
Demokratie braucht Opposition
Strategien gegen die Zerstörer
Die Mehrheit im deutschen Bundestag haben der demokratischen Mitte am Ende die Alten, die Akademiker und die Kirchenmitglieder gesichert. Ist die Demokratie also ein Auslaufmodell?
Jeder fünfte Wähler hat erstmalig nach 1933 bei einer Bundestagswahl Faschisten gewählt. Und in den neuen Bundesländern war die AfD fast überall mit weit über einem Drittel der Stimmen stärkste Partei. Wie im letzten Text beschrieben ist aber auch die Lage im Westen kritisch. In der alten Bundesrepublik kam die AfD aber auch auf 18 Prozent, vor allem in Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Bei den Arbeitern und Arbeitslosen holte die AfD um die 35 Prozent, und bei den Nicht-Akademikern ist sie ebenso stärkste Partei wie bei den Konfessionslosen, bei den Jungwähler liegt sie nach den Linken an zweiter Stelle. Die AfD-Wähler sind also keine isolierte Randerscheinung, sondern umfassen alle Generationen und sozialen Schichten.
Nun beginnt wieder die Debatte, was sollte die Politik tun, um diese Entwicklung zu stoppen. Rechts wie links werden die politischen Lieblingsmodule rausgeholt, die eine Wende einleiten sollen, von Migration bis Mieten.
Insbesondere bei den Vertretern der liberal-konservativen Parteien CDU, CSU und FDP setzt sich zunehmend der Gedanke fest, die Wähler der AfD könnte man zurückgewinnen, indem man die AfD normalisiert und als politischen Faktor integriert.
Die Brandmauer wackelt.
Inhaltliche Anpassung ist jedoch keine Lösung, denn den Wählern faschistischer Lösungen geht es gar nicht um konkrete Inhalte wie einer Begrenzung von Migration, sondern es geht ihnen um radikale Lösungen wie „Ausländer raus!“, neudeutsch Remigration genannt.
Freunde der Ostalgie, auch in den Grünen, vermuten gar eine besondere Sensibilität der Menschen in den neuen Bundesländern. Ja, das stimmt, die Neigung zu Ressentiments ist größer. Wir müssen einfach mal der Wahrheit ins Auge schauen, dieses Fünftel wählt ganz bewusst eine rechtsextreme Partei, die das politische System revolutionär zerschlagen will.
Diese Wähler haben nicht die Erwartung, dass irgendjemand der Mitte-Parteien ihre Lage in der bestehenden parlamentarischen Demokratie verbessern könnte, sondern sie wollen die politischen Eliten insgesamt zerstören. Und wie schnell das geht, konnte man in Ungarn sehen und kann man heute stündlich in den USA live mitverfolgen. Widerstand dagegen gibt es kaum, denn die Schnelligkeit und Ruchlosigkeit führt zu einer Blockade, einer Schreckstarre. Deshalb ist es so wichtig, sich die Bedrohungslage frühzeitig klar zu machen.
Denn auch die links-liberalen Teile der politischen Öffentlichkeit, insbesondere in den Medien, glauben immer noch, dass man über Aufklärung, Kritik, moralische Statements oder eine bessere Sozial- und Mietenpolitik AfD-Wähler einfangen könnte. Doch auch sie irren, denn Kritik wirkt nur, wenn die Kriterien der Kritik geteilt werden. Wenn zum Beispiel die Kosten der Energieversorgung als Kriterium anerkannt werden, dann ist es Unsinn, neue Atomkraftwerke bauen zu wollen. Wenn AKWs für eine anti-grüne Ideologie stehen, dann zählt das Kostenargument nicht, genauso wenig wie Kriminalstatistiken in Bezug auf Gewaltverbrechen durch Zugewanderte zur Kenntnis genommen werden.
Und moralische Aussagen kommen nur bei denen an, die diese moralischen Aussagen teilen. Wenn jemand nur den eigenen Vorteil im Auge hat, dann ist die Unterstützung der Ukraine ein Verlustgeschäft und der Verzicht auf billiges russisches Gas eine falsche Entscheidung. Wenn die moralische Aussage, dass Töten prinzipiell verboten ist, als Grundlage für eine moralische Begründung des Pazifismus angesehen wird, dann ist die Folgerung, „lieber braun als tot“ moralisch zwingend. Wenn man allerdings ein Leben in Unfreiheit schlimmer findet als den Tod, dann ist das ein anderer Pazifismus-Begriff, Einstein würde sagen der vernünftige.
Aufklärendes Argumentieren will die Komplexität der Wirklichkeit abzubilden. Dieses Sprechen stößt aber bei Menschen mit schlichterem, konkretistischem Weltbild auf Ablehnung und wird als Rechthaberei einer sich als überlegen fühlenden Elite angesehen. Auch deshalb wurde der „Aufklärer“ Habeck zur Hassfigur der Springermedien, die sich als Stimme der schlichten Leute verstehen. Wir haben es bei der zunehmenden ideologischen Verfestigung, ob rechts- oder linksextrem, ob islamistisch oder antisemitisch, mit Problemen zu tun, die rational nicht mehr lösbar sind.
Leute wie Tilo Jung oder in den Linken vermuten, dass eine bessere Mietenpolitik, höhere Löhne, letztlich eine Umverteilung von oben nach unten den Frust der AfD-Wähler besänftigen könnte. Doch da gibt es ein empirisches Gegenbeispiel: Hamburg. Hier bei uns gibt es ein massiven Wohnungsmangel und dementsprechend hohe Mieten. Trotzdem ist die AfD unter 10% geblieben. Während es im Osten Wohnungsleerstand und niedrige Mieten gibt, aber gleichzeitig eine große Zustimmung für die AfD. Ähnliches gilt für das Thema Migration. Dort wo die wenigsten Einwanderer und Flüchtende sind, ist die Angst davor am höchsten.
Die richtige Frage lautet: Warum wollen Menschen nicht mehr frei sein und warum sehnen sie sich nach autoritären Führern (männlich!)? Meine Hypothese, es liegt an der Produktion von Ressentments.
Bei der Beantwortung dieser Fragen hilft vielleicht ein Rückblick in die Anfänge der Moderne. Das politische System der parlamentarischen Republik und der liberalen Demokratien gibt es erst seit ungefähr 250 Jahren (Amerikanische Revolution 1760-1789) und in Deutschland hat es sich erst in den letzten 50 Jahren etabliert.
Republikanisch heißt, es gibt keine autokratische Herrschaft, sondern eine der freien Bürgerinnen und Bürger, die sich in demokratischen Wahlen ihre zeitlich befristeten Abgeordneten wählen. Insofern zählen auch die konstitutionellen Monarchien Europas zu diesen demokratischen Systemen. Von heute aus gesehen wurden in diesem immer noch nicht abgeschlossenen Prozess immer mehr gesellschaftliche Gruppen politisch und rechtlich frei, neudeutsch inkludiert.
Parallel zum politischen Wandel lief die Revolution der Wirtschaftsweise. Ausgehend von England im 18. Jahrhundert eroberte der Kapitalismus die Welt. Heute gibt es außer in Nordkorea nur noch kapitalistische Länder, die allerdings von unterschiedlichen politischen Systemen begleitet sind. Die Gleichung, Kapitalismus gleich liberale Demokratie, wie sie nach dem Zusammenbruch der Herrschaft der Sowjetunion über Osteuropa prognostiziert wurde, ging nicht auf.
Noch nicht genügend erforscht ist der moralische Wandel, den das neue Wirtschaftssystem mit sich brachte. Man warf auch als Produkt der neuen Wettbewerbswirtschaft alle moralischen Werte des christlichen Mittelalters über Bord und vollzog einen Paradigmenwechsel um 180 Grad. Bis dahin galten noch die sieben Todsünden:
- Hochmut (Superbia) – Übersteigerter Stolz und Arroganz
- Neid (Invidia) – Missgunst gegenüber anderen
- Zorn (Ira) – Unkontrollierte Wut und Aggressivität
- Trägheit (Acedia) – Faulheit oder geistige Gleichgültigkeit
- Habgier (Avaritia) – Maßlose Gier nach Besitz und Reichtum
- Völlerei (Gula) – Übermäßiger Konsum, insbesondere Essen und Trinken
- Wollust (Luxuria) – Ausschweifende Lust und sexuelle Begierde
Nun könnte man meinen, das sei Schnee von gestern, dem ist aber nicht so. Sondern Hochmut und Habgier ergänzen sich heute gut mit Egozentrismus, dem übermäßigem Fokus auf das eigene Ich, ohne dass man Rücksicht auf andere sollte. Neid, Zorn und Missgunst bilden Elemente des Hasses, der Verbreitung von Feindseligkeit, Diskriminierung und Hetze. Völlerei und Wollust sind die Elemente, die Marx schon die „abstrakte Gewinnsucht“ der Kapitalisten genannt hat. das sind die, die den Hals nicht vollkriegen können.
Ist es bei den Superreichen das Geld, das maßlos gescheffelt wird, ist es beim armen Rest ein maßloser Konsum von Waren des täglichen Bedarfs, der sich zu einem Konsumzwang bis zum Überkonsum auswächst.
Diese Konsumsucht wiederholt sich beim Konsum von digitalen Informationen, dem unkontrollierten Social-Media-Konsum. Diese digitale Sucht wird angefeuert durch die Algorithmen der Polarisierung, von Hochmut, Neid und Zorn. Die digitalen Plattformen bauen ihren Profit auf der Wirksamkeit der alten Todsünden, die nun der neue heiße Scheiß sind.
Trägheit, könnte man meinen, wurde dem neuen Homo Oeconomicus ausgetrieben, aber nicht die damit verbundene geistige Trägheit, die Verantwortungslosigkeit, das fehlendes Pflichtbewusstsein gegenüber Gesellschaft, Natur und kommenden Generationen. Die neue Trägheit ist die Ignoranz, das bewusste Ablehnen von Wissen, Wissenschaft oder Fakten. Das ist eine Bequemlichkeit, die sich in der Gleichgültigkeit gegenüber wichtigen sozialen und ökologischen Problemen zeigt oder ganz abwandert in einen digitalen Eskapismus. Das ist alles schlimm genug, aber noch nicht die Begründung für extremistisches Wahlverhalten.
Da lohnt ein Blick auf neue Affekte, die Folge der neu errungenen Freiheiten nach erfolgreicher (revolutionärer) Abschaffung der Fürstenherrschaft waren. Neu war die individuelle Freiheit für die ehemaligen Leibeigenen und alle Untertanen der Fürstenherrschaft. Freiheit war eine Grundvoraussetzung[1] für die neue Wettbewerbswirtschaft, den Kapitalismus. Das gilt übrigens auch heute, ob in Russland oder in China. Die neue Wettbewerbsfreiheit gebar einen kleinen Bastard, der als neuer Player gesellschaftlicher Auseinandersetzung unterhalb der Systemfrage aufs Spielfeld trat: das Ressentiment.
Ressentiment bezeichnet ein tiefsitzendes, oft unterbewusstes Gefühl von Feindseligkeit, Neid oder Groll gegenüber anderen, das aus einem Gefühl der eigenen Unterlegenheit oder Benachteiligung entsteht. Der Begriff stammt aus dem Französischen („ressentir“ = nachfühlen, nachtragen) und wurde besonders von Friedrich Nietzsche und Max Scheler philosophisch geprägt. Ressentiment entsteht oft, wenn Menschen sich ungerecht behandelt fühlen, aber keinen direkten Weg sehen, ihre Situation zu verbessern. Es kann zu Vorurteilen, Hass oder ideologischen Verzerrungen führen.
Das Ressentiment hatte zwar viel Ähnlichkeit mit den alten Todsünden, ist aber ein neues modernes, soziales Verhältnis. Es ist eine affektive Re-Aktion auf die Grundfrage, wer ist schuld daran, dass ich mich schlecht fühle?
Im Mittelalter war die Frage nicht zulässig, da alles in Gottes Hand lag. Und wenn, wurde der Schuldige religiös ermittelt. In Frage kamen religiöse Gruppen wie die Juden oder Frauen und Männer, die mit dem Teufel im Bunde waren: Hexer und Hexer.
In der Moderne gab es aber verbunden mit der doppelten Freisetzung eine neue Vergleichbarkeit und die Vorstellung wie im amerikanischen Traum, dass jeder seines Glückes Schmied sein könnte.
Die Gleichheitsansprüche, rechtlich wie politisch – kollidieren mit realen Ungleichheiten, die auch nicht innerhalb von modernen kapitalistischen Systemen abgeschafft werden können, sondern Produkt wie auch Produktivkraft dieser Ökonomie des Wettbewerbs sind.
Das sich bedroht fühlende Subjekt erfährt dann eine Erschütterung seiner Selbstsicht, wenn es sich in seinem Status gekränkt fühlt. Da hilft das Ressentiment, das den Effekt produziert, die eigene affektive Balance durch ein unbedingtes „Nein“ zu einem „Außerhalb“, zu einem „Anders“, zu einem „Nicht-Selbst“ wiederherstellen zu können. Andere werden abgewertet, um sich selbst aufzuwerten.
Aus dieser Ablehnung, Negation, von zum Beispiel Fremden, wird eine Selbstbejahung, eine Selbstaffirmation. Diese Aktivität der affektiven Ablehnung im Ressentiment hat zudem den Vorteil, dass sie letztlich passiv bleiben kann. Es ist eine Kultivierung der Ohnmacht, die darin besteht das man individuell sich nicht in der Lage sieht, die eigene Lage aktiv zu verändern. Dieser Mangel, unfähig zur direkten Konfrontation zu sein, führt stattdessen zu unterschwelliger Feindseligkeit und dem Wunsch an andere (Staat, höhere Mächte), die Schuldigen zu bestrafen. Das ist der Wunsch nach autoritärer Herrschaft, die durchgreift. Um aber Durchgreifen zu können, müssen Rechtstaat und Menschenrechte außer Kraft gesetzt werden. Die Freiheit jeden Einzelnen vor einem übermächtigen Staat ist somit ein Hindernis, welches wegmuss. Demokratie wird zur Durchsetzung eines herbeiphantasierten Volkswillens umgedeutet. „Wir sind das Volk!“
Dieser Wunsch nach Bestrafung setzt aber konkrete Schuldige voraus. Die Welt wird in Gewinner und Verlierer eingeteilt und man wünscht sich auf der Seite der Profiteure zu stehen. Nicht Leistung oder Fähigkeit ist da der Maßstab, sondern die richtige Hautfarbe, die richtige Staatsangehörigkeit oder das richtige Geschlecht zu haben.
Diese ressentimentalen Grundeinstellungen (Groll und Missgunst auf andere ) bestätigen auch die empirischen Untersuchungen, die als Quelle für die Wahl der AfD eine gesellschaftliche Isoliertheit (Einsamkeit), Sorgen um ihren Wohlstand und ein verlorenes Vertrauen in den Sicherheit bietenden Staatsapparat feststellen. Alte Sicherheiten geraten durch leichte Veränderungen von Parametern aus dem Gleichgewicht – durch Preissteigerungen für Alltagsprodukte oder Energie, durch Zumutungen, dass sich die Lebensweise ändern muss und nicht zuletzt durch marode Infrastrukturen und das Gefühl mangelnder Sicherheit – wodurch auch immer.
Oft ist es eine Projektion auf eine angeblich unkontrollierte Migration, an der die Kritik andockt. Dabei geht es nicht um konkrete Einwanderer, sondern immer um das Gefühl, dass diese Fremden einen selbst benachteiligen könnten oder dass es einen Zusammenhang von genereller Kriminalität und Fluchtmigration gäbe. Das stimmt zwar statistisch nicht, aber in der Aufmerksamkeitsökonomie der Medienberichterstattung ist das anders.
Deshalb ist es aber auch nicht so, dass Zuwanderung, die nicht in den Arbeitsmarkt erfolgt nicht auch lokal zu einer tatsächlichen und erlebten Belastung und Überforderung zum Beispiel beim Mangel an Wohnraum oder der Überforderung in Kitas und Schulen führt.
Empirische Untersuchungen zeigen, dass Menschen, die offensichtlich einen Statusverlust befürchten, sich radikalisieren. Sie entwickeln Ressentiments zum einen gegen diejenigen, die sie schon immer als nicht gleichwertig angesehen haben, denen sie sich aber in ihrer Selbstbeschreibung ähnlicher werden: Bürgergeldempfänger oder Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Schuld geben sie den akademischen Eliten und deren Protegieren von Minderheiten. Das ist der sogenannte Grünen-Hass.
Der Aufstieg des Rechtspopulismus ist offensichtlich nicht mit einfachen Lösungen zu beenden. Was kann man dagegen politisch tun?
Aktuell ist von allen Parteien der demokratischen Mitte zu hören, wie wichtig, die Konsensbildung der Mitte- Parteien ist und wie positiv die gemeinsamen Grundgesetzänderungen sich auf die Stabilisierung der Mitte auswirken.
Das stimmt zwar situativ für die Beschlussinhalte, aber nicht für die Form der Gemeinsamkeit. Diese Gemeinsamkeit sollte einmalig bleiben, denn sie bestätigt nur den Popanz, dass die politischen Eliten, sich das Volk untertan machen wollen. Sie ist daher kontraproduktiv. All das wirkt wie ein Konjunkturprogramm für die AfD und scheint deren Vorwurf zu bestätigen, die „etablierten“ Parteien unterschieden sich nicht voneinander. In dieser Konstellation gelingt es der AfD, wie die einzige Opposition auszusehen. Ob sich die Linken zurechtrütteln und mehr sind als Reichinnek- Stakkato, wird man sehen. Insbesondere den Grünen kommt daher die Rolle zu, Opposition in der demokratischen Mitte zu sein. Denn es ist die Opposition, die in einer Demokratie die Regierung dazu zwingt, gute Gründe für die eigenen Positionen nennen zu können. Die politischen Angebote müssen wieder unterscheidbar werden. Die Regierung sollte sich darauf konzentrieren, Deutschland sicher zu machen und eine funktionierende Infrastruktur wiederherzustellen. Die Voraussichten sind mit den Billionen Schulden gut, jetzt kommt es darauf an, zu liefern. Dieses Geld darf nicht in einem korrupten Klientelsystem versickern, das nützt nur der AfD.
Genauso wenig braucht man das libertäre Gerede von Disruption, sondern beim Bürokratieabbau geht es um spürbare Vereinfachungen im Bürokratiegestrüpp, sowie steuerliche Vereinfachungen für Unternehmen wie Beschäftigte und vor allem für mehr Chancen für sozial Schwächere im Bildungssystem. Aber so ungern ich das sage, wenn man in einer kapitalistischen Welt lebt, dann geht es immer auch um Wachstum. Also um Investitionen in die Forschung, Investionsförderung und nicht zuletzt um die Stärkung der europäischen Integration. Und eine neue Kultur des sich Streitens, um neue öffentliche Räume und eine positive Sicht auf die Zukunft. Robert Habeck nannte das die Zuversicht.
Die Gemeinsamkeiten der Demokraten dürfen nicht so aussehen, dass die demokratischen Parteien der Mitte wie ein ununterscheidbarer Block aussehen. Es braucht Akteure, die nicht Konsens vorspielen, sondern den Interessenausgleich, die Differenz von Standpunkten, die demokratische Kompromissfähigkeit und den Einsatz für die wirklich Schwachen mit Leben füllen. Es braucht daher neben einer tatkräftigen Regierung eine gute Opposition – und lebendige Parteien, die ihren Auftrag zur politischen Meinungsbildung beizutragen, ernst nehmen.
Das Bohren dicker Bretter, darum geht es. Hoffentlich kann das der Impulspolitiker Merz. Wenn nicht, dann wird aus dem Fünftel ein Viertel oder sogar ein Drittel. Und aus dem Zehntel der Linken wird ein weiteres Fünftel und das ist dann schon mehr als die Sperrminorität.
[1] Karl Marx spricht von der „doppelten Freisetzung“ und bedeutet, dass die Arbeiter auf zwei Arten „freigesetzt“ werden: Die Arbeiter verlieren den direkten Zugang zu Produktionsmitteln (z. B. Land, Werkzeuge, Rohstoffe), die sie früher in vorkapitalistischen Gesellschaften besessen haben. Dies geschieht etwa durch die Enteignung von Bauern oder das Ende von Zunftstrukturen. Sie sind also nicht mehr in der Lage, selbstständig zu produzieren und müssen ihre Arbeitskraft verkaufen, um zu überleben. Gleichzeitig sind sie „frei“ in dem Sinne, dass sie nicht persönlich an einen Feudalherren gebunden sind (wie Leibeigene oder Sklaven). Sie sind rechtlich frei, ihre Arbeitskraft auf dem Markt anzubieten – allerdings gezwungen, dies zu tun, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Diese doppelte Freisetzung beschreibt also die strukturelle Voraussetzung für die kapitalistische Produktionsweise: Die Arbeiter sind frei von Produktionsmitteln, aber frei für die Ausbeutung durch das Kapital.