Frieden schaffen in der Bundeswehr?

Frieden schaffen in der Bundeswehr?

16. April 2025 1 Von Uli Gierse

Der Text hat zwei Teile: Zum einen ein Essay über Pazifismus heute, zum anderen einen subjektiven historischen Abriss der Debatte um Krieg und Frieden. Den zweiten Text findet man hier: https://www.feininger.eu/kurzer-historischer-rueckblick-auf-den-pazifismus/

Soll man dieses Land mit der Waffe verteidigen?

    Die Frage ist berechtigt, aber sie ist falsch gestellt. Im 21. Jahrhundert sollte man den  Unterschied zwischen Territorium und politischem System verstehen. Man(n) kann sich selbst, seine Familie, seine Sippe, seine Stadt, sein Dorf schützen und auch verteidigen, das ist aber immer eine individuelle Aktion, welche unter Notwehr eingeordnet werden sollte. Wenn es um Staaten geht , dann geht es erst in zweiter Linie um das Land, das Territorium.

    Natürlich verteidigen die Ukrainer auch ihre staatlichen Grenzen, aber in erster Linie geht der Krieg von beiden Seiten um das politische System der Ukraine, welches Putin und seinen Oligarchen nicht passt. Sie fürchten die politische Freiheit und den ökonomische Erfolg im Rahmen der EU, denn das könnte ihrem Raubrittertum gefährlich werden.

    Man kann unterschiedlicher Meinung darüber sein, ob die Russische Föderation in absehbarer Zeit auch testet, ob die europäischen NATO-Staaten bereit sein würden, Teile Estlands oder Litauens militärisch zu verteidigen. Worüber es aber keine Debatten geben sollte, ist es, dass man sich sicher sein kann, dass eine militärische Auseinandersetzung mit Russland nicht passieren wird.

    Und schon, stellt sich wieder die Fragen, wäre man bereit dieses Land auch mit der Waffe zu verteidigen? Muss die Bundeswehr aufgerüstet wereden, um Russland abschrecken zu können? Superschluae Linke sagen dann gerne, Veretidigunbg sei nötig, aber dazu bräuchte man weder einen Wehrdienst, noch mehr Mittel für die Bundeswehr. Das unterstellt, dass alle NATO-Staaten bereit wären auch Deutschland zu verteidigen. Warum?  Frei nach Trump, was interessiert mich mein Geschwätz von gestern.

    Das Zusammenrechnen aller Verteidigungsetats ist also auch nur ein Pfeifen im Walde. Wer sich sicher sein will, muss sich selbst so stark machen, dass andere nicht auf die Idee kommen, einen anzugreifen.

    Aber was ist nun mit Wehrpflicht und Kriegsdienst?

    Eine immer schon kleine Zahl von religiös motivierten Pazifisten und Innen beantwortete die Frage nach einer eigenen Beteiligung am militärischen Ernstfall auf einer Metaebene prinzipiell moralisch und lehnt jeden Gebrauch von Waffen ab.  Pazifismus ist eine ethische Haltung, die Gewalt und Krieg grundsätzlich ablehnt und stattdessen für friedliche Konfliktlösungen eintritt. Eine Haltung ist eine moralische Werteentscheidung, die auch ohne Begründungen auskommen kann. Der christliche Pazifismus beruft sich meistens auf die Bergpredigt, wo es heißt: „Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen.“ oder „Wenn dich jemand auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin.“ Diese Verse wurden vor allem im frühen Christentum als direkte Aufforderung zur Gewaltlosigkeit verstanden. In der Katholischen Kirche wurde diese Position später durch das Paradigma des gerechten Krieges (Augustinus, Thomas von Aquin) ersetzt. Der heutige Papst Franziskus lehnt Krieg jedoch wieder in fast jeder Form ab: „Es gibt keinen gerechten Krieg – nur den Krieg gegen den Krieg.“ Wichtig ist an dieser Stelle erstmal festzuhalten, dass Pazifismus als Haltung, ob religiös oder ethisch begründet, ohne Zweifel eine ehrenwerte Grundposition jedes Einzelnen ist und auch in einem modernen Verfassungsstaat anerkannt und geschützt werden muss. Das ist auch so im Grundgesetz verankert, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung wurde 1949 im Grundgesetz garantiert (Art. 4 Abs. 3).

    Sobald eine Haltung jedoch politisch wird, gelten andere Standards. Politik steht immer in einem Spannungsfeld von unterschiedlichen Interessen und Grundhaltungen, die ihre Ideologie und Handlungsweise bestimmen. In einer Demokratie, in der die Volksvertreter nach Verhältniswahlrecht gewählt werden, braucht es zudem eine politische Grundhaltung, die nicht davon ausgeht, dass Probleme gemäß der reinen Lehre einer politischen Richtung gelöst werden können, sondern immer eine pragmatische Umgehungsweise, einen Kompromiss, brauchen. Das gilt auch für die Sicherheitspolitik nach innen wie nach außen. Die veränderte geopolitische Lage, zum einen durch die neoimperialistische Politik der Russischen Föderation, zum anderen durch die Entwicklungen in den USA, die die USA zunehmend als Systemgegner der europäischen Staaten in Stellung bringen, führt nun zu einer Diskussion um Wehrdienstverweigerung und Pazifismus.

    Wir – auch ich – wähnten uns nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums und der Entmachtung der KPdSU schon in einer postheroischen Phase, in der Heldentum keine Rolle mehr spielen würde. Diese Entwicklung hat auch viel mit der Entmachtung der patriarchalischen Denke in den westlichen Gesellschaften zu tun. Da reicht es sich James Bond oder Marvel-Helden im Kino anzusehen, im Alltag war das zunehmend unwichtig. Das wird aktuell vor allem von Rechtsaußen zurückgedreht.

    Und nun müssen wir postheroischen Nachkriegskinder – besser unsere KInder und Enkelkinder – die Frage neu beantworten, ist dieser Staat verteidigungswürdig?

    Völlig unklar erscheint den meisten, was Staat überhaupt bedeutet?

    Konsens ist vielleicht, dass Menschen einen Staat brauchen, um sich gegen innere und äußere Feinde zu schützen. In der demokratischen Variante beruht die Staatsidee auf dem Gedanken: wir sind der Staat, die Bürger verteidigen ihr Gemeinwesen selbst. In der autoritären Variante tut das ein Tyrann, Diktator oder König mit seinem Staatsapparat (Polizei und Militär). Real ist dieses Verständnis häufig überlagert von dem Gegensatz zwischen Staat und Bürgern wie er sich am Anfang der Neuzeit herausbildete. Immer noch geistert in den Köpfen ein Staatsverständnis aus der Gründungszeit des modernen Staates. In grauer Vorzeit strebten sich einzelne Fürstenfamilien des höheren Adels danach allein zu herrschen. Dazu brauchten sie einen Staat, genauer einen staatlichen Beamtenapparat, der unabhängig von konkurrienden Adelsfamilien die Geschäfte des Fürsten regelte. Der spätmittelalterliche Ständestaat, der seine Herrschaft auf verschiedene Instanzen verteilte, war letztlich ein Bündnis zwischen christlicher Kirche und adeligen Reichsständen, die weitgehende Autonomie hatten. Mit der Reformation und der auf sie folgenden Trennung der Reichsstände in protestantische und katholische wurde ein Konfliktpotenzial geschaffen, das sich dann im  30-Jährigen Krieg austobte. dabei stellte man fest, dass autoritäre Führung Vorteile in Kriegssituationen hatte. Die Folge war, aus diesem Religionskrieg wuchsen neue autokratische Herrschaftskonzepte.

    In autoritären Staatsidee wird die Herrschaft auf den Souverän konzentriert, dem die Untertanen Gehorsam leisten und der sie dafür befriedet und schützt. Beispielhaft und führend machte das der französische Hof: Ludwig XIV. herrschte „absolut“ und entmachtete den Adel.Diesem Modell eiferten dann alle Fürsten Europas nach. Soweit so Schnee von gestern.

    Aber dieses Staatsverständnis ist immer noch der Hintergrund für eine abstrakte Staatskritik, ob von links wie von rechts. In rechten und linken Narrativen ist immer noch von „dem“ Staat, der „dem“ Bürger entgegengesetzt wird, die Rede.

    Das gemalte Bild von der Entgegensetzung, der Staat auf der einen Seite und den Untertanen auf der anderen Seite, ist jedoch historisch überholt, um nicht zu sagen falsch. Die spätestens durch die Französische Revolution abgewählte Staatsidee der absoluten Herrschaft durch einen Souverän, dem die Untertanen Gehorsam leisten und der sie dafür befriedet und schützt, ist nicht mehr haltbar.

    Auch nicht in seiner linken Variante, in der der Staat zum Bestandteil des Grundwiderspruchs zwischen Kapital und Arbeiterklasse wird. Der „bürgerliche“ Staat sichere in dieser nicht völlig falschen Sicht die Profite des Kapitals ab und stehe damit aus der Sicht des Klassenkampfes auf der anderen Seite der Barrikade. Bis Ende der 80-er Jahre galt dann bei der sogenannten revisionistischen Linken (sprich nicht revolutionären…) der Staat als Agent des Monopolkapitals, das nannte man dann StaMoKap, staatsmonopolistischer Kapitalismus.

    Dieses Modell war nicht nur in der DDR oder für die DKP in Westdeutschland attraktiv, sondern wurde auch zum Beispiel von Jusos wie Olaf Scholz geteilt. Aber, das gehört auch zur Wahrheit, nach 1990 haben sich die meisten Linken peu à peu dem Staatsideal des demokratischen Verfassungsstaates angenähert. Da ist aber noch Luft nach oben, denn der Staat wird immer noch paternalistisch gedacht, er ist zwar nicht mehr allein der Unterdrücker der der armen Bevölkerung, sondern soll nun aus linker Sicht zum Heilsbringer von sozialen Vorhaben werden, deshalb wioll die Linke die Schuldenbremse auch ganz abschaffen.Vater Staat as is best.

    Bei jungen Linken mit dem Drang in Talkshows eingeladen zu werden (Beispiel Ole Nymoen), geht es zum auch immer noch um die abstrakte Ablehnung von „dem“ Staat, zum anderen argumentiert er rein subjektiv. Da ist dann die Rede von meinen Interessen, die mich zwingen auf keinen Fall meine Haut zu riskieren. Der Unterschied zum libertären Ulf Poschhardt ist marginal, beides sind nur Varianten desselben neoliberalem Geistes einer Gesellschaft von nutzenmaximierenden Individuen.

    Richtig frei und souverän über die Landesverteidigung ist die Bundesrepublik Deutschland erst nach der Wiedervereinigung mit dem Vier-plus-Zwei-Vertrag, wo die ehemaligen Alliierten auf ihre Besatzungsrechte verzichteten. Seitdem steht unsere Verfassung, das Grundgesetz, hoch im Kurs, das war nicht immer so.

    Die Bundesrepublik Deutschland war in ihrer Gründungsidee 1949 ein Staat, der wie seinerzeit die USA am Reißbrett konzipiert wurde und zwar unter Beachtung früherer Verfassungsprobleme der Weimarer Republik, die die Machtsicherung der Nazis mit ermöglicht hatten. Ihr Vorbild war aber trotzdem die Weimarer Republik, nicht das Kaiserreich oder der französische Absolutismus.

    Ihre Staatsidee ist die einer demokratischen Republik, in der der Souverän das Volk ist, das aus teilhabenden Bürgern und nicht aus Untertanen besteht. Man nannte diese neue Verfassung aber Grundgesetz, da man davon ausging, dass bei einer zukünftigen Wiedervereininbgung mit Ostdeutschland eine neue Verfassung her müsste. Das wäre auch angebracht gewesen und die Bürger und Innen des vereinten Deutschland hätten dann dieser neuen Verfassung ihre Legitimität in einer Volksabstimmung geben können. Das hätte die demokartische Staatsidee vielleicht klarer gemacht. Das ist vergossene Milch und lässt sich wahrscheinlich nicht wieder gutmachen. Auf europäischer Ebene wäre dazu jedoch die nächste Gelegenheit. Kein Staat ist im 21. Jahrhundert mehr autonom, sondern immer Teil einer globalen Ordnung von großen und kleinen Playern. Nur zusammen sind die europäischen Staaten auf internationaler Bühne politisch wie ökonomisch ernst zu nehmen.

    Die USA waren in Europa nach 1990 der sich selbst ernannte Hegemon, insbesondere über die NATO. Das fanden alle außer den Nostalgikern der Sowjetunion und andere Parteigängern einer kommunistischen Nostalgie super. Wer in dieser Friedensordnung aufgewachsen ist, sah sie als normal und selbstverständlich an. Toll aus europäischer Sicht war auch, dass sie wenig kostete, das nannte man dann europäische Friedensdividende. 

    Nun ist das Gejammer darüber groß, dass Trump sich in einer multilateralen Welt als Big Player USA bessere Geschäftsmöglichkeiten auch über Erpressung verspricht als als Primus unter Gleichen. Gleichzeitig verabschieden sich die USA als Soft-Power, wenn sie das Modell ihrer Gründung, den liberalen Rechtstaat, schreddern. Was auch immer dabei herauskommt, ob man es dann Tech-Faschismus oder Tech-Plutokratie oder ähnliches nennt, es ist der Abgesang auf die Melodie eines Westens als Alternative zu autoritären Systemen. 

    Die liberale Demokratie ist damit jedoch noch nicht tot, sondern immer noch die beste aller schlechten Herrschaftssysteme. Alle Bürger müssen daher das relativ Schlechtere und Bessere abwägen, anstatt es an Absolutheit, Idealvorstellungen und Utopien zu messen. 

    Die Gewissensfrage, ob ich diesen Staat auch mit der Waffe verteidigen möchte, beantwortet sich dann leicht, wenn einem politische Freiheit wichtiger ist als die bloße Konsumfreiheit, die gibt es in China auch.

    1983 zum Beispiel habe ich diesen Staat noch abgelehnt. In der Bezirksversammlung Eimsbüttel habe ich als es um die Entscheidung ging, Eimsbüttel zur atomwaffenfreien Zone zu erklären, gegen den NATO-Doppelbeschluss argumentiert, aber auch die SS-20 Raketen der Sowjets nicht völlig beiseite gelassen. Sie seien keine fliegenden Waschmaschinen, war meine vorsichtige Kritik an dieser Politik der Sowjetunion. Heute würde ich mich 100 % für diesen Staat entscheiden. Mit der Einschränkung – als 71-Jähriger. Wie ich mich heute als 18-Jähriger entscheiden würde, kann ich nicht wissen. Aber wenn sich Menschen lieber für ein Dasein als Untertanen entscheiden, dann ist das so. Es sollte jedoch ein transparenter Entscheidungsprozess sein. Und dazu muss man wissen, worüber man letztlich mitentscheidet. Lieber braun als tot, sagt sich leicht, ist aber eine Entscheidung nicht nur über individuelle Freiheit, sondern auch über eine Gesellschaft in Freiheit oder Unfreiheit, homogen oder vielfältig. Ich empfehle die Serie The Handmaid’s Tale als Entscheidungshilfe.