
Der Nationalismus ist zurück
Erste Kurzanalyse
Der 1.September 2024 ist eine Zeitenwende für Deutschland und Europa. In den Bundesländern Thüringen und Sachsen hat die das nationalistische Narrativ eindeutig die Mehrheit. Die AfD ist eine faschistisch völkisch-nationalistische Partei, das BSW eine links-nationalistische Gruppierung und man tritt der CDU in Sachsen und Thüringen nicht zu nahe, wenn man deren Rhetorik als nationalistischen Populismus bezeichnet, deswegen ist eine Verbindung von CDU und BSW auch unproblematisch.
In Zahlen: In Thüringen kommt dieses nationalistische Spektrum auf eine 2/3- Mehrheit, für die Regierungsbildung gegen die AFD braucht es aber die Linke, die in der Ukraine-Politik keine Probleme mit den BSW-Positionen hat, aber in der Migrationspolitik.
In Sachsen kommt das nationalistische Spektrum ebenfalls auf eine 2/3 – Mehrheit. Hier muss sich die SPD entscheiden, ob sie auf den nationalistischen Mainstream einschwenkt.
Die SPD ist allerdings in Sachsen wie in Thüringen zu einer Partei geworden, die an der 5%-Hürde kratzt. Das ist für eine Kanzler-Partei im Bund ein Menetekel, das einen SPD-Erfolg wie 2021 bei den nächsten Bundestagswahlen eher unwahrscheinlich macht. Die FDP ist im Osten weg. Und die Grünen sind auf das Milieu der neuen Mittelklasse in den Großstädten mit Universitäten zurückgeschrumpft. Die Landbevölkerung und die bürgerlichen Milieus genauso wie die Arbeiter werden nicht mehr angesprochen. Damit erledigt sich auch die Kanzlerkandidatur Robert Habecks. Zurück in die 90er möchte man sagen. Die Linke hat nur dann noch eine Chance, wenn sie auf den sozial-demokratischen Kurs von Bodo Ramelow einschwenkt. Das wird allerdings mit Jan van Aken nicht passieren.
Kurz zusammengefasst, die Lage ist beschissen! Nicht weil es zu diesem Desaster gekommen ist, sondern weil die demokratische Mitte leer und konzeptlos dasteht. Es ist nicht zu erkennen, dass CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne ein zukunftsfähiges Angebot entwickeln können, welche auf die Ursachen des Wiedererstarken des deutschen Nationalismus eine attraktive Antwort geben könnte.
Wir sind aber noch nicht am 1.9.1939 angekommen. Noch ist der Nationalismus binnenorientiert und nicht expansiv ausgerichtet und noch ist die Verflechtung in eine globalisierte Weltwirtschaft stark genug alle Autarkiebestrebungen abzublocken.
Allerdings ist es jetzt höchste Zeit einer wesentliche Ursache für den neuen Glauben an autoritäre Herrschaft zu begegnen. Wie in meinem Buch „Vorbild Hannah Arendt. Aktive Politik gegen den Hass“ begründet, braucht es neue soziale Strukturen durch aktive Beteiligung aller BürgerInnen vor Ort an den demokratischen Entscheidungsprozessen. Das wird inzwischen auch von der Soziologie geteilt wie das neue Buch von Steffen Mau zeigt. Die demokratischen Parteien der Mitte müssen dazu allerdings von ihrem Machtanspruch auch kommunale Entscheidungen rein parlamentarisch zu entscheiden, Abstand nehmen.
Insbesondere aber ist jetzt der Zeitpunkt erreicht, ernsthaft einzugestehen, dass wir ein Problem haben, das durch Sprechbasen oder Anpassung an rechte Narrative nicht gelöst werden kann.
Moin Uli, du unverbesserlicher Optimist. Nach den EU-Wahlen sah ich nicht nur die FDP außerhalb der Ossi-Parlamente. Nun hat es es die Grünen auch einmal erwischt, aber mit Ansage. Der Trend, und das ging aus den EU-Wahlen schon hervor, macht vor den alten Bundesländern und dem Bund nicht halt. In Bayern lagen Hubsi Aiwanger und AFD zusammen auch bei 30 %. Die Kampagnen von Union, weiter rechts und der rechten Presse machen an den Grenzen Ostdeutschlands nicht halt. Du nimmst Hannah Arendt berechtigterweise in den Diskurs: Es fehlt an zivilgesellschaftlicher Power gegen rechts. Und es fehlt der Mut, die seit einem Jahrzehnt bestehenden Probleme nicht nur zu benennen, sonder auch an der Lösung zu arbeiten. Das bezieht die GroKo mit ein. Heute hat Faesers Staatssekretär (Mahmut Özdemir/SPD) seinen Kragen platzen lassen. Lt. Focus rechnet er mit diesem Zustand ab: Migration, Bürgergeld und Wirtschaftslenkung sind zentrale Kriterien seiner Kritik. Er beschreibt die Differenz offizieller Statements und dem Gefühl der Bürger. Tucholsky sagt mal dazu ungefähr: Die Bürger verstehen falsch und fühlen richtig. Die Distanz des Bürger-Gefühls zu den politischen Aktivitäten ist annähernd unverändert. Was sollte da wohl gewählt werden, wenn die einzige Veränderungspartei (Grüne) Teil der impotenten Regierung ist? Die Grünen haben die Zivilgesellschaft während der Ampelphase (bald kommt rot; kleines Wortspiel) verloren. Entweder sie können sich gegen die Fossile Partei Deutschlands (FDP) nicht durchsetzen, auch weil die Scholz-SPD das nicht will, oder sie verschließt die Augen vor den Problemen offener Grenzen ohne eigene Lösungsvorschläge. Das Beharren auf Positionen, was alles nicht geht, wird die Grünen in dieser Frage existenziell treffen. Thüringen kann als Anfang oder Warnschuss verstanden werden. Bin gespannt.
Thema Arendt: Es hat sich an den deutschen Uni eine kleine Gruppe Wissenschaftler auf den Weg gemacht, die aktuellen Strukturen nicht nur deutscher Politikprobleme zu analysieren. Es ist die Gruppe um Michael Zürn, Nicole Deitelhoff etc. Die Gruppe ist eher international unterwegs und sieht ein Manko in der Aufwertung von nicht legitimierten Institutionen: Nicht die gewählten Vertreter machen die Politik, sondern Organisationen – formell und informell – wie die EZB für Geldpolitik (z.B. Nullzinspolitik und Aufkäufe von Anleihen), Mediziner und Biologen für Gesundheitspolitik (z.B. Corona), Banken beraten bei Finanzkrisen etc. Die Komplexität der Probleme verlangt nach Experten, aber die Kommunikation und Rückkopplung ist schlecht oder fällt aus. Nicht einmal der Bundestag wird konsultiert wie bei Öffnung der Grenzen 2015 oder der Bankenrettung nach 2008. Anonyme und nicht legitimierte Experten beraten die Regierungen. In der Finanzkrise erhielt der Vermögensverwalter Blackrock das Mandant der US- und Eu-Administrationen. Politik kann nicht weiter entfernt von den Betroffenen sein. Solange nichts anbrennt, wird nicht außergewöhnlich votiert, aber in Zeiten der Multikrise sind fehlende Kommunikation und nicht legitimierte Entscheidungen Zündstoff. Das wirklich Neue in Deutschland ist die Paralyse der Linken, die sonst eher mindestens Mit-Nutznießer politischer Krisen waren. Und da kommen wieder die Grünen ins Spiel. Die Grünen sind das, was Michael Zürn als Zurückdrängen der Zivilgesellschaft beschreibt. Sie verschreiben sich den Institutionen von Experten, EU-Bürokratie und Rechts(Wissenschaft) und erzählen der Öffentlichkeit vor allem, was nicht geht. In dieses Vakuum stößt gerade BSW. Mit Links-Rechts-Positionen wird der Populismus, also was mag der Bürger, den normativen Leitplanken vorgezogen. Nicht etwa, dass Lösungen vorgestellt würden. Allein das „Anti“ zu Ampel und AFD reicht aus, um aus dem Stand zweistellige Zustimmung zu generieren. Aktuell erkenne ich keine aktive linke Partei …
P.S.: In den beiden Bundesländern Sachsen und Thüringen ist „Rechtsextremismus“ kein abschreckender Begriff. Viele jugendliche meist männliche Wähler stehen dazu. Das ist mindestens so erschreckend wie das Wahlergebnis selbst.
Ich hatte sogar – ok mit niedrigem Einsatz – ne Wette angeboten, dass die CDU in beiden Ländern deutlich stärkste Kraft wird und Koalitionen mit SPD u Grünen möglich sind. Wg 100% Wahlbeteiligung oder so. Ausgeträumt. Die bürgerliche Mitte hat keine Kraft mehr.