
Wahlen in Hamburg: Welchen Einfluss haben Trumpismus und Pazifismus
Trump stärkt die Vernunft der anderen
Die Wahl in Hamburg ist kein Anlass sich entspannt zurückzulehnen; aber es ist ein kleines Zeichen, dass die Entwicklung seit der EU-Wahl im Sommer 2024 nicht ungebrochen fortgesetzt wird. Der Vergleich zu 2020 bleibt in diesem Text ohne große Bewertung, da die Ausgangslage durch Krisen wie Covid-19-Pandemie, Kriege, Inflation und Energie nicht vergleichbar ist. Die Versäumnisse und Streitigkeiten der Ampelregierung wurden bereits in der EU-Wahl 2024 abgestraft.
Die letzten Tage hatten allerdings den Blick auf die Weltordnung und den vermeintlichen transatlantischen Partner USA geschärft. In den USA wird die Entwicklung u. a. auch unter „Demokraten“ als Erwachsenwerden Europas beschrieben: Die Eltern werfen die längst erwachsenen Kinder mit dem Hinweis aus dem Haus, dass es Zeit wird sich selbst zu kümmern. Take care! Dass macht den Skandal nicht aus, denn diese Forderung ist nicht neu. Aber nun wurden wir tatsächlich hinausgeworfen. Der Eklat um den hitzigen Disput zwischen Tramp, Vance und auf den anderen Seite Selenskyj zeigt vielmehr den unverhohlenen Bruch zwischen den USA und dem Rest des Westens. Trump/Vance setzen die Ukraine zum Zweck eines Diktatfriedens unter Druck, der ihnen in Kollaboration mit Putin relevante Rohstoffe sichern soll. Inzwischen wurde die US-Militärhilfe mit dem Ziel eingestellt, dass die Ukraine dem US-Plan folgen muss, um den russischen Angriffen widerstehen zu können. Der US-Öffentlichkeit sollte wiederum vorgespielt werden, dass die Ukraine nicht am Frieden interessiert sei, ganz im Gegensatz zu Putin und den USA. Die Opfer-Täter-Umkehr ist historisch einzigartig, denn bislang war es Faschisten/Autokraten überlassen, diese Geschichtsschreibung zu praktizieren. Die USA sind zu einem autokratischen Staat verkommen, der aktuell von Andersdenkenden gesäubert wird und Annektionswünsche gegenüber Grönland, Kanada, Panama und Palästina formuliert. Allein die Zurschaustellung der militärischen Machtgelüste lässt den Atem stocken.
Die Linke und der Merz-Move
Ein besonderer Aspekt des modernen Autokratismus ist der auf Feindseligkeit ausgerichtete Kulturkampf. Das Schaffen von Feinbildern ist das Geschäft faschistischer Ideologie. Der Auftrieb der Linken seit der inzwischen legendären Rede Heidi Reichinnecks resultiert aus der angemessenen Antwort einer Politikerin auf den Versuch, mit Rechtsradikalen gemeinsame Sache zu machen. Der Merz-Move hat der Linken zu einen in den sozialen Medien gefeierten Massenklicks der Videosequenz dieser Rede verholfen. Auf ein ungeheuerliches rechtes Manöver muss entsprechend „radikal“ reagiert werden. Der Fingerzeig Richtung Unionsparteien und der Aufruf „auf die Barrikaden“ war so ganz anders als das „MiMiMi“ der „Bündnis“-suchenden Grünen. Die Wählerwanderung von netto 700 Tsd. von den Grünen zu den Linken war ein fast spontaner Umzug enttäuschter Grünen-Wähler.
Natürlich ist Politik komplexer, aber ohne Emotionen und Haltung ist eine politische Führung nichts. Wer es nicht glaubt, sollte sich bei der SPD über Olaf Scholz erkundigen. Dass die Linke außerhalb ihrer erfolgreichen Vorstellungen zur Sozial- und Wohnungspolitik nicht viel zu bieten hat, wurde gerade in den letzten Tagen nach dem Oval-Office-Eklat deutlich. Jetzt punkten die Grünen mit klaren außen- und geopolitischen Statements, während der politische Pazifismus von Linken und deren BSW-Abspaltung schmallippig verstummte.
Jetzt haben sie, was sie wollten: eine schräge Diplomatie. Ukraine und Europa waren vorläufig exkommuniziert und vielleicht war es Selenskyjs Widerstand im Weißen Haus, der Europa über ein sofortiges Treffen in London wieder ins Spiel brachte. Der Preis für eine neue, nachhaltige europäische Sicherheitsarchitektur wird Wohlstandsverlust mit sich bringen, denn die Gesellschaften zahlen die Rüstungsausgaben, auch wenn erst einmal über Schuldenbremse und Sondervermögen diskutiert wird. Das Verhalten (Lügen) der Unionsparteien zu diesem Thema hat schon satirischen Gehalt. Das Festhalten von CDU/CSU an der Schuldenbremse hielt keine Woche und nun werden ROT-GRÜN angefragt, den Weg von Lockerung oder „Sondervermögen“ mitzugehen. Ok, man hat es vorher gewusst, aber der Betrug am Wähler könnte drastischer nicht sein. Was ist von solchen Parteien zu halten, die den Trump’schen Kulturkampf nutzen, um die politischen Gegner zu desavouieren, um dann deren Vorschläge zu übernehmen: Kurz vor dem Eingeständnis notwendiger außeretatmäßiger Finanzierung von Verteidigung und Infrastruktur wurde ROT-GRÜN von Fritze Merz als „grüne und linke Spinner“ bepöbelt. Dann wundern sich diese Herrschaften, dass die AFD für noch bösartigere Grünen-Attacken mehr Zustimmung erhält: Wer beleidigt die Grünen am besten? Söder, Merz, Wagenknecht oder Weidel? Man kann es nicht anders sagen: Einige Unionspolitiker wie Merz und Söder sind unerträglich und müssen so behandelt werden wie es Heidi Reichinnek vorgemacht hat. Sie sind auch noch so dreist und machen ROT-GRÜN für das Erstarken der AFD verantwortlich, nachdem die vollmundige Halbierung der AFD durch Fritze Merz Zähler und Nenner umdrehen ließen: Die AFD hat sich verdoppelt und erst mit der Hamburger Bürgerschaftswahl wurden der AFD Grenzen aufgezeigt. Eine Umkehr ist das freilich noch nicht. Der Stadtstaat ist dennoch resilienter, wenn auch einige weniger betuchte und akademisierte Regionen eine hohe AFD-Zustimmung bestätigen. Da ist politisch viel zu tun.

Der Blick auf Hamburg ist interessant, auch wenn die unterschiedlichen Wahlbeteiligungen und das Mindestalter von 16 Jahren Unschärfen hervorrufen. Es bleibt eine Rest-Blackbox. Die Grünen konnten die vorübergehenden Umfragen von 16-17 % hinter sich lassen und die SPD konnte wohl auch landesspezifisch bedingt einen Satz nach oben machen. Interessant ist die Migration von FDP zur CDU, auch personell durch einige prominente Parteimitglieder. Die AFD ist gegenüber der Wahl eine Woche vorher ebenso zurückgefallen wie Die Linke und das BSW. Diese Parteien unterliegen nicht den landesspezifischen Faktoren, weshalb gefolgert werden kann, dass die Verschiebung der geopolitischen Machtfaktoren eine Rolle spielen. Ihnen ist gemein, dass sie – wenn auch unterschiedlich akzentuiert – keine Waffen an die Ukraine liefern wollen. Wahrscheinlich ist dem einen oder anderen unentschlossenem Wähler dieser Parteien deutlich geworden, dass die Trump’sche Politik in der AFD verkörpert wird und „Die Linke“ wie das BSW einen Beitrag zur Schwächung der Ukraine leisten. Heidi hin oder her: das ist ein No-Go. Die scheinbar antimilitaristische Haltung ist bei Jugendlichen natürlich beliebter als die Vorstellung vorrückender Panzer, aber ein Freiheitskampf ist eben ein Kampf um Freiheit und damit ein Widerstand gegen Unterdrücker und Aggressoren. Das schließt Diplomatie nicht aus. Richtigerweise hat Selenskyj nach der Art der Diplomatie gefragt, als J.D. Vance provokatorisch Selenskyj den Willen zur Diplomatie absprach. Was Trump, Vance und Rubio unter Diplomatie verstehen, demonstrierte die Fossil-Allianz in Saudi-Arabien.
Trump verlängert die Achse der Autokratien?
Da trafen sich die Fossil-Imperialisten Putin und Trump, der dann über Außenminister Rubio schon mal einige Assets wie „NATO Mitgliedschaft und territoriale Zugeständnisse“ der Ukraine „verscherbelte“. Auch wurden im Vorfeld der Wegfall von Sanktionen, der Zugriff auf das westliche Zahlungssystem SWIFT und gemeinsame Exploration der Arktis in Spiel gebracht. Diese Annäherung soll auch einen Keil zwischen Russland und China treiben. Möglicherweise könnte das BRICS geschwächt werden, ganz im Sinne der USA. Das Kalkül ist so oder so auf fossile Profite ausgelegt und hat mit einer regelbasierten Weltordnung nichts mehr zu tun.
Nur aufgrund der militärischen Schwäche der Ukraine, des Zögerns Europas und der neuen Verweigerung der Trump-Administration konnte sich diese Asymmetrie im Ukraine-Krieg entwickeln und Putin bestärken, den Krieg fortzusetzen. Bei Erfolg dieser Verhandlungen werden die Expansionen gen Baltikum etc. weiterbetrieben. Trump plant indes gemeinsame Projekte mit Putin. Diese Profitorientierung hatte das zusammenbrechende Sowjet-Imperium schon Ende der 1990er Jahre in die Hände der Putin-Clique getrieben.
Wen haben die US-AmerikanerInnen Ende 2024 zum Präsidenten gewählt und warum haben sie es getan? (Dazu folgt ein weiterer Essay.) Aus einem Verbündeten wird ein potenzieller Feind. Die Trump-Administration überzieht die alten Partner wie ihre Nachbarstaaten Mexiko, Kanada und Europa mit Zöllen, wollen andere Staaten annektieren und zerstören innere demokratische Strukturen: Auf die Barrikaden!
Kleine Wahlanalyse
Natürlich ist der Vergleich von unterschiedlichen Wahlen nur bedingt aussagefähig. Die Wahlbeteiligung ist bei EU-Wahlen deutlich niedriger und die Brisanz von Wahlen ist sehr unterschiedlich. So war die Wahlbeteiligung am 2. März besonders hoch. Die deutsche und die internationale Lage mit den Trump’schen Provokationen politisiert die Menschen mehr denn je. Dennoch ist eine Interpretation zulässig. So ist erkennbar, dass die Grünen durch die Multikrise die Kraft ihres Imagekerns „Klimapolitik“ eingebüßt haben. Auch die grüne Jugendbewegung FFF hat deutlich an Schwung verloren. Die FDP konnte 2021 noch von den Einschnitten der Covid-10-Pandemie profitieren, indem die staatlichen Übergriffe thematisiert wurden. Danach fiel den Freidemokraten nur noch libertärer Unsinn ein: Sie werden wie das BSW in Hamburg nicht mal mehr aufgeführt, sondern verschwinden unter Sonstige. Die SPD ist extrem volatil, was den flatterhaften politischen Positionen entspricht. Zwischen neoliberalen Anfällen und guter Sozialpolitik ist alles möglich; die politische Führerschaft ist ein Dauerproblem. Die diversen Kanzlerkandidaten bestätigen die sozialdemokratische Schwäche. Die Partei hat ihre klassische Klientel verloren und buhlt mit den Grünen um ähnliche Milieus. Die Linke mischt da auch ein wenig mit und ist aktuell Profiteurin rotgrüner Schwäche. Das BSW kommentiere ich aus lauter Boshaftigkeit nicht weiter.

Zum Abschluss ist noch anzumerken, dass SPD und Grüne bereit sind, die Schuldenbremse zu lockern bzw. „Sondervermögen“ für Verteidigung und Infrastruktur zuzustimmen. Es ist das, was CDU/CSU mit propagandistischer Hilfe der neoliberalen FDP mehrere Jahre verhindert hatten. Der Zeitdruck wächst, weil Linke, BSW und AFD im neuen Bundestag eine Sperrminorität ausüben können. Wer übernimmt hier Verantwortung für Deutschland? Es sind die Grünen und die SPD. Es ist ein Trauerspiel der Merz’schen und Söder’schen Unionsparteien. Max Weber dreht sich gerade im Grab um; sind es doch genau die Politiker-Typen, die er nicht wollte.