Nur wer in Bewegung bleibt, geht nicht unter.

Nur wer in Bewegung bleibt, geht nicht unter.

23. November 2024 3 Von Uli Gierse

Es gibt für die Deutung des Erfolgs Donald Trumps bei den US-Wahlen zwei Elemente, die offensichtlich eine Rolle spielten: die USA sind mehrheitlich rassistisch und misogyn. Kamala Harris keine Chance, weil ihre Mitte-Links-Analyse davon ausging, dass Schwarze Schwarze wählen würden, Latinos eine unterdrückte Minderheit wären, die auf keinen Fall einen Vertreter der Vorstellung von „White Supremacy“ wählen würden und konservative Frauen sich im Zweifel gegen Sexismus und Abtreibungsverbot für Selbstbestimmung entscheiden würden. Haben sie aber nicht in ausreichendem Maße!

Offensichtlich bestand der Irrtum darin, zu glauben, dass die schweigende Mehrheit die Werte der akademischen Minderheit teilen würde. Wir müssen also zunächst einmal innehalten und begreifen, dass wir neu denken müssen.

Die Identitätspolitik, die in der Adressierung von Teilaspekten (Gender, Klasse, Hautfarbe, Alter oder Herkunft) eine Berechenbarkeit des Wahlverhaltens vermutete, liegt falsch. Diese Rechnung geht nicht auf. Man gewinnt offensichtlich keinen einzigen Arbeiter, wenn man zwar den Mindestlohn erhöht, aber den gesellschaftlichen Status nicht verbessert. Das hat zumindest die SPD noch nicht kapiert.

Man gewinnt vielleicht durch das Selbstbestimmungsrecht für Trans-Menschen eine Handvoll Betroffene, macht sich aber offen für eine rechte Propaganda. Das muss man zumindest wissen. Da gilt die alte Politikregel: Was verlieren wir, wenn wir gewinnen?

Eine humanitäre Flüchtlingspolitik beruht auf einer moralischen Entscheidung von Mitbürgern hier, die davon keine materiellen Vorteile haben, sondern „nur“ einen moralischen Gewinn. Das muss man wissen.

Das politische System der Moderne, die repräsentative Demokratie, beruht auf der Unterstellung, dass alle Bürger an positiver Veränderung, auch Fortschritt genannt, interessiert sind. Unterschiede in Form und Geschwindigkeit werden im Idealfall dann von den politischen Parteien zur Wahl gestellt. Die Parteien repräsentierten dabei anfangs Interessen von gesellschaftlichen Klassen, so dass das Wahlverhalten in der Regel feststand. Dieses Schma wurde in Deutschland dreimal schon durchbrochen. Vor 1933 fegte der Nationalsozialismus sowohl die Arbeiterparteien wie auch die bürgerlichen Parteien hinweg. In der Nachkriegszeit bis 1979 verursachte auch der ökonomische Umbruch hin zur Globalisierung einen Umbau des Parteiensystems. Quer zum alten Links-Rechts-Schema entwickelten sich die Grünen, die sich zwar links verorteten, aber in ihrer Zusammensetzung eine bürgerliche, akademische Partei waren. Und ab der Finanzkrise 2008 entwickelte sich kontinuierlich eine nationalistische Rechtspartei, die sich, beflügelt von Wahlerfolgen, zunehmend radikalisierte. In 2024 ist dazu noch ein neues Politikangebot dazu gekommen, was die M;arktlücke nationalistisch- links füllen will, die BSW.

Hauptfeind für die demokartische Mitte bleibt jedoch die AfD. Diese gibt jeglicher Form von Ressentiment eine Bühne. Und so ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass die Menschen, die sich in der herrschenden Politik nicht angesprochen fühlen, sich fast lustvoll an der Zerschlagung der politischen Elite, faktisch aber der politischen Ordnung selbst, beteiligen. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, Leute mit schlechter Schulbildung haben etwas dagegen, dass ihnen Akademiker vorschreiben wollen, wie sie zu leben haben.

Und, da selbst die Deklassierten in einem privilegierten Land leben, haben sie Interesse daran, jeden, der diese Privilegien auch nur potentiell in Frage stellt, draußen zu halten. Das gilt, wie man in den USA gesehen hat, auch für schon länger Eingewanderte, die sich gegen neue Einwanderer stellen. Und zwar nicht abstrakt, sondern wie man in den neuen Bundesländern und vor allem in Österreich, aber auch in der EU, gesehen hat mit konkreten Vorschlägen, die Flüchtlinge „konzentriert“ an einem Ort halten wollen. Die rechtsradikale Begründung ist ein angeblich geplanter „Bevölkerungsaustausch“, Mitte-Politiker reden dann gern von einer Überforderung der Sozialsysteme. Oder, ganz perfide, man spielt die sozialen Kosten gegen die Kosten der Unterstützung der Ukraine aus, wie es offensichtlich Scholz vorhat. Letztlich landet man dann logischerweise bei massenhaften Deportationen, verklausuliert „Remigration“ genannt. Auch da wird Trump ein Vorbild an Grausamkeiten liefern.   

Was bedeutet das?

Nichts Gutes, denn offensichtlich hatte Hannah Arendt Recht damit, dass es strukturelle Gründe für diesen Hass gibt. (siehe mein Buch: Vorbild Hannah Arendt. Aktive Politik gegen den Hass).

Doch zurück zur Ausgangsfrage, kapieren wir überhaupt noch, was da abgeht?

Nein, aber vier Schlussfolgerungen kann man trotzdem ziehen:

  1. Identitätspolitische Politik bindet nicht berechenbar die adressierten Zielgruppen an die Partei, die diese Teilinteressen vertritt.
  2. Nicht Detailpolitik ist für die Wahlentscheidung entscheidend, sondern soziale Gerechtigkeit in dem Sinne, dass es keine Option ist, Menschen noch weiter absteigen zu lassen. Für die Klimapolitik heißt das, sie darf den Nicht-Reichen nichts kosten.
  3. Eine eloquente, akademische Minderheit, kann zwar medial in den klassischen Medien noch dominieren, ist aber seit durch die Social Media- Plattformen nicht mehr in der Lage die schweigende Mehrheit so wie im letzten Jahrhundert insgesamt medial-kulturell zu prägen. Deshalb muss es eine Öffnung der politisch-gesellschaftlichen Debattenräume geben.
  4. Entschieden wird die Auseinandersetzung mit antidemokratischen Kräften durch eine gute Politik, die auch strukturelle Veränderungen für bisher nicht ausreichend an den politischen Entscheidungen Beteiligte umsetzen muss. Nur wenn der Souverän mit sich selbst ins Gespräch kommt, das heißt, wenn die Bürger ein Interesse daran haben alle Meinungen und Interessen miteinzubeziehen, wird auch die Akzeptanz für demokratische Strukturen wieder steigen.

P.S.: Die Spaltung der Gesellschaft in zwei sich feindlich gegenüberstehende Gruppen wie in den USA gibt es so in Europa noch nicht. Insbesondere fehlt in Europa aktuell die Bereitschaft, radikal über Grenzen (an Leichen möchte ich noch nicht denken) zu gehen. Diese Frontiers-Mentalität gehört zur kulturellen DNA der USA. Diese Radikalität kann man schön an der Costner-Serie Yellowstone besichtigen.