Möge die Macht mit dir sein – Faschisten kann man besiegen

Möge die Macht mit dir sein – Faschisten kann man besiegen

1. Mai 2025 0 Von Uli Gierse

„Macht entsteht nur, wo Menschen gemeinsam handeln.“ – Hannah Arendt

Mal angenommen, Politik – lokal wie global – zielt darauf ab, Macht zu erlangen. Dann lohnt es sich, genauer zu fragen: Was ist Macht eigentlich? Wenn Hannah Arendt recht hat, dann gibt es Hoffnung – auch nach einer Machtergreifung durch Faschisten. Denn was oft als Macht erscheint, ist in Wirklichkeit Gewalt – und damit ein Zeichen von Machtverlust.


1. Macht als kollektives Phänomen

Macht ist ein zentrales Thema der Politik – und doch wird sie oft missverstanden. In der politischen Tradition von Machiavelli bis Hobbes gilt Macht als Fähigkeit zur Durchsetzung, Kontrolle und Dominanz. Arendt hingegen denkt Macht radikal anders: nicht als Instrument der Herrschaft, sondern als Ausdruck gemeinschaftlicher Freiheit.

In Macht und Gewalt (1970) schreibt sie: „Macht entspricht der menschlichen Fähigkeit, nicht nur zu handeln oder etwas zu tun, sondern sich mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen zu handeln.“

Macht entsteht für Arendt dort, wo Menschen gemeinsam handeln, sprechen, verhandeln, sich verständigen – also politisch aktiv sind. Sie ist intersubjektiv und beruht auf Zustimmung, nicht auf Zwang. Macht ist nichts Besitzbares oder Stabiles – sie muss ständig erneuert werden.


2. Macht ist nicht Gewalt

Damit steht Arendt im Widerspruch zu klassischen Machtbegriffen. Hobbes sah Macht als Mittel zur Kontrolle in einem feindlichen Naturzustand. Max Weber definierte Macht als die Fähigkeit, „den eigenen Willen auch gegen Widerstand durchzusetzen“. In beiden Fällen ist Gewalt legitimiert – als Werkzeug der Macht.

Nicht so bei Arendt: Sie trennt Gewalt und Macht strikt. Gewalt ist für sie das Gegenteil von Macht – ein Symptom ihres Verschwindens. „Wo Gewalt herrscht, hat Macht im Grunde aufgehört zu existieren.“ Wer Gewalt einsetzen muss, hat die Zustimmung – und damit die Macht – bereits verloren.


3. Macht braucht Öffentlichkeit

Macht existiert nur im öffentlichen Raum – dort, wo Menschen sichtbar werden, einander begegnen, diskutieren und handeln. Ohne diesen Raum gibt es keine Macht. Demokratie lebt von dieser Öffentlichkeit. Deshalb ist der Verlust öffentlicher Debattenräume – ob durch Desinformation, Polarisierung oder autoritäre Kontrolle – immer auch ein Verlust politischer Macht.

Ein aktuelles Beispiel: Die Institutionen der USA – Kongress, Supreme Court, föderale Ordnung – verlieren ihre bindende Kraft, wenn sie nicht mehr von den Menschen getragen werden. Macht steckt nicht in Gebäuden oder Ämtern, sondern in der Zustimmung der Vielen.


4. Soft Power und Arendts Machtverständnis

Das heute oft diskutierte Konzept der Soft Power (Joseph Nye, 1990) verweist auf die Fähigkeit, durch kulturelle Attraktivität, Werte und Überzeugungskraft Einfluss zu nehmen – nicht durch militärischen oder wirtschaftlichen Zwang (Hard Power).

Zwar ist Arendts Machtbegriff nicht identisch mit Soft Power, doch er weist starke Parallelen auf: Beide beruhen auf Zustimmung, auf Kommunikation statt Zwang, auf Anerkennung statt Furcht. Soft Power wirkt durch geteilte Werte – nicht durch Bedrohung.


5. Machtverfall im Zeichen autoritärer Politik

Der russische Staatsapparat etwa stützt sich zunehmend auf militärische Gewalt und Repression – klassische Hard Power. Doch gerade das zeigt: Die politische Macht ist dort bereits brüchig. Gewalt ersetzt dort Zustimmung, wo keine gemeinsame Vision mehr besteht.

Demgegenüber steht die internationale Solidarität mit der Ukraine. Sie basiert auf gemeinsamen Werten – Demokratie, Freiheit, Selbstbestimmung. Hier wirkt Soft Power – nicht durch Drohung, sondern durch moralische Autorität. Auch die EU, oft belächelt wegen angeblicher „Schwäche“, übt global Einfluss aus – durch Rechtsstaatlichkeit, wirtschaftliche Partnerschaft und kulturelle Offenheit.


6. Trumps Politik: Hard Power ohne Macht

Donald Trumps Präsidentschaft bietet ein anschauliches Beispiel für Arendts Unterscheidung von Macht und Gewalt. Seine Politik setzt auf Zölle, Drohungen, nationale Abschottung, Eskalation – klassische Hard Power. Internationale Abkommen werden gebrochen, multilaterale Institutionen delegitimiert, politische Gegner diffamiert.

Doch gerade diese Strategie zeigt den Machtverlust: Statt auf Zustimmung setzte Trump auf Angst. Soft Power-Instrumente wie Glaubwürdigkeit, Zusammenarbeit oder kulturelle Attraktivität wurden beschädigt. Das Vertrauen in die USA sinkt drastisch – nicht nur bei Verbündeten, sondern auch in der amerikanischen Bevölkerung selbst.

Trumps Politik zielte auf Konfrontation, nicht auf Verständigung. Damit zerstörte sie jenen öffentlichen Raum, in dem Macht entstehen könnte. In Arendts Begriffen ist das keine Demonstration von Macht, sondern deren Erosion.


7. Der autoritäre Kulturkampf

Die neue Rechte, ob in den USA, Europa oder Israel, betreibt einen globalen Kulturkampf mit dem Ziel, eine autoritäre kulturelle Hegemonie zu errichten. Dabei greifen sie auf ein altbekanntes Arsenal des Faschismus zurück: Irrationalismus, Wissenschaftsfeindlichkeit, Anti-Intellektualismus, Feindbilder, Verschwörungstheorien, Machismo und Zerstörung der Institutionen..

Diese Strategie zielt nicht auf Macht im arendtschen Sinne – sondern auf ihre Zerstörung. Sie ersetzt Dialog durch Polarisierung, Wahrheit durch Meinung, Vertrauen durch Angst. Damit wird Soft Power systematisch geschwächt. Die Folge: Institutionen verlieren Legitimität, politische Bündnisse zerfallen.

Wenn selbst die NATO dem Führungsanspruch der USA nicht mehr vertraut, bricht eine Ordnung zusammen, die jahrzehntelang auf freiwilliger Kooperation beruhte. Das erschüttert die regelbasierte Ordnung auch in Europa, ist aber auch eine Chance für die EU, wenn es ihr gelingt, ein neues gemeinsames Verteidigungsbündnis zu schaffen und weltweit über Kooperationsprogramme eine eigene Soft Power aufzubauen.


8. Macht ist ein Versprechen

Soft Power ist das eine, reale Macht und funktionierende Netzwerke sind das andere. So wird Hannah Arendts Machtbegriff zu einer Einladung, Politik neu zu denken: als gemeinschaftliches Handeln, nicht als Herrschaft. „Macht ist nie Eigentum eines Einzelnen; sie gehört einer Gruppe und bleibt nur solange existent, wie die Gruppe zusammenhält.“

Wer heute politische Macht wirklich verstehen – und neu gewinnen – will, muss dort ansetzen, wo Arendt sie verortet: in der lebendigen Teilnahme aller an der öffentlichen Welt. In einer Demokratie ist Macht kein Mittel zur Kontrolle, sondern Ausdruck von Freiheit. Diese beginnt dort, wo Menschen sich zusammentun, um gemeinsam zu handeln.


9. Nie wieder ist jetzt und morgen.

Um gemeinsam reden und handeln zu können, braucht es öffentliche Räume. Öffentliche Räume zu schaffen, das ist die Aufgabe einer anti-faschistischen Politik heute als Prävention, aber auch morgen, falls es wieder einmal schief gehen sollte.

Mehr dazu in meinem Buch Ulrich Gierse: Vorbild Hannah Arendt. Aktive Politik gegen den Hass