Gibt es für die Politik in der demokratischen Mitte im Zeitalter der Erderwärmung auch Kipppunkte?

Gibt es für die Politik in der demokratischen Mitte im Zeitalter der Erderwärmung auch Kipppunkte?

31. März 2025 7 Von Uli Gierse

Nach der Bundestagswahl ist vor dem nächsten Kipppunkt.

Nun kommt erst mal schwarz-rot. Wahrscheinlich vier Jahre Stillstand. Die AfD ist nun bei 20% und wenn sie nicht doch noch verboten werden sollte, dann ist sie 2029, wenn es die schwarz-rote Regierung nicht völlig verkackt, bei 30%. Und das alles, weil Robert Habeck und die Grünen gescheitert sind.

Robert Habeck hatte das Wagnis auf sich genommen, Mehrheiten für einen moderaten Wandel zu mobilisieren. Dieser neue Politikstil und einer Bündnispolitik, die Brücken bauen will und Kompromisse als normales Ziel von Politik begreift, ist jedoch krachend gescheitert. Ricarda Lang fordert dagegen, mehr zu kämpfen – die Leute wollen uns kämpfen sehen.

Doch gibt es wirklich eine Alternative zur Habeck-Politik? Die Reichinnek-Performance? Das gab es doch schon zwischen 1982 und 1998 bei den Grünen, ohne Erfolg, gut für 10%.  

Habeck hat erstmals den Versuch gemacht, die Komplexität der Wirklichkeit in der Politik nicht zu unterschlagen, sondern sie zu erklären. Er hat keine apokalyptischen Dystopien über den Klimawandel (wie ich unten) oder die Rechtsentwicklung an die Wand gemalt, sondern Zuversicht plakatiert nach dem Motto „Wir schaffen das.“, Deutschland hat so viel Potential. Doch dieser Versuch ist genauso gescheitert wie der von Angela Merkel, die 2015 in der „Flüchtlingskrise“ versucht hat, aus ihrer Totstellnummer herauszukommen. Das hat damals wie heute nicht funktioniert, im Gegenteil ist 2015 durch die Merkel`sche Hinwendung zu einer humanen Flüchtlingspolitik die damals so gut wie tote AfD reanimiert worden. Dasselbe hat dann Merz 2025 fertiggebracht, als er einen Antrag zur Zurückweisung an der Grenze mit Hilfe der AfD im Bundestag verabschieden wollte, er hat sogar auch noch die Linke mit reanimiert. Anpassung an Rechtspopulisten, zeigt jede Studie, führt nur zu deren Normalisierung und rassistische Narrative sind der beste Trigger für rechtspopulistische Politik. Die gesellschaftliche wie politische Mitte hat bei Polarisierungskampagnen immer schlechte Karten, denn den Wettbewerb um die radikalsten Forderungen können Parteien, die einen Konsens in der Mitte anstreben, nicht gewinnen. Doch woran ist Habeck gescheitert?

Offensichtlich sind zwei von drei Wählern und Innen nicht bereit, sich ernsthaft auf die Herausforderungen der Zukunft einzulassen und dazu bereit zu sein, eine Umstellung auf eine nicht fossile Zukunft mitzumachen. Doch eine Wählerbeschimpfung wäre zu billig, denn niemand, außer den Grünen und die nur sehr verzagt, hat über die realen Herausforderungen des Klimawandels gesprochen, nicht die Politiker der Union oder der SPD, noch die Medien. Im Gegenteil wurden die Grünen und Robert Habeck von Söder und der CSU zum Hauptfeind zum Hassobjekt gemacht.

In Deutschland gilt die heimliche Übereinkunft nicht über reale Probleme zu reden, denn das könnte den Wähler ja überfordern. Das gilt für die Herausforderungen der Sicherheitspolitik in Europa und die reale Verteidigung der liberalen Demokratie nach innen wie außen. Doch zurück zur Klimapolitik, denn sie ist eine Singularität in den zunehmend gehäuft auftretenden Krisen dieser Welt.

Mal angenommen, Russland beherrscht ganz Europa, die USA ganz Amerika plus Grönland und China Asien und Afrika. Das wäre übel, aber ließe sich auch wieder ändern. In der Politik ist immer (!) ein Neuanfang möglich, sie ist nie alternativlos.

Bei der Klimakrise ist es aber anders, denn da geht es nur als Folge um den Lebensraum der Menschen. Real wird in der Atmosphäre eine physische Barriere von CO² und anderen Treibhausgasen aufgeschüttet, die die Wärme der Sonne nicht mehr in den Weltraum verpuffen lässt, sondern in der Atmosphäre hält. Diese Käseglocke ist dann auch nicht kurzfristig auflösbar, sondern deren Abbau wird bei Null-Emissionen Jahrhunderte dauern.

Erste Folgen sind aber nicht erst in Jahrhunderten (Nach uns die Sintflut), sondern schon in den nächsten Jahrzehnten noch heftiger als heute zu spüren. „In einer zwei Grad wärmeren Welt werden in Südeuropa die meisten der heute existierenden Ökosysteme nicht mehr überleben.“[1] Umgangssprachlich: Tomaten, Gurken, Orangen aus Spanien gibt es dann nicht mehr. Und bei drei Grad?

Wer sich schon gut auskennt, kann den folgenden Abschnitt (kursiv), in dem ich die Folgen des Klimawandels skizziere, überspringen.

Was erwartet uns bei einem Temperaturanstieg von 3 Grad?[2]

Wenn der aktuelle Trend der Treibhausgasemissionen und der globalen Erwärmung anhält, könnte die Erde bis zum Ende dieses Jahrhunderts, also ungefähr um 2100, eine Erwärmung von etwa 3 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau erreichen. In Szenarien, in denen keine signifikanten Maßnahmen zur Emissionsminderung ergriffen werden, könnte die Erde sogar eine Erwärmung von 3 Grad oder mehr bereits in den 2060er Jahren erreichen.

Und wenn die Erderwärmung um 3 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau steigt, hat dies tiefgreifende und weitreichende Auswirkungen auf das globale Klima, die Ökosysteme und die menschliche Gesellschaft. Viele der derzeitigen Auswirkungen des Klimawandels würden sich verstärken, und es würden noch schwerwiegendere Folgen eintreten. Hier nur die wichtigsten: Hitzewellen würden intensiver und häufiger auftreten. Dürren und Wasserknappheit würden in vielen Regionen, insbesondere in Afrika, dem Nahen Osten und Südeuropa, zunehmen. Dies könnte zu Ernährungsunsicherheit, Wassermangel und Konflikten über Ressourcen führen. Stärkere Regenfälle und Überschwemmungen würden häufiger auftreten. Der Anstieg des Meeresspiegels würde durch das Schmelzen von Gletschern und das Abschmelzen von Eisschilden in Grönland und der Antarktis beschleunigt werden. Schätzungen gehen davon aus, dass der Meeresspiegel um bis zu 1 bis 2 Meter steigen könnte, was insbesondere Küstenstädte und tiefliegende Inselstaaten gefährden würde. Millionen von Menschen, die in Küstennähe leben, wären von Überschwemmungen und Landverlust betroffen. (siehe unten Kipppunkte) Das Artensterben würde zu einem massiven Verlust der biologischen Vielfalt führen. Viele Arten, insbesondere im Korallenriffbereich, in tropischen Regenwäldern und in kalten Regionen, würden ihre Lebensräume verlieren. Es käme zu stark veränderten Ökosystemen. Wälder, Süßwasserressourcen und andere natürliche Systeme würden sich verändern oder kollabieren. In tropischen Regionen könnten die Regenwälder zurückgehen, während die Arktis und Gebirgssysteme dramatisch verändern würden. Es käme zu vielen Ernteausfällen. Hitze und Wasserstress könnten die Produktion von wichtigen Nutzpflanzen wie Weizen, Mais und Reis beeinträchtigen, was zu einem Rückgang der Nahrungsmittelproduktion und einer Erhöhung der Nahrungsmittelpreise führen könnte. Die Anbaugebiete müssten sich verändern. Einige Regionen könnten für bestimmte Nutzpflanzen unbrauchbar werden, während sich andere Regionen möglicherweise zu neuen landwirtschaftlichen Anbauflächen entwickeln. Diese Verschiebungen könnten zu globalen Ungleichgewichten in der Nahrungsmittelversorgung führen. Ein Temperaturanstieg von 3 Grad könnte die Verbreitung von Krankheiten begünstigen, die durch Insekten wie Mücken übertragen werden, etwa Malaria, Dengue-Fieber und Zika. Diese Krankheiten könnten sich in Regionen ausbreiten, die bisher weniger betroffen waren. Es käme zu einer erhöhten Sterblichkeit. Der allgemeine Gesundheitszustand könnte durch mehr Hitzewellen, Luftverschmutzung und Wassermangel beeinträchtigt werden. Besonders gefährdet sind ältere Menschen, Kinder und arme Bevölkerungsgruppen. Mehr Migration und größere soziale Konflikte: Eine erhöhte Zahl von Naturkatastrophen, wie Überschwemmungen und Dürren, könnte Millionen von Menschen zur Migration zwingen, was zu einer „Klimaflucht“ führen könnte. Dies könnte in einigen Regionen zu Konflikten über Ressourcen und politische Spannungen führen. Die Auswirkungen des Klimawandels könnten zu enormen wirtschaftlichen Verlusten führen. Infrastruktur, Immobilien und Produktionsstätten in Küstenregionen und gefährdeten Gebieten könnten zerstört werden. Landwirtschaftliche Erträge würden in vielen Regionen zurückgehen, was zu Einkommensverlusten führen könnte, und die Kosten für Gesundheitsversorgung und Notfallmaßnahmen würden drastisch steigen. Das alles würde zu einer Verschärfung der sozialen Ungleichheit führen. Der Klimawandel würde arme Länder und vulnerablere Bevölkerungsgruppen stärker treffen, da diese weniger Ressourcen haben, um sich an die Veränderungen anzupassen. Die Verknappung von Wasser und Nahrungsmitteln würde die bestehende soziale Ungleichheit weiter verschärfen und könnte zu zunehmenden Konflikten führen.

Dazu kommen die Kipppunkte im Klimawandel, das sind kritische Schwellenwerte bei deren Überschreiten unumkehrbare oder sich selbst verstärkende Veränderungen eintreten. Diese Prozesse können das globale Klima drastisch verändern. Das Schmelzen des Grönländischen Eisschilds  würde den Meeresspiegel um bis zu 7 Meter ansteigen lassen und zu einer Veränderung der ozeanischer Strömungen führen wie dem Golfstrom. Das wiederum hätte für Nordeuropa kältere Winter und heißere Sommer im Süden zur Folge und noch stärkere Hurrikane an der US-Ostküste. Das Tauen des Permafrosts würde große Mengen Methan (starkes Treibhausgas) zur Folge haben und zu einer Verstärkung der globalen Erwärmung führen. Das Absterben des Amazonas-Regenwaldes wäre der Verlust eines wichtigen CO₂-Speichers und ein unersetzbarer Verlust von Biodiversität. Das Korallensterben durch Ozeanversauerung und Erwärmung würde den Zusammenbruch vieler Meeresökosysteme und damit den Verlust von Nahrungsquellen für Millionen Menschen bedeuten. Dazu kämen unabsehbare Folgen durch das Schmelzen des Eises der Antarktis.

2084 – 100 Jahre nach Orwell

In den nächsten 10 bis 20 Jahren werden wir es genauer wissen, ob wir die Klimaziele reißen werden und wenn, was passiert dann?

Dann ist eine liberale Demokratie unvorstellbar und wir könnten uns eine links-, grüne-, liberale Politik in den selbigen stecken. Dann kommt entweder eine faschistische Diktatur, die Europa zu einer mittelalterlichen Festung (Mauer) mit High-Tech-Waffen ausbaut (mit oder ohne Russland) und jede Migration zu verhindern sucht. Alle potentialen Unterstützer deportiert oder Schlimmeres. Wirtschaftliche Folgen wäre ein Europa, welches auf den europäischen Wirtschaftsraum allein angewiesen ist. Globale Auseinandersetzungen zur Eroberung von noch bewohnbaren Flächen nicht ausgeschlossen. Die Alternative wäre eine Ökodiktatur, die nicht viel besser wäre, aber zusätzlich noch auf null-fossilen Brennstoffen beharren würde. In einer Ökodiktatur könnte man auch auf die Idee kommen, dass die Anzahl der Verursacher, der Menschen, reduziert werden müssen, will man überleben.

Es ist daher alternativlos, nicht den Klimawandel in den Mittelpunkt der Politik zu rücken und zwar auch seine dystopischen Aspekte. Denn das Zeitfenster ist so eng, dass es nur eine geringe Chance gibt, nicht in einer Dystopie zu landen. Aber eine dystopische und polarisierende Politik ist das Gegenteil einer parlamentarischen Demokratie. Wir würden uns daher den Ast, auf dem wir sitzen, selbst absägen. Deshalb gibt es zu Team-Habeck keine Alternative im Stil, im Inhalt schon, denn in der Opposition ist es nicht zwingend, den Kompromiss schon vorweg zu denken und nur Konsensfähiges zu formulieren. Also ein bisschen Dröge und Hofreiter im Team-Habeck wäre gut. Jedenfalls in den nächsten vier Jahren, danach steht Politik auf der Kippe wie das Klima auch.


[1] https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/wissen/austrocknung-bodenfeuchte-wasser-boeden-kontinente-erde-e271236/?reduced=true

[2] Mit Hilfe von Chat/GPT