Donald Trump ist der nächste US-Präsident:            Die Provokation hat gesiegt

Donald Trump ist der nächste US-Präsident: Die Provokation hat gesiegt

7. November 2024 0 Von Thomas Ertl

Für die Demokraten ist die Niederlage deutlich und heftig. 3 Prozentpunkte liegen sie hinter den Republikanern. Die US-Bürger haben sich sehenden Auges für einen Politiker entschieden, der deutlich antidemokratische Tendenzen aufweist. Trump spricht sich offen gegen die Macht der Gerichte und auch der Zentralbank FED aus. Er ist Vorbild und Nachahmer anderer Autokraten wie Orban und Erdogan.

Die Wahlthemen und Kampagne der Demokraten zogen nicht und das Schreckensszenario nähert sich realer Umsetzung. Der Verlust von Mehrheiten im Kongress macht es den Trumpisten leichter als der Biden-Administration, denn die „Vetokratie“ gehört mit dem umfassenden Sieg der Republikaner für mindestens 2 Jahre der Vergangenheit an.  Die folgenden Grafiken stammen aus der Washington Post vom 6.11.2024. Das Faktenmaterial lässt sich zusammenfassen:

Den Trump-Wählern ging es vorrangig um das Wohlstandsniveau, daraus ableitend um Migration und auch um Außenpolitik (nicht in Kriege verwickeln). Den Harris-Wählern lagen Demokratie und das Recht auf Abtreibung auf der Seele. Die roten Balken der ersten Abbildung zeigen ein Übergewicht der republikanischen Themen. Und es gilt die These nach der Bemerkung von Bill Clinton zu seiner damaligen Wahlkampagne: It’s the economy, stupid. Diese Banalität prägte auch diesen Wahlkampf, dessen Implikationen zum Ende dieses Textes mit den Thesen von Fukuyamas „The End of History and the last Man“ konfrontiert werden. Nach Fukuyama kaufen sich Milliardäre Anerkennung und Macht, denn Reichtum bestehend aus Privatjets und Wolkenkratzern befriedigt ihr Ego nicht. Schon diese Feststellung lässt auf eine Geringschätzung der Protagonisten gegenüber einer „liberalen Demokratie“ schließen. In den USA ist ein Wahlkampf ohne massiven finanziellen Einsatz kaum wirksam.

Der Wohlstand der US-Bürger

Die gestiegene Inflation während der letzten Amtsperiode und der Verlust von Jobs wurden der Regierung angelastet, die trotz des Erfolgs des IRA (Inflation Reduction Act) kein alternatives Narrativ zu bieten hatte. Es war neben der Migration das Kernthema der Trumpisten.

Die Migration wurde wie schon zu den letzten beiden Wahlen zum Wahlkampfschlager der Trump-Kampagne. Wie gut Trump damit punkten konnte, zeigt das Wahlverhalten der männlichen Latinos. Diese Gruppe der ehemals Eingewanderten stellt sich recht massiv gegen weitere zumindest „illegale“ Zuwanderung. Waren es in 2020 nur 36 %, so ist dieser Wert von 54 % pro Trump (siehe nächste Abbildung) ernüchternd. Das sagt viel über den Menschen „an sich“ aus. Das protektionistische Verhalten ist auch in Westeuropa in Mode gekommen; der Osten der EU fällt quasi aus, weil der Anteil von Zugewanderten mit Ausnahme der Ukrainer marginal ist. Natürlich mischt sich in das Migrationsthema auch die Frage nach Kriminalität und Sicherheit, aber der ökonomische Aspekt wiegt schwer. Das Kriterium von Menschenrechten und würdevollem Leben tritt in den Hintergrund, insbesondere wenn die eigene Lebenssituation als bedroht wahrgenommen wird. Es sind für die meisten US-Amerikaner und auch vielen Europäern „Schönwetter“-Themen analog zur Klimadebatte.

Auch die „demokratische“ Zustimmung bei den männlichen Schwarzen hat gegenüber 2020 nachgelassen. Die Unzufriedenheit mit der Biden-Ära wog mehr als die diskriminierenden Äußerungen Donald Trumps. Für den weiblichen Teil gilt das nicht. Die Zustimmung zur Trump’schen Abschottungspolitik ist wohl die deutlichste Abgrenzung zur etwas moderateren Migrationspolitik der Demokraten. Das ist aktuell in der EU ähnlich: Der Rechtspopulismus nährt sich aus der kategorischen Ablehnung jedweder Migration. Wie in Europa spitzt sich das Problem von Rekord-Einwanderungen zu. Siehe folgende Abbildung zur Stimmung in den USA. Trump-Fans hängen das Thema ganz hoch.

Auffällig ist auch das Wahlverhalten respektive finanzieller Haushaltsverhältnisse.
Wenn auch nicht deutlich, so ist der Zuspruch für die Demokraten bei den Besserverdienenden größer. Noch klarer wird das Bild bei der Befragung zur Einschätzung der Volkswirtschaft. Die Demokraten sind hochprozentig unter den Zufriedenen. Das Bild sieht unter den Trump-Wählern ganz anders aus. Auch hier liegt eine Korrelation von Vermögenslage und Wahlverhalten auf der Hand. Die ehemaligen „demokratischen“ Hochburgen im Rust Belt mutierten bereits 2016 zu Swing-States und sind jetzt mit wenigen Hundert Stimmen an  Trump verloren gegangen. Die erodierte Arbeiterschaft hat das Vertrauen in die Demokraten, die mit Wall Street, Hollywood, New Yorks Medien-Eliten und Silicon Valley assoziiert werden, verloren.

Die Themen sind unterkomplex wie Trumps Wahlkampf

Die einfachen Feindbilder der „bösen“ Eliten, der „illegalen“ Migranten, der LGBTQ-Bewegung ließen sich eingängiger vermitteln als die Notwendigkeit transatlantischer Solidarität. „Make America great again“ (MAGA) zündete mal wieder mehr als wortreiche Erklärungen zu neuen internationalen Konstellationen und notwendigem Klimaschutz. Lügen, Provokationen und Drohungen waren populärer als eloquente Narrative zu Menschen- und Völkerrechten. Das ist eine bekannte Masche der Menschenfänger. Es ist demnach auch nicht verwunderlich, dass Wähler ohne College-Abschluss eher Trump als Harris wählten. Noch deutlicher ist die Befragung nach konservativ, moderat und liberal. Und auch die „republikanische“ Konzentration im ländlichen, kleinstädtischen Raum ist alles andere als überraschend. Die Lage ist nicht grundsätzlich anders als in den beiden Wahlen davor, aber die zunehmende Hinwendung zu einem immer mehr provokanten Trump lässt nur den Schluss zu, dass die US-amerikanische Gesellschaft nicht nur gespalten ist, sondern auch zunehmend abstumpft. Das Kaprizieren auf ökonomische Lebensumstände ist sowohl rational als auch kurzsichtig, denn die sozioökonomische Differenzierung wird langfristig auch zur ökonomischen Belastung durch Kriminalität und Kosten für Sicherheitsleistungen des Staates.

Fukuyama und das Phänomen „Trump“

Letzte Woche erschien im „Spiegel“[1] ein lesenswerter Artikel zu Trump und einer Erklärung durch den US-Politologen Francis Fukuyama. Es ging um den Umgang mit der „liberalen Demokratie“. Fukuyama hatte 1992 (einen Aufsatz gab es schon 1989 vor dem Mauerfall) ein Buch mit dem Titel „Das Ende der Geschichte“ herausgebracht. Fukuyama meinte damit den Sieg der liberalen Demokratie und der ebenso freien Marktwirtschaft über Autokratien und Planwirtschaft. Fukuyama hat den Irrtum inzwischen eingestanden. Die Sowjetunion brach zusammen und der Westen rieb sich die Hände ob der neuen Märkte. Die Dollarzeichen wurden in den Augen der westlichen Konzernlenker konturenscharf. Wir sind inzwischen leider geläutert, denn erstens ist die Russische Föderation inzwischen mindestens so aggressiv wie einst die Sowjetunion und zweitens konnte sich China unter ignoranter Hilfe des Westens zu einer Supermacht entwickeln. Das hatte und hat auch Auswirkungen auf die USA. Die De-Industrialisierung des Rust Belts durch den Weggang von Automobil- und Stahlindustrie hat die Gesellschaft schwer getroffen, also den ärmeren Teil davon. Aus der „tollen“ liberalen Demokratie ist ein extrem gespaltenes Land geworden, dass sich den Herausforderungen durch China, den EU-Ländern und Japan stellen muss. Die erzeugte Unzufriedenheit in den oben beschriebenen Regionen der USA konnte sehr einfach in eine Protestbewegung gegen die profitierenden Eliten transformiert werden. Trump und die Republikaner, allesamt Befürworter fossiler Energien, tun nun alles dafür, die Verhältnisse zugunsten der USA (America First) zu verändern. Demokratie und Menschenrechte sind dabei völlig irrelevant, solange die Gesellschaft – oder ein relevanter Teil derselben – mitzieht. Das erleben wir seit über 10 Jahren in besonders radikaler Form. Es ähnelt sehr den rechten Parteien wie der AFD in Deutschland. Die „liberale Demokratie“ ist weltweit auf dem Rückzug und China beweist, dass eine Ökonomie auch unter autokratischen Strukturen prosperieren kann. Diesen Beweis blieb die Sowjetunion/Russland stets schuldig. Außer Ressourcen hat diese Gesellschaft nichts zu bieten und dummerweise ist es aber das, was der Produktionsweltmeister China am meisten benötigt. Mit den BRICS hat sich ein größeres autoritäres Umfeld gebildet, so dass Fukuyamas These nur noch Makulatur ist. Allein der (kantianische) Glaube an die Vernunft wird auf Sicht nicht ausreichen. Das Rennen ist komplett offen: Gut oder Böse, Trump oder …?

Biden und auch Harris waren/sind moderater, aber nicht wirklich an einer gleichberechtigten Völkerverständigung interessiert. „America First“ steht auch als Überschrift in ihren Programmen. Die USA sind bei aller Wertschätzung nicht das Land, das für Frieden und Freiheit steht. Auch der Eintritt in den zweiten Weltkrieg bedurfte einer Attacke der Japaner (Pearl Habor) und dem Verlust an Einflusssphären im pazifischen Raum (Philippinen). Es war kein altruistischer Akt und auch jetzt zeigt sich, dass die Unterstützung der Ukraine zwar ein wohl weitsichtiges Anliegen von Biden und auch Harris ist, aber die US-amerikanische Gesellschaft mehrheitlich nicht erreicht. Die Republikaner haben die Unterstützung mindestens gebremst. Begründung: Europa muss das Problem selbst lösen. Und damit ist auch ein wesentliches europäisches Problem beschrieben. Europa ist militärisch schwach und möglicherweise auch ökonomisch, wenn die USA unter Trump noch protektionistischer vorgehen sollte. Die USA verlieren das Interesse an Europa, weil die Kosten-Nutzen-Rechnung nicht mehr aufgeht: It’s the economy, stupid.

Und dann wären wir wieder bei Fukuyama, der in seinem Buch in der Originalfassung „The End of History and the Last Man“ einen Gedanken von Friedrich Nietzsche aufgreift: Der wiederum bediente sich der Figur „Zarathustra“ in der Beschreibung des „letzten Menschen“. Diese Spezies bilde die größte Gefahr für eine Gesellschaft. Der „letzte Mensch“ würde es sich in seinem erschaffenen Komfort einrichten und zu einer rundgeschliffenen, antriebslosen Kreatur mutieren, die nur das zu bewahren gedenkt, was schon da ist. Also Menschen, die mit Banalitäten ruhig zu stellen sind. Soweit so gut, denn „satte“ Gesellschaften beginnen meist erst an zu murren, wenn das Wohlstandsniveau sinkt. Die Banalität liegt in der Reaktion, die der Polit-Kabarettist Urban Priol damit beschrieb, dass der „Boomer-Deutsche“ auf drohende Einbußen mit „und was ist mit Urlaub“ reagiert. Die banale Reaktion sehen wir nun in den USA. Es wird nicht hinterfragt, was die Krise ausgelöst hat (klar: China hat schuld). Vielmehr müssen die aktuellen Verwalter mit den neu-modischen Ideen einer neuen energetischen Agenda weg. Und natürlich muss die Migration gestoppt werden: Remigration durch Deportation. Diese Anwandlungen sind nicht auf die USA beschränkt, nur der offen provokatorische Angriff auf komplexe Alternativen ist speziell. Pöbeln gegen „Grün“, „Migranten“ und diskriminierte Minderheiten ersetzt politische Programme und Reflexion. Trump wurde gewählt von über 50 % US-Amerikanern, die tlw. um die Lügen des künftigen Staatschefs wissen und es als nichtig abtun.  Den Rest kennen wir von AFD, BSW bis hin zur Union. Donald Trump und der „letzte Mensch“ sind symbiotisch. Und die deutsche Gesellschaft ist davon nicht so weit entfernt wie wir vielleicht vermuten. Die Opferbereitschaft zur Unterstützung der Ukraine bröckelt zusehends; auch weil die Kommunikation der politischen Führung zu wünschen übrig lässt. Die Fake-News russischer Troll-Armeen und ihrer Umsetzer in der deutschen Politik leisten dazu einen enormen Beitrag. Allein dieser Polit-Blog wird ständig von russischen und chinesischen Trolls über die Bitcoin-Plattform „Binance“ attackiert, besonders wenn der Begriff „Putin“ enthalten ist. (Siehe Screenshot)

Troll-Attacken

Fukuyama und die Studenten

Fukuyamas Fazit ist aber so unsinnig wie seine einstige Prophezeiung des Sieges der „liberalen Demokratie“. Diese war auf dem Vormarsch, aber ökonomische Interessen (USA und der Westen) und Machtdrang (Putin und seine Oligarchen) haben diese Entwicklung zunichte gemacht. Mit Trump wird die frische Saat eines völkerrechtlichen und klimapolitischen Fortschritts wieder zertreten. Der „letzte Mensch“ kümmert sich wieder um seine Pfründe.

Fukuyama kommt nun zur steilen These, dass der moderne „letzte Mensch“ anders als bei Nietzsche eine Erscheinung von wohlstandsschaffender Technik und Langeweile ist, was er an den Protesten der Studierenden an den Universitäten festmacht. Die würden aus der Position von Privilegien und Langeweile protestieren: Erst Sushi essen und dann mit Palästinensertüchern gegen Israel demonstrieren. Der renommierte Politologe verklärt seinen Blick auf zivilgesellschaftliche Handlungen und hätte bei Hannah Arendt besser fündig werden können. Hannah Arendt hat politisches Handeln als gewinnende Freiheit definiert. Hätten die Studierenden nur Sushi essen sollen? Oder sich ein Beispiel an der MAGA-Bewegung nehmen sollen, in der Pöbeleien und Diffamierungen politisches Handeln ersetzen.  Bei Israel mögen sich die Geister noch scheiden, die internationale Jugendbewegung zum Klimaschutz wird von Nicht-Klima-Leugnern regelmäßig als positiv bewertet. Nur konservative Vertreter und Fossilanbeter wie Kabarettist Dieter Nuhr oder Politiker wie Söder, Merz, Lindner, Aiwanger etc. kamen bei Fridays For Future aus dem Busch, um Häme über dieses Engagement zu schütten. Wie tief muss man sinken, um jugendliches Engagement zu diskreditieren? Was wären die USA und Europa ohne die 68er- und FlowerPower-Bewegung? Die Frauen müssten die Männer immer noch um Erlaubnis fragen, um arbeiten zu dürfen; Homosexuelle müssten sich immer noch verstecken etc. Wir wären kulturell immer noch im Nazi-Sumpf und die Rechtspopulisten wollen uns genau dahin wieder zurückführen.

Wer ist der „letzte Mensch“? Und dachten wir nicht auch, dass wir das Phänomen Trump bereits hinter uns gelassen hätten? Fukuyama hält es nun auch für möglich, dass die Geschichte doch nicht glücklich verläuft. Er macht es u. a. an den Potentaten und deren Atomraketen fest. Das kann passieren und zeigt den Sinn politischer Aktivitäten, das zu vermeiden. Wo bitte fangen wir mit Aufklärung und politischem Diskurs an? Am besten dort, wo Bildung professionell vermittelt wird. Das ist ein dickes Brett und die Analyse ist komplexer Natur. Ein Blick auf fossile Industrie, Finanzkapital und politische Blöcke ist dabei unabdingbar. Dazu mein Buch vom Metropolis Verlag:

https://www.feininger.eu/buchvorstellung-multikrise-der-globalisierung/

Rezension zum Buch:

P.S. Zeitung (Schweiz), 20.9.2024, S. 4 (Hans Steiger)„Alles andere als abgehoben ist die Bestandsaufnahme von Thomas Ertl. Er geht ins Detail, führt vor, dass und wie ökonomische Interessen das Geschehen dominieren, uns immer neue Krisen bescheren. Auch wer nicht alle Exempel, Grafiken, Zahlen des (zu) dick geratenen Bandes studiert, bekommt die Kernaussagen mit. Zu den Quellen gehört etwa die 2011 kurz Aufsehen erregende ETH-Studie zur globalen Macht weniger, eng vernetzter multinationaler Konzerne. Nicht geschont wird die in den 1990er-Jahren mit den Grünen regierende, völlig vom Neoliberalismus infizierte deutsche Sozialdemokratie. Sie stoppte den Prozess der Privatisierung nicht, sondern trieb ihn weiter. Andernorts, zumal in China, hat es dazu den Neoliberalismus nicht gebraucht: «Autokratien benötigen keine Ideologien.» In den Krisen sind hier wie dort sozial Schwächere die Verlierer. Geopolitisch verlagerten sich Gewichte von West nach Osten und von Nord nach Süd – hin zu einer neuen Ordnung? Nicht nur die aktuellen Kriege lassen es unsicher erscheinen, dass sie damit politisch vernünftiger zu gestalten ist.


[1] Rene Pfister 2024, o.S.: „Trump ist auf Rache aus“. https://www.spiegel.de/geschichte/star-politologe-francis-fukuyama-zu-den-wahlen-in-den-usa-wo-bleibt-jetzt-das-ende-der-geschichte-a-881ebfed-8788-4ed3-a152-4c1b9329592e, 06.11.2024