„Nach den Tatsachen« ist »vor dem Faschismus“.

„Nach den Tatsachen« ist »vor dem Faschismus“.

30. März 2025 2 Von Bruno Heidlberger

Die US-Regierung ist dabei, das kulturelle Erbe Amerikas auszulöschen. Im Zentrum stehen die Universitäten als Gedächtnis der Nation. J. D. Vance: »Wir müssen die Universitäten dieses Landes ehrlich und aggressiv angreifen. Die Professoren sind der Feind.« Schon während des Wahlkampfes propagierte Trump, die Universitäten würden dominiert von »Marxisten, Geisteskranken, Irren«.

Die Trump-Regierung hat Taten folgen lassen. Während Trump die freie Presse zum Verstummen brachte, erschüttert er die Freiheit der Wissenschaft in ihren Grundfesten. Trump zielt auf eine 180 Grad-Wende in der Wissenschaft. Die Forschung zu Klima, Diversität und Gleichberechtigung werden zur Disposition gestellt. Ganze Datenbanken, in denen diese und ähnliche Begriffe vorkommen, sollen gelöscht werden. Egal ob Klimainformationen Katastrophenschutz, für Landwirte oder Daten über den Schutzstatus von Wäldern. 

Hochschulen, die sich nicht die Verordnungen halten, müssen enorme Kürzungen fürchten. Förderprogramm zur Unterstützung von Initiativen für Vielfalt, Gleichberechtigung und Teilgabe zur Förderung sozialer Gerechtigkeit werden beendet. 

Wer in seiner Studie Begriffe verwendet wie „Gemeinschaft“, „kulturelles Erbe“, „Gerechtigkeit“, „Hassrede“, „Privilegien“, „Geschlecht“, „Diskriminierung“ oder „politisch“ wird Prüfungen unterzogen. 

Nicht nur in Forschungsanträgen, sondern auch in Behörden sollen hunderte von Wörtern, wie Sex, Rassismus, Gender, Klima, Gleichberechtigung, Gerechtigkeit, Inklusion oder Diversität, eingeschränkt oder vermieden werden. Vermeintliche Kulturkämpfer der freien Rede, wie J. D. Vance, verwandeln sich in Zensoren.

Sollten Forscher bestimmte Themen künftig meiden, keine Daten mehr erheben, wird keine Forschung mehr finanziert, dann ist die Wissenschaft und damit die Wahrheit in Gefahr. Wissenschaft beruht auf Daten, die sicherstellen, dass Forschung die Realität möglichst genau widerspiegelt.

„Sind Universitäten und Experten erst einmal delegitimiert, steht es den Politikern frei, eine von ihren individuellen Willen geprägte Realität zu schaffen“, bemerkt Jason Stanley in seinem Buch „Wie Faschismus funktioniert“. 

Nach dem Feldzug der US-Regierung gegen missliebige Forschung und den Angriffen auf die Wissenschaftsfreiheit will US-Präsident Donald Trump nun auch die amerikanische Geschichte in seinem Sinne revidieren. Ein weiterer Schritt in einen autoritären Staat der Unfreiheit und Gleichschaltung. 

Trump hat jetzt seinen Vize J.D. Vance damit beauftragt, vor allem in Museen auf Darstellungen im Sinne der neuen Regierung hinzuarbeiten. Im vergangenen Jahrzehnt habe es „konzertierte und weit verbreitete Versuche gegeben, die Geschichte unseres Landes umzuschreiben und Fakten durch ein verzerrtes Narrativ zu ersetzen, das eher von Ideologie als von Wahrheit bestimmt ist“, schrieb Trump in einem Dekret mit dem Namen „Wiederherstellung von Wahrheit und Vernunft in der amerikanischen Geschichte“. 

„Das unvergleichliche Erbe unserer Nation, das Freiheit, Rechte des Einzelnen und das Glück der Menschen vorantreibt, wurde als rassistisch, sexistisch, unterdrückerisch oder anderweitig unrettbar mit Makeln behaftet dargestellt“, heißt es in dem Dekret.[1]

Wie alle Diktatoren beruft sich Trump auf Wahrheit und Vernunft, um Kritiker an den gesellschaftlichen Verhältnissen mundtot zu machen. So unterstellt Putin, dass die ukrainische Regierung jahrelang Menschen misshandelt und ermordet hätte, um seine imperialen Verschwörungsmythen mit dem Satz zu beenden: »Die wahre Stärke liegt in der Gerechtigkeit und Wahrheit, die auf der Seite Russlands« stünden.

Vernunft und Wahrheit werden für den Zweck des Machterhalts instrumentalisiert. Die tatsächliche Vergangenheit und Gegenwart Amerikas wird nun von Trump zu einer von links liberalen Eliten und Wissenschaftlern erfundenen Erzählung umgedeutet, die dazu diene, die Menschen der wahren »Nation« zu schikanieren.

So wurden in den USA nach dem Sezessionskrieg Denkmäler für die Konföderierten errichtet, die eine mythologisierte Sicht auf die heldenhaften Südstaaten präsentieren und die Schrecken der Sklaverei ignorieren. Trump bezeichnete den Versuch, diese Darstellung mit der Sklaverei zu verknüpfen, als Herabwürdigung weißer Amerikaner, die ihr „Erbe“ feiern.

Faschistische Politik nutzt selektiv die Geschichte und leugnet alles, was die unkritische Bewunderung für die Nation beeinträchtigen könnte. 

»Konsequentes Lügen« ist, wie Hannah Arendt formuliert, »bodenlos und stürzt Menschen ins Bodenlose, ohne je imstande zu sein, einen anderen Boden, auf dem Menschen stehen könnten, zu errichten«. Dann gehe die gemeinsame Welt in Stücke. 

Trump wollte nach seiner verlorenen Wahl Tatsachen durch manipulierte Mehrheitsmeinungen ersetzen. Nachdem dies scheiterte, versuchte er es mit einem Putsch. Er war bereit, Tote in Kauf zu nehmen. Trump ahnte bereits im Januar 2016, dass der gesellschaftliche Konsens zerbrochen war, als er großspurig herausposaunte, er könne auf der 5th Avenue in New York stehen und jemanden erschießen, ohne auch nur eine Wählerin oder einen Wähler zu verlieren. 

Die Politik der Stärke, die weder die Perspektive des Gegenübers noch Tatsachen in Betracht zieht, wie die Zerstörung von Maßstäben für Wahrheit und das Ersetzen von Tatsachen durch alternative facts, sind ein Kennzeichen totalitärer Propaganda.

Fakten und Ereignisse sind nach Arendt viel gefährdeter, für immer aus der Welt zu verschwinden als das, was der menschliche Geist entdeckt oder erinnert, beispielsweise Axiome, wissenschaftliche Entdeckungen und philosophische Theorien. Man brauche nur daran zu denken, so Arendt, »dass ein Mann namens Trotzkij bei der Russischen Revolution eine gewisse Rolle gespielt hat, die in keinem sowjetischen Lehrbuch erwähnt wird, um gewahr zu werden, daß keine Vernunftwahrheit es mit der Tatsachenwahrheit an Gefährdung aufnehmen« könne. Sind sie erst einmal verloren, so wird keine Anstrengung des Verstandes oder der Vernunft sie wieder zurückbringen können.“ 

Wenn die Freiheit der Wissenschaft, wenn Kritik und die Pluralität des Denkens autoritär verordneter Wahrheit weichen muss, wenn nur gefühlte Wahrheiten oder die Geldbörse und Macht statt Tatsachen zählen, dann gibt es keine Grundlage mehr, von der man Herrschaft kritisieren kann. »Nach den Tatsachen« ist »vor dem Faschismus«.


[1] Vgl. FAZ https://www.faz.net/1.9444916