Werksschließungen und einstürzende Brücken

Werksschließungen und einstürzende Brücken

20. September 2024 0 Von Thomas Ertl

Der angedrohte Personalabbau von 30.000 VW-Beschäftigten beherrscht die spätsommerliche wirtschaftspolitische Diskussion 2024. Das Blame-Game ist in vollem Gange und es geht, wie soll es anders sein, um das Abendland schlechthin. Schnell wurden die Schuldigen gefunden. Für die BILD-Zeitung waren es natürlich die Grünen, andere erweiterten auf die Ampelregierung. Neoliberale machen den Staat verantwortlich und die Gewerkschaften naturgemäß die Manager. Dieser Text befasst sich im ersten Teil mit der VW-Krise und im zweiten Teil mit der Generaldebatte um den Standort Deutschland. VW hat nicht nur das Problem schwächelnder Nachfrage nach E-Autos, sondern auch einen Nachfrageschwund in China. Die Marktanteile im Reich der Mitte schmolzen von knapp 40 % auf nunmehr unter 15 % ein. Im E-Segment sind es nur 3 % am stark wachsenden Markt, der von Chinas Herstellern wie BYD beherrscht wird. Die Aussichten in China sind trübe und der Binnenmarkt in EU und Deutschland bietet wenig Hoffnungen auf Erholung. In dieser misslichen Lage muss VW einen Kraftakt gegen die eigene Belegschaft unternehmen: Die Beschäftigungsgarantie bis 2029 wurde aufgekündigt, ein erstmaliger Vorgang. Die Zeichen stehen auf Sturm.

Welchen Anteil hat der Staat?

Die Medien, besonders die konservativen Gattungen, suggerieren den Bürgern ein apokalyptisches Bild unserer Volkswirtschaft. Das gilt auch für die Wirtschaftsinstitute: Das eher linksliberale DIW gibt moderate Statements, das Münchner IFO sieht dringenden Handlungsbedarf, um den Standort Deutschland gerade noch retten zu können. So oder so, die Wachstumsprognosen befinden sich im Nullbereich und die Krise des lange Zeit profitablen Volkswagen-Konzern ist der ultimative Anlass, der Ampelregierung und besonders den Grünen die Leviten zu lesen, aber auch den Vorgängern.

Quasi als Symbol des Verfalls dient nun die eingestürzte Carola-Brücke in Dresden: der Verfall deutscher Infrastruktur. Der Zustand der Deutschen Bundesbahn gibt so ein Symbol nicht her, obgleich die Wirkung ungleich größer ist. Und es ist auch nicht ganz gerecht, denn die Brücke wurde noch zu DDR-Zeiten gebaut. Aber: der marode Zustand war bekannt und die Reaktion kommt zu spät.

Die Sanierung sollte 2025 erfolgen. Somit ist auch dieser Fall ein Geschwindigkeitsproblem ähnlich wie bei Volkswagen und anderen deutschen Autoherstellern. Die relevanten Akteure sind zu spät, zu spät in der Anpassung an technologische und Nachfrageentwicklungen und zu spät in der Planung notwendiger und Wartungen bestehender Infrastruktur. Das gilt für Unternehmen und Staat gleichsam. Es sei nur auf die unzureichende Versorgung mit E-Ladesäulen verwiesen.

Die Gründe sind freilich so unterschiedlich wie das Spektrum demokratischer Parteien in Deutschland. Das Bild links oben war Teil eines Covers der Autoren Altvater, Semmler und Hoffmann zum Buch „Vom Wirtschaftswunder zur Wirtschaftskrise“ aus dem Jahr 1978[1]. Der VW-Käfer war in die Jahre gekommen und wurde mit dem Start des VW-Golf im Jahr 1974 auf das Abstellgleis gestellt. Die Ölkrise 1973 hatte viel Druck auf die Autobauer ausgeübt, die Nachkriegskarossen durch sparsamere Modelle zu ersetzen. Es war eine kleine Disruption (Kompaktautos mit Vorderradantrieb und platzsparenden querliegenden Motoren) und läutete den Verlust an Marktanteilen von Ford und Opel ein, die nicht so schnell auf die veränderten Bedingungen reagierten. Und das passierte trotz des staatlichen Aktienanteils von 40 % an VW, die sich Bund und Niedersachen teilten, während Opel und Ford US-amerikanisch geführt wurden, also sehr „privat“ (neoliberal).

Daten: Trader Fox[2] und Volkswagen-Group[3]. ©te

1988 verkaufte der Bund seine Anteile an VW; Niedersachsen behielt den Anteil, der noch heute gilt. Mit den in 2007 durch das EuGH veranlassten Neuregelungen wurde das VW-Gesetz dahingehend verändert, dass Niedersachsen mit 20 % Anteilen ein Vetorecht ausüben kann, obgleich normalerweise mindestens 25 % gelten. Für eine Verlagerung ins Ausland ist eine 2/3-Mehrheit im Aufsichtsrat notwendig; die Arbeitnehmerseite stellt aber die Hälfte der Sitze. Autoexperte und „Branchen-Pabst“ Ferdinand Dudenhöffer erkennt in der staatlichen Beteiligung von Niedersachsen und der Arbeitnehmer-Mitbestimmung strukturelle Krisenfaktoren, die nun auch für die aktuelle Lage mitverantwortlich sein sollen[4]. Warum? Welcher Staatsaufsichtsrat hat irgendeinen Fortschritt bei VW blockiert? Was gewinnt VW mit einem Auszug des Landes Niedersachsen? Es bleibt Spekulation. Sicherlich setzt sich die Landes-SPD für den Erhalt der Werke in Niedersachsen ein und auch der Betriebsrat wird nicht kampflos bei der Schrumpfung der Arbeitsplätze zusehen. Aber das sind keine Gründe für die missliche Lage, sondern allenfalls Erschwernisse in der Neuausrichtung. Ein Blick auf Abbildung 1 zeigt ein gesundes Unternehmen, dass alle Krisen meistern konnte, sogar die selbstverschuldete Abgasbetrugsaffäre rund um „Dieselgate“. Warum die Aufregung? Die Perspektive ist düster. Die VW-Aktien haben sich in den letzten 3 Jahren halbiert mit Start vor dem Ukraine-Krieg und der Ampelregierung.

Abbildung 2: VW-Aktienverlauf der letzten 3 Jahren (08/2021 bis 08/2024). Quelle: Finanzen.net

Im Unterschied zu den Krisen davor, sind keine externen Schocks für die Lage von VW verantwortlich. Auch ist es kein signifikanter Einbruch erkennbar, wenn immer noch über 7 Mrd. EUR Gewinn nach einem halben Jahr erwirtschaftet werden. Es reicht aber nicht aus, um die zukünftigen Investitionen umzusetzen: Der Netto-Cashflow (Cashflow aus Business minus Investitionen) war im ersten Halbjahr negativ, was einer Fortsetzung nach dem Motto „weiter so“ entgegensteht. Aber allein das Joint Venture mit Rivian (dazu weiter unten) ging mit 5 Mrd. EUR in diese Rechnung. Ohne diese Rettungsaktion der Fahrzeug-Software hätte auch der Cash-Flow keine großen Sorgenfalten aufkommen lassen, aber VW wäre „entwaffnet“. Nicht nur die doppelte Herausforderung, Verbrenner weiter zu bauen und den Rückstand in der E-Technologie abzubauen, bringt den Konzern in diese Bredouille. Es wurden auch falsche Entscheidungen in der Entwicklung getroffen.

Fossil-Lobby ist das größere Problem

Schien im letzten Jahr noch vieles gut, so wird deutlich, dass VW-CEO Oliver Blume vor einem lange bekannten Problem steht, dass er selbst in etwa so formuliert: Der Kuchen ist kleiner geworden (Absatzrückgänge insgesamt) und es sitzen mehr Gäste (mehr Wettbewerber) am Tisch.

Nun wird dem Staat – hier die Ampelregierung – gerne der „schwarze Peter“ zugeschoben. Das ist nicht redlich, denn globale Absatzschwäche und neue Wettbewerber wie Chinas Hersteller sind anders zu verorten. Wahrscheinlich besteht ein negativer Effekt durch schlechte Ladesäulen-Infrastruktur und hektisches Kappen der E-Auto-Förderung. Noch viel stärker dürfte das Schlechtreden durch reaktionäre Presse und konservativen Parteien wirken. Schon die völlig widersinnige Diskussion um E-Fuels für Verbrenner-Autos und die geforderte Aufhebung des EU-Beschlusses zum Verbot von Verbrenner-Neuzulassungen ab 2035 verunsichern Konsumenten in der Kaufentscheidung. Viele zögern den Erwerb hinaus, um die wirtschaftlich bessere Lösung zu erzielen. Ähnlich verhält es sich im Gebäudebereich bei den Wärmepumpen. Eine gewaltige Desinformationswelle unter Führung fossiler Lobbyisten, Unionsparteien, FDP, AFD und BSW wurde angeschoben und Putins Trolle füttern die Kampagnen-Aktivisten mit Falschmeldungen aller Art. Die hybride Kriegsführung des Kremls ist auf die Erhaltung der eigenen fossilen Industrie ausgerichtet und bildet eine informelle Allianz mit Emiraten, dem Iran, Brasilien etc. Mit dabei in diesem Konzert sind auch US-Bundesstaaten und natürlich der Fossil-Anbeter Donald Trump. Wer sich zum Lobbyismus der Fossil-Fraktion Details holen möchte, wird in Christian Stöckers Buch „Männer, die die Welt verbrennen“ fündig. Es ist ein Kampf zwischen Fossil-Profiteuren und Menschen, denen die Zukunft des Planeten mit erneuerbaren Energien am Herzen liegt. In diesem Konfliktfeld bewegt sich die KFZ-Branche weltweit und das Zögern der alten Marktführer hat China mit massiven Subventionen genutzt, um die Führerschaft nicht nur in der Solartechnologie, sondern auch im E-Automobilbau zu übernehmen. Und in China ist es der Staat, der diese Industrie massiv vorantreibt. In Europa wird geschlafen und die Renaissance des Verbrenners betrieben. Den chinesischen Anbietern kann nichts Besseres passieren. Um nur einen der kardinalen Fehler VWs der Vergangenheit zu nennen: Software-Fehlinvestition, die ganz ohne staatliches Zutun über 7 Mrd. EUR pulverisierte, fast 2 x so viel wie die geplante Einsparung für 2025.

Software unterschätzt

Die als Tochterunternehmen geführte Einheit CARIAD (Car-I Am Digital) erweist sich als Milliardengrab. Es wurden inzwischen 7 Mrd. EUR in die VW-Automotive investiert, um den Software-Eigenanteil von 10 auf 60 Prozent anzuheben[5]. Das Unterfangen scheiterte bislang und mit ihm auch der Ex-CEO Herbert Diess. Das Projekt war gut gemeint, aber über- ambitioniert. Termine wurden nicht eingehalten, es kam zu Modellverzögerungen von fast zwei Jahren und etlichen Reklamationen des eingesetzten Infotainments. Inzwischen werden Kapazitäten von CARIAD abgebaut und tlw. zu anderen Entwicklern wie Bosch verschoben. Der Software-Befreiungsschlag soll durch ein Joint Venture mit einem spezialisierten Start-Up namens Rivian gelingen. Der Zusammenschluss kostet Volkswagen 5 Mrd. US-Dollar in zwei Steps.[6] So kommen insgesamt fast 12 Milliarden EUR Investitionen für Software zusammen. Der Ausgang ist ungewiss und ein Eingeständnis für das gescheiterte Projekt CARIAD.  Das bringt VW-Beschäftigte ebenso auf die Palme wie die üppigen Entschädigungen der entlassenen Manager. Das Mercedes-System MBUX zeigt, dass traditionelle Autobauer adäquate Software in E-Autos installieren können.[7] Eine Kommunikation von MBUX mit Smart-Home von Bosch ist möglich. Auf dem Nach-Hause-Weg können Haushaltsgeräte per Sprache angesteuert werden.[8] Das ist für Volkswagen noch Science-Fiction.

Nach dem Schlaf folgte das falsche Portfolio

Das Problem einiger Hersteller liegt in der späten Wahrnehmung, dass Motorenbau und Steuerung von modernen E-Autos und deren Batterien völlig verschieden sind. Tesla ging mit dem Model S 2012 in Serie. Das hätte der Startschuss für Plattformen-Software sein müssen, nicht das Jahr 2019, als verschiedene Konzernprojekte von VW, Audi und Porsche zum CARIAD zusammengelegt wurden. Die französische Konkurrenz begann 2012 mit dem Renault Zoe, BMW mit dem Kleinwagen I3. Volkswagen, der erfahrene Produzent für bezahlbare Kraftfahrzeuge im Massenmarkt, entwickelte erst 2019 den Audi e-tron. Statt Klein- und Kompaktauto wurde ein SUV der oberen Mittelklasse zum Kaufpreis von über 70 TEUR auf die Straße gestellt. Das hatte Robert Habeck bereits 2019 kritisiert und dem VW-Konzern eine schlechte Prognose auf den Weg gegeben. Er hat recht behalten. Die Konkurrenz aus China hat sich ebenfalls an das Prinzip gehalten, von unten nach oben zu entwickeln. Die Klein- und Kompakt-E-Autos fluten die Weltmärkte mit Erfolg. Die Preise beginnen bei etwas über 7 TEUR und die Reichweiten liegen deutlich über dem Level der deutschen Anbieter in dem Preissegment[9].      

Der Staat und auch die Ampel-Regierung sind nicht schuldlos

Der schleppende Ausbau der Ladeinfrastruktur incl. notwendiger Netze und die erratischen Veränderungen der E-Auto-Kaufprämien haben dem konservativen Narrativ der E-Auto-Ablehnung einen Schub verliehen. Dazu gesellten sich Reichweitenprobleme aufgrund wenig leistungsfähiger Akkus, was in einem Hochtechnologieland wie Deutschland schon peinlich ist. Das Problem ist inzwischen behoben, aber das Narrativ besteht noch.[10] Insofern haben beide Akteure einen schlechten Job gemacht. Das größere Übel liegt allerdings bei der Vorregierung (Groko) und den Unternehmen selbst, die viel zu spät und teilweise immer noch kein halbwegs preisgerechtes Kompakt-E-Mobil präsentiert haben. Die Absätze sind folgerichtig weit unter dem geforderten Level einer wirksamen Energiewende, wie die folgende Grafik zeigt.

Die Zulassungszahlen rutschen immer bei Auslaufen oder Reduzierungen der Kaufprämien ab. Seit 2024 sind Prämien aufgrund der Schuldenbremse und dem neoliberalen Insistieren der FDP am Verbrenner-Überleben gestrichen. Das Resultat ist die Verunsicherung einer investitionswilligen, aber angeschlagenen Branche. Bis 2030 müssten täglich 5.500 E-Autos zugelassen werden, um das gesteckte Teilziel der Energiewende zu erreichen. Das ist nicht mehr realisierbar.[11] Das gilt auch für die in 2025 in Kraft tretenden EU-Grenzwerte (CO2), deren Nichteinhaltung Bußgelder gegen die Konzerne auslösen.

Zurück zu Dudenhöffer[12], der VW als Staatsunternehmen bezeichnet und die Managementfehler nicht als Hauptursache der Krise ausmacht. Der Auto-„Pabst“ hat sich vor allem auf Robert Habeck eingeschossen, anstatt die Protest-Energie gegen die fossilen Apologeten zu richten.[13] Er sieht das Heil im Rückzug des Staates und der Beschränkung gewerkschaftlicher Macht. Der Text hat aber herausgearbeitet, dass die aktuelle Struktur bislang gut funktioniert hat. Das momentane Problem ist eine Melange aus Managementfehlern und schlechten Rahmenbedingungen, die nicht im Kompetenzbereich einer Landesregierung liegen. Der schleppende Ausbau der Energie-Infrastruktur betrifft die gesamte Energiewende. Einige Automobilkonzerne hatten sich bereits gegen die Renaissance des Verbrenners ausgesprochen[14], weil schon so viele Milliarden in die E-Automobilität investiert wurden und die chinesischen Fabrikate bereits die europäischen Grenzen überwunden haben. Wenn der geplante Bau einer Fertigung in Ungarn vollzogen ist, helfen auch keine Strafzölle, denn die dort produzierten Fahrzeuge gelten EU-gemäß als „inländisch“.

Andere Autobauer wie BMW fordern eine Korrektur der CO2-Fristen, da die Ziele nicht zu erreichen seien. Das belegt die Grafik. Sie warnen davor, dass die Einhaltung der Flotten-CO2-Grenzwerte nur mit Drosselung der Produktion von Verbrennern bzw. ganzen Werksschließungen zu erreichen sind. Das Dilemma: CO2 versus Beschäftigung bzw. Finanzierung des Sozialstaates. Es wird möglicherweise auf einen Kompromiss hinauslaufen, der die ausgelasteten Kapazitäten vorerst absichert und neue Kaufanreize für E-Mobilität schafft. Das könnte auch ein negativer Anreiz für Verbrenner sein, wenn die CO2-Abgabe den echten Kosten des Klimawandels angepasst wird. Das Automobil-Sammelsurium Stellantis (Fiat, Citroen, Peugeot, Chrysler, Opel, …) hatte auf die veränderte Marktlage reagiert und im Fusionsprozess der Marken 20.000 Beschäftigte im Jahr 2021 abgebaut. Ceo Carlos Tavares hat darauf verwiesen, dass die EU-Bestimmungen lange bekannt waren und ein Wechsel der Regeln kontraproduktiv seien. Tavares begründete die Maßnahme mit dem Verweis, nicht wie VW enden zu wollen.[15] Wenn bei dem noch größeren VW-Konzern nun über 30.000 Beschäftigte nachgedacht wird, ist es keine Anpassung aus dem Fabelland: Der Kuchen ist kleiner bei mehr Gästen. Aber auch das würde nicht ausreichen, um den Überlebensmodus zu überwinden.

So bitter es klingt: Die Preise für Benzin und Diesel müssen hochgehen. Vorher müssen die Konzerne kostengünstige E-Modelle anbieten und der Staat muss die Infrastruktur gewährleisten. Passiert das nicht, würde eine Verteuerung des Kraftstoffs einen ähnlichen Effekt hervorrufen wie un-subventionierte Wärmepumpen. David Wortmanns vom Klima-Labor hat im Interview mit N-TV zusammengefasst:

„VW ist ein gutes Beispiel dafür, was passiert, wenn einzelne Akteure oder Branchen die Zukunftsentwicklung verschlafen. Man muss die Staatsform Chinas nicht mögen, aber China hat verstanden, dass es stark und konsequent in den Ausbau der erneuerbaren Energien und der Elektromobilität investieren muss. Auch von Elon Musk kann man halten, was man will. Trotzdem hat er mit Tesla einen neuen Markt und ein erfolgreiches Unternehmen geschaffen.“[16]

Wortmann identifiziert einzelne Akteure, um dann doch die Rolle des Staates zu betonen. Es sind tatsächlich alle beteiligt; die Politik steht in Wechselbeziehung zur Wirtschaft und der Vorwurf lautet: Das E-Bashing muss aufhören und die Industrie muss unterstützt werden. Um überhaupt in die Nähe der angestrebten Tageszulassungen von E-Autos zu kommen, muss den Fossil-Apologeten der Zahn gezogen werden. Das wird Aufgabe der umweltbewussten Parteien und Medien sein. Der EU-Abgeordnete der SPD Timo Wölken trifft den Kern:

„Wenn Friedrich Merz und andere jetzt die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Automobil-Branche bemängeln, müssen Sie sich zu allererst auch an die eigene Nase fassen: Sie waren es, die mit ständigen Attacken auf E-Mobilität und Scheinlösungen wie E-Fuels dazu beigetragen haben, dass VW und andere den Anschluss in vielen wichtigen Exportmärkten verloren haben und heimische Verbraucher verunsichert wurden.“[17]

Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit

Anstatt der Verbrenner-Technologie nachzutrauen, weil Deutschland führend in einem schrumpfenden Markt ist, hätte längst eine effiziente Batteriefertigung auf den Weg gebracht werden müssen. In diesem Segment hat China einen erheblichen Vorsprung, der nicht nur in der Verwendung von Seltenen Erden begründet ist. Der Staat ist aktiv. VW-Ex-CEO Herbert Diess hat das lange beklagt und VW hat zu seiner Amtszeit Schritte unternommen, um aus der Abhängigkeit Asiens herauszukommen: Mit 900 Mio. EUR (21 % Aktienanteil) hat sich der Konzern an Northvolt beteiligt. Das schwedische Unternehmen baut in Heide/Schleswig-Holstein eine dritte Batterie-Gigafabrik für jährlich eine Millionen Batterien.[18] Schon jetzt werden deutsche Autobauer beliefert, was besonders für den US-amerikanischen Markt notwendig ist, denn der Inflation-Reduction-Act[19] unter Präsident Biden verhindert auch deutsche Importe, wenn China-Batterien verbaut sind. Das Northvolt-Projekt von 4,5 Mrd. EUR Investitionssumme wird vom deutschen Staat mit 902 Mio. EUR subventioniert. Die neoliberalen Kritiker waren schnell zur Stelle, um einen Subventionswettlauf mit den USA zu bemängeln. Das ist im Nachhinein schwer zu beurteilen. Wichtiger war die Sicherung der Batteriefertigung, die mit dem Windenergie-Überangebot aus Schleswig-Holstein zu 90 % fossilfrei sein wird. Der Beschäftigungseffekt und die Versorgung europäischer Automobilbauer sollte nicht gefährdet werden. Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel (IfW) konnte die Förderung durch den Bund nachvollziehen und grundsätzlich gut heißen. Allerdings verwies das IfW auch auf notwenige Förderungen von Forschung und Entwicklung, um nicht auf ausländische Investoren angewiesen zu sein.[20] Die deutsche Ingenieurskunst ist nach wie vor führend. Im Bau von E-Motoren sieht Ford-Aufsichtsratschef Gunnar Herrmann sogar deutsche Technologieführerschaft in der Forschungstechnik, konkret in der Entwicklung von Spulenverdrahtung für E-Motoren.[21] BMW wird demnächst eine vom Münchner Start-Up DeepDrive entwickelte und patentierte Doppelrotor-Motorentechnologie einsetzen und hoffentlich industrialisieren. Mit dem Konzept kommen Fahrzeuge mit deutlich weniger Gewicht aus. DeepDrive betreibt mit 8 der 10 größten Automobilproduzenten gemeinsame Projekte.[22] 

Der Standort Deutschland ist deutlich besser als die mediale Spiegelung. Das hegemoniale Narrativ einer notwendigen Energiewende ist seitdem Ukraine-Krieg verloren gegangen. Diese Lage muss wieder verkehrt werden. Der Klimaschutz muss mehr in die öffentliche Diskussion und der Standort Deutschland muss mit Zuversicht gestärkt werden.


[1] Altvater, Elmar; Hoffmann, Jürgen; Semmler, Willi, 1978: edition Vielfalt, Olle & Wolter; Bd. 1+2

[2] Trader Fox 2024, o.S.: Fundamentaldaten der Volkswagen AG Vz. Aktie

https://markets.traderfox.com/aktien/387321-volkswagen-ag-vz/fundamental, 19.09.2024

[3] VW-Group 2024, o.S.: Halbjahresfinanzbericht 2024. https://www.volkswagen-group.com/de/finanzberichte-18134#2024. 19.09.2024

[4] Matthias Lohr 2024, o.S.: Auto-Experte Dudenhöffer zur VW-Krise: Baunatal hat einen großen Nachteil. https://www.hna.de/lokales/kreis-kassel/baunatal-ort312516/vw-gesetz-muss-weg-das-93295776.html. 19.09.2024

[5] Patricia Nilsson 2024, o.S.: Volkswagen’s $5bn Rivian tie-up prompts dismay at software. https://www.ft.com/content/b861e949-76a2-4782-9c74-947dfb56b41a. 19.09.2024

[6] Volkswagen Group 2024, o.S.: Dokumente & Webcast Volkswagen Group & Rivian Partnerschaft. https://www.volkswagen-group.com/de/dokumente-und-webcast-volkswagen-group-und-rivian-partnerschaft-18383. 19.09.2024

[7] Don Dahlmann 2023, o.S.:

[8] Bosch 2024, o.S.: Das Software-Chaos bei VW zeigt die Probleme der Autoindustrie. https://www.bosch-smarthome.com/de/de/partner/mbux-mercedes. 19.09.2024

[9] Karl Lüdecke 2024, o.S.: E-Auto-Zwerg wird noch billiger: Reichweite für diese Klasse gigantisch. https://efahrer.chip.de/news/e-auto-zwerg-wird-noch-billiger-reichweite-fuer-diese-klasse-gigantisch_1012189. 19.09.2024

[10] Ich selbst habe durch einen Wechsel vom vollelektrischen Mini nach 3 Jahren auf einen Cupra Born die nominelle Reichweite von 240 auf 600 Km steigern können. Ein Unbehagen auf Strecken von über 300 Km bleibt auch bei mir. Finde ich rechtzeitig eine Ladesäule in den Pampas? Planvolles Fahren wird zum Gebot.

[11] Ecomento 2024, o.S.: Studie: Minderheit von Elektroauto-Besitzern will zurück zum Verbrenner. https://ecomento.de/2024/06/24/studie-minderheit-von-elektroauto-besitzern-will-zurueck-zum-verbrenner/. 20.09.2024. Nach einer Studie von Kinsey, erwägt jeder vierte E-Auto-Besitzer auf einen Benziner umzusteigen.

[12] Dudenhöffer steht aber zur Abkehr von fossilverbrennenden Automobilen und befürwortet den stringenten Ausbau der E-Mobilität. Er ist auch ein entschiedener Gegner eine Aufweichung der EU-Bestimmungen. Früher war er ein inbrünstiger Gegner der E-Mobilität. Es hat sich überzeugen lassen, dass es um den Planeten geht.

[13] Christopher Kulling 2024, o.S.: VW-Krise: Auto-Papst giftet gegen Habeck – „Am besten ohne ihn weiterarbeiten“. https://www.news38.de/wolfsburg/vw/article300416527/vw-krise-dudenhoeffer-habeck-auto.html. 20.09.2024

[14] Jonathan Packroff 2024, o.S.: Automobilhersteller warnen vor Rücknahme des Verbrenner-Aus ab 2025. https://www.euractiv.de/section/verkehr/news/autoindustrie-warnt-eu-vor-ruecknahme-des-verbrenner-aus-ab-2035/. 20.09.2024

[15] Hannes Vogel 2024, o.S.: Europas Autobauer halten die Elektro-Wende für gescheitert. https://www.n-tv.de/wirtschaft/Europas-Autobauer-erklaeren-die-Elektro-Wende-fuer-gescheitert-article25239804.html. 20.09.2024

[16] N-TV 2024, o.S.: „Man muss die Staatsform nicht mögen, aber China hat verstanden“. https://www.n-tv.de/wirtschaft/Man-muss-die-Staatsform-nicht-moegen-aber-China-hat-verstanden-article25221406.html. 20.09.2024

[17] Timo Wölken 2024, o.S.: Management-Fehler dürfen nicht auf dem Rücken der Belegschaft ausgetragen werdenhttps://www.tiemo-woelken.de/2024/09/04/management-fehler-duerfen-nicht-auf-dem-ruecken-der-belegschaft-ausgetragen-werden/. 20.09.2024

[18] Northvolt 2024, o.S.: Taking the front seat in Germany’s energy transition. https://northvolt.com/career/locations/heide/. 20.09.2024

[19] siehe auch: https://www.feininger.eu/bindens-ira-1-und-chip-act-sind-illegitimer-protektionismus-in-schaf-gestalt/

[20] Sebastian Schug 2024, o.S.: „Sind die Subventionen für die Batteriefabrik zu viel des Guten?“. https://www.wiwo.de/unternehmen/energie/northvolt-deutschland-sind-die-subventionen-fuer-die-batteriefabrik-zu-viel-des-guten/29724000.htm. 20.09.2024

[21] Bild 2024, o.S.: Ford-Boss über die E-Auto-Krise, Verbrenner-Aus und Klima-Ziele | BILD-Talk. https://www.youtube.com/watch?v=KPRSpFrW_OQ. 20.09.2024

[22] elektrive 2024, o.S.: E-Motor-Entwickler DeepDrive sammelt 30 Millionen Euro ein. https://www.electrive.net/2024/09/19/e-motor-entwickler-deepdrive-sammelt-30-millionen-euro-ein/, 20.09.2024