Die Party ist vorerst vorbei: Sozialstaat vs. Immobilienkonzerne

Die Party ist vorerst vorbei: Sozialstaat vs. Immobilienkonzerne

16. Oktober 2024 0 Von Thomas Ertl

Das Hamburger Abendblatt der Funke Mediengruppe berichtete am 4. Oktober vom Stellenabbau und Filialausdünnung der renommierten Maklerfirma Grossmann & Berger, einer Tochterfirma der Haspa-Finanzholding. Von 170 Mitarbeitern müssen 15 die Firma verlassen; vorher wurde über einen Abbau von einem Drittel der Beschäftigten spekuliert. In dieser Größenordnung wurde bei anderen Wettbewerbern abgebaut oder wie bei Von Bülow & Co KG der Laden ganz dicht gemacht. Diese Firma war auf hochwertige Immobilien in den Elbvororten und Alster-Regionen fokussiert. In den zwei Jahren nach der Zinswende der Europäischen Zentralbank EZB zur Bekämpfung der Inflation sind in der Region Hamburg fünf weitere Makler zahlungsunfähig geworden.[1]  11,2 % der deutschen Makler sind inzwischen aus dem Business ausgestiegen.[2]

Insbesondere der Markt für Gewerbeimmobilien sei eingebrochen, aber auch im privaten Bereich ergeben sich durch verschlechternde Finanzierungskonditionen geringere Transaktionen. Peter Dietz von der Immobilien Zeitung fasst die Lage treffend zusammen:

„Fast alle Gewerbemakler verzeichnen einen Einbruch bei den Abschlüssen und deutlich längere Vermittlungsprozesse. Die Zeit, als sich fast alles schnell an den Mann oder die Frau bringen ließ, ist längst vorbei. Kredite sind teurer geworden, die Banken schauen genauer hin und verlangen mehr Sicherheiten und Eigenkapital. Interessenten widerrufen Kaufzusagen, Notartermine platzen. Unterm Strich steht für die Vermittler mehr Arbeit bei geringerer Provision.“[3]

Wer nun profunde Analysen der Makler-Sprecher erwartet, wird dann doch enttäuscht: Digitalisierung, energetische Auflagen und Kapitalmarktentwicklung wurden als Gründe ausgemacht. Bis auf die Zinsentwicklung sind dies schleichende und teilweise schon lange wirkende Einflüsse auf das Immobilien- und Maklergeschäft. Die Zinsentwicklung hat aber nunmehr ein Niveau (3,37%) erreicht, dass als unterdurchschnittlich bezeichnet werden kann. Die Immobilienbranche leidet anscheinend unter Gedächtnisverlust, was die Zinsentwicklung der letzten 30 Jahre betrifft. Die Nullzinspolitik war die Ausnahme und ein Segen für alle kaufwütigen Reichen und Superreichen. Abbildung 1 zeigt, dass auch die Immobilienbranche tatsächlich extrem von der Nullzinspolitik profitierte, was weiter unten begründet wird. Allerdings sind die aktuellen Konditionen keine echte Barriere im Immobiliengeschäft. Das Problem liegt im Schockmoment des ruckartigen Anstiegs. Ebenso ruckartig war zwar auch die Senkung der EZB-Leitzinsen im Jahr 2008 von 3,25 auf 0,25 %, aber die Kreditgeber hatten anfangs die „neue Marge“ noch nicht an die Kunden (Häuslebauer) weitergegeben wie die Grafik zeigt. Finanzinvestoren sind über den Zugriff auf den Geldmarkt (Kredite und Anleihen) in die Lage versetzt worden mit Null Kapitalkosten Assets (Aktien, Immobilien und Edelmetalle) zu „shoppen“. Der chronisch enge Immobilienmarkt bot sich geradezu an. Die nächste Grafik verdeutlicht den Zusammenhang von EZB-Leizinsen, Wohnungsmarkt und Wertentwicklung der DAX-Aktien: Weniger Zinsen, mehr Asset-Werte incl. Wohneigentum.

Abbildung 2 belegt, dass sich Wohnungspreise zwischen 2008 und 2021 im Preis mehr als verdoppelt hatten. Der DAX verdreifachte sich fast, denn Aktien und ähnliche Assets waren attraktiver als festverzinsliche Papiere im Null-Prozent-Niveau. Das Diagramm zeigt auch einen nur geringen Preisrückgang für Eigentumswohnungen (Bestand) nach 2022. Im Neubau stiegen die Preise auch nach der Leitzinserhöhung durch die EZB. Höhere Material- und Lohnkosten im Kontext der Inflation ließen keinen Rückgang zu, aber das Verkaufsvolumen nahm drastisch ab: Der Marktmechanismus von Angebot und Nachfrage schlug unbarmherzig zu. Die Preise für Immobilien nahmen nicht in dem Maße ab wie die Kapitalkosten stiegen. Das Ergebnis fasst das nächste Bild von Engel & Völkers zusammen.[4]  Erst mit den ersten Zinssenkungen der EZB in 2024 lässt sich eine leichte Erholung des Marktes (rote Balken) prognostizieren.

Die Transaktionen (Verkäufe) gingen im Volumen mehr zurück als deren Anzahl, was den Preiseffekt besonders betont: Das Schneeballsystem ist an die Grenze geraten. Ganz anders sieht es im Mietwohnungsmarkt aus. Die Mieten der Immobilien stiegen simultan zu den Verkaufspreisen und der Marktmechanismus konnte keine inverse Dynamik auslösen. Die Löhne und Gehälter konnten nicht mithalten wie Abbildung 4 illustriert.

Kein Mietpreisverfall nach Paradigmenwechsel der EZB

Aus Angst vor noch schlechteren Mietkonditionen wie z. B. die Einlassung auf inflationsgetriebene Indexmieten verbleiben die Mieter in ihren Wohnungen. Landflucht und Migration haben den Druck auf das hohe Niveau nochmals erhöht. Es fehlen ca. 600.000 Wohnungen. Trotz EZB-Zinssenkung steigen Mieten weiter, während Eigentumswohnungen im Preis etwas fielen, um dann 2023 (Neubau) und 2024 (Bestand) wieder leicht anzusteigen.

Ist ein sinusartiger Verlauf im Bereich der Immobilien-Transaktionen kein besonderes Problem, so ist das dauerhalte Abheben der Mietpreisentwicklung gegenüber den Einkommen durchschnittlicher Mieter ein drastischer sozialer Missstand. Die „gute“ Politik beißt sich an dieser Situation die Zähne aus, die „schlechte“ Politik lässt eine Korrektur nicht zu.

Mietpreisbremsen konnten den Trend nicht stoppen. Der Wille zum „Sozialen Wohnungsbau“ ist schwach entwickelt, denn der Staat baut lieber Autobahnen oder Schulden ab und verliert Steuergelder durch CumEx und CumCum[5]. Die Schuldenbremse ist auch an dieser Stelle ein Unheil für den Zusammenhalt der Gesellschaft. (Dazu auch: https://www.feininger.eu/schuldenbremse-fetisch-und-wahnsinn/)

Das Eigentumsrecht steht über allem und wird von allen Neoliberalen mit Zähnen und Klauen verteidigt. Das Recht auf Menschenwürde bleibt auf der Strecke, denn die Vermieter nutzen in der Regel alle legalen und auch illegalen Möglichkeiten die Profitsituation zu verbessern. Auch jahrelanger Leerstand wird hingenommen, um mit Grund und Boden zu spekulieren. Und ungemeldete Leerstände sind strafbar.

In Deutschland ist jeder dritte Mieterhaushalt von hohen Wohnkosten belastet. Sieben Millionen Haushalte zahlen mehr als 30 % ihres Einkommens für Wohnen, nochmal über 3 Millionen zahlen gar über 40 %.[6] Das Statistische Bundesamt geht bei Kosten von über 40 % von einer Überbelastung aus. Von den 21 Millionen Haushalten entfallen rund die Hälfte auf die drei unteren Einkommensklassen-Quantile, die im Durchschnitt nur 1709 EUR zu Verfügung haben.[7] Der finanzielle Druck ist evident. Die aktuelle Situation ist aber mit raffgierigen Eigentümern und unfähigen bzw. unwilligen Nationalpolitikern nicht hinreichend zu erklären. Es hat einen Beschleunigungseffekt durch die Zentral- bzw. Notenbanken gegeben, der heute und wohl noch länger wirkt. Erst ein ausreichendes Angebot an bezahlbaren Wohnraum wird den Markt verändern können.

Die Geldschwemme der Notenbanken und der Cantillon-Effekt

Die Leitzinssenkungen der Notenbanken verleiten zu der Annahme, dass damit das Leben verbilligt würde, wenn nun für kreditfinanzierte Anschaffungen aller Art weniger Zinsen bezahlt werden. Das klingt vorerst plausibel. Wie überall im Leben können Übertreibungen expressis verbis zum Gegenteil führen. Die Zinssenkung der EZB ging sogar über die Nulllinie hinaus in den Negativbereich. Der deutsche Staat erhielt während der langen Phase des Nullzinses sogar Geld für herausgegebene Staatsanleihen. Da könnte man meinen, dass diese komfortable Situation genutzt wird, um die Infrastruktur der Volkswirtschaft nachhaltig zu verbessern, Sozialwohnungen zu bauen und Geld in Forschung und Entwicklung fließen zu lassen. Mitnichten: Die aktuelle Bestandsaufnahme fällt düster aus. Es ist nichts dergleichen wirksam angefasst worden. Es wurden Schulden abgebaut, während andere Staaten investierten. Nun kann sich Christian Linder über die Triple-A-Bewertung der Rating-Agenturen freuen oder aber zur Kenntnis nehmen, dass Deutschland an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt hat und der Zusammenhalt der Gesellschaft auf dem Spiel steht. In diesem Kontext stellen die Immobilen einen gewichtigen Faktor dar, denn durch die latente Überlastung der Haushalte fehlen Mittel für Ausgaben im konsumtiven Bereich. Das war nicht das Ziel der EZB, die eigentlich den Konsum anreizen wollte.  Folgende Grafik zum Auseinanderdriften von Einkommen und Wohnkosten belegt die ungleiche Entwicklung schon bis zur Corona-Pandemie.   

Die Immobilienparty lässt sich auch gut am folgenden Diagramm[8] der Bulwien Gesa AG ablesen. In der Marktstudie zum Immobilienindex werden die heftigen Steigerungsraten der Wohn- und Gewerbeimmobilienpreise seit der Nullzinspolitik wiedergegeben.

Die Nullzinspolitik war der Versuch der EZB die europäischen Volkswirtschaften zu stimulieren (mehr Investition durch „billiges“ Geld) und die verschuldeten EU-Staaten mit dem deutlichen Rückgang an Zinszahlungen zu entlasten. Letzteres gelang, ein signifikanter Anschub blieb aus. Die Geschäftsbanken mussten nunmehr einen Strafzins bei der EZB entrichten, wenn es ihnen nicht gelang Abnehmer für die Einlagen der Sparer zu finden. Ein Konsumboom stellte sich nicht ein, aber das „entwertete“ Geld war für alle Investoren interessant. Nun konnte mit fremdem Geld fast kostenlos investiert werden, z. B. in Immobilien oder eben auch zur Übernahme von anderen Unternehmen. Es kam zu Übernahmewellen.[9]

Einer der Hauptakteure ist zugleich einer der global größten Vermögensverwalter: Die in New York gelistete Blackstone Group Inc. Im Jahr 2018 kaufte das Unternehmen 2.500 Wohnungen – meist zentral gelegen. Wohnungen, Häuser, Straßenzüge wechselten die Eigentümer. Auch wurden Immobilienfirmen ganz übernommen. Mitten drin im Getümmel: Deutsche Wohnen und Vonovia. Dazu weiter unten. In Berlin Friedrichshain-Kreuzberg führte diese „Kaufwut“ zur Vervierfachung der Bodenpreise, die Mieten stiegen um 104 %. Nach der US-Finanzkrise kauften nicht nur vermögende Griechen, Russen, Iren und Israelis deutsche Immobilien[10], sondern auch Finanzinvestoren mit „billigem“ Geld der Geschäftsbanken, die unter dem Druck der EZB das eigene Geschäftsmodell den Bach heruntergehen sahen. In dieser Zeit wurden auch wieder diverse abgeschaffte Bankgebühren reaktiviert. Insofern war die Nullzinspolitik nicht nur zum Schaden der Mieter und damit inflationsfördernd, sondern auch ein Unheil für die Hausbanken der einfachen Girokonten-Inhaber. Die EZB senkte aber nicht nur den Leitzins, sondern betrieb zudem aktiv den Aufkauf von Staats- und Unternehmensanleihen, die im echten Offenmarkt-Geschehen keine Abnehmer gefunden hätten. Das kommt Geldrucken gleich und hat neben den Negativzinsen eine ungeheure Geldflut ausgelöst, die heute in den Blasen von Immobilien und Wertpapieren wie Aktien zu finden sind. Das Geld landete nicht beim „Volk“ und auch nicht bei arbeitsplatzschaffenden Unternehmen, sondern bei Spekulanten unterschiedlichster Colour. Diese Wirkung wird in der ökonomischen Literatur Cantillon-Effekt genannt.

Der Cantillon-Effekt[11]: Das neu emittierte Geld der Notenbank erhalten zuerst Finanz-Institutionen und anschließend jene, die diesen bei Kreditaufnahmen Sicherheiten bieten, also schon etwas haben wie etwa künftige Wohneigentum Käufer. Der damit angekurbelte Konsum lässt die Nachfrage steigen und zeitverzögert die Nicht-Vermögenden die höheren Preise bzw. Mieten zahlen. In der Wirtschaftsliteratur wird dieser Vorgang auch als „regressive Steuer“ bezeichnet, da die schwachen Einkommensschichten real an Kaufkraft verlieren, während die Vermögenden einen Zusatz-Nutzen erzielen. Das „neue“ Geld ist in der Regel mit günstigen Konditionen verbunden. Die Vermögens-Assets wurden durch Geldausdehnungen des Bankensektors einer heftigen Inflation unterzogen. Assets (darunter Immobilien) und Dividenden verlaufen wertmäßig invers zum Leitzins, wie die o.a. Grafiken beweisen.

Berlin im Ausverkauf

Immobilien-Experte Christoph Trautvetter recherchierte 4 Jahre für das Projekt „Wem gehört die Stadt“. Er stellte für Berlin fest, dass Investoren in den Jahren 2006-2008 für etwa 1.000 Euro pro Quadratmeter Wohnungen erwarben und wenige Jahren später anderen Investoren dieselben Wohnungen mit etwa 300 % Gewinn verkaufen konnten. Es kann davon ausgegangen werden, dass auch diese Investoren keine altruistischen Absichten verfolgen.[12] Einige solcher Objekte gingen mehrfach über den Tresen mit verheerenden Folgen für die Mieter: Ein Schneeballsystem. Trautvetter schreibt:

„Fast die Hälfte (der Berliner Wohnungen, der Autor) besitzen Multimillionäre, also große Aktiengesellschaften und Investmentfonds und ihre meist sehr vermögenden Investoren oder privaten Eigentümer, die sich zum Teil in Schattenfinanzzentren vor der Öffentlichkeit verstecken. (…) Wenn fast die Hälfte der Berliner Wohnungen wenigen tausend Multimillionären gehört, gibt es Millionen von Menschen, die sich keine eigene Wohnung in der Stadt leisten können und mieten müssen. Wenn die Preise und Mieten weiter so schnell steigen wie in den letzten Jahren, können sich viele das Leben in der Stadt nicht mehr leisten, während die Vermögenden sich über sagenhafte Rendite freuen. Das ist eine Umverteilung von den Mietenden und Arbeitenden hin zu den Erben und Kapitaleigentümern.“[13]

Das Vermögen in Deutschland besteht zu ca. 2/3 aus Immobilien. Das unterstreicht die Bedeutung dieses Sektors. Der Berliner Senat hat seinerzeit unter Bürgermeister Wowereit und der PDS ca. 65.000 Wohnungen für 405 Millionen Euro plus 1,5 Mrd. EUR Schulden an die Deutsche Wohnen verkauft, wo diese Immobilien mit sieben Milliarden Euro bilanziert wurden, bevor der Berliner Senat ein gutes Fünftel der Wohnungen für fast 2,5 Mrd. EUR von der Deutschen Wohnen zurückkaufte.[14] Die Gegenüberstellung ist erschreckend. Zwischen den Transaktionen lag das Schnellball-Treiben des Immobilienmarktes getrieben vom Billig-Geld der EZB. Der börsennotierte Immobilienkonzern Vonovia hat mehrere Male einen Übernahmeversuch gegenüber dem börsennotierten Immobilienkonzern Deutsche Wohnen unternommen, der erst in der zweiten Hälfte 2021 mit über 60 % der Aktien abgeschlossen werden konnte.

Vonovia, Deutsche Wohnen, Adler Group, TAG Immobilien und Benko Immobilien

Benkos Signa Holding ist insolvent. Das ist zwar ein drastischer Niedergang eines Immobilienkonzerns, aber durchaus mit den Mechanismen „billigen“ Geldes zu erklären. Die Verbindlichkeiten in den Büchern betrugen über 6,7 Mrd. EUR. Das ist eine Summe, die zumindest die Frage aufkommen lässt, warum die Finanzierer nunmehr auf 2,4 Mrd. Forderungen sitzen bleiben. Die Antwort klingt banal: Weil die Bilanzen nicht gründlich gelesen wurden bzw. deren Nicht-Existenz ignoriert wurde. Schon das zeigt den inkompetenten Umgang mit Unternehmensunterlagen. Das Unternehmen wurde „hochbewertet“, eine fragwürdige Methode um Sicherheiten vorzutäuschen.[15] Benko baute das Immobilien-Portfolio (Galeria Kaufhof, KaDeWe, Elbtower, Selfridges, …) in der Nullzinsphase mit fremdem Geld aus. Die vorgetäuschte Substanz hielt dem Zinsauftrieb der EZB, den gestiegenen Bau- und Energiekosten nicht stand. Diese Insolvenz trifft auch superreiche Privatinvestoren, denen offenkundig Expertise und Menschenkenntnis fehlen. Aber auch institutionelle Geldverleiher wie Julius Bär, die österreichische Raiffeisen-Banken, diverse deutsche Landesbanken, Versicherungen wie die Allianz stehen auf der Gläubigerliste.[16] Ein weiterer spektakulärer Fall ist die Adler Group, die ähnlich wie Benkos Signa mit Überbewertungen die Finanzaufsicht aufmerksam machte. Das Unternehmen konnte die Insolvenz nur durch Aufschiebung von Anleihen-Rückzahlungen abwenden. Das Portfolio mit ca. 25.000 Wohnungen in europäischen Großstädten wurde von 7,4 Mrd. EUR (2022) um 1 Mrd. EUR abgewertet. Diverse Prüfungsgesellschaften wie die KPMG lehnten eine Prüfung der Bücher aufgrund mangelnder Informationen ab. Die Bilanzen waren manipuliert.[17] Die Bafin verhängte im September 2024 gar eine Geldbuße von 140.000 EUR wegen Aufsichtspflichtverletzung.[18]

Ähnlich wie in der US-Subprimekrise kombinieren sich systemische Fehler (erratische Zinspolitik, fehlende Regulierung) mit menschlichen Defiziten (undurchsichtiges Firmengeflecht, überbewertetes Vermögen). Zum Ende des Boost wird deutlich, dass die Buchwerte der Immobilien den Zenit im Schneeballsystem widerspiegelten: Werte, die im Markt nicht mehr zu realisieren sind.

Vonovia hatte darüber hinaus mit einem mittelschweren Korruptionsskandal zu tun, der Ende 2021 bekannt wurde. Zehn Jahre konnte eine Gruppe von Mitarbeitern unentdeckt das Umfeld schädigen.[19] Die Deutsche Wohnen hat sich ihren Ruf mit systematisch falschen Heizkostenabrechnungen und Verstößen gegen Datenschutz zusätzlich belastet.[20]

Folgend Grafik zeigt den Zinseffekt für die deutschen börsennotierten Immobilienkonzerne Vonovia SE und Adler Group S.A., die mit Skandalen dem Absturz der Aktienwerte noch mehr Fahrt gaben. Für TAG Immobilien und besonders Deutsche Wohnen gilt das auch; deren Kurvenverläufe sind kaum anders. Aus Übersichtsgründen werden nur Vonovia und Adler Group detaillierter dargestellt.

Das Interessante sind die Umsatzzuwächse bis zur Zinswende der EZB. Danach schrieben beide Unternehmen rote Zahlen. Die operativen Ergebnisse waren bei Vonovia aufgrund der ca. 545.000 Mietwohnungen noch meist positiv. Die roten Zahlen seit 2021 sind Abwertungen der Vermögenswerte geschuldet, die vorher durch das Schneeballsystem in die Höhe schossen: Das negative EBT (Earning before Tax) ist fast zweimal höher als der Umsatz. Es muss schon eine lange Zeit manipuliert worden sein, um diese Unwucht zu erzeugen. Da mit diesen Überbewertungen Vermögen vorgetäuscht wurde, stieg die Verschuldungsquote auch bei Vonovia von 42 auf gut 67 % im abgebildeten Zeitraum. Das Unternehmen musste bereits etliche Wohnungen verkaufen, um die Eigenkapitalquote zu erhöhen und damit kreditwürdig zu bleiben. Der Silberstreif am Horizont sind ausgerechnet Aussichten auf Mietsteigerungen.[21] Die Mieter müssen für die von ihnen nicht verursachte Unternehmenskrise herhalten. Die Asozialität ist anscheinend DNA-Bestandteil der Konzerne. Vonovia hat dennoch im 1. Halbjahr 2024 aufgrund weiterer Vermögenskorrekturen über eine halbe Milliarde EUR Verlust eingefahren. Da halfen auch die Mietsteigerungen von 3,8 % im ersten Halbjahr 2024 nicht viel.[22]

Ähnliches gilt auch für die Adler-Group, die aber mit ca. 25.000 Wohnungen (2021: 70.000) eine schwächere Basis hat und nur durch das Stillhalten der Gläubiger überleben kann. Und oh Wunder: Der Hauptaktionär von Adler S.A. ist Vonovia mit über 16 % Anteil. Für die oben genannten Börsenunternehmen gilt gleichermaßen, dass Großinvestoren wie Norges Bank, BlackRock, DWS, APG, HSBC, BNP Paribas, AXA etc. beteiligt sind. Deutsche Wohnen gehört inzwischen zu 86,87 % der Vonovia. Die Konzentration der Immobilienbranche hat während der Nullzins-Periode enorm zugenommen. 

Finanzindustrie und Immobilienkonzerne sind symbiotisch. Die einen können nicht ohne die anderen. Sie waren auch regelmäßig Auslöser großer internationaler Finanzkrise wie in den 1990er Jahren in Asien und später in den USA und Europa, wo besonders der Bauboom in Spanien verheerend verlief. In China widerholt sich dieses Drama auch seit einigen Jahren, als hätte Chinas Staat gar nichts aus den Krisen der Anderen gelernt.

Wohnungsbau ist Kern des Sozialstaates

Sozialer Wohnungsbau unter staatlicher Führung und mieterschützende Regulierungen dürfen keine Worthülsen bleiben. Die Regulierungen müssen eine Wirkung entfalten, die den renditegetriebenen Investoren ein Engagement unattraktiv erscheinen lassen. Stattdessen wurde städtisches Eigentum genau an diese Gruppe verscherbelt und tlw. deutlich teurer zurückgekauft. Der neoliberale Einfluss auf die deutsche Politik war und ist unübersehbar. Wohnungsbau tangiert Menschenwürde und darf nicht Spielball internationaler Investoren sein. Auch der Hinweis auf „klamme“ Haushaltssituationen darf kein Argument sein. Der Effekt hoher Mieten auf eine Volkswirtschaft kommt einer Nachfrageschwächung gleich, denn die Haushaltsbudgets landen letztlich bei internationalen Investoren und nicht im deutschen bzw. europäischen Wirtschaftskreislauf. Bei 30 bis über 40 % Wohnkosten vom Haushaltsbudget kann nach Cantillon in der Tat von einer „regressiven Steuer“ ausgegangen werden. Vielleicht sollten FDP und Teile der CDU über diesen Aspekt einmal nachdenken, wenn es um Steuerreformen geht. Auch zahlen die „Blackstones“ in der Regel keine Grunderwerbssteuer, da „Share Deals“ nicht den Eigentümer verändern, sondern nur deren Anteilverhältnisse; auch wenn es zu 100 % ist.[23] Jung-Familien werden dagegen mit 6 % auf überhöhte Immobilienpreise zur Kasse gebeten. Die Erträge der „Blackstones“ werden selbstredend nicht in Deutschland versteuert, sondern z. B. über das Steuervermeidungsdrehkreuz Luxemburg auf den Cayman Islands.[24] Es sind Briefkastenfirmen.

Aber Klientelpolitik stößt hier an Grenzen.  Die Grünen und SPD müssen anfangen ein wenig Rückgrat zu entwickeln, wenn es um die Zurückdrängung internationaler Investoren und Steuerflucht geht. Auch muss die Kontrolle über die EZB ausgedehnt werden. Null- und Negativ-Zinsen und der Aufkauf von Zombie-Anleihen durch die EZB sollten der Vergangenheit angehören, denn die Verwerfungen sind für den Normalbürger nicht tragbar. Die Finanzierungsprobleme nach der US-Finanzkrise hätten auch dirigistisch gelöst werden können, indem nur verschuldete (oder auch alle) EU-Staaten in den Vorteil günstiger Zinsen kommen. Das Instrument ist nicht vom anderen Planeten, denn auch in Deutschland werden solche regulierten Zinsen über KFW und andere Anstalten vergeben. Den „Markt“, der das Unheil verursacht hat, zur Rekonstruktion der geschundenen Ökonomie heranzuziehen, macht den Bock zum Gärtner. Das Ergebnis wurde hier erörtert.


[1] Heiner Schmidt 2024, o.S.: Grossmann & Berger: So viele Beschäftigte müssen gehen. https://www.abendblatt.de/hamburg/wirtschaft/article407368213/grossmann-berger-hamburger-makler-kuendigt-beschaeftigten-02.html. 12.10. 2024

[2] Makler-Wissen 2024, o.S.: Das Maklersterben – eine ernüchternde Statistik. https://www.youtube.com/watch? v=CG4-ieOsIY4. 12.10.2024

[3] Peter Dietz 2024, o.S.: Die fetten Jahre bei den Maklern sind vorbei. https://www.iz.de/unternehmen/news/-die-fetten-jahre-bei-den-maklern-sind-vorbei-2000023200. 12.10.2024

[4] Engel & Völkers 2024, S. 24: Marktbericht Deutschland 2024/2025.

https://drive.google.com/file/d/ 14d1Jpg2EolPp5kVH-Vrn4hG77kiVYNdw/view?pli=1. 12.10.2024

[5] In beiden Fällen versuchen Finanzinvestoren nicht gezahlte Dividenden-Ertragsteuern vom deutschen Staat zu erhalten, in dem um den Dividenden-Stichtag herum der Fiskus durch Hin- und Her-Bewegungen getäuscht wird. Der Schaden bewegt sich lt. Finanzwende auf über 50 Mrd. EUR. (Finanzwende 2021, o.S.: Steuerraub von CumEx und CumCum. https://www.finanzwende-recherche.de/unsere-themen/steuerraub-cumex/. 14.10.2024)

[6] Öko-Institut 2023, o.S.: Wohn- und Energiekostenbelastung von Mietenden. https://www.oeko.de/publikation/wohn-und-energiekostenbelastung-von-mietenden/. 14.10.2024

[7] Spiegel 2023, o.S.: Warmmieten überlasten mehr als 3 Millionen Haushalte. https://www.spiegel.de/wirtschaft/service/deutschland-jeder-dritte-mieterhaushalt-bei-wohnkosten-ueberlastet-a-fb9d34e6-c541-4abc-90db-588836884aa7. 14.10.2024

[8] Bulwien Gesa 2023, S.3: Wohnen und Gewerbe – Mieten und Preise – 125 deutsche Städte – seit 1975. https://live.bulwiengesa.de/sites/default/files/2023-01/immobilienindex_2023.pdf. 14.10.2024

[9] Anne Kunz/Frank Stocker 2015, o.S.: Cash-Flut und Nullzinsen wecken Übernahme-Appetit. https://www.welt.de/wirtschaft/article140249393/Cash-Flut-und-Nullzinsen-wecken-Uebernahme-Appetit.html. 16.10 2024

[10]  Albert FunkHeike JahbergRalf Schönball 2018, o.S.: Goldgräberstimmung bei Immobilien: Berlin will sich gegen Spekulanten wehren. https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/berlin-will-sich-gegen-spekulanten-wehren-5530030.html. 14.10.2024

[11] Richard Cantillon, ein französischer Bankier aus dem frühen 18.Jahrhundert, hat erkannt, dass neu geschöpftes Geld nicht gleichmäßig und auch nicht gleichzeitig verteilt wird.

[12] Christoph Trautvetter 2022, o.S.: „Wem gehört die Stadt?“: Berliner Immobilienexperte über den Ausverkauf. https://www.tip-berlin.de/stadtleben/politik/wem-gehoert-die-stadt-immobilien-interview/. 14.10.2024

[13] ebenda

[14] Lorenz Maroldt, Julius Betschka, Ralf Schönball 2021, o.S.: Wowereit kritisiert Wohnungsdeal des Berliner Senats: „Ich halte diesen Kauf für nicht richtig“. https://www.tagesspiegel.de/politik/ich-halte-diesen-kauf-fur-nicht-richtig-5614600.html. 14.10.2024

[15] Victoria Robertz 2024, o.S.: René Benkos Signa: „Die haben ihr Vermögen hochbewertet“. https://www.capital.de/wirtschaft-politik/ren%C3%A9-benkos-signa—die-haben-ihr-vermoegen-hochbewertet–34381872.html. 15.10.2024

[16] Tim BartzKristina Gnirke und Ansgar Siemens 2023, o.S.: Wer würde René Benko jetzt noch Geld geben? https://www.spiegel.de/wirtschaft/rene-benko-wer-wuerde-der-immobiliengruppe-signa-jetzt-noch-geld-geben-a-8a8b04a1-cd72-4d1e-b93e-350ed1b6dc89. 15.10.2024

[17] Manager 2024, o.S.: Adler Group wertet Immobilien um eine Milliarde Euro ab. https://www.manager-magazin.de/unternehmen/adler-group-adler-group-wertet-immobilien-um-eine-milliarde-euro-ab-a-cea7ec8f-6130-4dd2-860a-af7e66baa6e7. 15.10.2024

[18] Bafin 2024, o.S.: Adler Real Estate GmbH: Bafin setzt Geldbuße fest. https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Massnahmen/40c_neu_124_WpHG/meldung_2024_10_01_ADLER.html?cms_expanded=true. 15.10.2024

[19] Massimo Bognanni 2023, o.S.: Schmiergeld mit System? https://www.tagesschau.de/investigativ/wdr/vonovia-razzia-103.html. 15.10.2024

[20] Christian Latz 2024, o.S.: „Können nicht mehr von zufälligen Fehlern sprechen“: Deutsche Wohnen muss in Berlin erneut Heiz-Abrechnungen zurücknehmen. https://www.tagesspiegel.de/berlin/konnen-nicht-mehr-von-zufalligen-fehlern-sprechen-deutsche-wohnen-muss-in-berlin-erneut-heiz-abrechnungen-zurucknehmen-12067214.html. 15.10.2024

[21] Philipp Frohn 2024, o.S.: Gelingt Vonovia das Comeback? Das hängt von diesen 5 Fragen ab. https://www.wiwo.de/finanzen/immobilien/wohnungskonzern-gelingt-vonovia-das-comeback-das-haengt-von-diesen-5-fragen-ab/29789950.html. 15.10.2024

[22] Vonovia 2024, S. 2: Halbjahresbericht H1-Bericht 2024. https://www.vonovia.com/investoren/news-publikationen/berichte-publikationen. 15.10.2024

[23] Gareth Joswig 2021, o.S.: Blackbox Immobilienmarkt. https://taz.de/Berliner-Volksbegehren-zum-Enteignen/!5764430/. 16.10.2024

[24] Sven Giegold 2020, o.S.: Die Geschäfte von Blackstone – wie Berliner Mieteinnahmen auf den Cayman Islands verschwinden. https://www.netzwerk-steuergerechtigkeit.de/die-geschaefte-von-blackstone/. 16.10.2024