
Der Kulturkampf der reaktionären Rechten.
Ist das rot-grüne Lager schuld am Aufstieg der AfD?
In der ZEIT Nr. 3 /2025 versucht Jochen Bittner in seinem Essay »Die Rechts-links-Schwäche« eine Erklärung für den Aufstieg von »Trump, Weidel und Konsorten«, zu geben. Dem möchte ich widersprechen.
Bittners These: In Amerika sei, wie in Deutschland, dem Rechtsruck ein »immenser Linksruck« vorausgegangen; der »Durchschnittswähler« sei hingegen »stabil« geblieben. Der Zulauf zur AfD gehe nicht auf das Konto der Konservativen, sondern auf das der „Apokalyptiker.“ Gemeint sind wohl insbesondere Grüne oder „Friday for Future“.
»Die Physik lügt nicht.«
Ja, wissenschaftliche Erzählungen vom Klimawandel kombiniert mit laut stark zelebriertem Moralismus verärgern Menschen und machen ihnen Angst, wenn gleichzeitig eine Änderung ihrer Lebensweise gefordert wird.
Ja, Klimapolitik muss mit der gesellschaftlichen Realität rechnen und ist kein Projekt für die reine Lehre; wir wissen aber auch, wie schwer aufklärbar gewachsene Einstellungen sind und wie mächtig die Gewohnheit ist.
Man kann Rot-Grün vieles vorwerfen, aber wohl kaum, dass sie in den letzten Jahren besonders wirkmächtig waren. Immerhin war Merkel 16 Jahre Kanzlerin. Orban, Le Pen, Meloni, Wilders, Weidel, Trump – und die AfD wäre uns wohl kaum erspart geblieben, wenn Rote und Grüne weniger „politisch korrekt“ – übrigens ein neurechter Kampfbegriff wie „woke“ – gewesen wären, weniger „gegendert“ hätten, weniger aktiv fürs Klima und gegen die AfD auf die Straßen gegangen wären.
Wer sind die „Linken“, die „Apokalyptiker“ die „Unvernünftigen“? In der Fokussierung auf ein angeblich wokes Mileu gerät das Offensichtliche aus dem Blick: Den seit Jahren wohl durchdachten weltweiten Kulturkampf einer autoritären und nationalistischen Internationale gegen die liberalen Demokratien. Putin und Trump dienen ihr als Zentrum und Taktgeber.
Ihr Ziel ist das ›Einzusammeln‹ der Verlierer der Globalisierung und aller, denen die ganze
Liberalisierung nicht passt. Dieses illiberale Bürgertum finden wir in allen Parteien. Ihnen geht es weniger ums Klima als um Besitzstandswahrung und Sicherheit, um den Erhalt der Tradition. Viele wollen keine Gleichstellung der Geschlechter, keine Diversität und Inklusion am Arbeitsplatz, kein Selbstbestimmungsgesetz, keine Flüchtlinge, sondern »Remigration«.
Das zu bestreiten, ist nicht Ausdruck von Bevormundung oder »Unvernunft«, sondern die legitime Forderung nach gleichen Rechten, kurz: notwendige streitbare Demokratie.
Schon Ende der 90er Jahre geißelten neurechte Ideologen den angeblichen „Tugendterror“, die „Moraldiktatur“, die „Sprachpolizei“ der Linken und Grünen, um ihr menschenverachtendes Vokabular ohne Rücksicht zu verbreiteten. Sie lügen, demütigen, verleumden und sagen dann: „Man wird ja wohl noch sagen dürfen.“
Wer das nicht gelten lassen möchte, wird mit dem Etikett „woke“ versehen. „Politische Korrektheit“ verbindet plötzlich Reaktionäre, Konservative, Sozialliberale mit dem illiberalen Teil des Bürgertums, der in der Krise nach rechts rückt. Jetzt können Autoritäre sich plötzlich als Hüter der Freiheit gerieren. Eine Nebensache rückt plötzlich in den Mittelpunkt und wird zur Allzweckwaffe gegen Linksliberale und Grüne. Fragen von sozialer Gerechtigkeit und Klima rücken dagegen in den Hintergrund.
Heute ist die Lesart, dass der Kampf gegen den Klimawandel, die politische Durchsetzung von Minderheitenrechten und eine menschenrechtliche Asylpolitik ein liberales Eliteprojekt auf Kosten der hart arbeitenden Menschen ist.
Das ist auch ein Produkt des Ineinanderfließens von jahrzehntelanger Propaganda der fossilen Industrie und mit der Ideologie der Neuen Rechten. Trump+Putin lieben Gas +Öl; genauso wie das BSW, die AfD und einige in Union und FDP. Manche Leute werden inzwischen zornig, wenn sie das Wort »Klima» oder »Gender« hören. So ist die extreme Rechte dabei den Kampf um Hegemonie zu gewinnen. In den Medien und im Parlament. Nicht weil Linke und Grüne zu laut und schrill sind, sondern weil Linksliberale, mittig Denkende und Konservative zu viel „Verständnis“ für »besorgte Bürger« hatten und ihre Forderungen teilweise durch Übernahme normalisiert haben.
Normalisierung heißt, das Unsagbare sagbar, das Undenkbare, denkbar zu machen. Der 29.01. war ein
Vorgeschmack für diese Art von Normalisierung. Was in der Analyse von Kritikern wie Bittner völlig fehlt sind sozialpsychologische Aspekte, wie sie Theodor W. Adorno und E. Fromm analysiert haben. Adorno sieht als entscheidendes Merkmal des autoritären Syndroms ein »Misslingen der Individuation«. In den Köpfen des autoritären Charakters herrschen Vorurteile und das Bedürfnis, andere zu dominieren, vor. Darüber hinaus sind sie zynisch, intolerant und lieben Sündenböcke. Sie sind in ihrem Denken starr und kaum zu überzeugen. Faschismus befriedige nach Adorno tief im Charakter verankerte Affekte, deshalb
appellieren seine Propagandisten in erster Linie an Affekte, Ressentiments und emotionale Bedürfnisse.
Klimaschutz und der Erhalt der liberalen Demokratie ist dagegen geboten, moralisch und ökonomisch. Das muss man gerade heute laut sagen (dürfen), auch »wenn’s jetzt ein bisschen weh tut« (Bittner). Wer nicht gegen die Normalisierung des Unsagbaren kämpft, geht unter.