Mitte-rechts wie Mitte-links im Drittel-Käfig gefangen 

19. August 2025 0 Von Uli Gierse

In den letzten 10 Jahren hat sich politisch, guckt man sich die Wahlergebnisse an, mehr verändert als in den 70 Jahren davor.

Die rechtsextreme AFD hat die ehemaligen Volksparteien Union und SPD erheblich (Stand 2025 20,8 %) gerupft, insbesondere die SPD ist auf dem Weg zu einer Kleinpartei zu werden (1998 hatte die SPD noch 40,9 %), weil sich große Teile der Arbeiterklasse in Richtung AFD verabschiedet hat. Dieses Phänomen ist nicht völlig neu, da frustrierte Arbeiter nach 1933 auch zu den Siegern übergelaufen sind. Die Linke hat sich aktuell (8,8%) stabilisiert, allerdings auch ohne die Basis, die sie von ihrem sozialistischen Ansatz her vertreten möchte. Sie ist aktuell die hype Szenepartei und rückt den Grünen dort auf die Pelle. Die Linke hat davon profitiert, dass die Grünen wegen der Ampel-Politik und wegen fehlender Cleverness im Umgang mit Zumutungen verloren haben, aber auch dadurch, dass der ewige Streit mit Lafontaine/ Wagenknecht mit der Gründung des BSW vorbei war. Ein glücklicher Zufall war es, dass der Wähler in seiner Weisheit, das BSW äußerst knapp an der 5%-Hürde scheitern hat lassen.  

Die Grünen gehören neben der SPD zu den Verlierern der letzten Wahlen. Sie können ihre Volkspartei-Hoffnungen aktuell zu den Akten legen, so eingemauert sind sie in ihrer Akademiker-Blase. Selbst Robert Habeck schaffte es nicht, seinen Landwahlkreis Flensburg-Schleswig erneut zu gewinnen. Direktmandate gibt es nur noch in den Szenevierteln der Groß- und Unistädte.

Die Union kann jedoch auch nicht glücklich sein mit 28%, dem zweitschlechtesten Ergebnis seit Armin Laschet. Sie und die SPD profitieren davon, dass 14 Prozent der Stimmen inklusive denen für die Lindner-FDP unter den Tisch gefallen sind. Wenn das BSW reingekommen wäre, wäre nur noch Schwarz-Rot-Grün möglich gewesen.

Das wichtigste Ergebnis, die rechtsextreme Blase ist sichtbarer geworden. Wahrscheinlich waren die 20% Rechtsextreme auch vorher verborgen da – entweder als Nichtwähler oder im Gepäck von Union, SPD, FDP oder der PDS in den östlichen Bundesländern.

Ob die gesichert rechtsextreme AFD weiter zulegen kann, bezweifele ich aber, denn so meine These, das Potential war schon immer da. Eine Gesellschaft ändert sich nur sehr langsam. Es gibt vor allem sehr starke Stabilisierungskräfte, die die soziale Ordnung ganz wörtlich in Ordnung halten. Das wusste der große Veränderungstheoretiker Karl Marx auch. Im 18. Brumaire heißt es dazu: „ Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen.“ Auch „Wissen“ hilft da nur bedingt weiter. Der Glaube, man müsste den Leuten die nur besser erklären, wie es wirklich ist, dann werden sie sich schon entsprechend verhalten, hat noch nie funktioniert. Überzeugen kann man nur die, die für Überzeugungen offen sind. [1] Das wird gerade von Politikern sehr gern vergessen (Heizungsgesetz!). Wenn das nicht so wäre, wären politische Meinungsumfragen gar nicht möglich, denn die beruhen darauf, dass die meisten Wähler sich so wie immer, also erwartungsgemäß, entscheiden.

Kann man also das Thema AFD vergessen? Nein, denn der Hintergrund der Erfolge für extreme Meinungen besteht darin, dass aktuell Krisen, die vorher unter den Teppich des Bussiness-as-usual verborgen waren, heute auf dem Tisch liegen und damit Stress in der eigentlich um Stressfreiheit ringenden Gesellschaft erzeugen. Angela Merkels Erfolgsprinzip „Wir haben alles im Griff“ funktioniert nicht mehr. Eine kaputt gesparte Infrastruktur wetteifert um die Aufmerksamkeit mit der auch nicht gerade neuen Klimakrise, die sich mit neuen Kriegen in Europa und im Nahen Osten um die Top-News streitet. In der Pandemie, die leider wegen diesen vielen Triggerpunkten, auch nicht aufgearbeitet werden soll, wurden alle Bürger mit der Frage konfrontiert, wie halte ich es mit dem Staat. Vertraue ich ihm oder nicht. Eine Minderheit hat sich da entschieden, gegen staatliche Zumutungen wie Impfen aus Prinzip oder als Teil des Hypes von anthroposophischen Ideologien.

Die nicht geklärten Probleme mit den wieder erwachten imperialen Ambitionen Russland sind auch nicht neu, sondern spätestens seit 2014 für jeden, der hinsehen wollte, sichtbar gewesen. Lawrow hat sein CCCP-Pulli wohl nie weggeschmissen. Die Angst vor Fremden ist auch wenn Grüne das nicht wahrhaben wollen, auch nicht neu, aber seit 2015 sichtbarer geworden. Denn die Integration ist selbstverständlich nicht konfliktfrei möglich, erst recht dann nicht, wenn es an dazu nötigen finanziellen Mitteln fehlt. Insbesondere haben antisemitische Verschwörungstheorien international immer als Trigger für die Ablehnung von abgeglichen Eliten oder wirtschaftlichen Mächten gut funktioniert. Das machen sich jetzt islamistische und antizionistische Ideologen zunutze. Rechtsextreme spielen da aktuell noch eine Sonderrolle, sie sind nicht direkt antisemitisch, sondern benutzen die antisemitischen Verschwörungstheorien „nur“ für ihre islamophobe Theorie des „Großen Bevölkerungsaustauschs“. Soweit so gruselig. Wer sieht den rettenden Ausgang? In der aktuellen politischen Gemengelage ist eine Rückkehr zu den stabilen Jahren vor der Vereinigung mit der DDR unmöglich. Angefangen schon mit dem Eintritt der Grünen ab 1983 sowie der SED-Nachfolgepartei PDS 1990 ist spätestens seit 2017 mit dem Bundestagsdebüt der AFD die Zeit der alten Volksparteien vorbei. Zusammengefasst hat sich heute das Parteienspektrum gedrittelt. Mitte-rechts (Union + FDP) liegt 32,8%, allerdings bei einer FDP, die nur auf 4,3% kam. Mitte-links (SPD, Grüne) kommen nur noch auf zusammen 28%. Alle „Spielverderber“-Parteien (AFD, Linke und BSW) liegen bei 34,6%.

Glaubt man den aktuellen Meinungsumfragen, sind demnächst nur noch Koalitionen zwischen Union, SPD und Grünen möglich. Das heißt dann, die demokratischen Parteien der Mitte, rechts wie links, bilden zusammen gegen die noch nicht in der Mitte – sprich einer Politik der Kontinuität – angekommenen Parteien.  Ob das dann noch gut gehen kann?  

Das wäre dann kein großes Problem, wenn alle Parteien der Mitte ihre reinen Lehren in den Papierkorb werfen würden. Und es nicht auch in der Union keine Mehrheit von Rechtspopulisten bei Themen wie Gendern, Abtreibungsverbot oder der Förderung des Gas-Lobbyismus gäbe. Nicht rechnen sollte man damit, dass die Medien insgesamt oder die Stammtische „vernünftig“ werden, das ist nicht ihre Rolle.

Guckt man sich Hitlers Weg zur Macht im Januar 1933 an, so bleibt ein Faktor häufig unbetrachtet, es war eigentlich so gut wie ausgeschlossen, dass Hitler zum Reichskanzler eins Präsidialkabinetts berufen würde. Warum auch, denn ohne Mehrheiten im Parlament, hätte es auch ein weiterer Aristokrat oder von Schleicher oder von Papen machen können. In der Ernennung Hitler zum Reichskanzler wird deutlich, dass korrupte und unfähige Politiker auch ein Faktor sind. Rechtsextreme brauchen Steigbügelhalter, wie es 1933 der westfälische Adelige Franz von Papen war. Hoffentlich macht nicht der Westfale Jens Spahn den modernen Franz von Papen[2], der größenwahnsinnig meint, eine AFD in der Regierung sei beherrschbar. Das ist 1933 schon einmal schief gegangen.

Nun gehöre ich nicht zu den Menschen, die die AfD als NSDAP 2.0 ansehen, dazu fehlt ihnen die geschlossene Weltanschauung und vor allem die außerparlamentarische Bewegung (SA, SS). Aber als gesichert faschistisch würde ich die AfD schon ansehen, als eine moderne Melange von Trumpismus und Putinismus.

Zurück zu den Grünen. Diese haben bei der Bundestagswahl ca. 700.000 Stimmen an die Reichinek-Linke verloren, aber auch über 400.000 Stimmen an die Merz/Söder-Union.  Nun gibt es die SchlaumeierInnen in der Partei, die daraus schließen, die Stimmen an die Linke sind am einfachsten zurückzubekommen, bei einem konsequenten linksgrünen Profil. Das mag stimmen, doch wem wäre damit geholfen?

Ein Stimmentausch innerhalb des linbken Lagers, vorausgesetzt die Linke wird in den näöchsten Jahren regierungsfähig, vor allem außenpolitisch, nutzt keinem. Zumal die Grünen wahrscheinlich bei einem linken Kurs Stimmen weiter an die Union abgeben würden.

Eine linke Mitte-Mehrheit wie 1998 ist in den nächsten 10 Jahren nur möglich, wenn die SPD ihre Verluste bei den ArbeiterInnen von der AFD zurückholt und die Grünen Stimmen aus dem bürgerlichen, noch nicht populistischen Lager der Union. Stimmen von den Linken zurückzuholen, wäre für SPD wie Grüne auch schön, bringt aber nichts dafür, aus dem Drittel-Käfig rauszukommen.

Wahrscheinlich können jedoch weder die Grünen noch die SPD oder gar die Linke sich dem Ziel, bei der nächsten Bundestagswahl eine Mehrheit von Union plus AFD zu verhindern, praktisch unterzuordnen. Denn das hieße die eigene Blase verlassen zu wollen, nicht nur als Wunsch, sondern mit Inhalten, die mehrheitsfähig sind und machen wir uns nichts vor, auch innerhalb der Parteien wirken die Stabilitätskräfte, die auch die Gesellschaft funktionsfähig halten. Transformationen stoßen auf Widerstände und sind nicht im Hauruckverfahren machbar.    


[1] Frei nach: Armin Nassehi: Kritik der großen Geste. Anders über Transformation nachdenken. Gibt es bei bpb

[2] Franz von Papen war der direkt gewählte Zentrumspolitiker für den preußischen Wahlkreis „Südliches Westfalen“, dazu gehört heute der Hochsauerlandkreis, der Wahlkreis von Friedrich Merz.