weitgehender diplomatischer Isolation. Mit der Intervention der USA nach den Attacken auf die Twin-Tower in New York begann der antiislamische Feldzug der Bush-Administration. Von da an waren die USA bis zum Abzug 2021 in Afghanistan als dominanter Besatzer aktiv. Die Taliban waren zu keiner Zeit besiegt, sondern nur zum Rückzug gezwungen. Der Terrorismus, unterstützt von vielen Gläubigen außerhalb der Städte, konnte sich auf Dauer durchsetzen. Der Westen musste einen heftigen Rückschritt hinnehmen und die missionarische Programmatik aufgeben. Der Islamismus hatte gesiegt und auch die Tötung des al Quaida-Führers Osama bin Laden, Spiritus Rector des Anschlags, in Pakistan, konnte nichts daran ändern, dass islamistische Ideen auf dem Vormarsch waren.[20]
Die UdSSR zog sich militärisch 1989 nach Verlust von eingesetzten 85 Mrd. US-Dollar und ca. 15.000 getöteten Soldaten zurück. Insgesamt starben in dieser Kriegsphase rund eine Millionen Menschen, 5 Millionen Afghanen flüchteten in Nachbarländer und nach Europa.[21]
Die UdSSR musste 12 Jahre später die Zahlungsunfähigkeit des Staates einräumen und wurden zum Abwicklungs- und Restrukturierungsprojekt. Afghanistan selbst war in Schutt und Asche gelegt ähnlich wie die Staaten Libanon, Jemen und Syrien. In dem allgemeinen Zerfall nach Regionen und Stämmen durch die Warlords entwickelte sich in Afghanistan die Taliban als reaktionär stabile Kraft. Diese durch Pakistans Koranschulen und Mullahs aufkommende Organisation ersetzte die sich auflösenden Mudschaheddin. Das erfolgreiche Credo der Taliban war in Abgrenzung zu den weniger ideologisch geprägten Mudschaheddin die Erlangung von Frieden und Sicherheit anstatt persönlicher Bereicherung. Auch wenn die Gruppe der Paschtunen[22], die im Grenzgebiet zwischen Pakistan und Afghanistan zahlreich vertreten sind, die Taliban dominieren, so wird vor allem die Identität des nationalen Islam jenseits von Ethnien und Stämmen betont.[23] Die Rückkehr der Taliban an die Macht im Jahr 2021 ist eine herbe Niederlage der Befürworter des „Nation Building“. Säkulare staatliche Strukturen wurden zerstört, die Scharia eingeführt und Frauen entrechtet.
Der Bürgerkrieg der 1980er Jahre wurde seinerzeit als Stellvertreterkrieg beurteilt, aber die Ereignisse der letzten Jahre zeigen, dass der Islamismus nicht zwischen Supermächten wählt, sondern eine eigene politische Agenda vorantreibt. Inzwischen ist China im diplomatischen Diskurs mit den Taliban eingetreten, denn das Land verfügt über relevante Rohstoffe, darunter auch Seltene Erden. Und China wird das tun, was in anderen Regionen erfolgreich umgesetzt wurde: Infrastruktur in Abstimmung mit den jeweils Herrschenden bauen und in Ressourcen bezahlen lassen. Die UdSSR begann in Afghanistan bereits in den 1950er Jahren mit Straßen und Schulbau; sie entsendete Techniker, Berater und Spezialisten für die Armee. China betreibt dieses Geschäft annähernd perfekt und hat sich im Markt für kritische Rohstoffe eine deutliche Vormachtstellung gesichert. Im Bereich der seltenen Erden sind es inzwischen 70 % aller geförderten Ressourcen.[24]
Der entscheidende Fehler der Sowjetunion und ihrer Nachfolger aus dem Westen war die Ignoranz gegenüber dem gesellschaftlichen Entwicklungstands Afghanistans. Das Land ist in einem schlechten Zustand und herausragende Quelle für Export islamistischen Terrors. Die westlichen Missionare hätten auf den russischen Veteranen Alexej Tukalkin hören sollen:
„Man kann in Afghanistan nicht siegen, das werden auch die Amerikaner und die Deutschen einsehen müssen. Man kann sich nur zurückziehen, die Grenzen abriegeln und hoffen, dass die Afghanen zur Besinnung kommen.“[25]
Die Interventionen in Afghanistan mögen nicht im Zentrum der aktuellen Bewertung des Nahost-Konflikts stehen, aber der globale Islamismus wurde dadurch enorm erweitert. Das gilt auch für die terroristische Beteiligung an Migrationsbewegungen.

©te; Daten: Institute for Economics & Peace[26]
Der Westen hat sich seit 1979 sehr viel auch mit von Afghanen begangenen Anschlägen beschäftigen müssen. 20 Anschläge in Kabul allein im Jahr 2018 hatten über 500 Tote verursacht. Der Terrorismus-Index bis zur Machtübernahme der Taliban im Jahr 2021 zeigt die Gefahr im Land selbst, aber auch einen Spill-Over in andere Regionen.
Die Terrorismus-Situation hat sich seit 2022 dahingehend verändert, dass unter dem Regiment der Taliban Afghanistan auf Platz 9 (2021: Platz 1) liegt. Besonders Staaten mit viel Gold-Vorräten sind in den TOP 12 vertreten.[27]

Auch wenn im Westen immer mal wieder Menschen durch Terrorismus sterben, so ist diese „Waffe“ in den umkämpfen Regionen viel wirkungsvoller. Abbildung 6 zeigt die Anzahl der Opfer von 2007 bis 2024. Der Westen ist kaum auszumachen. Afghanistan ist stark rückläufig im Gegensatz zu Pakistan. Die Sahel-Region mit viel Gold ist aktuell das Epizentrum des Terrorismus. Der Iran rangiert auf Platz 18 von 25 kommend, also mit zunehmenden Problemen. Israel besetzt nach dem Hamas-Überfall Platz 2 von 34 kommend und befindet sich 2024 noch immer in den Top Ten.[28] Der Islamismus als Staats- und Guerilla-Terror bleibt weitestgehend unberechenbar.

1.7 Der Westen hat den Nahen Osten destabilisiert
Der Westen hat mit seinen auf Gewalt basierenden Ambitionen im Nahen Osten keine Alternative für die Einheimischen geboten. Im Gegenteil wurden diverse arabische Staaten ausgebeutet oder mit Hilfe des Westens autokratische Strukturen gefestigt. Der Westen wurde als arrogant und profitsüchtig erlebt, was den Islamisten in die Hände spielte. Für die säkularen Befreiungsbewegungen ist durch diese Konstellation ein zweiter Gegner gewachsen, was aktuell besonders in Syrien und in Palästina offenbar geworden ist. Islamisten und säkulare Demokraten buhlen wie seinerzeit im Arabischen Frühling um die Gunst der unterdrückten und enttäuschten arabischen und persischen Menschen. Die Globalisierung mit den innewohnenden Migrationsbewegungen hat den Islamismus internationalisiert und die Gefahr des Terrorismus über den Globus verstreut. Es explodieren Bomben in Paris, Moskau, Kabul, Bali und sonst wo in der Welt. Die Sicherheit auch der westlichen Gesellschaften wurde dem Profit und Nationsbuilding untergeordnet.
[1] Kixmüller 2013, o.S.
[2] IMF 2024, o.S.
[3] https://www.energymonitor.ai/analyst-comment/addressing-oil-market-turmoil-iran-israel/?cf-view
[4] Poggenburg 2019, S. 35
[5] Anderson 1998, o.S.
[6] BDP 2025, o.S.
[7] Ranko 2009, o.S.
[9] Philipp 2011, o.S.
[10] Knipp 2022, o.S.
[11] von Berg 2020, o.S.
[12] Röther 2019, o.S.
[13] Hagmann 2023, o.S.
[14] Jüdische Allgemeine 2025, o.S.
[15] Teile des heutigen Irans, Afghanistans, Tadschikistans, Usbekistans und Turkmenistans
[16] Stöber 2024, o.S.
[18] Amin wurde vor der sowjetischen Invasion Staatschef
[20] Jaishankar 2019, o.S.
[21] Hielscher 2019, o.S.
[22] ca. 23 Millionen Paschtunen leben in Pakistan, das insgesamt ca. 240 Mio. Einwohner hat.
[23] Matthay 2021, o.S.
[24] Lamby-Schmitt 2025, o.S.
[25] Jungkunz 2021, o.S.
[26] Institute for Economics & Peace 2022: S.40
[27] Quellen der Abbildungen 5 und 6: Institute for Economics & Peace 2025, S. 6/33
[28] Institute for Economics & Peace 2025, S. 33
Quellen:
Anderson, Jon Lee 1998: Die Auflösung. https://internationalepolitik.de/de/die-aufloesung. 26.07.2025
BDP 2015: Der erste Golfkrieg. https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-grund-aktuell/212301/der-erste-golfkrieg-1980-1988/#, 27.07.2025
El-Bawab, Nadine 2025: Trump’s threats to pull aid if Egypt, Jordan don’t accept Palestinians could lead to new alliances, experts say. https://abcnews.go.com/International/trumps-threats-pull-aid-egypt-jordan-accept-palestinians/story?id=118757291. 27.07.2025
Hagmann, Jannis 2023: Die absolute Spaß-Monarchie. https://taz.de/Wie-sich-Saudi-Arabien-veraendert/!5944095/. 28.07.2025
Hielscher, Hans 2019: Das Vietnam der Russen. https://www.spiegel.de/geschichte/sowjetische-invasion-in-afghanistan-1979-das-vietnam-der-russen-a-1301765.html. 01.08.2025
IMF 2024: https://www.imf.org/external/ datamapper/PPPPC@WEO/LBN?zoom=LBN&highlight=LBN. 28.07.2025
Institute for Economics & Peace 2022: Global Terrorism Index. https://www.visionofhumanity.org/wp-content/uploads/2022/03/GTI-2022-web-09062022.pdf. 17.10.2022
Institute for Economics & Peace 2025: Global Terrorism Index. https://www.economicsandpeace.org/wp-content/uploads/2025/03/Global-Terrorism-Index-2025.pdf.
Jaishankar, Dhruva 2019: Fortsetzung folgt – Warum die USA den Krieg in Afghanistan nicht gewinnen konnten und worauf es jetzt ankommt. https://www.ipg-journal.de/regionen/asien/artikel/fortsetzung-folgt-3313/.
Jüdische Allgemeine 2025: Saudi-Arabien bekräftigt Unterstützung für Palästinenser. https://www.juedische-allgemeine.de/politik/saudi-arabien-bekraeftigt-unterstuetzung-fuer-palaestinenser/.28.07.2025
Jungkunz, Alexander 2021: Der Friedhof der Weltreiche: Afghanistans leidvolle Geschichte. https://www.nordbayern.de/freizeit-events/der-friedhof-der-weltreiche-afghanistans-leidvolle-geschichte-1.11327195. 01.08.2025
Kixmüller, Jan 2013: Interview: „Die Ölkrise hat das Ende der DDR mit befördert“. https://www.tagesspiegel.de/potsdam/landeshauptstadt/die-olkrise-hat-das-ende-der-ddr-mit-befordert-7323739.html. 28.07.2025
Knipp, Kersten 2022: Palästinensischer Islamischer Dschihad und Iran. https://www.dw.com/de/pal%C3%A4stinensischer-islamischer-dschihad-
Lamby-Schmitt, Eva 2025: So groß ist Chinas Macht bei seltenen Erden. https://www.tagesschau.de/wirtschaft/weltwirtschaft/seltene-erdenchina-abhaengigkeit-100.html. 03.08.2025
Matthay, Sabina 2021: Die Taliban waren nie ganz weg. https://www.deutschlandfunk.de/machtwechsel-in-afghanistan-die-taliban-waren-nie-ganz-weg-100.html#. 01.08.2025
Neale, Jonathan 2020: Erinnerungen an Afghanistans Saurrevolution. https://jacobin.de/artikel/afghanistan-saurrevolution. 01.08.2025
Philipp, Peter 2011: Hamas und Palästinensischer Islamischer Jihad. https://www.bpb.de/themen/islamismus/dossier-islamismus/36365/hamas-und-palaestinensischer-islamischer-jihad/. 26.07.2025
Ranko, Annette 2009: Dreißig Jahre Camp David: Separatfrieden mit ambivalenten Auswirkungen, GIGA Focus Nahost, 3, Hamburg: German Institute for Global and Area Studies (GIGA), http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-274377. 12.07.2025
Röther, Christian 2019: Als „Ungläubige“ Mekka befreiten. https://www.deutschlandfunk.de/1979-und-der-islamismus-als-unglaeubige-mekka-befreiten-100.html. 27.07.2025
Stöber, Silvia 2024: Islamismus in Russland – die verdrängte Gefahr. https://www.tagesschau.de/ausland/europa/russland-anschlag-konzerthalle-terrorismus-islamismus-100.html. 01.08.2025
von Berg, Dirk 2020: Mekka 1979 – Urknall des Terrors. https://www.phoenix.de/sendungen/dokumentationen/mekka-1979-a-2365884.html. 28.07.2025
Poggenburg, Vanessa 2019: Die Islamisierung des Nationalismus. https://www.ruhr-uni-bochum.de/orient/mam/content/fachschaft/poggenburg__vanessa_-_die_islamisierung_des_nationalismus_%E1%B9%A2add%C4%81m_%E1%B8%A4ussains_glaubenskampagne__jusur_1_winter_2019_.pdf. 27.07.2025
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