
Nur wer in Bewegung bleibt, geht nicht unter.
Es gibt für die Deutung des Erfolgs Donald Trumps bei den US-Wahlen zwei Elemente, die offensichtlich eine Rolle spielten: die USA sind mehrheitlich rassistisch und misogyn. Kamala Harris keine Chance, weil ihre Mitte-Links-Analyse davon ausging, dass Schwarze Schwarze wählen würden, Latinos eine unterdrückte Minderheit wären, die auf keinen Fall einen Vertreter der Vorstellung von „White Supremacy“ wählen würden und konservative Frauen sich im Zweifel gegen Sexismus und Abtreibungsverbot für Selbstbestimmung entscheiden würden. Haben sie aber nicht in ausreichendem Maße!
Offensichtlich bestand der Irrtum darin, zu glauben, dass die schweigende Mehrheit die Werte der akademischen Minderheit teilen würde. Wir müssen also zunächst einmal innehalten und begreifen, dass wir neu denken müssen.
Die Identitätspolitik, die in der Adressierung von Teilaspekten (Gender, Klasse, Hautfarbe, Alter oder Herkunft) eine Berechenbarkeit des Wahlverhaltens vermutete, liegt falsch. Diese Rechnung geht nicht auf. Man gewinnt offensichtlich keinen einzigen Arbeiter, wenn man zwar den Mindestlohn erhöht, aber den gesellschaftlichen Status nicht verbessert. Das hat zumindest die SPD noch nicht kapiert.
Man gewinnt vielleicht durch das Selbstbestimmungsrecht für Trans-Menschen eine Handvoll Betroffene, macht sich aber offen für eine rechte Propaganda. Das muss man zumindest wissen. Da gilt die alte Politikregel: Was verlieren wir, wenn wir gewinnen?
Eine humanitäre Flüchtlingspolitik beruht auf einer moralischen Entscheidung von Mitbürgern hier, die davon keine materiellen Vorteile haben, sondern „nur“ einen moralischen Gewinn. Das muss man wissen.
Das politische System der Moderne, die repräsentative Demokratie, beruht auf der Unterstellung, dass alle Bürger an positiver Veränderung, auch Fortschritt genannt, interessiert sind. Unterschiede in Form und Geschwindigkeit werden im Idealfall dann von den politischen Parteien zur Wahl gestellt. Die Parteien repräsentierten dabei anfangs Interessen von gesellschaftlichen Klassen, so dass das Wahlverhalten in der Regel feststand. Dieses Schma wurde in Deutschland dreimal schon durchbrochen. Vor 1933 fegte der Nationalsozialismus sowohl die Arbeiterparteien wie auch die bürgerlichen Parteien hinweg. In der Nachkriegszeit bis 1979 verursachte auch der ökonomische Umbruch hin zur Globalisierung einen Umbau des Parteiensystems. Quer zum alten Links-Rechts-Schema entwickelten sich die Grünen, die sich zwar links verorteten, aber in ihrer Zusammensetzung eine bürgerliche, akademische Partei waren. Und ab der Finanzkrise 2008 entwickelte sich kontinuierlich eine nationalistische Rechtspartei, die sich, beflügelt von Wahlerfolgen, zunehmend radikalisierte. In 2024 ist dazu noch ein neues Politikangebot dazu gekommen, was die M;arktlücke nationalistisch- links füllen will, die BSW.
Hauptfeind für die demokartische Mitte bleibt jedoch die AfD. Diese gibt jeglicher Form von Ressentiment eine Bühne. Und so ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass die Menschen, die sich in der herrschenden Politik nicht angesprochen fühlen, sich fast lustvoll an der Zerschlagung der politischen Elite, faktisch aber der politischen Ordnung selbst, beteiligen. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, Leute mit schlechter Schulbildung haben etwas dagegen, dass ihnen Akademiker vorschreiben wollen, wie sie zu leben haben.
Und, da selbst die Deklassierten in einem privilegierten Land leben, haben sie Interesse daran, jeden, der diese Privilegien auch nur potentiell in Frage stellt, draußen zu halten. Das gilt, wie man in den USA gesehen hat, auch für schon länger Eingewanderte, die sich gegen neue Einwanderer stellen. Und zwar nicht abstrakt, sondern wie man in den neuen Bundesländern und vor allem in Österreich, aber auch in der EU, gesehen hat mit konkreten Vorschlägen, die Flüchtlinge „konzentriert“ an einem Ort halten wollen. Die rechtsradikale Begründung ist ein angeblich geplanter „Bevölkerungsaustausch“, Mitte-Politiker reden dann gern von einer Überforderung der Sozialsysteme. Oder, ganz perfide, man spielt die sozialen Kosten gegen die Kosten der Unterstützung der Ukraine aus, wie es offensichtlich Scholz vorhat. Letztlich landet man dann logischerweise bei massenhaften Deportationen, verklausuliert „Remigration“ genannt. Auch da wird Trump ein Vorbild an Grausamkeiten liefern.
Was bedeutet das?
Nichts Gutes, denn offensichtlich hatte Hannah Arendt Recht damit, dass es strukturelle Gründe für diesen Hass gibt. (siehe mein Buch: Vorbild Hannah Arendt. Aktive Politik gegen den Hass).

Doch zurück zur Ausgangsfrage, kapieren wir überhaupt noch, was da abgeht?
Nein, aber vier Schlussfolgerungen kann man trotzdem ziehen:
- Identitätspolitische Politik bindet nicht berechenbar die adressierten Zielgruppen an die Partei, die diese Teilinteressen vertritt.
- Nicht Detailpolitik ist für die Wahlentscheidung entscheidend, sondern soziale Gerechtigkeit in dem Sinne, dass es keine Option ist, Menschen noch weiter absteigen zu lassen. Für die Klimapolitik heißt das, sie darf den Nicht-Reichen nichts kosten.
- Eine eloquente, akademische Minderheit, kann zwar medial in den klassischen Medien noch dominieren, ist aber seit durch die Social Media- Plattformen nicht mehr in der Lage die schweigende Mehrheit so wie im letzten Jahrhundert insgesamt medial-kulturell zu prägen. Deshalb muss es eine Öffnung der politisch-gesellschaftlichen Debattenräume geben.
- Entschieden wird die Auseinandersetzung mit antidemokratischen Kräften durch eine gute Politik, die auch strukturelle Veränderungen für bisher nicht ausreichend an den politischen Entscheidungen Beteiligte umsetzen muss. Nur wenn der Souverän mit sich selbst ins Gespräch kommt, das heißt, wenn die Bürger ein Interesse daran haben alle Meinungen und Interessen miteinzubeziehen, wird auch die Akzeptanz für demokratische Strukturen wieder steigen.
P.S.: Die Spaltung der Gesellschaft in zwei sich feindlich gegenüberstehende Gruppen wie in den USA gibt es so in Europa noch nicht. Insbesondere fehlt in Europa aktuell die Bereitschaft, radikal über Grenzen (an Leichen möchte ich noch nicht denken) zu gehen. Diese Frontiers-Mentalität gehört zur kulturellen DNA der USA. Diese Radikalität kann man schön an der Costner-Serie Yellowstone besichtigen.
Lieber Thomas,
vielen Dank für deinen Kommentar. Ich stimme in den meisten Punkten zu. Ja, die Verschmelzung von rechten wie linken Diktaturen mit den Interessen der Tech-Milliardäre sprengt den Rahmen lokaler wie nationaler Politik und es hat was von „Klassenkampf“, der braucht aber Organisationsstrukturen und die gibt es nur nationalstaatlich bzw. in dem Projekt EU plus EU-Verbündeten.
Bleibt das Problem der MAGAs und der von rechtsextremen Ideologien verführten, sich erniedrigt und beleidigt fühlenden Menschen.
Eine zunehmend auch empirisch untermauerte Ursache besteht darin, dass soziale Strukturen zunehmend verfallen oder zerstört werden. Naheliegend also der Gedanke, soziale Strukturen zu revitalisieren oder neu aufzubauen. Und in dem Zusammenhang lohnt es sich darüber nachzudenken, ob nicht demokratische Willensbildung selbst dann zu einem neuen sozialen Zusammenhang werden kann, wenn Menschen gezwungen sind, ihre Probleme selbst in die Hand zu nehmen. Das kann man direkte Demokratie, Rätedemokartie oder auch Polis-Demokratie nennen, entscheidend ist nicht die Organisationsform, sondern die Stärkung der Selbstgewissheit, verbunden mit der Verantwortung für das Gemeinwesen. Ich denke, das kann man nur schrittweise angehen, ein erster Schritt wäre die Ergänzumg kommunaler repräsentativer Demokratie durch Formen von direkter Demokratie. Dem vorausgehen könnten jetzt schon Initiativen zur Etablierung von öffentlichen Räumen für Dialog und politischer Debatte. In meinem Buch schlage ich vor, 1000 Häuser für Demokratie und Pluralität aus dem Bundeshalt zu finanzieren.
Du hast Recht, die Polis-Demokartie konnte nur funktionieren für eine MInderheit von sozial und ökonomisch abgesichten männlichen freien Bürgern, deren Freistellung für Politik durch Sklaven und Frauen abgesichtert worden war. Darus kann man aber auch lernen, dass eine Voraussetrzung für aktive Politik soziale Absicherung und viel Zeit ist. Arbeitszeitverkürzung ist daher auch ein Element für ein Projekt politische Mitgestaltung von allen Bürgern.
Dazu muss der Trend der zerstörerischen Rechtsentwicklung global jedoch erstmal gestoppt werden. Ein kleiner Schritt dazu: #Habeck4Kanzler ,-)
Lieber Uli,
ich stimme Dir in fast allem zu. Auch mit diesem Satz:
„Wir müssen zur Kenntnis nehmen, Leute mit schlechter Schulbildung haben etwas dagegen, dass ihnen Akademiker vorschreiben wollen, wie sie zu leben haben.“
Möchte Dir aber die Frage stellen,
1. ob dies nicht schon ein seit Jahrzehnten, (übrigens bereits in Weimar und in den USA seit den 80er Jahren), verbreitetes spalterisches Narrativ der Rechten ist, und wir uns nicht an seiner Verbreitung beteiligen sollten.
2. Stellt sich dann die Frage, warum Arbeiter AfD wählen, obgleich es eine Professoren- und Akademikerpartei ist? Mit diesem Narrativ kann der Erfolg der AfD also nicht erklärt werden.
3. Wird die AfD quer durch alle Schichten und Parteien gewählt (leicht überrepräsentiert durch Menschen mit Haupt- und Realschulabschluss). Das bedeutet, ihr Erfolg drückt ein tiefes Misstrauen in das gesamte politische System aus – deshalb ist die AfD so gefährlich.
Als zweiten Gesichtspunkt möchte ich, im Zusammenhang mit der Klimakatastrophe und des weltweiten Widerstands dagegen, an den weltweiten Überlebenskampf der fossilen Industrien inklusive Arbeiterschaft und Zulieferer und an ihre mächtige Lobby erinnern.
Die Folgen dieses gigantischen Strukturwandels in der Spätmoderne produziert Verlierer, die nicht bereit sind, Verluste hinzunehmen und Aufstiegschancen aufzugeben. Flüchtlinge, die Interessen von Minderheiten und Klimaschutz werden als kostspielige Bedrohungen für den eigenen Wohlstand wahrgenommen.
Deshalb ist MAGA und „Deutschland zuerst“ so erfolgreich- aber nicht nur bei den Verlieren, auch bei Gewinnern, siehe Elon Musk und Donald Trump. Die Gewinner instrumentalisieren die Verlustängste der anderen, um sich noch mehr auf Kosten der Steuerzahler zu bereichern und von Umweltauflagen und sonstiger Regulierung zu befreien.
Lieber Bruno,
klar ist das schon immer eine erfolgreiche Polarisierungstrategie gegen das Establisment (ersatzweise auch Elite) gewesen. Offensichtlich kommt es dabei nicht darauf an, dass die Partei tatsächlich ebenfalls aus Personen besteht, die deklassiert worden sind. Bei der Geeneration, die die Nazis ausmachten war das zufällig identisch, die sahen sich als Opfer mit mangelnden Karriereaussichten nach WK 1. Trump und Konsorten (Musk und Thiel) sind ja auch keine Opfer, sondern skrupellose Täter im wahrsten Sinne des Wortes. Es geht daher um eine Haltung, die unabhängig von Klassenzugehörigkeit ist.
Ich sehe darin auch den strukturellen Niederschlag von gesellschaftlicher Einsamkeit – sich von Gott und der Welt (Regierung und Parteien) verlassen fühlen. Das ist die Verlassenheit, die Hannah Arendt meint, die gesellschaftlich wirkt im Unterschied zu individueller Einsamkeit. Sie setzt die Idee voraus, dass es gesellschaftliche Verknüpfungen zwischen uns Menschen gibt, die, wenn sie weg sind, sich in einer emotionalen Unzufriedenheit äußern, die schnell in Hass umschlagen kann.
Deinem Punkt 3 (Misstrauen gegen das politische System) stimme ich voll zu.
Ja, die rechten Narrative sind auch Teil einer globalen Kampagne, wo nicht nur die politische Rechte von China, über Russland bis zu den MAGA-Leuten dran stricken, sondern auch die fossile Industrie und ganz wichtig auch in Deutschland Arbeitnehmer in der fossilen Industrie und dazu gehört immer noch die Autoindustrie.
„Nach uns die Sintflut!“, ist eine Profezeihung, die geschichtlich erstmals als Zitat von Madame Pompadour auftaucht. Diese hat es als Partymotto verkündet, als die Nachricht eintraf, dass die Armee des französischen Königs gegen Preußen unterlegen war. Es hat die nächste Generation alldinbgs dann auch persönliche auf dem Schafott getroffen ( Loius XVI und Marie Antoniette). In Valenzia oder im Ahrtal kam sie auch schon vorbei.
Es gilt dein Schlussatz: „Die Gewinner instrumentalisieren die Verlustängste der anderen, um sich noch mehr auf Kosten der Steuerzahler zu bereichern und von Umweltauflagen und sonstiger Regulierung zu befreien.“ Genauso ist es.